12.06.1998

Viele Füße für den Frieden

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Viele Füße für den Frieden

SEIT 1930 gibt es die Fußball-Weltmeisterschaft, doch anfangs dominierten die Länder aus Europa und Lateinamerika. In jüngster Zeit ist der Massensport weltweit zur Attraktion geworden: Bei der diesjährigen WM-Endausscheidung sind erstmals 32 Mannschaften aus allen Kontinenten vertreten. Der Fußball ist ein bevorzugter Ort politischer Projektionen, ein Seismograph nationaler wie internationaler Friedens- oder Spannungslagen. Welcher Art ist das Wechselspiel zwischen geopolitischer Diplomatie und Fuballpolitik?

 ■ Von PASCAL BONIFACE *

Der Fußball ist ein wesentlicher Bestandteil der internationalen Beziehungen unserer Zeit, die schon lange nicht mehr nur auf zwischenstaatlicher Diplomatie beruhen. Jeder einzelne Aspekt, der die internationalen Beziehungen kennzeichnet, läßt sich auch auf den Fußball anwenden.

So könnte man von einer „Geopolitik des Fußballs“ sprechen und untersuchen, auf welche Weise der Fußball die Welt erobert hat. Seinen Ausgang nahm er in England, von wo aus er sich peu à peu – über die Hafenstädte – zu einem weltumspannenden Imperium entwickelte. Damals vertrieben sich englische Kaufleute die Liegezeiten in den jeweiligen Häfen mit Fußballspielen, was die Einwohner von Le Havre, Barcelona, Marseille, Bilbao, Hamburg und Genua dazu animiert haben muß, es den Fremden gleichzutun. Den Siegeszug des runden Leders im Landesinnern Europas und Lateinamerikas besorgte die Eisenbahn; für den Rest der Welt bedurfte es des Fernsehens. Läßt sich an der Art, wie dieses Imperium zustande kam (friedlich und mit begeisterter Unterstützung der eroberten Völker), nicht eine Parallele zu den militärischen Eroberungen erkennen?

„Geopolitisch“ betrachtet, wäre der Fußball in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so gesehen eine Welt, in der eine einzige Supermacht – Brasilien – herrscht, gefolgt von einem weit abgeschlagenen Trüppchen kleinerer Mächte (Deutschland, Italien, England, Argentinien, Frankreich usw.), die es mit der führenden Weltmacht zwar nicht aufnehmen können, sich von den übrigen Fußballnationen aber deutlich abheben. Man sieht, welche Parallelen sich zu der derzeitigen weltpolitischen Lage ziehen lassen, wenngleich die jeweiligen Akteure andere sind und der kleine Unterschied darin besteht, daß keine (andere) Weltmacht je eine derartige Sympathie und Bewunderung hervorgerufen hat.

Die Supermacht Brasilien exportiert ihre Fußballer in alle Welt. In den letzten zehn Jahren haben 2000 Profi-Spieler das Land verlassen, um sowohl in Spanien, Frankreich und England als auch in Malta, Japan oder China zu spielen. Allein 1997 haben 500 brasilianische Fußballer an Meisterschaften im Ausland teilgenommen. Im Reich des brasilianischen Fußballs also geht die Sonne niemals unter!

Aus dieser geopolitischen Betrachtungsweise des Fußballs heraus könnte man auf Brasilien ebensogut die berühmte Formel anwenden, die Georges Clémenceau auf diplomatischer Ebene auf die Vereinigten Staaten gemünzt hatte: „Diesem Land ist dereinst eine große Zukunft beschieden.“ Fußball ist sicherlich die universalste Sache der Welt, viel universaler als die Demokratie oder die Marktwirtschaft (die doch angeblich grenzenlos sind); doch mit der Verbreitung des Fußballs können sie nicht konkurrieren.

Seit Marshall McLuhan wissen wir, daß die Welt ein globales Dorf ist, aber seine bekanntesten Bewohner sind zweifellos Ronaldo, Platini, Gascoigne und wie sie alle heißen. Hat die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) 186 Mitglieder, so zählt der Internationale Fußballverband (Fifa) 198, darunter auch Nordirland, Schottland, England und Wales. Doch in der UNO hat nur das Vereinigte Königreich Großbritannien Sitz und Stimme. In einer Zeit, da man sich allgemein Gedanken über die Zukunft Großbritanniens macht, fragt man sich, ob die eigenständige Vertretung der vier Länder in der Fifa ein Zeichen für den Einfallsreichtum der Erfinder des Fußballs ist oder ob hier bereits die dereinstige politische Vertretung vorweggenommen wird.

Die übrigen nicht in der UNO vertretenen Fifa-Mitglieder sind Anguilla, die Niederländischen Antillen, Aruba, die Bermuda-Inseln, die Kaimaninseln, die Jungferninseln, die Färöer, die Cookinseln, Tahiti, Montserrat, Puerto Rico, Makedonien, die Schweiz, Palästina, Taipeh, Hongkong und Guam – kleine Staaten zumeist, deren Anerkennung strittig ist, bzw. politische Gebilde mit einer lockeren Beziehung zum Mutterland. Die UNO-Mitglieder, die der Fifa nicht angehören, sind die Komoren, Eritrea, die Marshallinseln, Mikronesien, Monaco, die Mongolei, Palau und Samoa. Sollte Fifa- Präsident João Havelange etwa eine ebenso bedeutende Persönlichkeit sein wie UN-Generalsekretär Kofi Annan?

Die Fußballweltmeisterschaft gibt es seit 1930, aber erst in jüngster Zeit ist der Massensport zu einem globalen Phänomen geworden. Dieses Jahr werden 37 Milliarden Fernsehzuschauer die WM verfolgen. Zum Vergleich: Die letzten Olympischen Winterspiele in Nagano (Japan) sahen schätzungsweise 12 Milliarden Menschen und die Sommerspiele 1996 in Atlanta (USA) 20 Milliarden. Die Teilnehmer der diesjährigen WM-Endausscheidung machen deutlich, wie weit vorangeschritten die Globalisierung des Fußballs ist: In den 32 Mannschaften aus allen Kontinenten wird die Welt zum ersten Mal wirklich repräsentativ vertreten sein. Die WM ist nicht mehr eine nahezu rein europäische und lateinamerikanische Angelegenheit; auch Nordamerika, vor allem aber Afrika und Asien nehmen einen immer größeren Raum ein.

Natürlich haben die jüngsten geopolitischen Ereignisse Auswirkungen auf die Weltorganisation des Fußballs gehabt, der seinerseits allerdings kaum auf die Politik eingewirkt hat, und wenn, dann eher passiv. Aufgrund der Implosion zahlreicher multinationaler Länder Europas und deren Zerfall in mehrere Staaten vermehrten sich die Nationalmannschaften in Europa. Es gibt nicht mehr „die“ sowjetische, jugoslawische oder tschechoslowakische Mannschaft, sondern fünfzehn, fünf bzw. zwei neue Nationalmannschaften.

Bezeichnenderweise gehörte das Beitrittsgesuch zur Fifa vielfach zu den ersten Amtshandlungen der gerade unabhängig gewordenen Staaten: Als sei dies ebenso natürlich und notwendig wie der Beitritt zur UNO, als beschränke sich die Definition des Staatsbegriffs nicht auf die drei traditionellen Bestandteile Staatsgebiet, Staatsvolk und Regierung, sondern als müsse noch ein viertes, ebenso wesentliches Element, eine Fußball-Nationalmannschaft, hinzukommen; als sei nationale Unabhängigkeit durch die Macht definiert, die eigenen Grenzen zu verteidigen, eine Währung auszugeben und internationale Fußballspiele zu bestreiten.

Gerade neue Staaten, deren Nationalgefühl noch schwach war oder sich bedroht fühlte, fanden im Fußball eine feste Stütze – denn er erwies sich als einigende Kraft für die bisweilen traumatisierten Gemeinschaften. Der kroatische Präsident Franjo Tudjman höchstpersönlich veranlaßte die Namensänderung von „Dynamo Zagreb“; der neue Name, „Croatia“, fördert die Selbstbehauptung Kroatien, während die Beibehaltung des Namens „Dynamo“ in den Augen der westlichen Welt bedeutet hätte, daß die Zagreber sich noch nicht „vom bolschewistischen und balkanischen Erbe befreit“ hätten. Die Nationalmannschaft ist also oft nicht nur die Folge einer Staatsgründung, sondern ein wesentliche Hilfsmittel, um die Nation zusammenzuschweißen.

Die Möglichkeit, ein Land zu sein

AUCH hinsichtlich der Selbstbehauptung gerade unabhängig gewordener Staaten spielt der Fußball eine zentrale Rolle. Manchmal ist er der Diplomatie voraus. 1958 etwa startete die Mannschaft der Nationalen Befreiungsfront (FLN), die aus algerischen Spielern bestand, welche in Frankreich berühmt geworden waren, eine erste Welttournee. Die diplomatische Anerkennung erfolgte erst später.

1995 erklärte der Generalsekretär des armenischen Fußballverbands, Pavel Katchatrian, der International Herald Tribune: „Nach allem, was geschehen ist, nach dem Verlust so vieler Häuser und so vieler Menschenleben, haben die Männer in den Umkleideräumen die Möglichkeit, ein Land zu sein.“ Und ein Journalist kommentierte die beiden unentschieden ausgegangenen Spiele der armenischen Mannschaft gegen Nordirland und Portugal mit den Worten: „Die Punkte sind für die neugegründeten Länder pures Gold. Sie stehen für die Nation, sie sorgen für Anerkennung. Sie machen einen stolz.“

Als sich im Dezember 1995 eine palästinensische Auswahl und die Mannschaft des französischen Variété Football-Club (in der auch Michel Platini mitspielte) gegenüberstanden, erschien diese Begegnung den Palästinensern als ein weiterer Schritt auf dem langen Weg in die Unabhängigkeit. Doch das alles trifft weiß Gott nicht nur auf junge oder noch im Entstehen begriffene Staaten zu. Den Journalisten des Londoner Economist hätte es fast die Sprache verschlagen, als sie herausfanden, daß junge Briten, danach gefragt, worauf sie stolz seien in ihrem Lande, die britische Geschicklichkeit im Fußball anführten, anstatt eine Erinnerung an das British Empire oder andere dem traditionellen Verständnis staatlicher Macht entsprechende Gründe zu nennen.1

Die Kriege finden heute zumeist nicht zwischen Staaten statt. Die etwa dreißig Konflikte, die die Welt zerreißen, sind innerterritoriale Konflikte. Man ist von zwischenstaatlichen zu innerstaatlichen Kriegen übergegangen. Sollte der Fußball somit zum letzten Ort der unmittelbaren Konfrontation rivalisierender Länder geworden sein?2 Die Londoner Times paraphrasierte vor dem Europameisterschaftshalbfinale 1996 zwischen England und Deutschland den Ausspruch von Clausewitz, der Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln: „Fußball – Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln“. Steht dahinter nur der Gedanke an die Revanche für das Weltmeisterschaftsfinale von 1966 oder auch die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg?

Ist Sport zum Substitut für den um sich greifenden Nationalismus geworden? Schürt er die Glut der nationalen Leidenschaften? Ist er infolgedessen kriegstreiberisch, oder bietet er die Möglichkeit, einen Konflikt durch Sublimierung der Gegensätze auf dem Rasen auszutragen? Ist nicht das Aufeinanderprallen von Mannschaften und/oder Fans, wenn es sie denn schon geben muß, militärischen Auseinandersetzungen vorzuziehen? Lieber Weltmeisterschaft als Weltkrieg!

„Die internationale Expansion des Sports beruht auf der zunehmenden internationalen Verflechtung und einem anfälligen, instabilen Weltfrieden, der trotz der bekannten Ausnahmen mühsam gewahrt bleibt. Sportliche Wettkämpfe wie die Olympischen Spiele gestatten es den Vertretern der verschiedenen Nationen, sich miteinander zu messen, ohne sich gegenseitig umzubringen, obwohl die Umwandlung solcher Scheingefechte in ,echte' Kämpfe unter anderem vom Ausmaß der Spannungen abhängt, die bereits zwischen den Staaten bestehen.“3

Es ist unmöglich, über das Thema zu reden, ohne den berühmten „Fußballkrieg“ zwischen El Salvador und Honduras von 1969 zu erwähnen. Er fand statt im Gefolge eines WM-Qualifikationsspiels innerhalb der Concacaf-Zone (Nordamerika, Mittelamerika und karibischer Raum), und er dauerte ganze vier Tage, bevor die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) einen Waffenstillstand und den Abzug der salvadorianischen Truppen erreichte. Natürlich: es ging um die WM-Qualifikation, aber zu meinen, daß dieses Fußballspiel für den Krieg „verantwortlich“ war, ist ebenso zutreffend wie die Behauptung, die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand in Sarajevo 1914 sei die Ursache für den Ersten Weltkrieg gewesen. In beiden Fällen wird das auslösende Moment mit den tatsächlichen Ursachen verwechselt, die historischer, sozialer und politischer Natur sind.

Hintergrund des Konflikts war in diesem Fall, daß das dünnbesiedelte Honduras (18 Einwohner pro Quadratkilometer) ständig die Rolle eines Auffangbeckens für das überbevölkerte El Salvador gespielt hatte. 300000 Salvadorianer hatten sich – zumeist illegal – auf honduranischem Boden an der Grenze zu El Salvador angesiedelt. Diese Situation führte zu starken Spannungen. Überdies kam die Konfrontation mit El Salvador der honduranischen Regierung zupaß: sie stiftete neue nationale Einheitsgefühle und brachte die vorhandene innenpolitische Kritik – sprich: die eine Landreform fordernden Stimmen – zum Schweigen.

In Jugoslawien wurden die ersten Risse in der Föderation bei einem Spiel zwischen Dynamo Zagreb und Roter Stern Belgrad (am 13. März 1990) sichtbar. Die Fans beider Vereine – die ersteren Kroaten, die letzteren Serben – lieferten sich heftige Auseinandersetzungen; mehr als 61 Schwerverletzte waren die Folge. Bereits 1989 schrien die kroatischen Fans in den Stadien bei Spielen kroatischer gegen serbische Clubs: „Slobo [i. e. Slobodan Milosevic], du entgehst dem Messer nicht!“ Vielleicht ging der gemeinsame Staat symbolisch am 26. September 1990 beim Spiel Hajduk Split gegen Partisan Belgrad zugrunde, als die heimischen Hajduk-Fans auf das Spielfeld stürmten und die jugoslawische Fahne verbrannten. „Das erste Ereignis hat gezeigt, daß serbische und kroatische Fans nicht mehr in der Lage waren, sich gemeinsam in einem Stadion aufzuhalten; das zweite zeigte, daß der Staat Jugoslawien auf einem Gutteil seines Staatsgebiets keine Autorität mehr besaß.“4 Der Fußball diente auch als Mittel, Jugoslawien zu bestrafen. 1992 wurde die jugoslawische Mannschaft von der EM 1992 kurz vor deren Beginn ausgeschlossen, da Belgrad für den Krieg verantwortlich gemacht wurde. Für die internationale Gemeinschaft war die von ihr verhängte Sanktion ein starkes symbolisches Mittel, um gegen Belgrad Stellung zu beziehen, ohne militärische Risiken einzugehen. Der Beschluß löste bei den Serben große Betroffenheit aus, denn er belegte spürbarer und deutlicher als alles andere den eigenen Ausschluß aus der internationalen Gemeinschaft.5

Der Fußball verfügt aber auch über ein symbolisches Potential, das der Aussöhnung förderlich sein kann. Der Liberianer George Weah, Star bei Paris Saint-Germain und später beim AC Mailand, hat viel dafür getan, daß seine Nationalmannschaft zu einem verbindenden Element in einem vom Bürgerkrieg zerrissenen Land wurde. Die persönliche Ausstrahlung trug viel dazu bei, seiner Friedensbotschaft Gehör zu verschaffen. Ähnlich könnten auch der Serbe Savicevic und der Kroate Boban, die eng miteinander befreundeten Stars der einstigen jugoslawischen Mannschaft, die beide heute als Kollegen beim AC Mailand spielen, als Symbole für die Aussöhnung dieser beiden Länder fungieren – sofern denn die Führungen in Zagreb respektive Belgrad an einer solchen Aussöhnung interessiert wären.

Fußball ist also ein Spiegel bestehender Verhältnisse. Niemals wird ein Fußballspiel zwischen zwei Staaten, die eigentlich im Frieden leben, einen Konflikt auslösen, und niemals wird es Staaten Frieden bringen, die Streit suchen. Man sollte sich trotz der enormen Verbreitung keine falschen Vorstellungen machen. Fußball war gewiß nicht die Ursache für den Krieg zwischen El Salvador und Honduras oder für den Jugoslawienkonflikt. Und Fußball allein wird auch Liberia keinen Frieden bringen. Er kann aber ein Vorzeichen sein für den Wandel zum Besseren oder Schlechteren. Und er kann für die Akteure auf internationaler Ebene eine Möglichkeit bieten, um Konfrontation oder Annäherungen zu erwirken.

Aus diesem Grund sind die Äußerungen von João Havelange6 mit Vorsicht zu genießen, der erklärte, er wolle ein Fußballspiel zwischen einer palästinensischen und einer israelischen Auswahl organisieren, um dem Frieden zum Durchbruch zu verhelfen. „Wo die Politik, die Diplomatie und die Finanzwelt gescheitert sind“, sagt er, „kann der Fußball, glaube ich, zum Erfolg führen.“ Dem nordkoreanischen Präsidenten wollte Havelange 1998 vorschlagen, für die WM 2002 eine vereinigte koreanische Mannschaft zu bilden. Vielleicht ist bei einem Mann, der seit 1974 an der Spitze der Fifa steht, ein gewisses Quantum an Größenwahn unvermeidlich, doch mal im Ernst: Wenn die beiden koreanischen Staaten den politischen Willen haben, sich einander anzunähern, kann der Fußball ein probates Mittel sein, diese Annäherung voranzutreiben; doch mag die Liebe zum runden Leder auch noch so groß sein, sie wird nicht ausreichen, die Wiedervereinigung Koreas oder die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts herbeizuführen. Es wird der Fifa allein nicht gelingen, dort Erfolg zu haben, wo die UNO, die Vereinigten Staaten, Rußland, Europa, der Papst und die arabische Welt gescheitert sind.

Die Faktoren internationaler Machtpolitik sind in einem tiefgreifenden Wandel begriffen. Die traditionellen Faktoren (Staatsgebiet, militärische Stärke, Demographie, technologisches Potential) werden durch neue – wie etwa die Möglichkeiten medialer Beeinflussung – in den Hintergrund gedrängt. Zur traditionellen hard power muß heute die soft power hinzutreten. Als symbolische Verkörperung eines Staates oder einer Nation, als nahezu weltweit geschätzte Sportart trägt der Fußball viel zum Erscheinungsbild und Ansehen eines Landes bei – mittlerweile ebensoviel wie kulturelle Faktoren.

dt. Sabine Scheidemann

* Leiter des Instituts für internationale und strategische Studien (Institut des relations internationales et stratégiques - IRIS). Dieser Text ist der Nachdruck eines Vortrages, den der Verfasser im Rahmen des Kolloquiums „Fußball und internationale Beziehungen“ gehalten hat, das am 24. März 1998 vom IRIS in Paris veranstaltet wurde.

Fußnoten: 1 „Imperial Amnesia“, The Economist, 28. März 1998. 2 Vgl. „Le sport, c'est la guerre“, Manière de voir, Nr. 30, Mai 1996. 3 Norbert Elias und Eric Dunning, „Sport im Zivilisationsprozeß. Studien zur Figurationssoziologie“, Münster (Lit) 1984. 4 Ozren Kebo, Erasmus Zagreb, zitiert nach Courrier international, 20. April 1995. 5 Als Jugoslawien im Dezember 1996 wieder zur Teilnahme an internationalen Wettkämpfen zugelassen wurde und die Mannschaft nach Brasilien fuhr, um ihr erstes Spiel zu bestreiten, erklärte ihr Trainer Miljanic der Zeitschrift L'Equipe auf die Frage: „Was bedeutet dieses Spiel für den jugoslawischen Fußball?“: „Es hat einen hohen Stellenwert für unser Land und bedeutet eine große Erleichterung für unseren Fußball. Wir sind wieder da und müssen jetzt die Vergangenheit vergessen. Wir waren die Opfer eines politischen Terrorismus gegen die Spieler und den Fußball. Man hat uns als Geiseln benutzt; das ist jetzt vorbei. Wir haben das Gefühl, gerettet zu sein.“ 6 Le journal du dimanche, 15. Mai 1998.

Le Monde diplomatique vom 12.06.1998, von PASCAL BONIFACE