Viel Rauch und wenig Feuer
DIE Geschichte der Verhandlungen von Oslo, die zum historischen Handschlag zwischen Jassir Arafat und Jitzhak Rabin vom 13. September 1993 führten, läßt sich auf unterschiedliche Weise nachzeichnen. Bei der Darstellung der Geheimtreffen, auf denen sich im Laufe des Jahres 1993 erstmals hochrangige Vertreter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und des Staates Israel gegenübersaßen, dominiert oft eine regelrechte Begeisterung über die Entdeckung des anderen, über die persönlichen Beziehungen, die sich im weiteren Verlauf zwischen den Feinden von gestern herausgebildet haben. Doch es gibt auch eine andere, kühlere Sichtweise. Sie bleibt unbeeindruckt von der „Chemie“ dieser Begegnungen und konzentriert sich statt dessen auf die unterzeichneten Vereinbarungen, auf ihre Übereinstimmung mit dem internationalen Recht und auf die Chancen, mit ihnen eine Ära des Friedens zwischen den beiden Völkern zu eröffnen. Zwei jüngst erschienene Bücher sind typische Beispiele für diese beiden konträren Betrachtungsweisen, wobei beide Autoren nichts sehnlicher wünschen als einen wahrhaften Frieden.1 Uri Savir, ein enger Mitarbeiter von Schimon Peres, war von 1993 bis 1996 Leiter des israelischen Außenamtes und gilt als eine entscheidende Figur nicht nur bei den Treffen in Oslo, sondern auch bei den zahlreichen Gesprächen, die schließlich zur Entstehung der Palästinensischen Autonomiebehörde und des Autonomiestatuts für Gasa und das Westjordanland führten.2 Der zweite Autor, Raja Shehadeh, ein palästinensischer Rechtsanwalt aus Ramallah, gehört zu den Gründern der Vereinigung für die Verteidigung der Menschenrechte „Al-Haq“. Er war zudem auch als Berater an den Verhandlungen der palästinensischen Delegation vom November 1991 bis September 1992 in Washington beteiligt.
Uri Savir erzählt eine spannende und oft bewegende Geschichte, die Anfang 1993 in der norwegischen Hauptstadt beginnt. Er berichtet von seinem Zusammentreffen mit Abu Ala (Ahmed Qurai), dem palästinensischen Chefunterhändler, von der Freundschaft, die sich zwischen den beiden Männern entwickelt und die den späteren Vertragsabschluß begünstigen sollte. Für Savir steht außer Frage, daß die Oslo-Verträge und ihre Umsetzung „den Weg gewiesen haben, auf dem Israel, die Palästinenser und die gesamte Region weiter vorangehen müssen“. So betrachtet, sind die Verträge irreversibel.
Auch wenn der Autor an der Politik Arafats (vor allem in Sicherheitsfragen) einiges auszusetzen hat, vertritt er nicht unbedingt die Positionen seiner Regierung. So bedauert er etwa, daß sich Rabin nach dem Anschlag auf betende Muslime in Hebron im Februar 1994 geweigert hat, die jüdischen Siedler aus dem Zentrum der Stadt zu verweisen, und er hält auch die israelischen Sicherheitsvorstellungen insgesamt für zu engstirnig. Nach einem Terroranschlag habe er einmal – erfolglos – versucht, Schimon Peres umzustimmen: „Wenn wir den Terrorismus zur entscheidenden Frage erklären, stärken wir nur die Attentäter und die übrigen Gegner des Friedensprozesses (...). Wir sollten die Öffentlichkeit nicht darüber im unklaren lassen, daß der Terrorismus so lange weitergehen wird, bis wir einen echten Frieden geschlossen haben, und daß wir deshalb auf keinen Fall aufgeben dürfen.“ Er räumt auch ein, daß die Abriegelung der besetzten Gebiete nach jedem Attentat den Gegnern der Oslo-Verträge zugute kam.
Trotz aller Schwierigkeiten sieht Uri Savir das entscheidende Ergebnis in der gegenseitigen Anerkennung Israels und der PLO. Dieser Durchbruch, der am 9. und 10. September 1993 bei den Gesprächen im Hotel Bristol in Paris erzielt wurde, markiert für ihn das Ende des existentiellen Konflikts zwischen den beiden Völkern. Dabei gelang es der israelischen Delegation offenbar häufig, ihre Auffassungen durchzusetzen, so daß der Vertragstext, wie Savir erfreut anmerkt, „bedeutende Verbesserungen gegenüber den Verträgen von Camp David enthält, vor allem was den Rückzug aus dem Westjordanland in drei Etappen angeht, von dem in den Camp-David-Abkommen überhaupt nicht die Rede war“.
Genau hier liegt das Problem, und deshalb sollte man auch das weniger eingängig geschriebene Buch von Raja Shehadeh lesen. Dem palästinensischen Juristen geht es um die innere Logik der Oslo-Verträge und um die Verhandlungsstrategie der PLO, deren „entscheidendes, wenn nicht einziges Ziel (...) die volle Anerkennung durch Israel gewesen ist.“ Darum habe die Delegation die Realität in Gasa und im Westjordanland ignoriert, von der sie ohnehin nichts wußte, weil ihre Mitglieder sämtlich im Ausland lebten.
RAJA SHEHADEH erläutert zunächst die israelische Siedlungsstrategie, die seit 1967 verfolgt und seit der Regierungsübernahme durch die israelische Rechte 1977 ausgeweitet wurde. Neben der Besetzung von Gebieten ging es Israel darum, durch Sondergesetze „eine funktionelle und räumliche Trennung von Palästinensern und Siedlern“ zu schaffen. Genau diese Trennung sei von den palästinensischen Verhandlungsführern festgeschrieben worden: Die Siedlungen waren nicht Gegenstand der Teilabkommen; ihre Einwohnerzahl, auf die die Palästinenser keinen Einfluß haben, ist seit 1993 von 124000 auf 170000 gestiegen. Die Enteignung von Grundstücken geht weiter, und durch den Bau von „Umgehungsstraßen“ schuf sich Israel die Möglichkeit, in der Zukunft den überwiegenden Teil der besetzten Gebiete zu annektieren.
Sind die Oslo-Verträge also nichts weiter als die Fortführung der Besetzung mit anderen Mitteln? Uri Savir hat es so formuliert: „Wir haben ein Abkommen erzielt, das auf dem Grundsatz beruhte, daß unsere beiden Völker gemeinsame Anstrengungen zur Aussöhnung unternehmen sollen. Seitdem mußten wir feststellen, daß wir dabei nicht immer entschlossen genug vorgegangen sind, und inzwischen gibt es Grund genug, dieses Versäumnis zu bereuen.“
ALAIN GRESH