12.06.1998

Malaria – das Fieber der Armen

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Malaria – das Fieber der Armen

MAN darf nicht auf die Großen der Pharmaindustrie setzen, wenn es darum geht, Impfstoffe oder Medikamente gegen Krankheiten zu entwickeln, die wenig solvente Patienten befallen. So ist es im Fall der Malaria. Zwar sterben jährlich eine Million Menschen an dieser Krankheit, doch Forschung und Privatwirtschaft haben die Entwicklung entsprechender Medikamente bislang vernachlässigt. Es obliegt nunmehr den öffentlichen Organisationen sowie den internationalen Institutionen, diese Lücke zu schließen. GroHarlem Brundtland, die am 13. Mai dieses Jahres neugewählte Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte erst jüngst die Aufgabe, diese vermeidbare Seuche zu bekämpfen, gegenüber ihrem Exekutivrat als vorrangig.

 ■ Von MOHAMED LARBI BOUGUERRA *

Im Süden sterben heute mehr Menschen an Malaria als vor dreißig Jahren. Etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung in neunzig Ländern sind von dieser Krankheit bedroht, und jährlich fallen ihr mehr als eine Million Menschen – vorwiegend in Afrika – zum Opfer.1 Der Krankheitsüberträger (die Anopheles-Mücke) und der Malariaerreger (ein Blutparasit) entwickeln zunehmend Resistenzien: ersterer gegen Insektizide, letzterer gegen zahlreiche Antimalaria-Mittel, gegen manche davon erst in jüngster Zeit. So ist etwa im Senegal aufgrund der Chloroquin-Resistenz die Zahl der Malariatoten in den letzten fünf Jahren auf das Siebenfache angestiegen.

Während 1990 für die Malariaforschung 65 Dollar pro Patient ausgegeben wurden, betrugen die entsprechenden Summen bei Asthma 789 Dollar und bei Aids 3274 Dollar.2 „Die Firmenzusammenschlüsse innerhalb der Pharmaindustrie in den letzten zehn Jahren gingen vor allem zu Lasten der tropenmedizinischen Forschung; die Firmen konzentrieren sich lieber auf bestimmte Bereiche, die höhere Profite versprechen“, informiert die US- amerikanische Zeitschrift Nature in einem Artikel über Malaria mit dem Titel „Eine vermeidbare Katastrophe“3 . Darüber hinaus sind die internationalen Organisationen – allen voran die Weltbank und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) – bestrebt, die Pharmaindustrie dazu zu bewegen, „ihren beispiellosen Rückzug aus der Impfstofforschung und der Entwicklung von Medikamenten gegen Malaria zu überdenken“.

Im Anschluß an die Konferenz von Dakar im Januar 1997, die auf Initiative zahlreicher Forschungseinrichtungen und Stiftungen, darunter das Institut Pasteur und die Gesundheitsbehörde der Vereinigten Staaten (NIH), einberufen wurde und auf der zum ersten Mal Experten aus dem Süden – anglophone und frankophone – und dem Norden zusammenkamen, erging ein dringender Appell zur Kooperation. So machen sich die Weltbank und die WHO für ein auf dreißig Jahre anberaumtes Programm stark, die Multilaterale Initiative zur Malariabekämpfung (MIM), eine Art Heiliger Allianz gegen diese Krankheit, wie es ein US-amerikanischer Sprecher formulierte. Mit Blick auf anstehende internationale Gipfeltreffen (G7, Jahresversammlung der Organisation der afrikanischen Einheit) schrieben Vertreter dieser Organisationen in einem Brief an Nature: „Wir stehen vor einer gewaltigen Aufgabe. Es müssen zahlreiche Medikamente zur Vorbeugung und Heilung dieser Krankheit entwickelt und Impfstoffe gefunden werden. (...) Die Malariabekämpfung sollte zur vordringlichen Angelegenheit von Wissenschaft, Medien und Politik werden, und der Malariaforschung muß sowohl im entwickelten Norden als auch im Süden, wo diese Krankheit endemischen Charakter besitzt, äußerste Priorität zukommen. Es liegt in der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, die Malaria als eine ebenso große Herausforderung zu begreifen wie die Immunschwächekrankheit Aids.“4 Die Malaria hat in einem Jahr so viele Opfer gefordert wie Aids in fünfzehn Jahren.

Darüber hinaus konnte man erfahren, daß der synthetische Impfstoff SPf 66, dessen Erfinder, Dr. Manuel Patarroyo,5 ein 68-Millionen-Dollar-Angebot der Pharmaindustrie ausschlug und der WHO seine Rechte abtrat, immer noch von der Ärztelobby angefochten wird.6 Der kolumbianische Biochemiker, der den „intellektuellen Rassismus“ des Nordens kritisiert, verweist jedoch auf die Tatsache, daß die Erfolgsrate seines Impfstoffes in Kolumbien 40 Prozent, in Venezuela 55 Prozent, in Ecuador 60 Prozent und in Brasilien 35 Prozent beträgt.

Vielversprechende Entwicklungen

IN Afrika, dem Kontinent mit den meisten Malaria-Erkrankungen, zeigte die Behandlung mit dem Präparat in 31 Prozent der Fälle Erfolg. Wenngleich man die von Dr. Patarroyo genannten Zahlen anzweifeln kann, darf nicht übersehen werden, daß kein anderer Impfstoff solche Wirkungen gezeigt hat. Andere Vakzine befinden sich in Entwicklung7 , erreichen aber bislang bei weitem nicht die Effizienz von SPf 66. Zu nennen wären hier die gemeinsamen Bemühungen des amerikanischen Heeres und der Firma SmithKline Beecham Biologicals, jene der Firma Virogenetics and Connaught oder der italienischen Tochter der US- amerikanischen Firma Chiron Vaccines ...

Die Fortschritte in der Genetik, der Molekularbiologie und der Pharmakologie eröffnen zahlreichen Experten vielversprechende Perspektiven auf dem Gebiet der Malaria-Forschung. Im November 1997 trafen in Genf zum ersten Mal internationale Organisationen, Entwicklungshilfeorganisationen und Vertreter des privaten Sektors mit Regierungen des Südens zusammen, um „Strategien für eine globale Koordinierung zur Eindämmung der Malaria“ zu entwickeln.8 Der Vorschlag, eine gemeinnützige Gesellschaft zu gründen, die, zunächst für einen Zeitraum von sieben Jahren, der Entwicklung neuer Methoden zur Behandlung dieser Krankheit dienen sollte, wurde jedoch einige Tage später von einer Gruppe der größten Pharmakonzerne abgelehnt.

Die bei diesem Treffen geknüpften Kontakte und die getroffenen Absprachen gaben dennoch Anlaß zu Optimismus: die WHO, die Weltbank, die britische Vereinigung der Pharmaunternehmen und die Konzerne Roche und Glaxo Welcome unterstützten diesen Vorschlag. Die Unternehmen hätten den Hauptteil der Kosten zu tragen, von den etwaigen Gewinnen könnte die Gesellschaft ihre Betriebskosten decken und finanziell unabhängig agieren. Eine enge Zusammenarbeit mit der MIM, dem Institut Pasteur, dem Welcome Trust und der WHO war geplant. Ein Sprecher der WHO resümiert die allgemeine Enttäuschung über das gescheiterte Projekt: „Wir nehmen mit Beunruhigung zur Kenntnis, daß die meisten Konzerne sich nur für die Heilung westlicher Touristen interessieren“, das heißt die kostspielige Behandlung wohlsituierter Geschäftsleute – und Militärs –, die sich kurze Zeit in einer endemischen Zone aufhalten, wodurch ipso facto die lokale Bevölkerung ausgeschlossen wird.

Die internationale Vereinigung der Arzneimittelherstellerverbände führt die – in ihren Augen – zu hohen Kosten des Projekts (180 Millionen Dollar) an und verweist auf die enormen rechtlichen Probleme eines solchen Unternehmens, insbesondere im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes. Darüber hinaus fordern manche Arzneimittelhersteller „eine Absatzmarktgarantie“ für Medikamente gegen die Malaria.10

Eine Milliarde Dollar für die Werbung

AUF dem Haager Vorbereitungstreffen im Juli 1997 erklärten sich jedoch einige Kapitalgeber angesichts der Skepsis der Industriellen bereit, die Herstellung von Malaria-Medikamenten zu finanzieren sowie den Verkaufspreis zu subventionieren, wodurch die neuen Mittel auch für die Bevölkerung erschwinglich würden.

Präsident Bill Clinton zeigte sich erstaunt angesichts der Tatsache, daß die Arzneimittelindustrie eine Milliarde Dollar für Werbung und Lobbying aufbot, statt diese Summe in die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente zu investieren.11 Silvio Garattini, der Direktor des pharmakologischen Forschungsinstituts Mario Negri in Mailand, bedauerte, daß „unsere Gesellschaft die Entwicklung von Medikamenten fast zur Gänze an die Pharmaindustrie delegiert hat, so daß sich an der Lage von Millionen von Menschen, die an tropischen Krankheiten leiden, solange nichts ändern wird, bis ihre Regierungen genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, um einen für die Hersteller ausreichend großen Markt zu gewährleisten, der ihre Investitionen in die Forschung zu amortisieren ermöglicht.“12 Andernorts erfährt man allerdings, daß diese Industrie – „eine der sicherlich profitabelsten auf der ganzen Welt“ – in zweieinhalb Jahren die Kleinigkeit von 100 Milliarden Dollar für ihre Umstrukturierung ausgegeben hat.13

Gegenwärtig rückt die Malaria in neue Gebiete vor: ursprünglich auf ländliche Gebiete beschränkt, tritt sie nun auch in den Städten auf. Mit dem Anstieg des internationalen Reiseverkehrs – wobei das Klima einen Begünstigungsfaktor darstellt – besteht jetzt für Millionen Menschen die Gefahr, sich mit Malaria zu infizieren. Kürzlich wurden in Texas, in Florida, im Staat New York und in Kalifornien Fälle von Malaria registriert. In Anbetracht des Versagens der Pharmaindustrie müssen sich die Forschungsorganisationen, die internationalen Institutionen und die Experten im Kampf gegen diese Geißel ausschließlich auf ihre eigenen Kräfte verlassen.

dt. Andrea Marenzeller

* Autor von „La Recherche contre le tiers-monde“, Paris (PUF) 1993 und „La Pollution invisible“ Paris (PUF) 1997.

Fußnoten: 1 Neun von zehn Krankheitsfällen werden in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara registriert. Doch tritt die Malaria auch (mit rückläufiger Tendenz) in Indien, Brasilien, Sri Lanka, Vietnam, Kolumbien und auf den Salomoninseln auf. 2 Alison Mack, „Collaborative efforts under way to combat malaria“, The Scientist, Bd. 11, Nr. 10, 12. Mai 1997. 3 Declan Butlan, John Maurice und Claire O'Brien, „Can industry be wooed back in the act?“ Nature, London, Bd. 386, Nr. 6627, 10. April 1997. 4 Jean-Marie Bruno u. a. (15 Unterzeichner), „The spirit of Dakar: a call for cooperation“, Nature, Bd. 386, Nr. 6625, 10. April 1997. 5 Vgl. „Grandes manuvres à propos d'un vaccin“, Le Monde diplomatique, Juli 1994. 6 Dominic Kwiatowski und Kevin Marsh, „Development of malaria vaccine“, The Lancet, London, Bd. 350, 6. Dezember 1997. 7 Nature, 10. April 1997, a. a. O. 8 WHO, Pressekommuniqué Nr. 82, 17. November 1997. 9 Nigel Williams, „Tropical diseases: drug companies decline to collaborate“, Science, Bd. 278, 5. Dezember 1997. 10 Richard Gallagher „Malaria research: Global initiative takes shape slowly“, Science, Bd. 277, 18. Juli 1997. 11 Vernon Coleman, „Betrayal of trust“, European Medical Journal, Lynmouth (Devon, Großbritannien), 1994. 12 Silvio Garattini, „Financial interests constrain drug development“, Science Bd. 275, 17. Januar 1997. 13 Daniel Green, „Pharmaceuticals: harder roads to growth“, Financial Times, London, 25. März 1996.

Le Monde diplomatique vom 12.06.1998, von MOHAMED LARBI BOUGUERRA