14.08.1998

Tendenzen des US-Imperialismus

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Tendenzen des US-Imperialismus

Wie wird das nächste Jahrhundert aussehen? Wie wird sich die Rollenverteilung unter den zweihundert Staaten unserer Erde entwickeln? Sicher werden einige mehr Einfluß ausüben als andere. Die Vereinigten Staaten setzen alles daran, ihre unbestreitbare Vorrangstellung zu behaupten. Es wird ihnen dabei vor allem darum gehen, die Spielregeln für das „Zeitalter der Elektronik“ einseitig in ihrem Interesse festzulegen, um sich für das kommende Jahrhundert die Herrschaft über die weltweiten Netze zu sicher. DasInternet könnte aus dieser Sicht vor allem der Ausweitung des amerikanischen Handels dienen. Aber keine Hegemonie ist ewig. Und Europa und einige Länder des Südens beginnen, wenn auch noch vorsichtig, aufzubegehren.

Von HERBERT I. SCHILLER *

WIE ließe sich die Vormachtrolle der Vereinigten Staaten noch weiter optimieren? In der politischen Führungsschicht der USA erhebt kaum jemand Einspruch gegen das Recht dieses Landes, eine „imperiale Politik“ durchzusetzen, auch wenn man den Begriff verharmlosend zu umschreiben versucht. Debattiert wird lediglich über die besten Mittel und Methoden der Umsetzung.

Ein „gemäßigter“ Verfechter dieses neuen Imperialismus umreißt das Problem folgendermaßen: „Die amerikanische Außenpolitik verfolgt das Ziel, zusammen mit Gleichgesinnten die Marktmechanismen zu ,verbessern' und dafür zu sorgen, daß ihre Grundregeln stärker eingehalten werden, wenn möglich freiwillig, wenn nötig aber auch erzwungen. Die Regulierung des internationalen Handels ist letztendlich eine imperiale Doktrin, da sie bestrebt ist, eine Reihe von Normen durchzusetzen, die wir für richtig halten. Mit Imperialismus im Sinne einer ausbeuterischen Außenpolitik hat dies nichts zu tun.“1 In dieser Sicht der Dinge erscheint der Imperialismus demnach als eine ausschließlich europäische Handlungsstrategie.

Andere benutzen noch deutlichere Worte, um Amerika seine Rolle in der Welt zuzuweisen. Irving Kristol zum Beispiel, altbekannter Theoretiker eines aggressiven Konservatismus, verweist nicht einmal auf die angeblichen Zwänge, sondern sieht das „Entstehen eines amerikanischen Empire“ als Selbstverständlichkeit. Eine strammere Formulierung, die aber immer noch den Begriff „Imperialismus“ vermeidet.

„Demnächst wird das amerikanische Volk erkennen, daß es zu einer imperialen Nation geworden ist“, schreibt Kristol, um gleich darauf beschwichtigend zu versichern: „Das ist so gekommen, weil die Welt wollte, daß es so kommt.“ Zur Erläuterung seiner seltsamen Theorie behauptet Kristol, daß „eine Großmacht unmerklich dazu gebracht werden kann, Verantwortungen wahrzunehmen, um die sie sich nicht ausdrücklich bemüht hat.“2

Ungebremste Marktwirtschaft als Waffe des Stärksten

Damit unterliegt er der Vorstellung, Europa sei glücklich über seine Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten und verzichte aus freien Stücken auf jede eigenständige Außenpolitik: „Die europäischen Nationen sind trotz einer weitgehenden lokalen Autonomie abhängige Nationen.“ Der Status Europas ist also gewissermaßen mit dem der palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland vergleichbar. Was Südamerika angeht, eine Region, die sich traditionell amerikanischen Interventionen widersetzt, behauptet Kristol: „Man beginnt dort, die Legitimität der amerikanischen Führungsrolle anzuerkennen und sich mit der fortschreitenden Amerikanisierung der eigenen Kultur und Lebensweise abzufinden.“ Er gibt sich selbst überrascht ob dieser Entwicklung, die er von dem ehemaligen europäischen Imperialismus mit seinen offenen und brutalen Zwangsmaßnahmen unterscheidet. „Unsere Missionare leben in Hollywood“, schreibt er, schlägt jedoch abschließend einen eher düsteren Ton an: „Diese Vorherrschaft wird absolut sein und nur über ein Minimum an moralischer Substanz verfügen. Selbst wenn die übrige Welt sie zur Zeit herbeisehnt und braucht, stellt sich die Frage, ob man ihrer nicht rasch überdrüssig werden wird.“3 Irving Kristol gehört zu den Theoretikern, die mit der aktuellen Vorherrschaft Amerikas in der Welt ganz unbefangen umgehen: die Rivalen Amerikas kann man, auf welche Weise auch immer, zur Raison bringen.

Dennoch herrscht bei den amerikanischen Politikern die Meinung vor, daß die totale Hegemonie über die Welt keineswegs garantiert sei. Sie durch einseitige Aktionen herbeizuführen bleibt gefährlich und kostspielig. Damit das 21. Jahrhundert amerikanisch wird, muß man sich der – wenn auch nur vorübergehenden – Unterstützung von Partnern versichern. Ein Vertreter dieser vorherrschenden Meinung ist Richard Haass, Leiter der außenpolitischen Studien an der Brookings Institution und ehemaliger Sonderberater von Präsident George Bush. Im Golfkrieg sieht er das Modell für die Zukunft. In seinem Buch „The Reluctant Sheriff“ (“Sheriff wider Willen“) empfiehlt er die Vereinigten Staaten für die Rolle des „global sheriff“. Nach den Vorstellungen von Haass hat der Sheriff – im Gegensatz zum Polizisten – lediglich einen Teilzeitjob. Er wird nur aktiv, wenn ein Feldzug gegen widerspenstige Mächte – „Schurkenstaaten“, wie er sie nennt – notwendig wird, oder aus anderer Optik: gegen Gebiete oder Gruppen, die sich den Befehlen der USA widersetzen. Dann holt der Sheriff eine Abordnung „freiwilliger Staaten“ zusammen, die ihm bei der Wiederherstellung der Ordnung helfen. Nach dieser Auffassung, die in den Vereinigten Staaten auf breite Zustimmung stößt – die Brookings Institution gilt als „zentristischer“ think tank – reduziert sich Außenpolitik auf die Mobilisierung von Milizen. Wie im Western.

Man kann sich kaum vorstellen, daß eine solche Politik in einer Welt Erfolg haben kann, in der drei Milliarden Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben und Nuklearsprengköpfe über ein Dutzend Regionen verteilt sind wie die Melonen auf dem Felde. Solche strategischen Konzeptionen basieren auf einer undifferenzierten Betrachtung der Resultate des Kalten Krieges: „Wir haben gewonnen, und das gegnerische Lager hat nicht nur verloren, sondern ist verschwunden.“4 Mit dieser Interpretation im Sinn lassen sich die Geopolitiker in ihre imperialen Tagträumereien einlullen.

Folgenreicher sind – zum Teil bereits skizzierte – Blaupausen der Zukunft, auf denen die materiellen Grundstrukturen der Weltwirtschaft für die kommenden Jahre entworfen werden. In diesem Bereich hat sich eine zugleich informelle und operationelle Koalition gebildet, in der Regierung, Militär und Kapitalinteressen die gleichen Interessen verfolgen wie die Informationsindustrie, die Medien und die Informatik. Die Zukunftsvision, die diese Gruppen im Kopf haben, ist eindeutig elektronisch. Wie die Geostrategen sind sie auf eine Welt unter amerikanischer Vorherrschaft eingestellt. In diesen Kreisen ist man überzeugt, daß sich dieses Ziel mit Hilfe des Informations- und Mediensektors erreichen läßt, da er nicht nur kulturelle, sondern Macht ganz allgemeiner Art verleihe.

Die Verfechter dieser These sind auf den höchsten Ebenen der Hierarchie angesiedelt. So äußerten sich etwa 1996 der ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister, Joseph S. Nye, und der ehemalige Vizepräsident des gemeinsamen Ausschusses der Generalstabschefs, William A. Owens, zum „entscheidenden Vorsprung Amerikas im Informationsbereich“. Demnach werde das „führende Land der Informationsrevolution mächtiger als jedes andere sein (...). Diese Position wird für die absehbare Zukunft den Vereinigten Staaten zukommen.“5 Und aus der Sicht des Landes, das etwa ein Golfkriegsbündnis zusammentrommeln konnte, argumentieren sie weiter: „Die atomare Vormacht war eine conditio sine qua non, um die früheren Koalitionen anzuführen. Im Informationszeitalter wird die Überlegenheit im Informationsbereich diese Funktion haben.“ Daraus resultiert ihr Optimismus: „In Wirklichkeit werden die Vereinigten Staaten den Gipfel ihrer Vorherrschaft nicht im 20., sondern im 21. Jahrhundert erleben. Die Information ist die neue Währung des weltweiten Reiches, und die USA haben bessere Voraussetzungen als jedes andere Land, um über den Informationsbereich ihr Potential an Hard- und Softwareressourcen zur Geltung zu bringen.“

Die Privatisierung der Frequenzen

DAS ist keineswegs eine Einzelmeinung. David Rothkopf, ebenfalls ein ehemaliges Mitglied der Clinton-Regierung und derzeit Generaldirektor der Kissinger Associates, der Consulting-Kanzlei von „dear Henry“, gibt sich nicht weniger enthusiastisch, wenn er ein „amerikanisches Zeitalter“ prophezeit, das auf Kultur und Information basieren werde. In seinem in Foreign Policy erschienenen Essay „Lob des kulturellen Imperialismus?“ kommt das Tabuwort Imperialismus nicht nur vor, sondern beschreibt durchaus genüßlich die amerikanischen Möglichkeiten: „Ein zentrales außenpolitisches Ziel der USA im Informationszeitalter muß es sein, den Kampf um die weltweiten Informationsströme zu gewinnen, indem sie die Frequenzen ebenso beherrschen wie seinerzeit Großbritannien die Meere.“6

David Rothkopf ist wie Nye und Owens voller Zuversicht, daß es so kommen wird: „Die Vereinigten Staaten werden sich unweigerlich zum ,unentbehrlichen Staat' für die Regelung der globalen Probleme und in den ersten Jahren des Informationszeitalters auch zum Hauptlieferanten für Informationsprodukte entwickeln.“ Genüßlich kommentiert er die aktuellen Trends: „Die Vereinigten Staaten haben ein wirtschaftliches und politisches Interesse, daß in einer Welt, in der sich eine gemeinsame Sprache herausbildet, diese das Englische ist; daß in einer Welt, die sich auf gemeinsame Telekommunikations-, Sicherheits- und Qualitätsstandards einigt, sich die amerikanischen Normen durchsetzen; daß in einer Welt, die immer mehr mittels Fernsehen, Rundfunk und Musikmoden vernetzt wird, die entsprechenden Programme amerikanisch sind; und daß bei der Herausbildung eines gemeinsamen Wertsystems die Werte solche sind, mit denen die Amerikaner sich identifizieren können.“ Nachdem er diesen großen Plan dargelegt hat, liefert uns der Autor seine bescheidene Begründung dafür, warum er allen zugute kommen werde: „Die Amerikaner sollten die Tatsache nicht bestreiten, daß ihr Land unter allen Ländern der Weltgeschichte das gerechteste und toleranteste ist, das Land mit der größten Bereitschaft, sich in Frage zu stellen und zu verbessern, kurz: das beste Vorbild für die Zukunft.“

Diese Interpretation mag noch so hanebüchen und arrogant erscheinen, sie veranschaulicht die Entscheidungen Washingtons in Sachen Informationspolitik. Gleich zu Beginn seiner ersten Regierungszeit hat Präsident Clinton enge Verbindungen zu den Industriellen des Silicon Valley geknüpft – wenn vielleicht auch nur, um seine Wiederwahl zu finanzieren. Vizepräsident Al Gore gilt als Computernarr. Im Hinblick auf seine Präsidentschaftskandidatur für das Jahr 2000 hat er sich mit einer Gruppe von Vorständen aus dem Elektroniksektor umgeben, die den Spitznamen „Gore Tech“ trägt. Aus einem Zeitungsbericht erfahren wir: „Einmal pro Monat trifft der Vizepräsident sich halboffiziell mit einem ausgewählten Kreis von Unternehmern aus dem Silicon Valley. (...) Jeden Monat wird ein anderes Thema diskutiert, aber die übergreifende Tagesordnung bleibt sich gleich: Man will die Implikationen der ,neuen amerikanischen Wirtschaft' einschätzen und konkrete Lösungen für große und kleine Probleme der Öffentlichkeitsarbeit erarbeiten.“ Einer der Teilnehmer an diesen Treffen hat ausgeplaudert: „Unsere Eitelkeit verführt uns zu der Annahme, daß das, was für unsere Unternehmen das Beste ist, auch das Beste für das ganze Land sein muß.“7

Dies alles erinnert an die gute alte Zeit des berühmten „Engin Charlie“ Wilson, General-Motors-Präsident während des Zweiten Weltkriegs, der immer verkündete: Was für GM gut ist, ist auch gut für die USA. Am Ende der neunziger Jahre läßt sich keine treffendere Formulierung für die Politik der Vereinigten Staaten finden. Die Regierung führt den Marsch ins elektronische Zeitalter an. In ihren Reden und ihrer Paxis verkündet sie die Computerisierung der Wirtschaft als unabdingbare Voraussetzung für nationales Wachstum und weltweite Vorherrschaft. Dem kann die Kommunikationsindustrie ohne weiteres zustimmen.

Im Verlauf der letzten Jahre sind die Pläne für ein verkabeltes Land und eine vernetzte Welt zur Realität geworden. Die im September 1993 unter der Schirmherrschaft des Präsidenten angekündigte Nationale Informations-Infrastruktur (National Information Infrastructure, NII) präsentierte man damals als allumfassende elektronische Lösung für sämtliche Probleme des Landes und zugleich als geeignetes Mittel, um Wohlergehen und Reichtum der Menschheit zu steigern.8 Mit ungehemmter Begeisterung zählte man die Vorteile auf: Rund-um-die-Uhr-Kommunikation für die ganze Familie, Online- Unterricht durch die besten Lehrer des Landes; Zugriff auf die wichtigsten Werke von Kunst, Literatur und Wissenschaft, Online-Gesundheitsversorgung für jedermann ohne Wartezeiten, Telearbeit, das neueste Freizeitvergnügen im Wohnzimmer jedes Amerikaners, schnelle Verbindung zu Behörden und Abrufbarkeit vielfältiger Informationen per Internet.

Diese in ihrer Mehrzahl eher zwiespältigen Vorteile standen indes unter einem Vorbehalt, der die versprochenen Segnungen früher oder später dementieren mußte. Die Gründungsstatuten der NII verfügen expressis verbis: „Der Privatsektor wird die Entwicklung der NII vorantreiben (...). Den Privatunternehmen obliegt Aufbau und Betrieb der NII.“9 Entwicklung und Verbreitung dieser bemerkenswerten Informationstechnologie, die zunächst staatlich finanziert und als öffentlicher Dienst geführt wurde, war damit einer kleinen Gruppe von mächtigen Konzernen der Kommunikationsbranche übertragen: Computerbauern, Softwaredesignern, Telekommunikationsprovidern und Medienproduzenten.

Die Großen dieser Branche reagierten auf die neuen und gewinnversprechenden Bedingungen mit wilden Fusions- und Konzentrationsbewegungen, die Kapital und Ressourcen in Riesenunternehmen zusammenfaßten.10 Die Regierung verramschte die gesamte Skala von Radiofrequenzen eilends an die Giganten der Telekommunikation, um die Voraussetzungen für neue und erweiterte Dienstleistungen zu schaffen, die von den neuen Frequenzinhabern als profitabel eingeschätzt werden. Damit hat man erneut öffentliches Eigentum wie die Radiowellen ohne öffentliche Debatte jeglicher Form sozialer Verantwortung entzogen und kommerziellen Interessen ausgeliefert, die mit den Bedürfnissen der Gemeinschaft grundsätzlich unvereinbar sind.

Nachdem die Regierung dem Privatsektor auf diese Weise günstige materielle Voraussetzungen verschafft und die Bildung von Megaunternehmen gefördert hatte, denen man die entstehenden digitalen Netze zur vollen Ausbeutung andiente, nahm die jüngste Intervention der Regierung die entscheidende Frage der Märkte, zumal der ausländischen, in Angriff. Der am 1. Juli 1997 von Präsident Clinton selbst vorgestellte und gebilligte Bericht von Ira Magaziner, „The Framework for Global Electronic Commerce“ (“Rahmenprogramm für den globalen Elektronikhandel“), empfiehlt die ungehinderte Entwicklung des elektronischen Handels in den Vereinigten Staaten und der übrigen Welt.

In diesem Dokument wird festgehalten, daß die Nutzung der NII und auch der GII (Global Information Infrastructure) schon bemerkenswert fortgeschritten ist, und zugleich unterstrichen, daß „der weltweite Handel mit Computersoftware, mit Produkten der Unterhaltungsindustrie (Filme, Videofilme und –spiele, Tonaufnahmen), mit Informationsdienstleistungen (Datenbanken, Online-Zeitungen), technischer Information und Produktlizenzen, mit finanziellen und professionellen Dienstleistungen (technische und kommerzielle Beratung, Buchhaltung, Architekturdesign, Rechtsberatung, Reisebüro etc.) sich in den letzten zehn Jahren sehr rasch entwickelt hat. Zur Zeit belaufen sich die Umsätze aus dem Software- Export aus den USA auf mehr als 40 Milliarden Dollar. Ein wachsender Anteil dieser Transaktionen wird online getätigt.“11

Dieser Handel wird sich in den kommenden Jahren schnell ausweiten. Die International Telecommunications Union (ITU) zeigt beispielsweise auf, daß „sich das Internet seit zehn Jahren jährlich verdoppelt (...); um das Jahr 2000 werden wahrscheinlich etwa 110 Millionen PCs über eine Internetverbindung verfügen, was eine Zahl von ungefähr 300 Millionen Nutzern bedeutet“12 .

Das Hauptanliegen des Berichts, nämlich freie Fahrt für Handel im elektronischen Bereich, wäre selbstverständlich und sogar willkommen, hätte man es auf den nationalen und internationalen Märkten mit zahlreichen, mehr oder weniger gleichstarken Teilnehmern zu tun. Doch die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Die Entwicklung der elektronischen Wirtschaft ähnelt in einem entscheidenden Punkt der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals forderten und erzwangen die Vereinigten Staaten einen „freien Informationsfluß“ und verschafften damit ihren Medien- und Kulturgiganten die Chance, die ganze Erde mit ihren Produkten und Dienstleistungen zu überschwemmen.

Staatliche Unterstützung

DIESE Politik prägte das vergangene halbe Jahrhundert und wurde aktiv gefördert durch staatliche Hilfsprogramme und Subventionen, wirtschaftlichen Druck auf eventuelle Widerspenstige und alle möglichen Arten politischer Überzeugungshilfe. Informations- und Kulturprodukte made in America beherrschen deshalb heute unangefochten die Fernsehbildschirme und Kinoleinwände, die Musikproduktionen und Unterhaltungsstätten, und Englisch ist die dominierende Sprache der Business-Kreise.13

Der technologische Unterbau des amerikanischen Industriestaats hat sich in den letzten fünfzig Jahren grundlegend gewandelt. Datenverarbeitung und Digitalisierung haben sich rapide ausgebreitet. Völlig neue Tätigkeitsbereiche sind entstanden und verzeichnen inzwischen ein spektakuläres Wachstum. Sie haben einige der heute weltweit mächtigsten Unternehmen wie Intel oder Microsoft hervorgebracht. Produktion und Verkauf von Informationen sind ebenfalls zu einem gigantischen neuen Unternehmenszweig geworden. Die Telekommunikationsgesellschaften, die Informationsströme (Daten, Nachrichten, Bilder) übermitteln, arbeiten weltweit und kooperieren immer häufiger mit ausländischen, lokalen Anbietern.

Diese und andere Entwicklungen bilden den Kern dessen, was man als „Globalisierung“ bezeichnet. Der Begriff ist allerdings mißverständlich, weil er den fälschlichen Eindruck vermittelt, als habe sich alles globalisiert. Die Hauptakteure der Globalisierung sind die Großunternehmen in der Automobil- und Erdölbranche, im Bankensektor, im Bereich Konsumgüter, Kommunikation, Medien und elektronische Dienstleistungen, die sich zunehmend transnational betätigen.

Vornehmlich im Interesse dieser Branchen liegen die politischen Entscheidungen, die heute in den Vereinigten Staaten, in Japan oder Europa gefällt werden. Zwischen diesen Konzernen besteht eine gewisse Koordination, um für die weltweiten Aktivitäten dieses transnationalen Systems als Ganzem wie auch der wichtigsten nationalen Unternehmen ein Minimum an Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten. Zwar ist jeder transnationale Konzern primär an seinem eigenen Profit orientiert, aber er genießt gleichwohl auch die großzügige Unterstützung desjenigen Staates, in dem sich sein Firmensitz oder der Wohnsitz der Mehrzahl seiner Anteilseigner befindet. Der Nachdruck, mit dem sich ein Staat – oder ein regionaler Zusammenschluß von Staaten wie die Europäische Union – für seine Spitzenunternehmen einsetzt, hängt von seiner wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Bedeutung ab. In dieser Hinsicht sind die Vereinigten Staaten immer noch eine Klasse für sich.

In diesem Kontext wurde das Rahmenprogramm für den globalen elektronischen Handel ausgearbeitet. Es versucht, die Spielregeln für das digitale Zeitalter einseitig zugunsten der Partikularinteressen der Vereinigten Staaten festzulegen. Diese Spielregeln werden die schon jetzt erheblichen Vorteile der US-amerikanischen Kommunikationsindustrie noch verstärken. Zur Propagierung dieses Ziels bemüht der Magaziner-Bericht wiederum in jedem einzelnen Absatz den Begriff der „Freiheit“. Dabei geht es offensichtlich darum, von vornherein jede Maßnahme auszuschließen, die ein souveräner Staat ergreifen könnte, um seine Unabhängigkeit oder wirtschaftliche Lebensfähigkeit zu schützen oder die Organisationsformen in Frage zu stellen, die die Nutznießer des Systems hinsichtlich Normen, Lizenzen oder Tarifregelungen formuliert haben.

Im Namen der Freiheit

SO soll es beispielsweise unmöglich sein, zwischen privatem und öffentlichem Sektor frei zu wählen: „Die Regierungen müssen, wenn immer es nötig ist, die Selbstregulierung des Bereichs fördern und die Organisationen des privaten Sektors in ihrem Bemühen unterstützen, Mechanismen zu entwickeln, die zum reibungslosen Funktionieren des Internet beitragen.“ Daraus folgt, daß sich die neue Elektronikindustrie der Vorschriften entledigen muß, die in den vergangenen sechzig Jahren zur Regulierung des Telekommunikations-, Radio- und Fernsehbereichs durchgesetzt wurden. In diesem ganzen Zeitraum haben sich die für die Anbieter verbindlichen politischen Maßnahmen noch auf den Schutz des Gemeinwohls berufen. Auch wenn die gesellschaftlichen Bedürfnisse vielleicht nicht immer berücksichtigt wurden, so waren sie doch zumindest anerkannt. Am Ende der neunziger Jahre lehnt das globale Kapital jegliche Einschränkung seiner Vorrechte ab.

Das Rahmenprogramm wurde zwar als nationale Plattform präsentiert, hat aber im Grunde eine internationale Intention, nämlich den „globalen elektronischen Handel“ dort zu reglementieren, wo das politisch-ökonomische Umfeld noch nicht vollständig dem Willen des Weißen Hauses unterworfen ist. Zum Beispiel beruft es sich mit der Forderung nach freiem Informationsfluß auf den Grundrechtsteil der amerikanischen Verfassung und versucht, daraus ein allgemeines Prinzip zur Verteidigung der von Großunternehmen produzierten Mitteilungen und Bilder zu konstruieren. Doch der entsprechende Verfassungsartikel schützt in Wirklichkeit die Meinungsfreiheit der Einzelpersonen, und keineswegs die der Firmen.

Nimmt man diese Begriffsverwirrung hin, wie heutzutage in den USA, verhindert man jegliche Maßnahme zum Schutz der Bürger vor einem Diskurs, der den Interessen der Großindustrie entspricht und auch von ihr finanziert wird. Noch deutlicher wird dies auf der internationalen Ebene: Wenn die Nationen die unternehmerfreundliche Definition des freien Informationsflusses akzeptieren, kommt ihnen damit ihre kulturelle und häufig auch ihre politische Souveränität abhanden. Was dem Weißen Haus und den Konzernchefs der High-Tech-Kommunikationsbranche am meisten Sorgen macht, sind eventuelle Maßnahmen, mit denen die Nationalstaaten ihre Autonomie verteidigen. Indirekte Steuern und Zollgebühren für das Internet, eine Einschränkung des Copyrights für Filme, Tonaufnahmen und Software-Erzeugnisse, die über die Global Information Infrastructure (GII) verbreitet werden, Schutzmaßnahmen für Datenbanken und Patente, kurz: alle Formen von Eigentum im Informationszeitalter sind ihnen ein Greuel. Der Magaziner-Bericht setzt dem ganzen die Krone auf, wenn er formuliert: „Die gesetzlichen Regelungen für kommerzielle Transaktionen per Internet müssen sich über staatliche, nationale und internationale Grenzen hinaus nach einheitlichen Grundsätzen richten, um vorhersehbare Ergebnisse zu ermöglichen, unabhängig von der Rechtsprechung, der ein eventueller Käufer oder Verkäufer unterliegt.“

Dieser Vorschlag ist anscheinend um Gleichberechtigung bemüht, verschließt aber die Augen vor den Unterschieden und Ungleichheiten der Staaten, Regionen und Völker. Er stellt die Interessen der mächtigen korporativen Besitzer des geistigen Eigentums über die der schwächeren Geschäftspartner. In dieser Hinsicht wirkt das Rahmenprogramm für die weltweite Elektronikindustrie wie die Übertragung der Doktrin des freien Informationsflusses aus der Nachkriegszeit auf das digitale Zeitalter: „Die amerikanische Regierung unterstützt die größtmögliche Freiheit des Informationsflusses über alle Grenzen hinweg. Dies betrifft den Hauptteil der Informationen, die bereits über Internet einschließlich der Websites zugänglich und übertragbar sind, wie auch die Informationsdienste, die virtuellen Kaufhäuser, Unterhaltungsprodukte, insbesondere Video und Radio, und auch die Künste. Dieser Grundsatz gilt ebenso für die von kommerziellen Unternehmen erzeugten Informationen wie für diejenigen, die von Schulen, Bibliotheken, Regierungen und anderen nicht gewinnorientierten Institutionen stammen.“ Das Rahmenprogramm ist bislang allerdings erst ein Katalog von Absichtserklärungen. Seine Ablehnung gegenüber jeglicher staatlicher Regulierung ist nicht wörtlich zu nehmen, zumindest nicht in bezug auf die amerikanische Wirtschaft. Dieser Widerspruch erklärt sich daraus, daß der Magaziner-Bericht nicht vorrangig als inneramerikanische Gebrauchsanweisung gedacht ist. Die Regierungsrhetorik greift zwar auf die gewohnten antiregulativen Argumentationsmuster zurück, doch die rituellen Forderungen nach freien Märkten werden seit fünfzig Jahren durch die Praxis im Informationssektor Lügen gestraft.

Auf internationaler Ebene sieht natürlich alles ganz anders aus. Professor Eli Norman von der Columbia-Universität bemerkt völlig zu Recht, daß „auch bei aufmerksamer Lektüre des Magaziner- Berichts keinerlei Absicht der Regierung zu erkennen ist, die wirtschaftliche Regulierung in den Bereichen zu lockern, die ihr am Herzen liegen. Seine eindeutigen Aussagen betreffen vor allem Maßnahmen, die andere Staaten ergreifen könnten, um eine solche Regulierung im Internet durchzusetzen.“14 Es ist die alte Masche: Man verlangt von anderen Dinge, die man selbst nicht tut.

Doch der Erfolg dieses Vorhabens hängt nicht allein von den Absichten der Vereinigten Staaten beziehungsweise von der Tatsache ab, daß ihre Industrie derzeit in der Elektronikbranche die führende Rolle spielt. Die amerikanische Herrschaft im Cyberspace ist nicht für ewige Zeiten abgesichert, und andere Nationen können, wenn sie es nur wollen, Alternativen durchsetzen.

Die Europäische Union (EU) unterstützt zwar grundsätzlich die von den USA verfochtene Freihandelsdoktrin, ist aber hinsichtlich des elektronischen Handels eher auf Distanz gegangen. Zunächst wurde Ira Magaziner bei einer Konferenz in Bonn am 8. Juli 1997, nur eine Woche nach der Veröffentlichung seines Berichts, mit offenen Armen empfangen, und die EU unterschrieb ein Papier, das die Bedeutung des Privatsektors für die Elektronikindustrie anerkennt, dem öffentlichen Sektor hingegen nur eine „aktive Rolle“ bescheinigt. Innerhalb eines Jahres hat sich die Meinungsbildung allerdings weiterentwickelt, und die 15 Mitgliedstaaten beginnen ihre eigenen Positionen zu definieren, statt sich lediglich auf das Rahmenprogramm zu beziehen. So hat die Europäische Kommission in einer Mitteilung vom 4. Februar dieses Jahres die Aushandlung einer internationalen Charta vorgeschlagen, die gemeinsame Regeln für alle festlegen soll, besonders in den Bereichen des persönlichen Datenschutzes, der Autorenrechte, der Verschlüsselung und der Steuern.

Widersprüche zwischen den USA und Europa

DIE heikelste Aufgabe ist der Schutz des Privatlebens, der beiderseits des Atlantiks sehr unterschiedlich gesehen wird. In Frankreich gibt es seit 1978 den Nationalen Ausschuß für Informatik und persönliche Freiheiten (Commission nationale de l'informatique et des libertés, CNIL). 1995 wurde eine besonders rigorose europäische Richtlinie verabschiedet, die bis Oktober 1998 in die nationale Gesetzgebung übernommen werden muß. Nach dieser Richtlinie dürfen persönliche Daten nicht an Länder übermittelt werden, die keine „adäquaten“ Schutzbestimmungen erlassen haben, was exakt für die Vereinigten Staaten zutrifft. Angesichts dieser Situation hat Präsident Clinton die amerikanischen Unternehmen aufgefordert, für sich selbst solche Bestimmungen zu erlassen. Im vergangenen Mai konnte er die Japaner dazu bringen, die entsprechende Aufgabe ebenfalls an den privaten Sektor zu delegieren.15

Ein weiterer strittiger Punkt zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union sind die Regeln für die Zuteilung einer Internetadresse, die Washington in einem im Februar 1998 veröffentlichten Weißbuch weiterhin zu einem rein amerikanischen Vorrecht erklärt. Dagegen setzen sich die Internet Society und die Internet Assigned Number Authority (IANA) dafür ein, diese Verantwortung einer internationalen Organisation anzuvertrauen. Angesichts solcher Widerstände hat die amerikanische Regierung den Rückwärtsgang eingelegt und steuert nunmehr eine Lösung an, die sich wahrscheinlich an der Weltorganisation für industrielles Eigentum (WIPO) orientieren wird.

Um den Frontalangriffen der USA auszuweichen16 , könnte die EU vorschlagen, das Problem auf die Ebene der Welthandelsorganisation (WTO) zu verschieben. Auf WTO-Ebene sind mehrere Staaten, darunter vor allem Indien und Pakistan, darauf bedacht, ihre spezifisch nationalen Interessen gegen die Freihandelsoffensive zu verteidigen; auch ist es hier die Regel, daß die 132 Mitgliedsländer die Enscheidungen nach dem Konsensprinzip treffen. Im Mai 1998 wurde vereinbart17 , daß die Organisation eine Studie über alle Fragen zur Elektronikindustrie vorbereitet und sie der nächsten, für Ende Februar 1999 vorgesehenen Ministerkonferenz unterbreiten wird.

Kurzfristig wird die wirtschaftliche Macht des transnationalen Kapitals und die Akzeptanz eines kommerziellen multimedialen Umfeldes bei den Menschen – zwei der Säulen, auf denen die amerikanische Wirtschaft ruht – die US-Amerikaner in ihrem Traum bestärken, mit Hilfe ihrer Führungsrolle im Elektronikbereich auch die Welt des 21. Jahrhunderts zu beherrschen.

Das gleiche gilt für ihre militärische Vormachtstellung, die durch die hochentwickelte Kommunikationstechnologie weiter ausgebaut wird und ihnen die Möglichkeit gibt, überall auf der Welt präsent zu sein, zu überwachen und zu intervenieren. So erklärte der US-amerikanische Oberkommandierende für den Atlantik: „Man sollte sich darüber klar sein: Es gibt kein Land auf der Erdoberfläche, das wir nicht erreichen könnten.“18

Langfristig hingegen könnten die unvernünftigen Ungleichgewichte, die sich für die Völker und ihre Ressourcen durch ein ökonomisch-militärisches Machtsystem ergeben, das niemandem Rechenschaft schuldig ist, eine Kette von Abwehrreaktionen auslösen. Und das könnte womöglich die ganze Konstruktion zum Einsturz bringen.

dt. Margrethe Schmeer

* Professor an der Abteilung Kommunikation der kalifornischen Universität San Diego (USA), Autor u. a. von „Die Verteilung des Wissens. Information im Zeitalter der großen Konzerne“, dt. von Werner Raith, Frankfurt/M., New York (Campus) 1984.

Fußnoten: 1 Richard N. Haass, „The Reluctant Sheriff“ New York (Council on Foreign Relations) 1997. 2 Irving Kristol, „The Emerging American Imperium“, The Wall Street Journal, New York, 18. August 1997. 3 Ironischerweise trägt die aus völlig anderer Perspektive geschriebene Studie über die globalen Medien von Edward Herman und Robert McChesney den Titel „The Global Missionaries of Corporate Capitalism“; erschienen in London (The Global Media, Cassell) 1997. 4 Richard N. Haass, a. a. O. 5 Joseph S. Nye und William A. Owens, „America's Information Edge“, Foreign Affairs, New York, März/April 1996. 6 David Rothkopf, „In Praise of Cultural Imperialism?“, Foreign Policy, Nr. 107, Washington, Sommer 1997. 7 Elizabeth Shogren, „Gore finds Brain Trust in Silicon Valley Group“, Los Angeles Times, 25. August 1997. 8 National Information Infrastructure (NII): Agenda for Action, 15. September 1993, Washinton DC. 9 a. a. O. 10 Vgl. Ignacio Ramonet, „Anschwellende Datenflüsse“, Le Monde diplomatique, April 1997. 11 Dieser Bericht ist im Internet einzusehen: http:// www.whitehouse.gov/WH/New/Commerce. 12 A Global View of Internet's Rise, The New York Times, 8. September 1997. Dazu auch Bernard Cassen, „Adieu au rêve libertaire d'Internet?“, Le Monde diplomatique, August 1997. 13 New York Times Magazine, 7. Juni 1997. Dazu auch Armand Mattelart, „Von der Kanonenbottpolitik zur Diplomatie der Netze“, Le Monde diplomatique, August 1995. 14 Eli Noam, „Why the Internet Will Be Regulated“, Educom Review, Bd. 32, Nr. 5, September/Oktober 1997. 15 S&T Presse, Pressezeitschrift der wissenschaftlichen und technologischen Mission der Französischen Botschaft in den USA, Nr. 469, 15. Mai 1998. 16 Dazu die bemerkenswerte Untersuchung von Annie Kahn, „Internet, le bras de fer Europe-Etats- Unis“, Le Monde Télévision-Radio-Multimédia, 24./25. Mai 1998. 17 Vgl. „Pact on Electronic Commerce“, Financial Times, 20. Mai 1998. 18 Hugh Pope, „US Plays High-Stakes War Games in Kazakstan“, The Wall Street Journal, 16. September 1997.

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Le Monde diplomatique vom 14.08.1998, von HERBERT I. SCHILLER