Weibsbilder im Blätterwald
IM Jahr 1975 arbeiteten etwa 10000 Journalisten in Frankreich, heutzutage sind es fast 30000. Parallel dazu hat sich der Journalismus verjüngt (56 Prozent der in diesem Beruf Arbeitenden sind unter vierzig) und verweiblicht. Aber der „gleichberechtigte Zugang von Frauen und Männern zu Ämtern und Funktionen“, der wohl bald als Empfehlung in die französische Verfassung aufgenommen wird, muß in den Medien wie in der Politik noch durchgesetzt werden. Nicht nur die oberen Ränge sind weitgehend eine männliche Domäne geblieben; die Welt, wie sie sich uns in den Medien darstellt, ist eine Welt, in der die Frauen weitgehend unsichtbar sind. Der Weg zur Gleichberechtigung ist noch lang ...
Von FLORENCE BEAUGÉ
Frau und Journalistin – vor zwanzig Jahren bot diese seltene Kombination noch mancher Frau Grund zum Träumen, manchem Mann Anlaß zu Hirngespinsten oder Wutausbrüchen. Das ist vorbei. Längst ist das Metier unter Beschuß geraten und immer alltäglicher geworden. Die Mythen, die Entstehung und Entwicklung des Journalismus vom 19. Jahrhundert bis in die siebziger Jahre dieses Jahrhunderts hinein begleiteten, sind verblaßt, der Journalismus hat sein Prestige eingebüßt, und – ob Zufall oder nicht – der Berufszweig verweiblichte. Frauen stellen zur Zeit in Frankreich etwas über 37 Prozent der Berufsgruppe.
Das Bild des Journalisten als unerschrockenem Macho, der saufend und rauchend um die Welt reist, hart arbeitet, aber ein gutes Hotel nie verschmäht (so wenig wie lokale Eroberungen, die der Erholung des Kriegers dienen), ist passé. Heute ist der Reporter nicht mehr zwei, drei Wochen, sondern höchstens zwei, drei Tage unterwegs. Kaum gelandet, muß er schnellstens einen Artikel abliefern, Bilder oder Tonaufzeichnungen schicken, je nachdem, was der Chefredakteur von ihm verlangt. Immer mehr, immer schneller und mit immer weniger Aufwand. Bei seiner Rückkehr trifft er auf desinteressierte Kolleginnen und Kollegen, die für seine Heldentaten kein Ohr haben, weil ihr Arbeitsrhythmus und die internen Macht- bzw. Zeilenkämpfe in der Redaktion sie viel zu sehr in Anspruch nehmen. Eine Redaktion, die im übrigen nicht machistischer ist als jeder andere Arbeitsplatz in Frankreich – darin stimmen alle Journalistinnen überein –, die aber immer noch von Männern geleitet wird: mit männlichen Bezügen, Mythen und Gebräuchen, die einer überholten Vergangenheit entstammen, aber dennoch weiterhin als objektive Werte angesehen werden.
Nur die allerwenigsten wissen, wie weit wir auch im journalistischen Umfeld noch von einer Mann-Frau-Parität entfernt sind; dieser Tatbestand hat weitreichendere Folgen als angenommen, sowohl auf den Inhalt der Zeitschriften als auch auf die Leserschaft. In Frankreich verbirgt sich hinter dem Ockrent-Sinclair- Chazal-Effekt (Moderatorinnen von politischen Sendungen, in Frankreich ähnlich populär wie Sabine Christiansen oder Gabi Bauer in Deutschland) eine unerwartete Realität: In der regionalen Tagespresse ist unter 4,6 Journalisten nur eine Frau zu finden1 ; bei den nationalen Tageszeitungen und beim Fernsehen kommt eine Frau auf etwas mehr als drei Männer, im Rundfunk eine Frau auf 2,3 Männer.
Unabhängig von jeglicher qualitativen Anforderung gilt unumschränkt: je weniger prestigeträchtig ein Arbeitsbereich, desto wahrscheinlicher ist die Parität. In den Presseagenturen etwa, wo wenig Profilierung möglich ist, kommt eine Frau auf 1,8 Männer, zumal die Arbeit im wesentlichen darin besteht, Kollegen mit Informationen zu versorgen und dabei zuzusehen, wie diese die Meldungen ungerührt abschreiben. 37 Prozent der französischen Presseausweise sind in Frauenhänden. Doch was sich wie eine Siegesnachricht aus dem Geschlechterkampf anhört, ist eine öffentliche Irreführung. Parität herrscht nur dort, wo niemand hinwill: In den technischen, Fach- und Berufspublikationen etwa kommt eine Frau auf einen Mann. Bloß in den sogenannten Frauenzeitschriften (insbesondere im Regenbogenbereich) besetzen Frauen über zwei Drittel der Stellen. So schmilzen die 37 Prozent Frauenanteil schnell dahin.
Im übrigen haben die Frauen im Zeitungswesen immer die unsichereren Jobs. Die Hälfte der Freien, die gegen Zeilenhonorar arbeiten, ist weiblich, und es werden von Jahr zu Jahr mehr. Außerdem erhalten Journalistinnen im Schnitt 2800 Franc weniger pro Monat als ihre männlichen Kollegen (was nicht unbedingt heißt, daß sie bei gleicher Arbeit unterschiedlich bezahlt werden).
Kriegsreporterinnen im Drillich, mutterseelenallein
NACH wie vor werden Frauen im Journalismus (wie in der Politik) oft auf Themenbereiche angesetzt, die als traditionell weiblich gelten: Bildung, Familie oder Soziales. Dennoch stehen immer mehr männliche Bastionen den Frauen heute offen: Innenpolitik, Wirtschaft, Außenpolitik oder Wissenschaft. Mit einer Einschränkung: Kaum erhält ein Ressort oder ein Thema größere Bedeutung, hat die zuständige Journalistin zugegebenermaßen größte Schwierigkeiten, es zu behalten... „Trotz alledem entwickeln sich die Dinge, und wir haben mittlerweile zu fast allen Bereichen Zutritt – wenn auch keineswegs aus Gründen der Gleichheit“, betont eine Redakteurin aus dem Politikressort einer der einflußreichsten französischen Tageszeitungen. „Unsere Chefs vom Dienst haben bloß begriffen, daß eine Frau bei gleicher Qualifikation lenkbarer, arbeitsamer, ängstlicher und gewissenhafter ist als ein Mann, weil sie ganz von der Idee besessen ist, sich als „guter Journalist“ zu erweisen. Das hat bei meiner Einstellung genauso eine Rolle gespielt wie bei meinen späteren Aufgaben, da mache ich mir gar nichts vor.“
Auch der Königsweg der großen Reportage steht den Frauen seit dem Golfkrieg im Jahr 1991 zunehmend offen. Als der Konflikt damals mitten in den Sommerferien ausbrach, ergriffen die in den verwaisten Redaktionen verbliebenen Frauen die seltene Gelegenheit beim Schopf. Das Beispiel machte Schule, und Anlässe zu Reportagen blieben nicht aus – in Bosnien, in Afghanistan und anderswo. „Auf der Leitungsebene der Sender und Redaktionen haben sie schnell bemerkt, daß sich die tapfere Kriegsberichterstatterin im Drillich und mit dem Mikro in der Hand, beinahe mutterseelenallein am anderen Ende der Welt, gut verkaufen läßt“, berichtet eine Reporterin von France 2 . „Viele unserer damaligen Chefs, besonders Hervé Bourges und Pascal Josèphe, haben darauf bestanden, daß unser Gesicht auf dem Bildschirm zu sehen war. Manchmal war das sogar die Bedingung dafür, daß wir hinfliegen durften. Wir sind zu Marketingprodukten geworden, ein bißchen wie Toilettenseife, aber was konnten wir dagegen tun? Und so haben wir gute Miene zum bösen Spiel gemacht und uns genommen, was ging, und weil wir gut waren, haben sie von uns genauso profitiert wie wir von ihnen.“
Dann Loustallot, eine der Pionierinnen auf diesem Gebiet, bestätigte diese Worte zu Beginn einer großen Reportagereihe, die unter dem Titel „Kilomètre zéro“ auf France 2 zu sehen war, eine Serie, in der Frauen über Frauen in aller Herren Länder berichteten, die aber trotz hoher Zuschauerzahlen nur drei Sommer lang lief. „Am Anfang war es schockierend, daß ich wie selbstverständlich einen weiblichen Blick voraussetzte, weil sowohl die Kollegen als auch die Kolleginnen der festen Überzeugung waren, sie seien vom Blick des Kameramanns abhängig. Ich sagte nein. Mir war egal, ob das angeboren ist oder ansozialisiert. Was für mich zählt, ist, daß es einen doppelten Zugang, einen doppelten Blick auf die Ereignisse gibt: den Blick eines Mannes und den Blick einer Frau, nicht den einen oder den anderen.“
Die Frauen konnten den Bereich der Reportage um so besser besetzen, als viele Kollegen im Lauf der Zeit das Feld räumten, weil Machtkämpfe um verantwortliche Positionen, für die es wesentlich mehr Geld gibt, nicht dort, sondern in den Redaktionen entschieden werden. So ist der einzige größere Widerstand, der Journalistinnen heutzutage noch begegnet, auf den Zugang zu jenen Stellen beschränkt, bei denen es um Entscheidungen, Macht und Prestige geht, wie etwa die Funktion des Leitartiklers. An der Spitze von französischen Fernseh- oder Radioanstalten braucht man Frauen gar nicht zu suchen, das gilt ebenso für alle anderen europäischen Länder. In der Europäischen Union sind nur 6 Prozent der Führungspositionen in den audiovisuellen Medien mit Frauen besetzt, nur 6 Prozent der Chefredakteure sind Chefredakteurinnen. Ressortleiterinnen findet man selten, Stellvertreterinnen etwas häufiger.
Angesichts dieser deutlichen Zahlen ließe sich vielleicht einwenden, daß es erst seit kurzem Frauen in diesem Beruf gibt und diese im Durchschnitt deutlich jünger sind als ihre männlichen Kollegen, so daß das Vorrücken in verantwortliche Positionen eine Frage der Zeit ist. Aber dieses Argument zieht nicht: Auch in ein und derselben Altersgruppe zeigt sich eine auffällige Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, und das, obwohl die Frauen den Männern hinsichtlich des durchschnittlichen Bildungsgrades überlegen sind (was gegenwärtig auf die gesamte französische Bevölkerung zutrifft).
Andererseits haben Frauen in der Tat ein zwiespältiges Verhältnis zur Macht. Sie lehnen sie zwar nicht ab, im Gegenteil, aber alle betonen, sie wollten sie nicht um jeden Preis. Ob Mütter oder nicht, sie legen Wert darauf, „verschiedene Facetten zu behalten, vielfältig zu bleiben“, wie es Sophie Cambazard, eine Reporterin beim Parisien, ausdrückt. Sie sind zutiefst davon überzeugt, daß Männer wie Frauen leistungsfähiger in der Arbeit sind, wenn sie Zeit für ein Privatleben haben, und bedauern, daß in drei Viertel der Fälle die Vorgesetzten größte Schwierigkeiten haben, das zu verstehen.
Auffallend ist auch, daß die große Mehrheit der Journalistinnen unverheiratet und kinderlos ist: Nur 37 Prozent sind verheiratet, im nationalen Durchschnitt sind es 46 Prozent. Dagegen sind 63 Prozent ihrer männlichen Kollegen verheiratet, im Verhältnis zu 49 Prozent der französischen Männer insgesamt. Man kann sich so seine Gedanken darüber machen: einerseits ist es in diesem Beruf notwendig, eine Ehefrau zu Hause zu haben, und andererseits ist es für die einen wie für die anderen schwer, so zu leben, besonders wenn man in einer verantwortlichen Position tätig ist.
Insgesamt klagen die Journalistinnen nicht über ihr Los, mit Ausnahme der Freien, denen alles Unangenehme für Zeilenhonorar aufgebürdet wird – genauso wie ihren männlichen Kollegen, allerdings mit dem Unterschied, daß die Frauen in einem perversen Spiel von Unterwerfung und Verführung gefangen sind. Diejenigen, die das Glück haben, eine Vollzeitstelle in einer Redaktion zu ergattern, tendieren dazu, als tapfere kleine Soldaten das Gespenst des Feminismus wie die Pest zu meiden. „Eine falsche, überholte Sichtweise“ – zwei von drei Frauen in den Redaktionen tragen dieses Argument wider den Feminismus wie eine Entschuldigung oder ein Treuegelöbnis vor.2 Diejenigen, die Widerspruch wagen, tun dies ohne Umschweife. So sagt Cécile Daumas, Redakteurin von Libération: „Diese Haltung schläfert die intellektuelle Wachsamkeit ein und wirft uns zurück auf eine militante Gleichgültigkeit gegenüber den Problemen der Frauenrechte in Frankreich. Die vorherrschende Ansicht lautet: Die Rechte der Frauen sind heute durchgesetzt. Alle tun so, als glaubten sie daran, denn das ist viel bequemer.“
Wer in angelsächsischen Ländern gelebt oder studiert hat, betrachtet dieses spezifisch französische Phänomen mit aufrichtigem Erstaunen, ja Mitgefühl. „Ich merke das in meinen Vorlesungen. Kaum schneide ich vor meinen Hörern die Geschlechterfrage an (Geschlecht im Sinne von gender), sehe ich sie schon bis zu den Ohren grinsen“, berichtet Erik Neveu, Professor für Politologie am Institut d'études politiques (IEP) in Rennes, der seit langer Zeit über die Soziologie des Journalismus forscht. „Vor zwei Jahren bereitete ich mich auf eine Konferenz in Bern zum Thema ,Die Geschlechterfrage im Bereich der Kommunikation‘ vor. Ich sehe noch heute die Männer vor mir, wie sie in den Gängen die Plakate mit dem Programm des Kolloquiums lasen: Die brachen fast zusammen! Ein einziger Mann unter dreizehn Frauen, war das komisch, was mußte ich für ein armes Würstchen sein! Und das Merkwürdigste war, daß in jeder Kaffeepause meine französischen Kollegen auf mich zukamen und sich voller Anteilnahme erkundigten: ,Wie geht's? Schaffst du's?‘ Als wäre ich von lauter Männerfresserinnen umgeben!“
Das Stereotyp vom feministischen Mannweib ist zählebig. Die Frauen der Journalistinnenvereinigung AFJ3 , die rund hundert Mitglieder mit einem Durchschnittsalter um die Dreißig zählt, wissen ein Lied davon zu singen. „Wir dürfen uns ziemlich viel Spott anhören über die Jahre, aber das gibt sich ein bißchen, je mehr man uns kennt“, erzählt Natacha Henry, die Vorsitzende der AFJ. „Statt über den Sexismus zu jammern, versuchen wir die Dinge von der positiven Seite zu zeigen, das bringt wieder ein bißchen Bewegung, eine neue Dynamik in die Sache und wird besser angenommen. Deshalb haben wir mit unserem ersten prix pub die netteste Werbung ausgezeichnet, statt die schrecklichste zu bestrafen!“ Die Wahl der AFJ fiel auf das Bild eines Mannes, der einen Yamaha-Roller fährt und verkündet: „Erfolg bedeutet, seine Kinder öfter zu sehen als seine Geschäftspartner.“ Die Auszeichnung wurde letzten März tatsächlich von der gesamten Presse freundlich kommentiert – mit Ausnahme des Satireblattes Charlie-Hebdo4 . „Einige von uns haben einen totalen Lachanfall gekriegt, als wir deren Kommentar gelesen haben, aber ich fand es besser, nicht darauf zu reagieren. Wenn wir uns auf diese Ebene begeben, lassen wir uns auf ihr Spiel ein.“
Der AFJ ist es ohne Zweifel gelungen, einer Gruppierung des zeitgenössischen französischen Feminismus ein neues Outfit zu geben, allerdings um den Preis einer aufgesetzten Weiblichkeit, dank welcher die Vorsitzende wie ihre Vorgängerin Virginie Barré ihre verunsicherten Gesprächspartner unschuldig und mit gespielter Arglosigkeit fragen konnte: „Ja natürlich bin ich feministisch! Wundert Sie das? Wo ist das Problem? Sind Sie es etwa nicht?“
Währenddessen gehen die wenigen Journalistinnen, die sich darum bemühen, die althergebrachte starre Hierarchie der Information, die immer von einer männlichen Sicht der Ereignisse diktiert ist, in Frage zu stellen oder heikle Themen wie die Rechte der Frauen aufs Tapet zu bringen, in den Redaktionen lieber verdeckt vor – „eine Frage des Überlebens“, sagen sie lächelnd.
„Wenn ich sie im Rahmen meiner Untersuchungen befrage, höre ich anfangs nur Klischees. Alles laufe gut, und sie hätten als Frauen überhaupt keine Probleme in dieser Männerwelt“, notiert Erik Neveu. „Es fehlt nicht viel und sie würden zu mir zu sagen: Sie spinnen ja, mir solche Fragen zu stellen. Und dann fällt nach und nach der Panzer von ihnen ab, die Vorsicht läßt nach, und man erfährt plötzlich viel über die kleinen und großen Leiden des Metiers.“
Dummchen oder Superweib
DIE Liste dieser Leiden ist wirklich beeindruckend. Nur selten wird sie anklagend vorgetragen, meist eher bitter. „Was eine Frau sagt, zählt in der Arbeitswelt nicht. Man hört einer Frau, die spricht, einfach nicht zu“, sagt Monique Trancart, Chefredakteurin einer Fachzeitschrift. „Wenn eine Frau sich auf der Redaktionskonferenz äußert, grinsen die Männer spürbar in sich hinein – und einige Frauen auch“, bemerkt die Ressortchefin einer großen Wochenzeitung. „Als Journalistin bin ich dauernd dem Risiko der Demütigung ausgesetzt“, unterstreicht eine andere. „Wenn du in einer Männerversammlung den Mund aufmachst, läufst du Gefahr, dich lächerlich zu machen. Die meisten männlichen Kollegen hüten sich davor, weil sie nicht vor allen anderen ihr Gesicht verlieren wollen. Aber wenn jemand in einer Redaktion eine Protestaktion anleiert, ist es fast immer eine Frau, die sich in geradezu selbstmörderischer Weise exponiert, wahrscheinlich weil sie ja nichts zu verlieren hat!“
Etwas strategisches Kalkül ist dennoch nötig, und zwar auf allen Ebenen, wie eine Ressortchefin erläutert: „Es ist ein Ritual – bei Zusammenkünften entschuldige ich mich die ganze Zeit und fange aus Vorsicht immer mit den Worten an: ,Ich sage jetzt sicher eine Dummheit, aber ...‘, bevor ich meinen Gedanken vorbringe. Auf einmal hört man mir zu, weil ich offensichtlich nicht mehr aggressiv wirke!“ Eine weitere Erkenntnis: „Wenn du nicht über ihre schlüpfrigen Witze lachst, giltst du als prüde. Was ich wirklich nicht ertrage, ist, wenn man mir einen männlichen Blick auf andere Frauen aufzwingt. Dann kann ich nicht stillhalten.“ Oder: „Wenn eine Frau sich traut, das Wort zu ergreifen, ist sie sofort als Großmaul abgestempelt. Auch das ist eine Art, zur Kenntnis zu nehmen, daß eine Frau etwas gesagt hat. Bei einem Mann würde man sagen, der hat Ideen.“ Solange nicht annähernd Parität herrscht bei Zusammenkünften gleich welcher Art (von Journalisten, Politikern, Unternehmern), wird weibliches Denken kaum Chancen haben, geäußert, und noch weniger, in seiner ganzen Bedeutung wahrgenommen zu werden. Der Effekt der „kritischen Masse“ spielt, wie die britische Wissenschaftlerin Margaret Gallagher hervorhebt, unzweifelhaft eine Rolle, denn die Menge bietet eine Art Sicherheit. „Mir ist auf Redaktionskonferenzen oft aufgefallen, daß es dort eine Art ziemlich unangenehmer Männer-Frauen- Konkurrenz gibt“, erzählt Florence Monteil von der Monatszeitschrift Phosphore. „Wenn ein Kollege etwas vorschlägt, bringt er einen Wust von Belegen, Zahlen und genauen Einzelheiten, um seinen Vorschlag wasserdicht abzuschotten. Er baut auf sein Wissen in Form seines Gedächtnisses. Wenn eine Kollegin hingegen etwas vorträgt und dabei Erfahrung und Intuition als Bestandteil ihres Wissens ins Feld führt, stürzt sie in hohem Bogen ab und wird auch noch kleingemacht. Auch so wird Macht hergestellt.“
Wie auch immer, die französische Presselandschaft spiegelt weder die gesellschaftliche Entwicklung noch das tatsächliche Denken und scheint sich dessen nicht im entferntesten bewußt zu sein. Teilweise scheint sie noch der Zeit verhaftet, als Frauen weder wählen noch arbeiten, noch studieren konnten und kaum Nachrichtenblätter lasen. Thierry Watine, der Forschung und Lehre an der Journalistenschule von Lille leitet, stellte nach zehn Jahren Arbeit in Kanada fest: „In Frankreich hat der Journalismus seine kulturelle Revolution noch nicht vollendet.“ Das ist wahrscheinlich einer der Gründe für die wachsende Abwendung der Leserinnen von der Presse im allgemeinen, obwohl Frauen eifrige Konsumentinnen von Literatur und Magazinen sind.5
Für Sylvie Debras, Sprachwissenschaftlerin6 und Redakteurin bei La Terre de chez nous, entsprechen „die Themen, die in der französischen Presse behandelt werden, einem männlichen Standard, schlimmer, einem überholten männlichen Standard. Für Frauen ist da kein Platz: Die sogenannten Frauenzeitschriften reduzieren sie auf das Bild des Dummchens, des Superweibs oder der stillenden Mutter à la Rousseau, und in den Nachrichtenblättern kommen sie kaum vor beziehungsweise manchmal sogar ganz schön schlecht weg. Und wenn ich ihnen die Frage stelle: ,Aber warum kauft ihr immer noch diese Frauenzeitschriften, wenn ihr so wenig von ihnen haltet?‘ antworten sie mir: ,Weil dort wenigstens von uns die Rede ist.‘“
Eine Untersuchung, die vor drei Jahren von der kanadischen Vereinigung Mediawatch in siebzig Ländern durchgeführt wurde, darunter auch Frankreich, kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Kurz zusammengefaßt ist in den Medien insgesamt fünfmal mehr von Männern als von Frauen die Rede. „Oft heißt es, die Medien spiegelten bloß die Wirklichkeit, und wenn die Frauen dort seltener in Erscheinung träten, sei das bloß ein Niederschlag ihrer gesellschaftlichen Geringschätzung“, erläutert Monique Trancart. „Aber die Analyse von Mediawatch – ebenso wie meine Untersuchungen, die ich anschließend 1995 und 1996 in Frankreich durchgeführt habe – bezeugen, daß dem nicht so ist, daß sogar eine Verkehrung der Wirklichkeit stattfindet.“ Frauen sind in den Nachrichten nicht nur weniger zahlreich und weniger sichtbar als Männer, sondern werden auch, falls sie sichtbar sind, entwertet: Obwohl 77 Prozent von ihnen arbeiten, werden sie immer „ohne Beruf“ vorgestellt (was nur einem von zehn Männern passiert), durchschnittlich eines von drei Malen ohne Namen zitiert (dagegen bleibt nur ein Mann von vierunddreißig anonym) und schließlich ziemlich oft in der Position des Opfers dargestellt. Daher gibt es kaum einen Zweifel, daß Männer in den Medien sehr viel mehr positive Modelle und Bilder finden, mit denen sie sich identifizieren können, als Frauen. Ist es ein Zufall, daß die Libération zu 60 Prozent von Männern gelesen wird, Le Parisien/ Aujourd'hui zu mehr als 58 Prozent, Le Monde zu 54 Prozent und Le Figaro zu 52,5 Prozent? Was Le Monde diplomatique betrifft (der immerhin von 1981 bis 1993 eine Chefredakteurin hatte), so sind seine Leser zu 70 Prozent männlich.7 Die einzige nennenswerte Ausnahme stellt die linkskatholische Wochenzeitung La Croix dar, deren weiblicher Leseranteil sich auf 53 Prozent beläuft. Seit geraumer Zeit achtet die Redaktionsleitung von La Croix auf das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern – innerredaktionell wie auch inhaltlich. Übrigens gibt es dort mit Dominique Quinio auch eine Chefredakteurin.
Eine Welt, in der Frauen unsichtbar sind ... diese Tendenz macht den Journalistinnen, die sich mit diesem Thema befassen, am meisten zu schaffen. „Ich bin zuständig für die Weibsbilder“, empört sich die junge Redakteurin einer angesehenen Tageszeitung. „Es ist nicht ungewöhnlich, daß mich ein Kollege morgens fragt: ,Na, was hast du heute wieder von deinen Weibern für uns?‘ Und dann finden sie, ich sei humorlos!“ Als Christine Saramito vor zwei Jahren auf Radio France Internationale das erste Frauennachrichtenmagazin des Senders startete, fürchtete sie noch, nicht genügend Material für eine täglich zwanzigminütige Sendung zusammenzubekommen. Sie habe sich vollkommen getäuscht, gesteht sie, und im Zuge der Arbeit entdeckt, daß die Lage der Frauen weit dramatischer sei als alles, was sie sich bis dahin unter Rechtlosigkeit, Armut, Arbeitslosigkeit usw.8 vorgestellt habe. „Früher waren mir die Geschichten über Frauenquote und Parität total egal, aber die Beschäftigung mit all diesen Fragen hat mich verändert. Das Problem ist, daß Sie in diesem Beruf sofort als Emanze gelten, wenn Sie zeigen, daß Sie sich für diese Hälfte der Menschheit interessieren!“
Ähnlich geht es der Verantwortlichen für die Frauenseite einer großen Tageszeitung: „Die schlichte Tatsache, daß ich für diesen Bereich verantwortlich bin, macht mich in den Augen der anderen zur Frauenrechtlerin. Das ist mein großes Handicap in der Zeitung, daran reibe ich mich täglich.“ Das Problem wird zusätzlich dadurch verschärft, daß dieser als minderwertig angesehene Bereich in alle anderen Ressorts übergreift: Arbeitsmarkt, Politik, Verbände, Randgruppen ... Ergebnis: „Die Kollegen haben immer den Eindruck, daß ich sie mit meinen ,Weibergeschichten‘ nerven will. Sie wollen nicht verstehen, daß ich nur meine Arbeit tue, so, wie es meine Aufgabe ist.“
Es gibt Mittel und Wege, den Frauen in den Medien den Platz einzuräumen, der ihnen zusteht – ohne den vielgefürchteten „Geschlechterkrieg“ anzuheizen oder wiederaufflammen zu lassen. Ein erster Schritt wäre zunächst einmal, das Problem anzuerkennen und individuell die Initiative zu ergreifen gegen das gleichermaßen in Redaktionsstuben wie in der Berichterstattung vorherrschende Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern. Das „universelle Neutrum“ aufzugeben, hinter dem die Frauen bislang verschwanden, ist eine Aufgabe, die der Presse eigentlich leicht von der Hand gehen müßte. Auch das Problem der Sprachbilder und der Femininbildung der Substantiva sollte nicht unterschätzt werden9 , denn bekanntlich ist nur existent, was einen Namen hat. Die vorgebliche Häßlichkeit von Berufsbezeichnungen wie Doktorin, Bäckerin oder Premierministerin ist auch und gerade eine Frage der Gewohnheit. Erst wenn die Frauen als Wirklichkeit Teil der sichtbaren Welt sind, erst wenn die Zeitungen gelernt haben, die Wirklichkeit in Worte zu fassen, und erst wenn diese – unsere – Worte in die Wirklichkeit zurückgewirkt haben, ist der geschlechtlichen Realität genüge getan. Und dafür gibt es bekanntlich viele Leserinnen.
dt. Brigitte Große