12.06.1998

Einstürzende Altlasten

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Einstürzende Altlasten

Von Thailand über Japan bis Süd-Korea erschüttert die Krise der Währungs- und Finanzmärkte weiterhin die Länder. Für Millionen Menschen bedeutete sie bereits den Verlust des Arbeitsplatzes, nun hat sie erstmals ein prominentes Opfer gefordert: General Suharto. Er ließ nichts unversucht, um sein auf Pfründen und Korruption begründetes Machtmonopol zu verteidigen. Doch er vermochte weder die vom IWF auferlegten Wirtschaftsreformen durchzusetzen noch die allgemeine Revolte zu verhindern, und so mußte e, nacüber dreißigjähriger Präsidentschaft, am 21. Mai 1998 zurücktreten. Sein Nachfolger Bacharuddin Jusuf Habibie, ein Mitglied des inneren Zirkels der Macht, hat bereits Wahlen angekündigt, die Freilassung politischer Gefangener zugesagt und Veränderungen in der Armeeführung veranlaßt. Doch das Land braucht einen tiefgreifenden Wandel. Innerhalb weniger Monate ist Indonesien unter die armen Länder geraten – eine unrühmliche Bilanz für das Regime Suharto, das sich einst, mit Billigung der USA, durc ein Blutbdan die Macht gebracht hatte.

 ■ Von NOAM CHOMSKY *

AM 20. Mai forderte US-Außenministerin Madeleine Albright den indonesischen Präsidenten Suharto auf, zurückzutreten, um einem „demokratischen Übergang“ den Weg zu ebnen. Einige Stunden später übergab Suharto sein Amt dem von ihm selbst erwählten Vizepräsidenten. Zwischen den beiden Ereignissen muß kein ursächlicher Zusammenhang bestanden haben, dennoch ist ihre Abfolge symptomatisch für den Charakter der Beziehungen zwischen Indonesien und den USA während der letzten fünfzig Jahre.

Vier Monate zuvor hatte Suharto den neuen Vertrag mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) unterzeichnet, während IWF-Direktor Michel Camdessus mit verschränkten Armen hinter ihm stand, ganz im Stil eines Kolonialherrn. Das Foto von dieser „Demütigung Suhartos“ konnte man „am nächsten Tag in jeder indonesischen Zeitung sehen“1 . Die Symbolik dieser Szene war offensichtlich.

Seit seiner Machtübernahme 1965 hat sich Suharto stets auf die USA und andere westliche Regierungen stützen können. Ob Carter 1978 oder Clinton 1993 und 1998 – im Weißen Haus fand man immer wieder Mittel und Wege, die einschränkenden Auflagen des Kongresses hinsichtlich Militärhilfe und militärischer Ausbildung zu umgehen, um die Gewaltherrschaft in Indonesien zu stützen.

Die Art und Weise, wie Suharto in Ungnade fiel, folgt einem bekannten Muster. Ob Mobutu, Saddam Hussein, Marcos, Somoza oder auch die Familie Duvalier – sobald ein Regime sich unbotmäßig zeigt oder die Situation im eigenen Land nicht mehr im Griff hat, wird es von den USA fallengelassen. Auf Suharto traf beides zu: Zum einen weigerte er sich, die IWF-Auflagen, die einer grausamen Bestrafung der Bevölkerung gleichkamen, in vollem Umfang durchzusetzen, zum anderen gelang es ihm nicht, die breite Oppositionsbewegung in Schach zu halten. Der Diktator war unbrauchbar geworden.

Im Rahmen der weltpolitischen Strategie der USA nach dem Zweiten Weltkrieg kam Indonesien eine wesentliche Rolle zu. Der Plan war sorgfältig ausgearbeitet, jede Region hatte darin eine spezifische Funktion. Südostasiens „Hauptaufgabe“ bestand in der Lieferung von Bodenschätzen und Rohstoffen an die Industrieländer, und in dieser Hinsicht hatte Indonesien besonders viel zu bieten. 1948 bezeichnete George Kennan, einflußreicher Vordenker und „Erfinder“ der Containment- Doktrin, das „indonesische Problem“ als „die derzeit wichtigste Frage in unserem Kampf gegen den Kreml“.

Kennan warnte, ein „kommunistisches“ Indonesien könne zum „Infektionsherd“ werden und auf die Dauer ganz Südasien gefährden. Er fürchtete keine Expansionspolitik Indonesiens, sondern beschwor vor allem, ein eventueller Umschwung könne Nachahmer finden. Allerdings stand die Formel vom „Kampf gegen den Kommunismus“ letztlich für die Unterdrückung jeder Form von unabhängigem Nationalismus, ganz gleich, ob dabei der Kreml eine Rolle spielte (in Indonesien war dies kaum der Fall). Aber das „indonesische Problem“ hielt sich hartnäckig. Außenminister Dulles informierte 1958 den Nationalen Sicherheitsrat, Indonesien sei neben Algerien und dem Nahen Osten weltweit eines der drei entscheidenden Krisengebiete.

Dabei betonte er, daß die Sowjetunion in keinem der Gebiete eine Rolle spiele. In Indonesien war dennoch die Kommunistische Partei (PKI) das Hauptproblem: Sie „fand großen Zulauf, allerdings weniger als revolutionäre Partei denn als Organisation, die sich innerhalb der bestehenden Ordnung für die Interessen der Armen einsetzte“ und sich „eine Massenbasis in der Landbevölkerung“ schuf.2

Die US-Botschaft in Jakarta war der Ansicht, der PKI sei „mit den üblichen demokratischen Mitteln“ nicht beizukommen und man müsse sich vielleicht zu einer „Eliminierung“ durch Polizei und Militär entschließen. Das Vereinigte Oberkommando der Streitkräfte empfahl nachdrücklich, man müsse „etwas unternehmen“, im Zweifelsfall „auch offen eingreifen, um entweder den Erfolg der Dissidenten zu sichern oder die prokommunistischen Elemente innerhalb der Sukarno- Regierung zu isolieren“.

Als „Dissidenten“ wurden damals die Anführer einer Rebellion auf den Inseln der Peripherie bezeichnet, wo sich die meisten indonesischen Ölquellen befanden und sich folglich die amerikanischen Investitionen konzentrierten. Die Unterstützung der USA für diese Rebellenbewegung war „bei weitem die größte und bis heute die am wenigsten bekannte unter den verdeckten militärischen Operationen der Eisenhower-Ära“, enthüllten zwei führende Südostasien-Experten kürzlich in einer Studie3 . Nachdem die Rebellion zusammengebrochen war, griffen die USA zu anderen Mitteln, um die bedeutendste politische Kraft im Lande zu „eliminieren“ – als Suharto 1965 mit kräftiger Hilfe aus Washington an die Macht gelangte, war dieses Ziel erreicht. Die Armee sorgte für die Vernichtung der PKI und die Dezimierung ihrer Anhängerschaft; man schätzt, daß bei einer Reihe von Massakern innerhalb weniger Monate mehr als eine halbe Million Menschen getötet wurden. Nach dem Eingeständnis der CIA handelte es sich um „einen der größten Massenmorde des 20. Jahrhunderts“, vergleichbar mit den Greueltaten unter Hitler, Stalin und Mao.

Gleichwohl wurden die Ereignisse mit unverhohlener Begeisterung begrüßt. Die New York Times bewertete sie als einen „Hoffnungsschimmer in Asien“ und lobte die Regierung in Washington dafür, daß sie ihre Unterstützung verdeckt gewährt und somit den „gemäßigten Indonesiern“ (die gerade ihre Gesellschaft säuberten) Unannehmlichkeiten erspart hatte. Time rühmte die „ruhige Entschlossenheit“ Suhartos und dessen „strikt verfassungskonformes“ Vorgehen. „Die beste Nachricht aus Asien, die der Westen in den letzten Jahren erhalten hat“, hieß es. Kritische Stimmen gab es kaum. Die Weltbank schenkte Indonesien wieder ihre Gunst, und westliche Regierungen und Firmen zog es mit Macht in Suhartos neues „Paradies für Investoren“, dessen einziger Schönheitsfehler die Raffgier der herrschenden Familie war. Zwanzig Jahre lang wurde Suharto als ein „gemäßigter“ Politiker mit „gütigem Herzen“ (Economist) gefeiert, obwohl er eine Spur von Massakern, Terror und Korruption hinterließ wie kaum ein anderer Staatsführer der Nachkriegsgeschichte.

Annexion als Wirtschaftsfaktor

AUCH die wirtschaftlichen Leistungen des Suharto-Regimes fanden großen Beifall. Ein australischer Ökonom, der am Aufbau des indonesischen Wirtschaftsmodells mitwirkte, hält allerdings die gängigen Zahlen für „äußerst ungenau“. Auf Geheiß der Regierung wurde beispielsweise regelmäßig eine Wachstumsrate von 7 Prozent bekanntgegeben, die mit den Ergebnissen der Wirtschaftsexperten nicht übereinstimmte.4

Wenn Indonesien wirtschaftliches Wachstum verzeichnete, so deshalb, weil, in den Worten des genannten Experten, die Erträge aus den indonesischen Erdölvorkommen und der „grünen Revolution“ in der Landwirtschaft „selbst durch das völlig unproduktive System der Korruption nicht vollständig zunichte gemacht werden konnten.“ Zu einer positiven Bilanz trugen auch die Ausbeutung anderer Ressorcen sowie die extrem niedrigen Lohnkosten bei. Alles andere waren Trugbilder, die schnell verflogen, als die ausländischen Investoren in Panik das Land verließen.

Der Großteil der privaten Schulden verteilt sich auf einige Dutzend Schuldner. Man nimmt an, daß das Vermögen der Familie Suharto und das Hilfsprogramm des IWF etwa in der gleichen Größenordnung liegen. Eine einfache Lösung der Finanzkrise böte sich also an, aber derlei ist nicht geplant: Nach den Regeln des „real existierenden Kapitalismus“ wird die Hauptlast der Kosten von den 200 Millionen Indonesiern, die keine Schulden gemacht haben, beglichen werden müssen; die Steuerzahler aus den westlichen Ländern werden gleichfalls zur Kasse gebeten.

1975 überfiel Suharto Ost-Timor, dessen Bevölkerung nach dem Zusammenbruch des portugiesischen Kolonialreiches die Selbstbestimmung erlangt hatte. Zumindest die Vereinigten Staaten und Australien waren vorab informiert und bekundeten ihr Einverständnis. Der australische Botschafter Richard Woolcott drängte seine Regierung, eine Realpolitik im Stile Kissingers zu verfolgen, weil Australien bei Verhandlungen über die Ausbeutung der Ölvorkommen auf Timor von den Indonesiern bessere Konditionen erwarten könne als von Portugal oder von einer unabhängigen Regierung Ost- Timors. 90 Prozent der Waffen, die von der indonesischen Armee eingesetzt wurden, stammten aus der amerikanischen Militärhilfe und hätten nur der „Selbstverteidigung“ dienen dürfen. Aber die Regeln wurden im Sinne jener Realpolitik ausgelegt, die es den Vereinigten Staaten auch erlaubte, die Waffenlieferungen offiziell zu suspendieren, real jedoch zu erweitern.

Daß der UN-Sicherheitsrat Indonesien zum Rückzug aufforderte, war nichts weiter als eine formale Geste. Wie der amerikanische UN-Botschafter Daniel Patrick Moynihan in seinen Memoiren berichtet, sorgte er auf Anweisung des State Department dafür, daß „sämtliche Maßnahmen der Vereinten Nationen völlig wirkungslos blieben“, weil „die Vereinigten Staaten den tatsächlichen Verlauf der Ereignisse begrüßten“ und „auf dieses Ergebnis hinarbeiteten“. Moynihan berichtet auch, daß innerhalb weniger Monate 60000 Timoresen getötet wurden, ein Bevölkerungsanteil, der beinahe der Zahl der Opfer entspricht, wie sie die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg zu beklagen hatte.

Das Massaker ging weiter und erreichte 1978 seinen Höhepunkt – mit Hilfe der neuen Waffen, die von der Regierung Carter geliefert worden waren. Die Zahl der Opfer wird inzwischen auf 200000 geschätzt, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung der höchste Blutzoll eines Volkes seit dem Holocaust. 1978 hatten sich bereits Großbritannien, Frankreich und andere Staaten der amerikanischen Haltung angeschlossen, in der Hoffnung, auch noch einen Vorteil aus dem Massenmord zu ziehen. Nach einem Besuch in Jakarta, der dazu dienen sollte, französische Waffenlieferungen vorzubereiten, erklärte Außenminister Louis de Guiringaud, seine Mission sei „in jeder Hinsicht befriedigend“ verlaufen, und fügte hinzu, Frankreich werde Indonesien in den internationalen Gremien nicht „brüskieren“.5 Im Westen gab es so gut wie keine Proteste, selbst in den Medien wurde das Thema kaum aufgegriffen.

Die Greueltaten in Ost-Timor haben bis heute kein Ende gefunden, und diese Politik wird nach wie vor von den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten gestützt. Der öffentliche Protest hat jedoch zugenommen, sogar in Indonesien selbst, wo mutige Dissidenten den Westen aufgefordert haben, den Lippenbekenntnissen Taten folgen zu lassen – auch darüber ist nicht berichtet worden. Um diesem Schrecken ein Ende zu bereiten, muß man keine Luftangriffe fliegen, keine Sanktionen verhängen und auch keine anderen drastischen Schritte unternehmen: Es hätte wahrscheinlich genügt, einfach nicht daran teilzunehmen.

1989 unterzeichnete Australien einen Vertrag mit Indonesien über die Ausbeutung von Erdölvorkommen in der „indonesischen Provinz Ost-Timor“. Kühle Rechner erklären unterstützend hierzu, diese Region sei als wirtschaftlich eigenständiges Gebilde nicht überlebensfähig und darum könne ihr das Recht auf Selbstbestimmung nicht zugestanden werden, auch wenn es vom Sicherheitsrat und vom Internationalen Gerichtshof bekräftigt worden ist. Unmittelbar bevor dieser Vertrag rechtskräftig wurde, waren abermals Hunderte Timoresen bei einem Massaker umgekommen, als sie auf einem Friedhof gemeinsam der Opfer einer früheren Mordaktion der Armee gedachten. Westliche Ölgesellschaften haben sich auch danach an der räuberischen Ausbeutung der Ressourcen beteiligt, ohne daß sich Widerspruch regte.

So ging alles seinen Gang, doch dann unterliefen Suharto die ersten Fehltritte.

* Professor am Massachussetts Institute of Technology (MIT).

Fußnoten: 1 Gerry van Klinken (Hrsg.), „Inside Indonesia“ (Australien), April/Juni 1998. Michael Shari, Business Week, 1. Juni 1998. 2 Harold Crouch, „Army and Politics in Indonesia“, Ithaca (Cornell) 1978. 3 Audrey und George Kahin, „Subversion as Foreign Policy“, New York (New Press) 1995. 4 Clive Hamilton, Australian Financial Review, 18. März 1998. 5 R.-P. Paringaux, Le Monde, 14. September 1978.

Le Monde diplomatique vom 12.06.1998, von NOAM CHOMSKY