17.04.1998

Der afrikanische Kontinent – ein Beutestück des Sklavenhandels

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Der afrikanische Kontinent – ein Beutestück des Sklavenhandels

AM 27. April 1848 wurde in Paris die allgemeine Emanzipation der Sklaven beschlossen. Zur Durchsetzung dieser Entscheidung argumentierte der damalige Verfasser des Dekrets, Victor Schoelcher, daß ein Generalaufstand der Sklaven bevorstehe. Und in der Tat: Nicht allein politische Einsicht oder plötzliche Herzensgüte brachten die Aufklärer dazu, das Verbot des Sklavenhandels 1792 in Dänemark, 1807 in Großbritannien, 1815 auf dem Wiener Kongreß und schließlich 1848 in Frankreich endgültig zu beschließen; einen wesentlichen Anteil hatte vielmehr der Widerstand der Sklaven selbst. Die Geschichte der Sklaverei zeigt bis heute Folgen: in der Krisenanfälligkeit des afrikanischen Kontinents ebenso wie in der Geringschätzung gegenüber den Afrikanern.

Von ELIKIA M'BOKOLO *

Verbrechen durchziehen bekanntlich die Geschichte der Menschheit, doch selbst die abgebrühtesten Historiker können sich eines mit Entrüstung und Abscheu gepaarten Schreckens nicht erwehren, wenn sie Materialien über die Versklavung der Afrikaner sichten. Wie war so etwas möglich? So lange? Und in einem solchen Umfang? Nirgendwo auf der Welt hat sich eine Tragödie vergleichbaren Ausmaßes ereignet.

Auf allen nur möglichen Wegen – durch die Sahara, über das Rote Meer, den Indischen Ozean und den Atlantik – wurde der schwarze Kontinent zur Ader gelassen, indem man ihn seiner Menschen beraubte. Mindestens zehn Jahrhunderte, vom 9. bis ins 19. Jahrhundert, dauerte die Unterjochung durch die Mohammedaner. Mehr als vier Jahrhunderte, vom Ende des 15. bis zum 19. Jahrhundert, ermöglichte der geregelte Sklavenhandel den Aufbau Nord- und Südamerikas und den Wohlstand in den christlichen Staaten Europas. Wie umstritten die Zahlen darüber, welches Ausmaß der Handel tatsächlich hatte, auch sein mögen, sie sind in jedem Fall schwindelerregend: Vier Millionen Sklaven wurden über das Rote Meer verschifft, weitere vier Millionen über die Swahili-Häfen am Indischen Ozean, etwa neun Millionen zogen mit den Transsahara-Karawanen, und – hier weichen die Angaben stark voneinander ab1 – elf bis zwanzig Millionen überquerten den Atlantik.

Nicht zufällig steht unter all diesen Formen des Menschentransportes der eigentliche „Sklavenhandel“ in Richtung Europa und Amerika im Zentrum des Interesses und der Diskussionen. Dieses Thema ist zum einen am wenigsten schlecht dokumentiert und bietet zum anderen politischen Sprengstoff, insofern es dabei ausschließlich um die Versklavung von Afrikanern geht, während die islamischen Länder ehedem unterschiedslos Weiße und Schwarze unterjochten. Im übrigen liefert dieser Teil der Geschichte des Sklavenhandels offenbar wesentliche Aufschlüsse zur aktuellen Lage Afrikas: Denn er erklärt, warum der Kontinent noch heute so krisenanfällig ist, warum die Kolonisierung im 19. Jahrhundert durch den europäischen Imperialismus möglich war, und er erklärt die Verachtung, die den Afrikanern nach wie vor entgegengebracht wird.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts, als die Forderung nach Abschaffung der Sklaverei an Boden gewann, traten parallel auch schwarze Vordenker gemeinsam mit dem Befreiungskampf der Sklaven selbst an die Öffentlichkeit. Seither haben sich – einmal abgesehen von den regelmäßig wiederkehrenden Auseinandersetzungen unter den Spezialisten – die Grundsatzfragen bezüglich des Sklavenhandels kaum gewandelt. Warum traf es gerade die Afrikaner und nicht andere Völker? Wer war für den Sklavenhandel verantwortlich? Allein die Europäer? Oder auch die Afrikaner selbst? Hat der ganze Kontinent unter dem Menschenhandel gelitten, oder war er nur eine Erscheinung in einigen Küstenregionen?

Vielleicht muß man zu den Ursprüngen zurückgehen, weil sich aus ihnen die dauerhaften Mechanismen erhellen lassen, durch die der Kontinent in diesen Teufelskreis gestoßen und in ihm festgehalten worden ist. Ob sich der europäische Sklavenhandel in seinen Anfängen aus dem arabischen herleitet, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Während der arabische Sklavenhandel jedoch lange Zeit als bloße Ergänzung eines wesentlich einträglicheren Handels mit Gold aus dem Sudan und mit anderen wertvollen, seltenen, gelegentlich auch kuriosen Produkten angesehen wurde, konzentrierten sich die Energien der Europäer – abgesehen von geringfügigen Warenexporten (Gold, Elfenbein und Holz) – gerade auf den Menschenhandel. Zudem war der arabische Sklavenhandel hauptsächlich auf die Beschaffung von Hausgesinde ausgerichtet.

Die Genesis als argumentative Trickkiste

DIE in die Neue Welt verschifften Schwarzafrikaner hingegen wurden als Arbeitskräfte auf kolonialen Ländereien und – seltener – in den Bergwerken eingesetzt, wie man es bereits erfolgreich in den Pflanzungen auf den (dem afrikanischen Kontinent vorgelagerten) Inseln São Tomé, Principe und den Kapverdischen Inseln erprobt hatte. Die Produkte: Gold, Silber, vor allem aber Zucker, Kakao, Baumwolle, Koka, Tabak und Kaffee, flossen weitgehend in den internationalen Handel.

Im Irak war ein früher Versuch der produktiven Ausbeutung afrikanischer Sklaven völlig fehlgeschlagen. Große, lange dauernde Aufstände waren die Folge gewesen. Der bedeutendste, der mehrere Jahre anhielt (von 869 bis 883), hatte damals das Ende der massiven Ausbeutung schwarzer Arbeitskräfte in der arabischen Welt eingeläutet.2 Erst im 19. Jahrhundert hält die produktive Versklavung wieder Einzug in die islamischen Länder – auf den Plantagen Sansibars, deren Erzeugnisse (Gewürznelken, Kokosnüsse) im übrigen zu einem nicht unerheblichen Teil für die Märkte Westeuropas bestimmt waren.3

Gemeinsam ist jedoch beiden Versklavungssystemen die Art, wie das nicht zu rechtfertigende Handeln gerechtfertigt wurde: nämlich durch einen mehr oder minder deutlichen Rassismus, der sich auch religiöser Argumente bediente. In beiden Fällen stößt man auf dieselbe irrige Interpretation der Genesis (Moses 10, 6-20), wonach die Schwarzen Afrikas angeblich Nachfahren des Cham und somit verflucht und als minderwertige Menschen zur Sklaverei verdammt seien.

Der Aufbau des Handels mit dem afrikanischen „Ebenholz“ kostete die Europäer manche Mühen. Anfangs fanden regelrechte Raubzüge statt: Die ausdrucksstarken Bilder aus Alex Haileys „Roots“4 werden durch die um die Mitte des 15. Jahrhunderts von dem Portugiesen Gomes Eanes de Zurara verfaßte Chronik Guineas bestätigt. Doch für eine geregelte Ausbeutung der Bergwerke und Plantagen benötigte man permanent neue Arbeitskräfte, so daß man rasch begann, ein regelrechtes System zur Nachschubsicherung aufzubauen. Zu diesem Zweck schufen die Spanier schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts die „Lizenzen“ (ab 1513) und „asientos“ (Verträge, ab 1528), die das Staatsmonopol für den Import von schwarzen Sklaven an einzelne portugiesische Händlerkonsortien übertrugen.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden dann die großen Sklavenhandelsgesellschaften. Parallel dazu wurde die Welt, inklusive Nord- und Südamerika, die vormals durch den Vertrag von Tordesillas (1494) sowie durch päpstliche Urkunden allein den Spaniern und Portugiesen vorbehalten waren, neu unter allen europäischen Nationen aufgeteilt. Franzosen, Briten, Holländer, Portugiesen, aber auch Dänen, Schweden und Preußen: ganz Europa beteiligte sich seit diesem Zeitpunkt an der Hetzjagd. Die Zahl der Monopolgesellschaften stieg, und vom Senegal bis Mosambik entstanden in dichter Abfolge Forts, Handelskontore und Kolonien. Nur Rußland und die Balkanländer blieben abseits, bekamen aber durch Vermittlung des ottomanischen Reichs ein kleines Kontingent an schwarzen Sklaven zugeteilt.

Vor Ort, in Afrika, wurden die von den Europäern organisierten Razzien und Raubzüge rasch durch einen geregelten Handel ersetzt. Nur höchst widerstrebend ließen sich die Gesellschaften Afrikas zunächst vom Sklavenhandelssystem vereinnahmen, strebten aber dann, wenn sie erst einmal eingebunden waren, nach größtmöglichen Vorteilen. Als ein Beispiel unter vielen sei der Protest des kongolesischen Königs Nzinga Mvemba genannt: Seit seiner bereits im Jahr 1491 erfolgten „Bekehrung“ zum Christentum betrachtete er den portugiesischen Souverän als seinen „Bruder“ und verstand nach seinem Amtsantritt im Jahre 1506 nicht, wie die Portugiesen, die schließlich die Untertanen seines „Bruders“ waren, es wagen und rechtfertigen konnten, seine Besitztümer zu plündern und seine Untertanen, die Kongolesen, zu versklaven. Sein Protest war vergeblich: Der Gegner der Sklaverei ließ sich peu à peu vom Nutzen und der Notwendigkeit des Sklavenhandels überzeugen. Bei derartiger Kollaboration mag entscheidend gewesen sein, daß es sich bei den Waren, welche die einheimischen Herrscher gegen die Menschen eintauschten, vielfach um Waffen handelte. Nur Staaten, die im Besitz von Waffen waren, und das heißt: die am Sklavenhandel teilnahmen, waren damals in der Lage, sich nötigenfalls gegen ihre Nachbarn zur Wehr zu setzen beziehungsweise ihrerseits eine Expansionspolitik zu betreiben.

Die afrikanischen Staaten hatten sich also gewissermaßen von den europäischen Sklavenhändlern nasführen lassen. Handel oder Tod: Alle Küstenländer und die den Sklavenhandelszonen benachbarten Staaten befanden sich damals in einem inneren Widerspruch zwischen der Staatsräson einerseits – die es ihnen zur Aufgabe machte, alle erforderlichen Ressourcen für Reichtum und Sicherheit des Landes zu nutzen – und den eigenen Gründungsstatuten andererseits – welche den Monarchen die Pflicht auferlegte, Leben, Wohlstand und Rechte der Untertanen zu sichern. Daher waren die am Sklavenhandel beteiligten Staaten bestrebt, ihn in engen Grenzen zu halten. König Tezifon d'Allada gab 1670 den Franzosen, die um Erlaubnis nachsuchten, auf seinen Ländereien ein Kontor einzurichten, mit schätzenswertem Scharfblick folgende Antwort: „Ihr werdet ein Haus bauen, in das ihr zuerst zwei kleine Einzelteile einer Kanone schafft. Im kommenden Jahr werdet ihr vier Kanonen aufstellen, und binnen kurzem wird sich euer Kontor in ein Fort verwandelt haben, welches euch zu Herren meiner Staaten macht und euch befähigt, mir Gesetze zu diktieren.“5 Von Saint-Louis am Senegal bis zur Kongomündung kam diese doppelbödige Politik der Kollaboration, des Argwohns und der Kontrolle zwischen den Handelsgesellschaften und den Lokalmächten zustande.

In einigen Teilen Guineas und Angolas wie auch in Mosambik klinkten sich die Europäer allerdings direkt in die afrikanischen Kriegs- und Handelsnetze ein, gestützt auf die Komplizenschaft lokaler Partner, Schwarzer oder Mestizen. Letztere waren Abkömmlinge von – selbst in jenen höchst verrohten Zeiten – übelst beleumundeten weißen Abenteurern: Die portugiesischen „lançados“ etwa, die ins Landesinnere vorzudringen gewagt hatten, wurden uns zu Beginn des 16. Jahrhunderts als „Höllensaat“, „Ausgeburt des Bösen“, „Mörder“, „Wüstlinge“ und „Diebe“ geschildert. Mit der Zeit erwuchs aus dieser Gruppe einstiger Mittelsmänner jene an mehreren Punkten der Küste präsente Klasse der „Händlerfürsten“, in deren Händen der Sklavenhandel lag.

WELCHEN Gewinn machten sie dabei? Die Ladungen der Sklavenschiffe, über die in guter Kaufmannsart sorgfältig Buch geführt wurde, vermitteln einen präzisen Eindruck: Gewehre, Pulverfässer, Branntwein, Stoffe, Glas- und Eisenwaren, das sind die Waren, die gegen Millionen Afrikaner eingetauscht wurden. Ein ungleicher Tausch, so viel ist sicher. Doch wer angesichts solcher Ungleichheiten erstaunt ist, möge sich vergegenwärtigen, daß sich dieselbe Logik bis in unsere Tage fortgesetzt hat, allerdings in anderem Gewande: Heute versuchen eilfertige Bittsteller aus dem Norden unter Zusicherung (magerer) persönlicher Zuwendungen afrikanische Staatschefs zu Luftschloß-Projekten (white elephants) zu überreden.

Das ideologische Arsenal, das die Sklavenhändler einsetzten, um ihr Geschäft zu rechtfertigen, entsprach mithin weder der Wirklichkeit noch der Dynamik der afrikanischen Länder. Kein Volk besitzt eine spezielle Eignung oder Neigung zum Sklavendasein, so auch nicht das afrikanische. Ohne das System und seine vielen Einbindungsformen wäre der Handel nie entstanden und nie aufrechtzuerhalten gewesen. Zwar weiß man einiges über die Revolten der schwarzen Sklaven während der Atlantiküberquerung sowie bei ihrer Ankunft, doch bis heute macht man sich keinen Begriff von dem Ausmaß und der Formenvielfalt des Widerstands in Afrika selbst. Dieser Widerstand richtete sich sowohl gegen den Sklavenhandel als auch gegen die mit dem Handel einhergehende beziehungsweise sich verschlimmernde Versklavung im Innern der Länder.

Eine lange Zeit unbekannte Quelle, die „Lloyd's List“, erhellt in unerwarteter Weise, wie heftig in den afrikanischen Küstenländern der Widerstand gegen den Handel gewesen sein muß. Diese Liste enthält unzählige Einzelangaben über Schadensfälle an Schiffen, die bei der berühmten, 1689 gegründeten Londoner Firma versichert waren, und aus den Details läßt sich ersehen, daß bei einer signifikanten Anzahl (mehr als 17 Prozent) aller bekanntgewordenen Fälle der Schaden auf einen Aufstand, eine Revolte oder eine Plünderung vor Ort in Afrika zurückzuführen war. Anstifter dieser Rebellionen waren sowohl die Sklaven selbst als auch die Küstenbewohner. Man hat den Eindruck, daß es zwei verschiedene Haltungen gab: diejenige der wohl oder übel beim Sklavenhandel mitwirkenden Staaten einerseits und die der freien, ständig von der Versklavung bedrohten Völker andererseits, die ihre Solidarität mit den zur Sklaverei gezwungenen Menschen zum Ausdruck brachten.

Auch die Versklavung im Inland, so scheint es, weitete sich parallel zum Anstieg des Sklavenhandels aus und wurde härter, was vielfältige Formen des Widerstands hervorrief: Flucht, offene Rebellion, Zuflucht bei religiösem Gedankengut. Beispiele hierfür finden sich in verschiedenen islamischen und christlichen Ländern. So brachte der Versuch einiger Herrscher im Tal des Senegal-Flusses, ihre eigenen Untertanen zu unterwerfen und zu verkaufen, seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert den „Krieg der Marabuts“ oder auch die „tubenanische Bewegung“ (von „tuub“, sich zum Islam bekehren) hervor. Ihr Wegbereiter, Nasir al- Din, verkündete nämlich klar und deutlich, „Gott (untersage) den Königen zu plündern, zu töten oder ihre Völker zu Gefangenen zu machen“, er habe vielmehr „die Könige eingesetzt, damit diese ihre Völker erhalten und vor Feinden schützen mögen. Denn nicht die Völker sind für die Könige, sondern die Könige sind für die Völker da.“

Weiter südlich, im heutigen Angola, spielten die Kongo-Völker das Christentum gleichermaßen gegen die in den Sklavenhandel verwickelten Missionare wie auch gegen die lokalen Machthaber aus. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts bezog eine etwa zwanzigjährige Prophetin, Kimpa Vita (auch als Dona Beatrice bekannt) Gegenposition zu den rassistischen Argumenten der Sklavenhändler und begann, eine Botschaft der Gleichheit zu verkünden, derzufolge es „im Himmel weder Weiße noch Schwarze gibt und Jesus Christus wie auch andere Heilige aus dem Kongo und der schwarzen Rasse stammen“. Bekanntermaßen werden bis heute in mehreren Regionen Afrikas die Forderungen nach Freiheit und Gleichheit unter solch einem Rückgriff auf die Religion vorgetragen. Das zeigt, daß der Sklavenhandel keineswegs eine Randerscheinung ist, sondern im Zentrum der neuzeitlichen Geschichte Afrikas steht, und daß der Widerstand gegen ihn Haltungen und Handlungsweisen hervorgebracht hat, die noch heute wirksam sind.

Befreit, doch unfrei

MAN sollte sich also hüten vor manchen aus der Befreiungspropaganda übernommenen Vorstellungen, die noch immer bei den Gedenkfeiern zur Abschaffung der Sklaverei im Munde geführt werden. Der Wunsch nach Freiheit und die Freiheit selbst wurden nicht von außen an die Afrikaner herangetragen, etwa durch die Philosophen der Aufklärung oder durch die Befürworter der Abschaffung der Sklaverei und die Prediger einer republikanischen Menschenfreundlichkeit: Sie entsprangen vielmehr dem ureigenen Elan der afrikanischen Gesellschaften. So traf man schon im Ausgang des 18. Jahrhunderts beispielsweise in den am Golf von Guinea gelegenen Ländern Kaufleute an, die meist durch Sklavenhandel reich geworden waren, sich aber nun von ihm distanzierten. Sie schickten ihre Kinder nach Großbritannien zur Aus- und Weiterbildung in den Wissenschaften und in anderen, für die Entwicklung des Handels nützlichen Berufen. So kam es, daß die afrikanischen Staaten im gesamten Verlauf des 19. Jahrhunderts problemlos imstande waren, sich auf die neuen Bedürfnisse des industrialisierten Europas einzustellen, das sich zum „zulässigen Handel“ mit Bodenerzeugnissen bekehrt hatte und der zum „unstatthaften Schmuggel“ und „schändlichen Handel“ gewordenen Verschiebung von Sklaven feindlich gegenüberstand.

Dieses Afrika unterschied sich jedoch deutlich von jenem Kontinent, den die Europäer am Ende des 15. Jahrhunderts angetroffen hatten. Der aus Trinidad stammende Historiker Walter Rodney hat zu zeigen versucht, daß es der Sklavenhandel war, der Afrika auf Abwege gebracht und den Ländern die Unterentwicklung beschert hatte.6 Unter diesen Umständen fand der aus der Sklavenhandelszeit stammende Rassismus neuen Nährboden. Die Europäer bezeichneten Afrika fortan als „archaischen“, „rückständigen“, „verwilderten“ Kontinent. Das Abendland bekam in den Wertvorstellungen Modellcharakter. Umwälzungen und Rückschritte in Afrika wurden nicht der tatsächlichen historischen Entwicklung zugeschrieben, an der Europa nicht unbeteiligt war, sondern der angeborenen „Natur“ der Afrikaner. Der aufkeimende Kolonialismus und Imperialismus konnte sich so seiner „Menschenfreundlichkeit“ rühmen und mit den „Pflichten“ einer „überlegenen Kultur“ und „überlegenen Rasse“ auftrumpfen. Die vormaligen Sklavenhändlerstaaten sprachen von nichts anderem mehr, als Afrika von den sklavenhalterischen „Arabern“ und den gleichermaßen sklavenhalterischen schwarzen Potentaten zu befreien.

Nachdem aber der afrikanische Kuchen unter den Kolonialmächten aufgeteilt war, hüteten sich diese sehr wohl, die vorgefundenen sklavenhalterischen Strukturen abzuschaffen. Dabei beriefen sie sich zum Vorwand darauf, daß sie nicht in den Gang der Entwicklung eingreifen, sondern vielmehr die „angeborenen“ Sitten respektieren wollten. Die Sklaverei bestand mithin im Kolonialsystem fort, wie die vom Völkerbund zwischen den Weltkriegen veranlaßten Umfragen beweisen.7 Schlimmer noch: um die Wirtschaftsmaschinerie in Gang zu halten, entstand eine neue Sklaverei, diesmal in Form von Zwangsarbeit. „Mit welch verschleiernden Namen man die Zwangsarbeit auch belegen mag, es ist nicht zu verhehlen, daß es sich dabei in der Tat und nach dem Recht um eine wiederentstandene und geförderte Sklaverei handelte.“8 Wiederum erhebt sich hier, um beim Fall Frankreichs zu bleiben, der Wunsch nach Freiheit in Afrika selbst. Ist doch die Abschaffung der Zwangsarbeit in den Kolonien allein den in Afrika gewählten Staatsoberhäuptern Félix Houphouät-Boigny und Léopold Sédar Senghor zu verdanken. Und das erst im Jahr 1946.

dt. Margrethe Schmeer

* Studiendirektor an der École des hautes études en sciences sociales (EHESS), Paris.

Fußnoten: 1 Ralph Austen, „African Economic History“, London (James Curey) 1987, S. 275; Elikia M'Bokolo, „Afrique Noire. Histoire et Civilisations“, Bd. 1, Paris (Hatier-Aupelf) 1995, S. 264; Joseph E. Inikori (Hg.), „Forced Migration. The Impact of the Export Slave Trade on African Societies“, London (Hutchinson) 1982; Philip D. Curtin, „The Atlantic Slave Trade. A Census“, Madison (The University of Wisconsin Press) 1969. 2 Alexandre Popovic, „La révolte des esclaves en Iraq au IIIe-IXe siècle“, Paris (Geuthner) 1976. 3 Abdul Sheriff, „Slaves, Spices and Ivory. Integration of an African Commercial Empire into the World Economy“, London (James Currey) 1988. 4 Alex Haley, „Roots“. Frankfurt am Main (S. Fischer) 12. Aufl. 1997. 5 Akinjogbin, „Dahomey and its Neighbours, 1708-1818“, Cambridge University Press 1967, S. 26. 6 Walter Rodney, „Afrika. Geschichte einer Unterentwicklung“, aus d. Engl. von Gisela Walther, Berlin (Wagenbach) 1975. 7 Claude Meillassoux, „L'Esclavage en Afrique précoloniale, Paris (Maspéro) 1975. Siehe auch ders., „Anthropologie der Sklaverei“, aus d. Franz. v. Eva Moldenhauer, Frankfurt am Main (Campus) 1989. 8 Brief der französischen Abgeordneten an den Minister für die Kolonien vom 22. Februar 1946.

Le Monde diplomatique vom 17.04.1998, von ELIKIA M'BOKOLO