Trialog der Kulturen in Teheran
DIE jüngste Entscheidung Washingtons, auf alle Strafmaßnahmen gegen die Gesellschaften Total (Frankreich), Gasprom (Rußland) und Petronas (Malaysia) zu verzichten, die mit dem Iran ein Abkommen über den Ausbau eines bedeutenden Gasfeldes abgeschlossen haben, markiert eine Wende in der amerikanischen Politik. Tatsächlich erlaubt der 1996 im amerikanischen Kongreß verabschiedete Iran- Lybia-Sanctions Act (Ilsa), der in der ganzen Welt und insbesondere in Europa auf entschiedene Ablehnung gestoßen ist, dem Weißen Haus, Sanktionen gegen ausländische Gesellschaften zu ergreifen, die mehr als 20 Millionen Dollar im libyschen oder iranischen Energiesektor investieren.
Mit dem Verzicht auf solche Sanktionen ist die Regierung von Präsident Bill Clinton nicht nur einer größeren Konfrontation mit den europäischen Verbündeten ausgewichen1, sondern wollte auch ein Zeichen gegenüber dem im Mai 1997 gewählten iranischen Staatschef Mohammad Chatami setzen. Am 9. Januar 1998 hatte Chatami in einem CNN-Interview zu einem „Dialog der Kulturen“ aufgerufen – zweifellos eine Anspielung auf Samuel Huntingtons berühmtes Buch „Kampf der Kulturen“2. „Wir fühlen uns durch die Veränderungen in Teheran ermutigt“, meint ein offizieller amerikanischer Vertreter. „Wir hoffen, daß der Dialog der Kulturen sich in einen Dialog zwischen den Regierungen verwandeln wird. Chatami ist die beste Chance, die die Vereinigten Staaten seit langem hatten.“
Ein nachhaltiger Schock
DER neue Ton gegenüber dem Iran, der sich nun in Washingtoner Politkreisen deutlich bemerkbar macht, brauchte langwierige Vorbereitungen. In den Vereinigten Staaten hat der „Verlust“ des Iran im Jahr 1979 ein nachhaltiges Trauma bewirkt. Im Frühjahr 1997 veröffentlichten Zbigniew Brzezinski und Brent Scowcroft, ehemalige Sicherheitsberater der Präsidenten Gerald Ford, Jimmy Carter und George Bush, sowie Richard H. Murphy, Unterstaatssekretär für Nahostfragen zwischen 1983 und 1989, gemeinsam einen Text unter dem Titel „Differenzierte Eindämmung“3. Darin riefen sie zur Beendigung jener Strategie der „doppelten Eindämmung“ auf, die jahrelang darauf abgezielt hatte, sowohl den Iran wie den Irak politisch zu isolieren, und traten für die Eröffnung von Verhandlungen zwischen Washington und Teheran ein. Als wichtige Themen nannten sie die Unterstützung des Terrorismus durch die Islamische Republik, ihre Weigerung, den israelisch-arabischen Friedensvertrag anzuerkennen, und ihren Versuch, Massenvernichtungswaffen und namentlich Kernwaffen anzuschaffen. „Die einseitige Politik der Sanktionen gegen den Iran war ineffizient und der Versuch, andere Länder für die Linie der Vereinigten Staaten zu gewinnen, ein Irrtum“, fügen die Autoren hinzu.
Nach Ansicht von David L. Mack, Unterstaatssekretär für Nahostfragen zwischen 1990 und 1993, sollten sich die Vereinigten Staaten in Zurückhaltung üben. „Wir wissen wenig über das, was in Teheran vorgeht. Die Kategorien Konservative, Radikale und so weiter helfen nicht weiter, wenn man die dortigen politischen Diskussionen verfolgen will.“ Ein hoher Beamter des State Departement geht sogar noch weiter: „Wir dürfen unseren Einfluß auf die innenpolitische Lage nicht überschätzen. Unser Problem liegt darin, eine Annäherung zu versuchen, ohne Abwehrreaktionen der ,Falken‘ des Regimes zu provozieren.“
Dieser neue Kurs stößt jedoch nicht überall auf Gegenliebe. Im Kongreß machen einzelne Abgeordnete gegen die Aufhebung der Sanktionen mobil. Doch Robert Satlof, Direktor des Washington Institute for Near East Policy und der proisraelischen Lobby nahestehend, erklärt: „Die Beibehaltung der Sanktionen muß einem ,entschlossenen Dialog‘ nicht im Wege stehen. Schließlich haben wir diese Politik jahrzehntelang gegenüber der Sowjetunion und China verfolgt.“ Wer würde es wagen, im Fall des Irak eine ähnliche Haltung zu vertreten?
Noch abträglicher ist zweifellos die hartnäckige Weigerung der Islamischen Republik, direkte Gespräche mit dem großen Satan aufzunehmen. „Wenn wir offizielle Kontakte hätten“, betont David L. Mack, „könnten uns die Iraner beispielsweise ihr Atomprogramm erläutern, unsere Fragen beantworten oder manche unserer Befürchtungen ausräumen. Wir drängen auf einen offiziellen Dialog, denn die quälende Erinnerung an Irangate ist noch immer wach.“ 1985/86 hatte die US-Administration unter Präsident Ronald Reagan der Islamischen Republik mit Hilfe israelischer Mittelsmänner Waffen verkauft. Dabei ging es unter anderem darum, die „Gemäßigten“ in Teheran zu unterstützen. Das ganze Unternehmen endete in einem politischen wie medialen Desaster.
Die vermutliche Verwicklung Teherans in Anschläge gegen die israelische Botschaft und ein Kulturzentrum in Argentinien (1992 und 1994) – das FBI hat für Juni die Veröffentlichung der Ergebnisse seiner Untersuchungen angekündigt und Buenos Aires im Mai dieses Jahres mehrere iranische Diplomaten ausgewiesen – sowie andere Affären, insbesondere der Anschlag gegen die im saudiarabischen Khobar stationierten amerikanischen Soldaten im Juni 19964, könnten die Annäherung durchaus noch vereiteln. „All diese Ereignisse haben stattgefunden, bevor Chatami die Staatsführung übernommen hat“, lautet der beschwichtigende Kommentar eines amerikanischen Regierungsvertreters.
Der Handlungsspielraum des von Hardlinern umstellten Präsidenten Chatami ist nicht unbegrenzt. Wie sehr er sich auch in Zukunft auf die Unterstützung verlassen kann, die er in weiten Teilen der Bevölkerung genießt, wird von seiner Fähigkeit abhängen, die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu lösen und das Regime zu demokratisieren. Angesichts des Zusammenbruchs der Ölpreise werden die Annäherungsversuche Washingtons von einigen Anhängern des Öffnungskurses als zu schüchtern eingeschätzt. Noch immer können amerikanische Firmen mit dem Iran keinen Handel treiben, und Washington versucht weiterhin, die Islamische Republik zu isolieren, indem es sich beispielsweise dem Bau einer Erdölleitung, die vom Kaspischen Meer durch iranisches Territorium führen würde, widersetzt. Dennoch dürfen die Gesten beider Seiten, wie der Austausch von Sportlerdelegationen, Akademikern und Spezialisten5, die positiven Erklärungen der Clinton-Administration und ähnliches nicht unterschätzt werden. Die Entscheidung im Fall von Total, Gasprom und Petronas ist um so bedeutender, als sie grünes Licht für alle westlichen Gesellschaften bedeutet, die im Iran investieren wollen.
Enge Beziehungen
IN Moskau verfolgt man die Annäherung mit einer Mischung aus Ironie und Gereiztheit. Man wundert sich über die amerikanische Kritik an Rußland, das zum zivilen Atomprogramm des Iran beiträgt. „Wir helfen beim Bau von Atomkraftwerken in Buschehr“, erklärt geduldig der Stellvertretende Außenminister Wiktor Pasowaljuk, „doch diese Standorte unterliegen der Kontrolle durch die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO). Wir halten alle internationalen Verpflichtungen ein. Welches Interesse sollten wir im übrigen daran haben, daß an unseren Grenzen Massenvernichtungswaffen entwickelt werden?“ Auch verweigert Rußland dem Iran jede Hilfe bei dessen Raketenprogramm, wenngleich man einräumt, daß es illegalen Waffenhandel gibt.
Neben dem noch begrenzten Handel, dessen Volumen 1997 unter 500 Millionen Dollar ausmachte und somit deutlich unter demjenigen der Türkei lag, haben die beiden Länder enge politische und strategische Beziehungen entwickelt. Rußland liefert seinem Nachbarn modernste Militärtechnologie, namentlich Flugzeuge vom Typ Mig 29 und Suchoi 24. Und in zahlreichen regionalen Konflikten hat sich ein enges Zusammengehen der beiden Länder bewährt: Dies gilt für die Opposition gegen die Taliban in Afghanistan, für die Bestrebungen, zwischen der bewaffneten islamistischen Opposition und den Machthabern in Tadschikistan einen Kompromiß zu finden, für die diskrete Unterstützung Armeniens im Konflikt mit Aserbaidschan, die Ablehnung eines Militärschlages gegen den Irak und ähnliche Fragen.
Rußland ist entschlossen, diese als „strategisch“ bezeichnete Zusammenarbeit fortzuführen. „Diejenigen, die uns kritisieren, wollen nur unseren Platz im Iran einnehmen“, meint ironisch Wiktor Pasowaljuk. Dennoch zeigt sich der Kreml nicht vollständig gleichgültig gegenüber dem amerikanischen Druck. Beim Rußlandbesuch des iranischen Außenministers Kamal Charasi von 23. bis 27. Februar 1998 erklärte Jewgenij Primakow, sein Land werde alle bereits unterzeichneten Verträge über Waffenlieferungen erfüllen, doch vor der Aushandlung neuer Abkommen müsse man eine „Pause“ einlegen. Konkret hatte das zur Folge, daß Rußland bisher nicht auf das iranische Interesse am Kauf von Boden-Luft-Raketen des Typs S-300 reagiert hat, wie sie demnächst an Zypern geliefert werden sollen.
Andererseits versucht Rußland den Schmuggel von Rüstungsgütern einzudämmen. Im November 1997 wurde ein in Rußland lebender Iraner ausgewiesen, der versucht hatte, Geräte der Raketentechnik zu erwerben.6 Im Mai vergangenen Jahres wurden in allen russischen Betrieben, die im Bereich der Atom- oder Raketentechnologie arbeiten, Abteilungen für die Kontrolle der Exporte eingerichtet. Nach Aussage eines Sprechers des russischen Präsidenten wird „die Weitergabe von atomaren oder anderen Massenvernichtungswaffen, die Verbreitung von Technologie zu deren Herstellung oder die Schaffung von Möglichkeiten ihrer Auslieferung, insbesondere an Nachbarländer oder Staaten in geographischer Nähe zu Rußland, als ernsthafte Bedrohung der russischen Sicherheit betrachtet“7. Den amerikanischen Kongreß haben diese Maßnahmen allerdings nicht überzeugt. Beide Häuser des Kongresses haben Sanktionsvorschläge gegen Rußland beschlossen, das beschuldigt wird, das iranische ballistische Programm zu unterstützen. Doch die Zeiten sind vorbei, da Moskau mit solchen Drohungen zu beeindrucken war.
A. G.