15.05.1998

Nützliche Negationisten

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Nützliche Negationisten

Von VALÉRIE IGOUNET

AUCH wenn die verschiedenen Strömungen des Front National (FN) die Leugnung der Judenvernichtung unterschiedlich bewerten, nimmt die Partei Jean-Marie Le Pens insgesamt gegenüber den Thesen der Holocaustleugner (Negationisten) eine konziliante Haltung ein. Seit seiner Gründung hat der FN den rhetorischen Ersatz-Antisemitismus der Negationisten immer stärker zum Bestandteil seiner Propaganda gemacht. Ständig rekurrieren die Führer auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs, ständig gibt es „Ausrutscher“, die keine sind, ständig wird das Thema der „jüdischen Verschwörung“ aufgegriffen – all dies ist typisch für die negationistische Denkweise. Die verschiedenen latent antijüdischen Aufrufe sind Ausdruck einer politischen Strategie, es handelt sich um wiederholte Signale an die antisemitischen Wähler, auf deren Stimmen der FN zählt oder die er zu gewinnen hofft.

Der FN hat die Negation der Geschichte von Anfang an akzeptiert. François Duprat, ein offizielles Mitglied, war lange Zeit einer der Hauptverfechter der negationistischen Thesen in der französischen und internationalen Rechten. Als er im März 1978 bei der Explosion seines Wagens den Tod gefunden hatte, erschien die ihm gewidmete Grabrede in Le National, dem offiziellen Presseorgan des FN. Der Text, in dem vom „Ringen“ des „Historikers mit der Frage der historischen Wahrheit“ gesprochen wird, schließt mit den Worten: „Du sollst wissen, daß du nicht umsonst gestorben bist, denn wir werden die Fackel weitertragen. Dein Werk wird fortgesetzt!“1 Jean-Marie Le Pen allerdings enthält sich über zehn Jahre lang jeder öffentlichen Äußerung zu diesem Thema, auch wenn er in seiner Partei Negationisten akzeptiert.

1986 beschließen die Ideologen des FN, den Wahrheitsgehalt der negationistischen Thesen in der Medienöffentlichkeit zum Thema zu machen. Erste Etappe ist die Roques-Affäre. In einem Interview mit National Hebdo2 nimmt Le Pen zum ersten Mal öffentlich Stellung. Er ist vorsichtig, doch er vermeidet es, die Arbeiten von Henri Roques, in denen die Existenz der Gaskammern geleugnet wird, zu kritisieren: „In dieser Sache sind weder der Staat noch die Justiz zuständig, es handelt sich vielmehr um eine Frage der historischen Forschung (...). Jeder vernünftige Mensch wird, glaube ich, zugeben, daß in den Lagern der Nazis massenhaft Juden umgekommen sind. Was die sogenannten revisionistischen Historiker in Zweifel ziehen, ist das Mittel dieser Vernichtung – die Gaskammern – und ihr Ausmaß – die sechs Millionen. (...) All das ist eine Frage der historischen Forschung, also Sache der Spezialisten, und was den Genozid an den Juden betrifft, scheint es mir durchaus begreiflich, daß die Historiker auf beiden Seiten bei allem guten Willen Zeit brauchen, um ihre Schätzungen vorzunehmen.“ Hier wird ein Lieblingsthema der Negationisten berührt, und indem der Chef des FN sie als „Historiker“ bezeichnet, verleiht er ihnen wissenschaftliche Glaubwürdigkeit und verschafft dem Negationismus „Respekt“.

Einige Monate später bestätigt Le Pen die Verbindungen zwischen seiner Partei und dem Negationismus. Am 13. September 1987, als Gast der „Grand jury RTL-Le Monde“, spricht er von den Gaskammern als einem „Detail des Zweiten Weltkriegs“. Er erklärt, er habe bislang keine mit eigenen Augen sehen können und das Thema nicht speziell untersucht. Er stellt die Frage, „ob es sich hierbei wirklich um die offenbarte Wahrheit handelt, an die jedermann glauben muß“, und redet von „Historikern, die diese Probleme diskutieren“. Die Frage eines Journalisten, ob er die Thesen von Roques kenne, verneint Jean-Marie Le Pen, obwohl er sich, wie gesagt, einige Monate zuvor in National Hebdo zu diesem Thema geäußert hatte.

Der Ausdruck „Detail“ ist keineswegs ein Ausrutscher. Er stellt eine neue Etappe in der fortschreitenden Integration des Negationismus dar. Von nun an radikalisiert sich die Propaganda des FN. Die Parteipresse wendet sich gegen den „Mythos von den sechs Millionen“. Offenbar kann das Wähler des Front nicht schockieren: Acht Monate nach seinen Äußerungen erhält Le Pen in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 14,4 Prozent der Stimmen. Auch in diesem Jahr werden wieder Bücher der Holocaustleugner auf dem Parteifest des FN verkauft. Ein Jahr später läßt sich Le Pen während der Sommeruniversität seiner Partei zu dem Wortspiel „Durafour-crématoire“3 verleiten, ganz im Stil der negationistischen Denkweise. Wegen dieser Ausdrucksweise und wegen des erwähnten „Details“ wird er damals von der Justiz belangt.

Die Medienauftritte des FN-Chefs verraten eine seiner Obsessionen: die Zeit von 1939 bis 1945. Le Pen verkürzt und verfälscht die Geschichte des Genozids an den Juden und verwandelt die Zeit der Okkupation in einen Mythos. Damit verfolgt er ein doppeltes Ziel: einerseits die Rehabilitierung von Vichy, andererseits die Leugnung der Verbrechen des Dritten Reichs, um dieses wenn nicht zum Vorbild, so doch zu einem seriösen Bezugspunkt zu machen. Das Programm des Front National, das auf der Forderung nach einem Einwanderungsstopp basiert, sollte nicht über die Neuorientierung der Partei seit 1989 hinwegtäuschen. Der Antisemitismus wird zu einem Standardthema ihrer Propaganda. Immer wieder geht es um die Betonung der „jüdischen Herrschaft“ (Denunzierung des „Staatsjuden“ und des „Medienjuden“) mit dem Ziel, die Legitimität der Regierung zu schwächen. Eröffnet wird diese neue Phase 1989 durch eine Äußerung Le Pens über die „jüdische Internationale“.

Die letzten Fesseln sprengen

DER FN bleibt die einzige Partei, die in ihrem Programm die Holocaustleugner verteidigt. Im Juli 1990 denunziert Marie-France Stirbois, damals die einzige FN-Abgeordnete, im Parlament das Gayssot-Gesetz [das die Leugnung des Holocaust unter Strafe stellt; d. Red.] als totalitär und als ein „Inquisitionsgesetz, das darauf abzielt, gewisse politische und historische Wahrheiten (...) hinsichtlich des Zweiten Weltkriegs zum offiziellen Dogma zu erheben“4 . Später entwickelt Bruno Mégret seine „fünfzig Vorschläge“, um die „Gesetze abzuschaffen, die die Freiheit gefährden“.

Anläßlich seines zwanzigjährigen Bestehens wird der FN rückfällig. In den „Sechzehn Handlungsrichtlinien, um den großen Wechsel herbeizuführen“, die Teil seines Regierungsprogramms sind, werden auch die Holocaustleugner bedacht. Es geht um den „Schutz der grundlegenden Freiheit von Lehre, Forschung, Arbeit, Information und Unternehmertum“ und die Sicherung der „Freiheit der Meinungsäußerung durch eine Abschaffung aller die Freiheit gefährdenden Gesetze“.5

Nachdem Le Pen am 5. Dezember 1997 in München erneut die Gaskammern als „Detail“ bezeichnet, kommt es innerhalb des FN zu Divergenzen über die Handhabung der Strategie. Man vernimmt kritische Stimmen, darunter auch die von Bruno Mégret. Auch er ist ein Anhänger des Kampfes mit Worten, doch der Generalbevollmächtigte hofft, gerade durch eine gewisse Mäßigung zum Sieg zu gelangen.

Von diesen geringfügigen Unterschieden abgesehen, scheint die Billigung durch den Front einhellig. Martin Peltier, Chefredakteur von National Hebdo, hat zwar einige „mürrische Briefe“6 bekommen, aber eine allgemeine Distanzierung gibt es innerhalb des Front National nicht. Seine Führer machen sich gar nicht mehr die Mühe, die negationistische Position zu banalisieren, denn jetzt geht es darum, diese in ihren Plan zur Eroberung von Wählerstimmen einzubeziehen. In wenigen Jahren ist es ihnen gelungen, die Leugnung der Geschichte salonfähig zu machen. Vor zehn Jahren hatten das erste „Detail“ und „Durafour-Crématoire“ noch Rücktritte und offene Kritik an Le Pen zur Folge gehabt. Heute ist der ideologische Boden bereitet.

In München hat Le Pen lediglich „laut und deutlich“ geäußert, „daß kein Wort tabu bleiben dürfe und daß die Nationalisten sich das gesamte historische und politische Vokabular wieder aneignen sollten, um das öffentliche Denken vor der Sprachpolizei zu retten, die versucht, es zu unterjochen“7 . Der FN-Vorsitzende will so die letzten „politischen Fesseln“ sprengen, „die die Franzosen daran hindern“8 , sich der Ideologie des Front National anzuschließen. Entstanden sind diese Hindernisse nach Ansicht von Le Pen durch die „Manipulation der Geschichte“ des Zweiten Weltkriegs. Die angebliche Vernichtung der Juden sei eine reine Erfindung der Sieger, dazu angetan, die extreme Rechte für immer zu diskreditieren, da sie sich ja einer Barbarei ohnegleichen schuldig gemacht habe. Die allgemeine Mißbilligung, deren „Opfer“ der Front National ist, sei nur das Ergebnis dieser auf einer Lüge basierenden Machenschaften.

Möglicherweise, schreibt Martin Peltier, erscheine dieser „Kampf um die Erinnerung“ den Franzosen „überflüssig“, doch in Wirklichkeit sei er entscheidend. Denn jenseits der Rhetorik Le Pens seien die Gaskammern keineswegs ein Detail: Sie seien die „Hauptursache für den Ausschluß der Nationalisten. Und weil die Nationalisten ausgeschlossen sind, werden die Franzosen von Steuern niedergedrückt und von kriminellen Regierungen schutzlos der Invasion aus der Dritten Welt ausgeliefert.“9 Mehr noch, die Gaskammern seien der „Schlüssel zum System“10 : „Solange wir die Sache mit dem Detail nicht gelöst haben, werden die Vorstädte weiter brennen, und Frankreich wird weiter dem Untergang entgegengehen“11 – Martin Peltier läßt es an Deutlichkeit nicht fehlen.

Am 12. März 1998 hat Le Pen seinem Kameraden François Duprat die Ehre erwiesen. In Begleitung einer Parteidelegation legte er im Namen des Politbüros einen Strauß am Grab des verstorbenen Nationalisten nieder, als Gruß an den „Mann, der sein schriftstellerisches Talent ganz und gar der Politik gewidmet hat“. So erinnerte er daran, welches der wahre Charakter seiner Partei ist.

dt. Sigrid Vagt

Fußnoten: 1 Le National, April 1978. 2 National Hebdo, 11. Juni 1986, S. 6. 3 In Cap-d'Agde, am 2. September 1988. (Durafour war damals Minister für den öffentlichen Dienst, „four crématoire“ – Verbrennungsofen im KZ; d. Ü.) 4 Marie-France Stirbois, „Un seul racisme: le racisme antifrançais“, Ecrits de Paris, Juli/August 1990, S. 11. 5 Bulletin des Front national, „1972-1992, le Front national a 20 ans. Le Front national c'est vous!“, 1992, S. 11. 6 Martin Peltier, „Ma semaine“, National Hebdo, 15.-21. Januar 1998, S. 2. 7 Martin Peltier, „Ma semaine“, National Hebdo, 18.-24. Dezember 1997, S. 2. 8 a. a. O. 9 a. a. O. 10 Martin Peltier, „Ma semaine“, National Hebdo, 15.-21. Januar 1998, S. 2. 11 a. a. O.

Le Monde diplomatique vom 15.05.1998, von VALÉRIE IGOUNET