17.04.1998

Leichte Waffen mit schweren Folgen

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Leichte Waffen mit schweren Folgen

WÄHREND der Rüstungswettlauf in der nördlichen Hemisphäre durch das Ende des Kalten Krieges gestoppt zu sein scheint, beobachtet man in zahlreichen Ländern des Südens in den letzten Jahren eine Zunahme der Gewalt, die durch den Waffenhandel befördert wird. Derzeit soll es weltweit 100 bis 500 Millionen kriegstaugliche Handfeuerwaffen geben: durchschnittlich eine Waffe pro 12 bis 60 Einwohner. In einer Zeit, da immer mehr von Konfliktprävention die Rede ist, scheint es dringend geboten, den Handel mit diesen leichten Waffen, die das heutige Schlachtfeld beherrschen, besser zu kontrollieren.

Von BERNARD ADAM *

Seit Beginn der neunziger Jahre hat sich der Charakter bewaffneter Auseinandersetzungen verändert. Mit Ausnahme des Golfkriegs 1990/91 handelt es sich dabei (anders als zu Zeiten des Kalten Krieges) nur noch selten um zwischenstaatliche Konflikte, vielmehr finden die Kriege im Innern der Länder statt: Die Hauptkonflikte in den Subsahara-Staaten beispielsweise – im Sudan, im Kongo, in Äthiopien, Uganda, Mosambik, Angola, Liberia, Sierra Leone, Ruanda, Burundi und Zaire – hatten entweder die Form eines Bürgerkriegs oder eines Guerillakampfes gegen staatliche Machthaber.

Dabei läßt sich jedesmal dieselbe Ereignisabfolge feststellen: Erst verhindert ein autoritäres Regime mit seinen Sicherheitskräften jeden demokratischen Zugang zur Macht, daraufhin nehmen die Oppositionsgruppen Zuflucht zum bewaffneten Kampf, und schließlich reagieren die Machthaber mit verstärkter Repression und der Bewaffung paramilitärischer Einheiten. So entsteht ein Klima zunehmender Unsicherheit, die Gesellschaft militarisiert sich, sporadische oder permanente Kampfhandlungen sind die Folge.

Bei all diesen innenpolitischen Konflikten kommt hauptsächlich leichtes Kriegsgerät (Handfeuerwaffen, Minen, Mörser und so weiter) zum Einsatz. Diese Waffen sind billig und in den verschiedensten Regionen der Welt in großen Stückzahlen zu haben. Durch ihren geringen Verschleiß – sie halten gewöhnlich mehrere Jahrzehnte – kann man sie nacheinander auf verschiedenen Kriegsschauplätzen einsetzen. So fand man bestimmte Waffen, die bereits im Libanon benutzt worden waren, später im ehemaligen Jugoslawien und anschließend in Afrika wieder.1 Überall richteten sie beträchtlichen Schaden an. So etwa ein tragbarer Raketenwerfer, mit dem am 6. April 1994 das Flugzeug des ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana abgeschossen wurde, was den ruandischen Völkermord auslöste.

Aber nicht nur in Ruanda fordern solche Konflikte viele Menschenleben: 90 Prozent der Opfer sind Zivilisten, und die wenigsten von ihnen unterstützen eines der Ziele der kriegführenden Parteien. In den erwähnten elf afrikanischen Ländern liegt die geschätzte Zahl der Toten zwischen 3,8 und 6,8 Millionen, das heißt bei 2,4 bis 4,3 Prozent der Gesamtbevölkerung von 155 Millionen Einwohnern in diesen Ländern.

Die Logik der Waffen ist zumeist inkompatibel mit der Eigendynamik von Verhandlungen. In mehreren Fällen wurde die Umsetzung eines politischen Abkommens durch mitunter recht kleine Gruppen von Hardlinern verhindert, die ihre Kampfhandlungen partout nicht einstellen wollten. Beispiele dafür gibt es zuhauf, in Bosnien-Herzegowina ebenso wie in Angola, Ruanda, Liberia oder Sierra Leone. In den Fällen, in denen es einer der Parteien gelingt, einen Machthaber zu stürzen, entsteht vielfach ein neues autoritäres Regime, das zwar durch seinen Sieg über den unpopulären Vorgänger legitimiert sein mag, doch nur selten bereit ist, die Gesellschaft zu entmilitarisieren und die Bedingungen für einen Übergang zur Demokratie zu schaffen – wie sich insbesondere in Ruanda, in der Demokratischen Republik Kongo (Ex-Zaire) und in Kongo-Brazzaville beobachten läßt.

Auch die Handlungsmöglichkeiten der internationalen Gemeinschaft bei friedensichernden Militäreinsätzen sind recht beschränkt. Die meisten internationalen Friedenseinsätze in Afrika scheiterten an der weiten Verbreitung leichter Waffen, wobei – Ironie des Schicksals – die „Soldaten des Friedens“ sich in vielen Fällen Waffen gegenübersahen, die ihre eigenen Heimatländer einige Jahre zuvor geliefert hatten – was an die Geschichte mit dem Pyromanen erinnert, der plötzlich selbst Feuerwehrmann spielen muß.2

Eine bessere Kontrolle und künftige Begrenzung der Waffenströme hat sowohl an der Angebots- wie auch an der Nachfrageseite anzusetzen. Auf der Nachfrageseite muß dazu zwischen unerlaubtem und ungerechtfertigtem Waffengebrauch unterschieden werden. Unerlaubt, aber gerechtfertigt ist der Einsatz von Waffen durch politische Gruppen, denen der friedliche Weg zur Macht verbaut ist, sowie der Einsatz von Waffen zum Selbstschutz von Zivilpersonen. Hier ist das wesentliche Ziel die Einführung demokratischer Verhältnisse, doch dazu bedarf es zunächst politischer Reformen und eines gewandelten Selbstverständnisses von Armee und Sicherheitskräften, deren Aufgabe es sein sollte, den Rechtsstaat und die Bevölkerung zu schützen.

Leichter ist es in unserem Kontext, gegen den unerlaubten und ungerechtfertigten Waffenbesitz verbrecherischer Gruppen vorzugehen, deren Handlungen schlicht dem allgemeinen Strafrecht unterliegen. Gleichwohl ist die Grenze zwischen unerlaubtem und ungerechtfertigtem Waffeneinsatz oft mehr als fließend, da manche Gruppen zwar politische Ziele verfolgen, dabei aber verbrecherische Absichten hegen und auch zu kriminellen Methoden greifen.3 Als Charles Taylor Ende 1989 mit an die hundert Gefolgsleuten in Liberia einen Guerillakrieg vom Zaun brach, ging es ihm nicht nur um die Macht, sondern ebensosehr um gewisse Reichtümer des Landes.

Eine Kontrolle der Waffenströme erfordert aber nicht nur, die Waffenschieberei innerhalb der einzelnen Länder zu unterbinden. Ebenso wichtig ist hier internationale Kooperation. So verabschiedete die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) am 14. November 1997 eine Konvention zur Prävention, Bekämpfung und Beseitigung der unerlaubten Produktion und Verbreitung von Feuerwaffen, Munition und Sprengstoffen, mit dem vorrangigen Ziel verschärfter Grenzkontrollen und einer Stärkung zwischenstaatlicher Zusammenarbeit.

Ähnliche Versuche gibt es auch in Westafrika und in einigen afrikanischen Staaten südlich des Äquators. Auf Initiative von Mali sprachen sich im März 1997 acht Länder der Sahel-Sahara-Zone für ein „Moratorium der Ein- und Ausfuhr sowie der Herstellung leichter Waffen“ aus. Ziel dieses Vorstoßes ist es, daß sich die afrikanischen Staaten freiwillig zu folgenden Maßnahmen verpflichten: Beschlagnahme und Vernichtung unerlaubter Waffenlager, Grenzkontrollen, Ausbildung von Sicherheitskräften, Informationsaustausch und internationale Zusammenarbeit. Maßgeblich hierfür ist ein Koordinations- und Beistandsprogramm für Sicherheit und Entwicklung, das vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) unterstützt wird.

Mikro-Abrüstung durch Rückkauf-Aktionen

IN den Ländern Afrikas südlich des Äquators unternimmt die von Südafrika initiierte Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft (SADC) mit ihren elf Mitgliedsländern seit mehreren Jahren Anstrengungen, um eine bessere Kontrolle der Waffenbestände ebenso wie des Waffenhandels zu erreichen.4 Weitere Abkommen bestehen zwischen Südafrika, Mosambik und Swasiland.5 Allgemein bedauert wird, daß sich wegen mangelnder Konsensfähigkeit nicht auch die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) in diesen Prozeß der Rüstungskontrolle einschaltet.

Eine der günstigsten Gelegenheiten zur „Mikro-Abrüstung“, wie der ehemalige UNO-Generalsekretär Butros Butros- Ghali den Abbau leichter Waffenarsenale nannte, bieten Rückkauf-Aktionen in der Folge von Friedensabkommen – eine Maßnahme, die intensiviert werden sollte. Denn allzu viele Friedensabkommen krankten bisher daran, daß die Rückholung und Vernichtung leichter Waffen entweder gar nicht vorgesehen war oder aber nicht durchgeführt werden konnte. In El Salvador beispielsweise lieferten die ehemaligen Rebellen nur 20000 Waffen ab, während 200000 weiterhin im Umlauf sind. In Mosambik wurden von 10 Millionen Waffen lediglich 200000 beschlagnahmt, aber nicht vernichtet. In Kambodscha und Somalia scheiterte die Entwaffnung völlig. In Mali, Nicaragua und Eritrea hingegen waren einige Erfolge zu verzeichnen.6

Die leichten Waffen kommen wie alle anderen konventionellen, das heißt nichtnuklearen, nichtchemischen und nichtbiologischen Waffen aus drei Quellen: aus den Waffenbeständen in den Entwicklungsländern, aus den Waffenarsenalen der Industrieländer sowie frisch aus der Fabrik. Mit Blick auf die Produktion und die Altbestände der Industrieländer – darunter auch die unerschöpflichen Reserven Rußlands und Osteuropas – wäre es die Ideallösung, im Rahmen der Vereinten Nationen einen multilateralen Vertrag zur Kontrolle und Begrenzung des Transfers aller konventionellen Waffen, einschließlich der leichten, abzuschließen. Gerade die leichten Waffen bleiben in den internationalen Vertragswerken, die sich hauptsächlich auf die nuklearen, chemischen, biologischen und ballistischen Massenvernichtungssysteme beziehen, praktisch immer unberücksichtigt. Nötig wäre – nach dem Vorbild des Atomwaffensperrvertrags – eine Art Vertrag über die Nichtverbreitung konventioneller Waffen, da gerade sie heute massenhaft Leben vernichten.7

Bis ein solcher Vertrag spruchreif wird, sollten die Vereinten Nationen, so wie es der ehemalige costarikanische Präsident Oscar Arias und einige Friedensnobelpreisträger schon 1995 angeregt hatten, einen internationalen Verhaltenskodex zum Rüstungstransfer festschreiben. Zum Thema „leichte Waffen“ legte eine von der UNO-Generalversammlung beauftragte Expertengruppe im Herbst 1997 nach zweijähriger Vorbereitung einen Bericht vor, der eine Reihe von Empfehlungen enthielt.8 Die Generalversammlung beschloß daraufhin, die so begonnene Arbeit durch die Bildung einer weiteren Expertengruppe fortzusetzen und eine Sonderstudie über die Verbreitung leichter Waffen in Auftrag zu geben. Ende 1997 machte Professor Edward Laurance vom Monterey Institute of International Studies einen interessanten Vorschlag für eine Konvention zur Prävention des illegalen und wahllosen Gebrauchs leichter Waffen. Darin wird insbesondere eine Reihe von Kriterien für den Export, für das Einsammeln und die Vernichtung überschüssiger Waffenbestände sowie für die internationale Zusammenarbeit entwickelt.9

Mangels zwingender vertraglicher Regelungen versucht man nunmehr, Transparenz in die Waffenströme zu bringen. Infolge der Golfkrise führen die Vereinten Nationen seit dem 1. Januar 1992 ein Register über den Transfer konventioneller Waffen. Doch auch hier bleiben die leichten Waffen außen vor. Desgleichen konnte sich die bereits erwähnte Expertengruppe in ihrem 1997 der UNO-Generalversammlung vorgelegten Bericht nicht auf eine Nachbesserung der Registerkriterien verständigen10 , sondern vermochte sich lediglich auf eine Neubewertung im Jahr 2000 festzulegen. Andere Vorschläge zielen auf regionale Register über leichte Waffen (namentlich in Afrika) und die Einführung eines internationalen Kennzeichnungssystems, um die Herkunft der Waffen leichter zurückverfolgen zu können.

Solange das multilaterale Kontrollsystem in den Kinderschuhen steckt, könnten regionale Abkommen eine bedeutende Rolle spielen. In der Europäischen Union ist die Situation noch recht widersprüchlich.11 Auf der einen Seite haben die fünfzehn Mitgliedstaaten mit der Einführung des einheitlichen Binnenmarkts ihre gegenseitigen Grenzen abgeschafft. Auf der anderen Seite liegt der Waffenexport durch die weitere Gültigkeit des Artikels 223 der Römischen Verträge ausschließlich in der Zuständigkeit der einzelnen Staaten. Ein gemeinsamer Wirtschaftsraum mit fünfzehn verschiedenen Gesetzgebungen aber kann der Waffenschieberei nur Vorschub leisten. Zumal die Mitgliedstaaten außenpolitisch nicht immer am selben Strang ziehen. Während etwa Belgien Ruanda schon 1991 mit einem Waffenembargo belegte, setzte Frankreich seine Waffenverkäufe noch bis zum Völkermord im Jahre 1994 fort.

Zwar hat der Europarat 1991 und 1992 nach dem Golfkrieg acht gemeinsame Kriterien für den Waffenexport verabschiedet, doch handelt es sich dabei nur um eine nichtbindende Absichtserklärung, die von den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt wird. Um diesem Mangel an Einheitlichkeit bis zur Verabschiedung eines verbindlichen Regelwerks abzuhelfen, regen Saferworld, Basic, amnesty international und weitere 600 europäische Organisationen seit 1995 die Festschreibung eines europäischen Verhaltenskodexes an, der diese acht Kriterien näher ausführt. Großbritannien, das im ersten Halbjahr 1998 den Vorsitz in der Union hat, unterstützt diese Initiative und hat sie seinen Partnern unterbreitet. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der Europarat auf seiner Sitzung im Juni dieses Jahres einen entsprechenden Textentwurf verabschieden. Bereits im Juni 1997 beschloß die Europäische Union unter dem Vorsitz der Niederlande ein Programm zur Prävention und Bekämpfung des unerlaubten Handels mit konventionellen Waffen.

Die nationalen Gesetzgebungen bleiben Dreh- und Angelpunkt jeder Kontrolle von Waffenangebot und -nachfrage, denn in erster Linie sind die Staaten für die Ein- und Ausfuhr von Rüstungsgütern zuständig. Zudem sind sie es, die vielfach erst unter dem Druck der öffentlichen Meinung regionale und multilaterale Vorkehrungen treffen.

Nachdem im Dezember 1997 in Ottawa 120 Länder ein Übereinkommen über das Verbot von Antipersonenminen unterzeichneten – auch der Erfolg einer großangelegten internationalen Kampagne –, regten jetzt mehrere politisch nicht gebundene Organisationen eine ähnliche Kampagne gegen leichte Waffen an – ein Vorschlag, der bei den Regierungen mehrerer Länder, darunter Kanada, Belgien, Schweden und die Niederlande, bereits positive Aufnahme fand.

dt. Bodo Schulze

* Leiter der Forschungs- und Informationsgruppe über Frieden und Sicherheit (GRIP) in Brüssel.

Fußnoten: 1 Georges Berghezan, „Ex-Yougoslavie: l'embargo sur les armes et le réarmement actuel“, Rapport du GRIP, Nr. 97/1, Brüssel 1997. 2 Bernard Adam, „Les transferts d'armes vers les pays africains: quel contrôle?“, in „Conflits en Afrique, analyse des crises et pistes pour une prévention“, Brüssel (Editions Complexe/GRIP) 1997. 3 Jean-François Bayart, Stephen Ellis, Béatrice Hibou, „La criminalisation de l'État en Afrique“, Brüssel (Editions Complexe) 1997. 4 Südafrika, Angola, Botswana, Lesotho, Malawi, Mosambik, Namibia, Swasiland, Tansania, Sambia und Simbabwe. 5 Michael Renner, „Small Arms, Big Impact: The Next Challenge of Disarmement“, Worldwatch Paper, Nr. 137, Washington 1997. 6 Vgl. die Arbeiten des Instituts für Abrüstungsforschung der Vereinten Nationen (Unidir). Einen Überblick bietet: „Managing in Peace Processes: The Issues“, Unidir 96/46, New York/Genf 1996. 7 Vgl. die Arbeiten von Natalie J. Goldring und des „Project on Light Weapons“ vom British American Security Information Council (Basic), Washington und London. 8 „Désarmement général et complet: armes légères et de petit calibre“, Dokument A/52/298, 5. November 1997, Generalversammlung der Vereinten Nationen, New York. 9 Edward J. Laurance, „Proposed Convention on the Prevention of the Indiscriminate and Unlawful Use of Light Weapons“, Monterey Institute of International Studies, Dezember 1997. 10 „Désarmement général et complet: transparence dans les armements“, Dokument A/52/316, 29. August 1997, Generalversammlung der Vereinten Nationen. 11 Bernard Adam, „Union européenne et exportations d'armes“, Dossiers du GRIP, Nr. 200-201, Brüssel 1995.

Le Monde diplomatique vom 17.04.1998, von BERNARD ADAM