12.06.1998

Macht des Geldes, Sprache der Waffen

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Macht des Geldes, Sprache der Waffen

Von FRANÇOISE CAYRAC-BLANCHARD *

EIN Zeichen des Himmels? Just als der Präsident sich am 11. März 1998 wiederwählen und mit Sondervollmachten ausstatten ließ, flammten die großflächigen Waldbrände auf Borneo und Sumatra wieder auf, während das Klimaphänomen El Niño im östlichen Teil des indonesischen Archipels Trockenheit und Hunger verursachte. Als Vizepräsidenten setzte Suharto Bacharuddin Jusuf Habibie durch, der ihm seit zwanzig Jahren als Forschungsminister gedient hatte.1 Diese Ernennung wurde allgemein als Herausforderung an die Adresse des IWF und als Abkehr von den dringend nötigen Reformen wahrgenommen: Habibie, der das Land mit High-Tech ins dritte Jahrtausend katapultieren will, gilt als Verfechter einer äußerst kostspieligen und wenig rentablen Luftfahrtindustrie. Seit dem Sommer 1997 hat die indonesische Währung 80 Prozent ihres Werts eingebüßt und ist mit 17000 Rupiah je Dollar auf ihren Tiefststand gesunken. So wurde der Markt zu einem entscheidenden Faktor im Spiel um die Macht.

Die Regierungsumbildung folgte derselben Logik. Einige der neuen Minister gerieten sofort ins Schußfeld des IWF, darunter Suhartos älteste Tochter „Tutut“ (Sozialministerin) und der Holzmagnat und Golfpartner des Präsidenten „Bob“ Hasan (Handels- und Industrieminister). Alle reformwilligen Minister waren hingegen ausgebootet worden.

Da Suharto annahm, der IWF wolle ihn stürzen, ließ er sich von der Welle der Kritik tragen, die dem IWF aufgrund der unnachgiebigen Härte seiner Reformforderungen entgegenschlug. Er verlangte, das im Januar unterzeichnete (zweite) Abkommen nachzuverhandeln, das die Auszahlung der zweiten Tranche des im Oktober zugesagten Hilfsprogramms in Höhe von 43 Milliarden Dollar regelte. Der alte Präsident hoffte die Anpassungsreformen doch noch umgehen zu können, und berief sich dabei auf den amerikanischen Ökonomen Steve Hanke. Doch Hankes Vorschlag, den Wechselkurs der indonesischen Währung bei 5000 Rupiah je Dollar zu stabilisieren, erforderte eine Deckung in Fremdwährungen, die die bereits stark angegriffenen Devisenreserven des Landes bei weitem überstieg.

Indonesien hat das Unglück derzeit gepachtet. Sogar die Preise für das Exportgut Erdöl fallen. Die gesamte Wirtschaft stockt, zahlreiche Unternehmen müssen unter dem Druck ihrer Schuldenlast schließen und Beschäftigte entlassen. Die Schulden des Privatsektors belaufen sich auf 74 Milliarden Dollar, die Hälfte davon sind kurzfristig fällig.2 Es fehlt an allem, zumal an Importgütern wie Ersatzteilen, Grundnahrungsmitteln (Reis, Öl, Milchpulver), Medikamenten und sogar an Verhütungsmitteln für das Programm zur Geburtenkontrolle. Die Inflation wird 1998 auf mindestens 50 Prozent steigen. Die voraussichtliche Wachstumsrate wird in diesem Jahr mit einem Minuszeichen versehen sein, während sie in den vergangenen zehn Jahren zwischen 6 und 7 Prozent lag.

Die Armee fürchtet das Chaos

ANGESICHTS dieser Wirtschaftsaussichten gestalteten sich die Verhandlungen mit dem IWF über die Freigabe der vorübergehend ausgesetzten Hilfe äußerst schwierig. Das Suharto-Regime saß in der Zwickmühle: Erfüllt es die strengen IWF-Konditionen, droht zumal durch den Wegfall der Preissubventionen bei Reis, Soja, Brennstoffen und Strom eine soziale Explosion.3 Bereits im Februar 1998 war es zu Aufständen gekommen, die sich jedoch gegen die chinesischen Kaufleute richteten.

Das am 8. April unterzeichnete Abkommen, das dritte innerhalb von sechs Monaten, umfaßt einen Katalog von 117 Maßnahmen (Entflechtung der Monopole, einschließlich jener Monopole, die der Suharto-Familie und ihren Freunden als Quellen der Bereicherung dienten; Reform des Bankensystems, Transparenz usw.) sowie einen genauen Fahrplan für ihre Umsetzung. In puncto Preissubventionen hat der IWF Zugeständnisse gemacht. Vordringliches Ziel waren vor allem eine Stabilisierung der Rupiah und ein Umschuldungsprogramm. Zum Beweis ihres guten Willens hat die Regierung vierzehn Banken mit zweifelhafter Finanzlage geschlossen. Die Erfolgsaussichten des Programms wurden allgemein skeptisch beurteilt, aber die Rupiah stieg wieder auf 8000 je Dollar.

Nichtsdestotrotz lösten die Preiserhöhungen bei Treibstoffen und Strom nach dem Wegfall der Preissubventionen am 4. Mai heftige Unruhen in Medan aus, während die Demonstrationen sich radikalisierten.4 Obwohl sich die Armee dabei zu Gewalttätigkeiten hinreißen ließ – einige Demonstranten sollen „verschwunden“ sein –, hielt sie sich alles in allem zurück und versuchte nicht, die Protestbewegung zu zerschlagen. Im Gegenteil, hier und da kam es sogar zur Fraternisierung zwischen den Truppen und Studenten. Dagegen endete die Demonstration an der Trisakti-Privatuniversität in Jakarta am 12. Mai mit einem Drama: Als die Soldaten anstatt der bisher verwendeten Gummigeschosse scharfe Munition luden, fanden sechs Studenten den Tod. Möglicherweise beabsichtigte eine Gruppe von Militärs mit diesem Manöver, das Chaos weiter zu verschlimmern, um den Oberbefehlshaber der Streitkräfte, General Wiranto, in Mißkredit zu bringen.

Im Anschluß an die Begräbnisfeierlichkeiten tags darauf, an denen sämtliche Führer der Opposition teilnahmen, erlebte die Hauptstadt einen Tag blutiger Unruhen: verwüstete Einkaufszentren, Tausende von Autos und Gebäuden wurden in Brand gesteckt, 500 Menschen kamen in den Flammen um. Zum Teil ließen die Randalierer ihre Wut an Symbolen des verhaßten Regimes aus: an Autos, die Suhartos Söhne produzieren – darunter der „Timor“, das allbekannte „Nationalauto“, das aus Süd-Korea importiert wird –, am luxuriösen Anwesen und einigen Banken des Suharto-Partners Liem Sioe Liong, am Haus des Parlamentspräsidenten Harmoko in Solo usw. Die Angehörigen der chinesischen Minderheit (3,5 Prozent der Bevölkerung), die angeblich 70 Prozent der Wirtschaft des Landes kontrolliert und an der das Volk im allgemeinen seine Unzufriedenheit abreagiert, bekamen es mit der Angst zu tun und suchten das Land zu verlassen.

Nachdem die Studenten am 19. Mai das Parlament besetzt hatten, war die Armee bemüht, ihre Treue zum alten Präsidenten und ihr Verständnis für die Reformforderungen miteinander zu vereinbaren. Oberstes Ziel war in jedem Fall, die Lage unter Kontrolle zu halten, um ein plötzliches Machtvakuum zu vermeiden, das leicht ins Chaos führen konnte.

Ob der Übergang zur Demokratie nach dem Rücktritt des Diktators und dem Machtantritt Habibies „verfassungskonform“ verlaufen oder durch die „Macht des Volks“ erzwungen werden wird: Fest steht, daß die Armee dabei sicherlich eine entscheidende Rolle spielen wird, auch wenn sie eher im Hintergrund bleibt. General Suharto hat sein möglichstes getan, um die militärische Führungsspitze zu spalten, doch steht zu erwarten, daß das Interesse an einem ordnungsgemäßen Verlauf der Reformen überwiegen und General Wiranto den Übergang garantieren wird.

dt. Bodo Schulze

* Centre d‘études et de recherches internationales (CERI).

Fußnoten: 1 Habibie wurde 1936 auf der Insel Celebes geboren. Er studierte in Deutschland und arbeitete lange Jahre bei Messerschmidt in Hamburg. In Indonesien leitete er das Luftfahrtunternehmen IPTN, die Schiffswerft von Surabaya, ein Rüstungsunternehmen, das Technologieforschungszentrum und das Entwicklungsprogramm für die Insel Batam. Er spielt eine führende Rolle in der regierungstreuen Golkar- Partei und ist Präsident der „Vereinigung der indonesischen muslimischen Intellektuellen“, die Suharto 1990 gründete. Habibies Sohn, Tlham, ist mit dem Fertigungsprogramm des indonesischen Düsenflugzeugs beauftragt – ein Projekt, das der IWF „gekappt“ hat. 2 Die Gesamtschuld beläuft sich auf 140 Milliarden Dollar. Die Privatschuld soll sich auf etwa fünfzig Personen im Umkreis des Präsidenten verteilen. 3 Die Zahl der Indonesier, die unter der Armutsgrenze leben, ist bei einer Gesamtbevölkerung von 202 Millionen Einwohnern von 22 Millionen (11 Prozent) im Jahr 1996 auf nunmehr 32 Millionen gestiegen. 4 Kerosin, in der Küche ein vielverwendeter Brennstoff, verteuerte sich um 25 Prozent, Benzin um 70 und Strom um 60 Prozent.

Le Monde diplomatique vom 12.06.1998, von FRANÇOISE CAYRAC-BLANCHARD