14.08.1998

Gebraucht und gehaßt – die Jeepneys von Manila

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Gebraucht und gehaßt – die Jeepneys von Manila

Vor mehr als fünfzig Jahren ließen die Amerikaner Zehntausende Jeeps auf den Philippinen zurück, und die Filipinos bauten sie zu Sammeltaxis um. Noch heute beherrschen diese Jeepneys die Straßen von Manila und sichern mehr als 300000 Menschen den Lebensunterhalt. Wegen der Wirtschaftskrise sind immer mehr Passanten auf sie angewiesen. Doch geraten sie aufgrund ihres katastrophalen Zustands und der chaotischen Fahrweise ihrer Besitzer regelmäßig ins Schußfeld der Kritik. Dennoch symbolisieren sie ein eigenständige philippinische Identität und Widerstandskraft gegenüber den Konsumvorgaben der Globalisierung.

Von unserem Korrespondenten ALAIN ROUSSILLON *

AM 1. Mai 1998 feierten die Philippinen den 100. Jahrestag der Seeschlacht von Cavite (nahe Manila), bei der die Amerikaner den entscheidenden Sieg über die spanische Flotte errangen. Damals ging die vierhundertjährige Kolonialherrschaft der Spanier zu Ende, die Vereinigten Staaten übernahmen die Macht auf dem Archipel. Erst 1946 erlangte das Land die Unabhängigkeit, nachdem die Japaner, die das Land 1942 besetzt hatten, von den Amerikanern unter Führung des Generals MacArthur geschlagen wurden.

Der Jeepney ist ein „Kriegsveteran“1 . Diese Bezeichnung verdeutlicht, wie eng das Fahrzeug mit dem Zweiten Weltkrieg verknüpft ist, von der japanischen Besatzung bis zur Befreiung der Philippinen. Daß die von MacArthurs Truppen zurückgelassenen Jeeps ausgeschlachtet und umfunktioniert wurden, zeugt ebenso von der Not der philippinischen Bevölkerung wie von ihrem Erfindungsreichtum und ihrer „kulturellen Widerstandskraft“ gegenüber den Zerstörungen des Kriegs.

Nach Ansicht des Soziologen Emmanuel Torres stellt der Jeepney eine Art Synthese aus verschiedenen Versatzstücken der philippinischen Identität dar, die rund dreißig Ethnien und fast einhundert Sprachen umfaßt: „Im Grunde ist der Jeepney eine rein philippinische Erfindung“, schreibt der Essayist Rolando Tinio2 . „Er entspringt dem Erfindungsreichtum der Einheimischen und ist ein gelungenes Beispiel einer kulturellen Aneignung: ein fremdes Element, in diesem Fall der Jeep vom Typ Willys, wurde zu einer Synthese aus kareta, kariton und karitela3 umgebaut und paßt nun haargenau zum Straßenzustand in den Städten und den philippinischen Lebensgewohnheiten.“

Kaum ein Beobachter zudem, der nicht eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen der bunten, überladenen Ausstattung der Jeepneys und der barocken Ausgestaltung der Gotteshäuser feststellen würde. Vor allem die „Armaturenbretter“ der Fahrzeuge, voller Anhänger und Nippessachen, gleichen den Altären der katholischen Kirchen.

Doch hat der Jeepney auch eine dunkle Kehrseite. „Ich habe schon immer eine Art Haßliebe zum Jeepney empfunden“, gesteht Rolando Tinio. „Sie können fragen, wen sie wollen; jeder wohlanständige Bürger wird Ihnen bestätigen, wie häßlich, ineffizient und gesetzeswidrig die Jeepneys sind. Sie verstopfen den Verkehr, weil die Fahrer mehr Verkehrsregeln verletzen als sie einhalten, und außerdem stoppen sie, wo sie wollen, ohne jegliche Vorankündigung.“

Staus und Umweltverschmutzung, Skrupellosigkeit und Mad-Max-Benehmen der Fahrer – die Liste der den Jeepneys angelasteten Übel ließe sich endlos verlängern. Deshalb nehmen viele Bewohner die Maßnahmen gegen die Jeepneys zum Maßstab, ob eine Regierung die nötige Entschlossenheit besitzt, die wuchernde Megastadt Manila wieder unter Kontrolle zu bekommen. „Die Idee, die Jeepneys zu verbieten, gehört seit nunmehr vierzig Jahren zum politischen Ritual“, sagt ein Journalist. „Aber das ist leichter gesagt als getan. Das ist wie der Versuch, einen Gast loszuwerden, der beharrlich sitzenbleibt, obwohl alle anderen schon gegangen sind.“ So etwa erhielt Fidel Ramos 1992, kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten, folgende Warnung: „Der entscheidende Test für die Entschlußkraft des Präsidenten wird sein, ob er es schafft, die Jeepneys aus den Hauptverkehrsadern des Großraums Manila zu verbannen.“4

70000 Jeepneys im öffentlichen Nahverkehr

MEHR als sechs Jahre später beherrschen die Jeepneys noch immer die Straßen von Manila. Einige Stadtgebiete, die ihnen Anfang der neunziger Jahre verwehrt worden waren, haben sie sogar zurückerobert. Und da sie nach wie vor den Großteil des öffentlichen Nahverkehrs in der Hauptstadt gewährleisten, liegt die Frage nahe, ob man sich vielleicht nur ständig über sie beklagt, um sie besser zu ertragen.

Der Jeepney ist eine Verkörperung der Improvisation, des Selbstgebauten, das letztendlich der Mehrheit der Einwohner von Manila das Leben überhaupt erträglich macht – wie sollen da genaue Zahlen zu nennen sein, und aufgrund welcher Quellen? Nach Angaben des Traffic Management Command zirkulieren 42 Prozent aller auf den Philippinen zugelassenen Jeepneys in der Hauptstadt. Eine Untersuchung der Planungsabteilung des Transport- und Verkehrsministeriums ergab, daß 70 Prozent des Personennahverkehrs in der zehn Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt Manila über öffentliche Verkehrsmittel abgewickelt werden, davon 44 Prozent durch Jeepneys.

Nach derselben Quelle übernehmen 35000 Jeepneys 60 Prozent der städtischen Nahverkehrsverbindungen, der Rest entfällt auf nur 6000 Busse. Dabei sind 50 Prozent aller Jeepneys in Manilas Stadtverkehr nicht als Public Utility Jeepney (PUJ), sondern als Privatwagen registriert und damit nicht an festgelegte Routen gebunden; zählt man sie hinzu, sind im öffentlichen Personennahverkehr 70000 Jeepneys im Einsatz.

Gewerkschaftsführer schätzen, daß die 75000 Jeepneys in Manila einen Gesamtumsatz von 7,5 Millionen Pesos5 erwirtschaften und unmittelbar 300000 Menschen ernähren. Zehntausende weitere Personen arbeiten in der Herstellung und Reparatur der Sammeltaxis. „Vergessen Sie nicht“, meint ein Experte, „daß die Jeepney-Tarife so tief angesetzt wurden, daß dem Fahrer keine andere Wahl bleibt, als wie ein Kamikaze zu rasen, wenn er überleben will.“

Die Stärke der Jeepneyfahrer steht in einem direkten Zusammenhang mit ihrer Nützlichkeit sowie ihrer Fähigkeit, bei den periodisch wiederkehrenden Konflikten die Stadt lahmzulegen. Als die Jeepneys im Dezember 1990 aus Protest gegen eine Benzinpreiserhöhung in Streik traten, legten sie nicht nur den gesamten Verkehr in Manila und einen Großteil der Wirtschaft des Landes lahm, sondern schafften es obendrein, die verschiedenen Regierungsbehörden gegeneinander aufzubringen. Während der Staatssekretär im Verkehrsministerium die Preiserhöhung rechtfertigte und verkündete, die Regierung werde unter allen Umständen daran festhalten, kündigte der Parlamentsausschuß für Energiefragen eine Untersuchung an, um festzustellen, ob diese Maßnahme nicht überzogen sei. Politiker aller Richtungen, auch Regierungsmitglieder, übten harsche Kritik, und manche Senatoren forderten sogar den Rücktritt der damaligen Präsidentin Corazon Aquino. Die Kraftprobe endete mit einem Sieg der Jeepney-Fahrer.

Ein Angriff auf die Jeepneys hat einen hohen politischen Preis. Deren Gewerkschaften sind territorial organisiert, und die radikalsten unter ihnen sind die stärksten. Sie verfügen über ein äußerst wirkungsvolles Druckmittel: die Geiselnahme der commuter (Fahrgäste), denen mangels alternativer Transportmöglichkeiten keine andere Wahl bleibt, als sich mit den Forderungen der Jeepneys zumindest passiv zu solidarisieren.

Die behördliche Politik gegenüber den Jeepneys bewegt sich so in einem Spannungsbogen: auf der einen Seite der unbestreitbare Anteil der Fahrzeuge an der Beförderung breiter Bevölkerungsschichten, eine unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren der störanfälligen urbanen Mechanik; und auf der anderen Seite die drohende städtische Armut. „Wer gegen die Jeepneys ist“, meint ein Beobachter, „ist auch gegen die Armen. Es muß Schluß damit sein, daß die Regierung jedes Problem auf dem Rücken der Armen austrägt, denn sie sind der schwächste und am leichtesten verwundbare Teil des Landes (...). Die Betreiber und Fahrer von Jeepneys versuchen, ihren Lebensunterhalt auf ehrliche Weise zu verdienen, anstatt Leute auszurauben, in Wohnungen einzubrechen, sich als Taschendiebe zu betätigen oder die chinesischstämmige Minderheit zu erpressen.“ Hinter dieser Argumentation steckt eine Gleichsetzung der mittellosen Jeepney-Fahrer mit ihrer Kundschaft, die in gleichem Maße unter der Unfähigkeit der Regierenden zu leiden hat. Wobei die unterschwellige Drohung nicht zu überhören ist: Wer gegen die Jeepneys vorgeht, verurteilt sie zur Kriminalität.

Ein anderer Soziologe schlägt in dieselbe Kerbe, wenn er meint, die periodisch wiederkehrenden Attacken auf die Jeepneys resultierten aus der klassischen Einstellung jener „Bourgeois, die die Jeepneys als eine Art Übel betrachten, als eine Leiche im Keller ihrer luxuriösen Häuser. Es sind Bürger, die früher vielleicht selbst einmal auf die Jeepneys angewiesen waren, aber heute BMW oder Mercedes fahren. Ich glaube, daß die Ablehnung der Jeepneys nur ein Symptom der bürgerlichen Ablehnung gegenüber allem ist, was made in Philippines bedeutet.“

In den Vorstellungen der Fachleute setzt sich eine zweite Thematik immer mehr durch: Man will die Jeepneys davon abbringen, die Bevölkerung als Geisel zu nehmen, solange es keine anderen öffentlichen Verkehrsmittel gibt. Einer der meistdiskutierten Vorschläge geht dahin, die Jeepney-Fahrer zu Kooperativen zusammenzufassen, um ihnen den Erwerb von Kleinbussen zu ermöglichen und sie in den „regulären“ Personennahverkehr einzugliedern.

Eine durchaus zweischneidige Maßnahme, denn mit der Schaffung solcher Kooperativen ist nicht zuletzt eine Schwächung der radikaleren Fahrergewerkschaften wie der „Pinagkaisang Tsuper at Operators Nationwide“ (Piston) beabsichtigt. Daß die Kooperativen, wie 1981 geschehen, als Streikbrecher eingesetzt werden sollen, wird von der zuständigen Abteilung des Verkehrsministeriums denn auch ausdrücklich bestätigt.

Eine Antwort auf die Autarkiepolitik

DER Jeepney ist gegen wirtschaftspolitische Kurswechsel immun. Er gedieh unter den protektionistischen Bestimmungen der Ära von Diktator Ferdinand Marcos ebenso wie unter der anschließenden Deregulierung. Zur Zeit des Protektionismus, die im Bereich der Automobilindustrie auch nach Marcos andauerte, mußten ausländische Firmen den Zugang zum philippinischen Automarkt durch den Aufbau inländischer Produktionseinheiten erkaufen. Da sich mit Ausnahme einiger japanischer Firmen niemand darauf einlassen wollte – Ford und General Motors zogen sich schon bald wieder zurück –, kann der Jeepney als Reaktion auf die dem Land aufgezwungene Autarkie in Sachen Transportmittel gelten.

Aber auch mit dem folgenden Liberalismus und der Deregulierung kam der Jeepney wunderbar zurecht, denn er paßt in gewisser Weise zum ultraliberalen Credo: „Bereichert euch!“ Nach einem kurzzeitigen Einbruch Ende der achtziger Jahre stieg der Anteil der Jeepneys an den Neuzulassungen abermals: Der PUJ-Park wuchs schneller als die Gesamtzahl der Neuzulassungen. Doch nicht nur der Jeepney verzeichnete Zuwachsraten. Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs zu Beginn der neunziger Jahre kamen Tausende Filipinos in den langersehnten Genuß eines eigenen Automobils6 – die Neuzulassungen steigen seit 1993 um jährlich 15 Prozent. Da sich aber viele Erstbesitzer keine der teureren Marken leisten können, ist eine preiswerte jeepneyähnliche Alternative auf dem Markt. Diese „maßgeschneiderten“7 Jeeps, die seit einigen Jahren die Straßen von Manila füllen, sind wie die Jeepneys mit Motoren aus zweiter Hand ausgestattet, zu ihrer Herstellung wird dasselbe melanisierte Blech verwendet, und sie werden im selben Produktionssektor hergestellt.

Die Jeep- und Jeepney-Produktion ist nicht direkt der sogenannten Schattenwirtschaft zuzurechnen, denn große Hersteller wie Sarao und Francisco Motors zählen zu den bedeutendsten Unternehmen des Landes, die meisten Jeepney-Hersteller sind ordnungsgemäß im Handelsregister eingetragen und zahlen Steuern, und die verwendeten Gebrauchtmotoren werden großenteils aus Japan importiert. Dennoch ist die Produktionslogik in diesem Bereich doch eher durch eine „Internalisierung“ der Produktion gekennzeichnet: Aus den Einzelteilen verschrotteter Jeepneys lassen sich immer wieder neue zusammenbauen, so daß hier ein leicht zugänglicher und praktisch unerschöpflicher Rohstoff zur Verfügung steht.

Seit der Zeit, als man zurückgelassene US-Jeeps ausschlachtete und die ersten Jeepneys zusammenbastelte, ist die Wiederverwendung von „Schrott“ die Matrix des Jeepneys, und Schrott ist das Fundament seiner ursprünglichen Hybridität, mag das Recycling ansonsten auch umstrukturiert und auf eine industrielle Grundlage gestellt worden sein. Ein weiteres Merkmal, das die Jeepney-Herstellung in die Nähe des Handwerks rückt, ist der ausgesprochen geringe Kapitalbedarf. Nicht daß die größten „Jeepney- Kings“ nicht auch „Kapitalisten“, ja „Großkapitalisten“8 wären, doch die Höhe der Kapitalinvestitionen je Produktionseinheit ist hier nicht an den Marktwert des Produkts gebunden: dieser hängt vor allem vom Können des Herstellers ab.

Handwerksbetriebe in Familienbesitz

AUCH wenn sich in den größten Unternehmen eine Art Arbeitsteilung durchgesetzt hat und die einzelnen Arbeitsgänge von verschiedenen Fachkräften ausgeführt werden, ist doch jeder Jeepney ein Einzelstück und seine Herstellung ein eigenständiger Vorgang, wie die „maßgeschneiderten“ Angebote der Sarao-Werke zeigen. Die Palette reicht hier von der nackten Fahrgastkabine aus galvanisiertem Eisenblech für umgerechnet rund 5000 Mark über das Standardmodell mit Secondhand-Isuzu-Motor ohne alle Ausstattung und Dekoration für 20000 Mark bis hin zum „Super-Spezial-de-Luxe“-Modell für 30000 Mark, mit allen Schikanen, einschließlich Stereoradio, Antenne und Jeepney-Ornamentik.

Die „Einzigartigkeit“ jedes Jeepneys erklärt auch, warum ständig neue Hersteller und „Marken“ aus dem Boden schießen: die Lawin, Trowel, Ganzaga, Jonas, Lanceta usw. Viele Hersteller bauen pro Jahr nur ein paar Fahrzeuge zusammen, denn alles, was man dazu braucht, ist eine Garage oder Lagerhalle und eine Handvoll Werkzeuge. Jeder hat die Möglichkeit, es Leonardo Sarao gleichzutun – Hauptsache, er kennt die spezifisch philippinischen Wertvorstellungen, die ihm den Weg zum Erfolg geebnet haben.

Daher auch das eher ablehnende Verhältnis der Jeepney-Bauer zur Mechanisierung der Produktionsabläufe. Obgleich Sarao Motors bei einer Tagesproduktion von 2 bis 7 Jeepneys seit 1958 mehr als 150000 Fahrzeuge hergestellt hat, fast 1000 Arbeitskräfte beschäftigt und angeblich mehr als 50 Prozent des Markts kontrolliert, beschränkt sich die maschinelle Ausstattung auf eine handbetriebene Blechwalze. Als ein japanischer Industrieller Leonardo Sarao vor einigen Jahren modernere Walzen anbot, um die Produktion durch Mechanisierung zu erhöhen und die Lohnkosten zu senken, lehnte dieser ab – angeblich mit der Begründung, er wolle „weiterhin ruhig schlafen“ und den kontinuierlichen Produktionsablauf nicht durch eventuelle Maschinenausfälle gefährden. Außerdem habe er nicht das Recht, Arbeiter zu entlassen, die auf ihren Lohn angewiesen sind.

Diese Produktionslogik entspricht der eines Handwerkers, dem es weniger darum geht, seinen Marktanteil über die Grenzen des Familienbetriebs hinaus zu erweitern, als vielmehr darum, die bestehende Nachfrage zu befriedigen. Die Produktionsweise ist hier untrennbar mit dem Produktionsverhältnis verknüpft, das man ein wenig verkürzt als paternalistisch beschreiben könnte: Mit seinen Brüdern gründete Sarao das Unternehmen, mit seinen Söhnen leitet er es, zu seinem Personal unterhält er ein direktes und persönliches Verhältnis. Eine Gewerkschaft ist bei Sarao deshalb nicht entstanden, weil die Beschäftigten keine brauchen, um ihre Rechte geltend zu machen, da sie unter besseren Bedingungen arbeiten als ihre Kollegen in anderen Betrieben.

Eine weitere Erfolgsstory aus der Jeepney-Welt veranschaulicht die spezifisch philippinische Besonderheit von Sarao Motors sowie die Schwierigkeit, einen Jeepney in industrieller Serienfertigung herzustellen. Die Brüder Anastasio und Fernando Francisco haben bis auf wenige Einzelheiten denselben Werdegang hinter sich wie Leonardo Sarao. Ihr älterer Bruder war wie der Vater von Sarao ein Pferdekutscher. Auch sie begannen mit einer bescheidenen Werkstatt, bevor sich Francisco Motors in den siebziger Jahren zum „Gulliver“ der philippinischen Automobilbranche entwickelte. Anders als Sarao entschieden sich die Brüder Francisco aber schon frühzeitig für die Mechanisierung: „Die Seiten und die Hintertür des mit einem Isuzu-Motor ausgestatteten ,Lakan' besitzen eine flachere Wölbung“, erklärt Emmanuel Torres. „Die Trittbretter sind schmaler, das ganze Modell besitzt eine klarere, eher gerade Linienführung, ist insgesamt eleganter. Es hat bereits in mancher Hinsicht Konzessionen an den westlichen Geschmack gemacht.“ Mit anderen Worten, es ist zum Serienprodukt geworden. Auch darf man sich fragen, ob das Unternehmen nicht in gewisser Weise die „Sache“ des Jeepney verrät, wenn es neben seiner PUJ-Fertigungsstraße ein Endmontagewerk für Mazda-Lieferwagen eröffnet und in Zusammenarbeit mit dem Philippine Board of Investment's Progressive Truck Manufacturing Program einen einfachen PKW auf den Markt bringt, der dem Jeepney Konkurrenz machen könnte.

Vielleicht wollte die Unternehmensleitung von Francisco Motors zu hoch hinaus. Lag die Tagesproduktion vor rund zehn Jahren noch bei 12 Jeepneys, so sind es derzeit nur noch 3. Die Zahl der Beschäftigten sank im gleichen Zeitraum von 1800 auf nurmehr 400. Francisco Motors bleibt zwar mit Abstand der wichtigste Automobilhersteller der Philippinen, doch populär und geradezu ein Volksheld ist Leonardo Sarao. „Passen Moderne und Jeepney zusammen?“ fragt ein Zeitschriftenartikel, der die Erfahrung von Francisco Motors dem unwidersprochenen Erfolg der Sarao-Werke gegenüberstellt, obwohl deren Produkte teurer sind als die „industriellen“ Konkurrenzerzeugnisse. Unter rein technischen Gesichtspunkten bejaht der Journalist diese Frage tendenziell. Doch wäre ein Jeepney vom Band wirklich noch ein Jeepney?

Wenn der Jeepney als eine Art Verkörperung der in Wirtschaft und Gesellschaft wirkenden Logiken zu verstehen ist, so kann die Jeepney-Ornamentik als aufschlußreiche Veranschaulichung der philippinischen „Mentalität“ gelten. Emmanuel Torres bezeichnet sie als „Ansammlung ornamentaler Gegenstände, für die der Fahrer sein Geld ausgibt, um sein Fahrzeug anzutreiben“. Ein Jeepney ohne diese Ornamentik sei kein richtiger Jeepney. Sie reflektiert die Selbstdarstellung der philippinischen Gesellschaft mit ihren untergründigen Wertvorstellungen, die hinter dem Schleier des konventionellen Selbstbildnisses der offiziellen Kultur am Werke sind, und kann als tätiger Ausdruck eines Kodex verstanden werden, in dem sich diese Wertvorstellungen im Alltag und wirklichen Leben Geltung verschaffen.

Mit dem Kampfhahn voran

DIE Verwandtschaft zwischen dem Kirchen- und insbesondere Altarschmuck auf der einen und der Jeepney-Ornamentik auf der anderen Seite wurde bereits erwähnt. Eine weitere, eher profane, ja heidnische Verwandtschaft drängt sich mit dem Hahnenkampf auf, der nicht nur ein zentrales Dekorationsmotiv bildet, sondern gleichzeitig einen Schlüssel zum Verständnis der „Triebe“ liefert, die das Fahrverhalten der Taxichauffeure und das Dekorieren des Gefährts beherrschen. „Der Kampfhahn mit seinen stolzen Schwanzfedern, seinem spitzen Schnabel, seinen Krallen und Sporen, seinem arroganten Kamm ist das Lieblingstier der philippinischen Landbevölkerung“, meint ein Ethnologe. „Der Indio von einst setzte seinen ganzen Stolz in seinen Hahn, er hegte und pflegte ihn, zog mit ihm von Stadt zu Stadt, überallhin, wo Hahnenkämpfe veranstaltet wurden oder Fiestas, bei denen Hahnenkämpfe zum integralen Bestandteil der Festlichkeiten gehörten. Bis zum heutigen Tag steht der Kampfhahn im Mittelpunkt des Freizeitvergnügens, und sein Besitzer würde auf ihn noch sein letztes Hemd verwetten.“

Wie der Besitz des schönsten und stärksten Kampfhahns dient die üppige, ja aggressive Ausstaffierung des eigenen Jeepneys demnach dem Zweck, sich aus der Masse hervorzuheben und Individualität zu beweisen. Sie dient der „Stärkung des Ich und ist ein Mittel, um mit dem rüden Alltag zurechtzukommen“. Die überladene Dekoration der Jeepneys soll „Kundschaft anziehen“ und den Fahrer als Jeepney-King auszeichnen, für die Fahrgäste eine Garantie, in kürzestmöglicher Zeit wohlbehalten zum Zielort zu gelangen. So wie das äußere Erscheinungsbild eines Kampfhahns den Wettbrüdern Anhaltspunkte für seine Kampfkraft bietet, zeugt die Dekoration eines Jeepneys von der Risikobereitschaft des Fahrers – und notgedrungenermaßen der Fahrgäste – im Wettlauf mit seinen Konkurrenten um die urbane Zeit.

Der Rest ist Inhaltsanalyse. Dazu gehört die in der Dekoration verwendete Symbolik, die ebenso von der Existenz eines „harten Kerns“ der durch Religiösität und Materialismus geprägten philippinischen Persönlichkeit zeugt wie von den äußeren Einflüssen, denen sie unterliegt. Die Namen, die als regelrechte Wappen die Fahrzeuge zieren, verweisen auf die Bezugssysteme ihrer Besitzer: Es sind regelrechte Selbstdarstellungen, die oft an Selbstironie grenzen. Und schließlich gehört dazu auch das ornamentale Ineinander der beiden Landessprachen Englisch und Tagalog in den „Botschaften“ des Fahrers an seine Fahrgäste, in denen die Grundsätze einer bodenständigen Weisheit und Moral eine untrennbare Verbindung eingegangen sind mit ihrer eigenen Unte

* Forschungsbeauftragter am Centre national de la recherche scientifique (CNRS), Paris.

Fußnoten: 1 Vgl. Emmanuel Torres, „Jeepney“, Manila (GCF Books) 1979. 2 Vgl. Rolando S. Tinio, „Romancing the jeepney“, Man Magazine, 4. Januar 1993. 3 Traditionelle Karren. 4 Manila Chronicle, 30. September 1992. 5 100 Pesos = 4,31 Mark (30. Juni 1998). 6 Die Ausweitung des Jeepney-Fuhrparks steht in engem Zusammenhang mit der philippinischen Emigration. Nach Verwendung ihrer Ersparnisse befragt, gaben acht von fünfundzwanzig Emigranten den Kauf von einem oder mehreren Jeepneys an. 7 Zuverlässige Angaben über den Anteil der Jeepneys am gesamten Fahrzeugbestand gibt es nicht. Manche Beobachter sprechen von 30 Prozent. Wie diese Zahl zustande kam, sagen sie allerdings nicht. 8 Die Unternehmensgruppe von Leonardo Sarao umfaßt ein Transportunternehmen, eine Immobiliengesellschaft, einen Hotelkomplex, ein Gestüt und eine Finanzgesellschaft. 9 Vgl. Benjamin Barber, „Coca-Cola und Heiliger Krieg“, Bern/ Wien/ München (Scherz) 1996. 10 Tzvetan Todorov, „Le croisement des cultures“, Communications, Paris 1986.

Le Monde diplomatique vom 14.08.1998, von ALAIN ROUSSILLON