Raubzüge in der Casamance
Von JEAN-CLAUDE MARUT *
DER Konflikt um die Autonomie der Provinz Casamance im Süden Senegals ist einer der ältesten des Kontinents. Er geht nun in sein siebzehntes Jahr, ohne daß sich auch nur die geringste Perspektive einer Beilegung abzeichnen würde.1 Seit 1997 haben sich die Aussichten auf eine Verhandlungslösung sogar verringert: Es gibt interne Konflikte im Mouvement des Forces Démocratiques de Casamance (MFDC), und der geistige Führer der Bewegung, der katholische Pfarrer Diamacoune, scheint immer weniger Einfluß nehmen zu können2 ; vor Ort verschlimmert sich die Lage, und es wird immer schwieriger, zwischen Rebellion und Banditentum zu unterscheiden. Zugleich nehmen die senegalesischen Machthaber immer härtere Positionen ein. Die Anhänger einer „Vernichtungsstrategie“ sind durch den politischen Aufstieg von Ousmane Tanor Dieng gestärkt worden, der als Nachfolger von Präsident Abdou Diouf für die Führung der Sozialistischen Partei gehandelt wird.
Diese Fraktion will die Rebellion in die Knie zwingen, so daß sie ihre Ziele aufgibt. Den Bemühungen um eine politische Lösung, die ihr als „nutzloses Gerede“ gelten, hat sie ein Ende bereitet, die Vermittlungsversuche der katholischen Kirche und mancher lokaler Politiker in der Casamance sowie der Einsatz der französischen Diplomatie wurden kritisiert, Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen empört zurückgewiesen.3
Die harte Linie in Dakar ergibt sich aus einer widersprüchlichen Situation: Zum einen ist die Zentralgewalt nicht in der Lage, der Rebellion ein Ende zu bereiten, selbst wenn diese aufgrund der inneren Zersplitterung und der Angriffe von außen schwächer ist als je zuvor. Zum anderen verweigert sie strikt jeden Kompromiß zum Status der Casamance, aus Angst, Senegal könne auseinanderbrechen. Nicht zuletzt will die Zentralregierung unbedingt auch weiterhin ihre politischen und materiellen Vorteile aus diesem Krieg ziehen, der offiziell nur eine Maßnahme zur Durchsetzung von Recht und Ordnung ist, zugleich jedoch zu jener geheiligten nationalen Einheit beiträgt, die in einer sozial recht katastrophalen Lage den Machthabern besonders wichtig ist.4
Anders als man glauben könnte, bedeutet der Konflikt im übrigen kaum eine finanzielle Belastung für den Staat. Senegal war zur Zeit des Kalten Krieges eine der Bastionen der westlichen Welt und wird bis heute umworben: Die Kosten der militärischen Operationen in der Casamance dürften 1998 vollständig durch ausländische Hilfe abgedeckt sein.5 Paris und Washington rüsten die senegalesische Armee auf, die in der zukünftigen afrikanischen Eingreiftruppe eine wesentliche Rolle spielen soll, und sind somit die hauptsächlichen Zahlmeister des senegalesischen Kriegs in der Casamance. Nach Ansicht mancher Beobachter geht es bei dieser Operation auch um lukrative Schmuggelgeschäfte, deren Verzweigungen bis in die höchsten Machtebenen reichen sollen: es handele sich nicht um einen einfachen „Drogenkrieg“, sondern um den Ausdruck einer zunehmenden Kriminalisierung des Staatsapparates.
Im Gegensatz zu Ländern wie dem Sudan hat im Senegal der Widerspruch zwischen dem Norden und dem Süden keine Wurzeln in der Sklavenhändlervergangenheit der einen oder anderen Gruppe oder in religiösen Gegensätzen zwischen Muslimen, Animisten und Christen. Entgegen den von den Medien verbreiteten Vorstellungen sind die meisten Einwohner der Casamance in der Tat islamisiert, sogar – wenn auch in geringerem Maße – die Diulas aus der unteren Casamance, die hauptsächlichen Unterstützer der Rebellion. Dennoch ist man in der Provinz, weit über die separatistischen Kreise hinaus, einig im Widerstand gegen das, was seit mehr als zwanzig Jahren als Beherrschung durch den Norden angesehen wird. Die Einwohner der Casamance sind nur mäßig begeistert über ihr Image als „Wilde“6 und werfen dem Norden vor, sich mehr für ihre Reichtümer als für die Region und ihre Einwohner zu interessieren. In ihren Augen benehmen sich die „Senegalesen“ wie Kolonialherren.
Die Casamance ist eine Art Eldorado. Erdnüsse, aber vor allem Fischerei und Tourismus sind für den Staat Devisenquellen. Die Region liefert Baumwolle für die Fabriken im Norden und versorgt die Stadt Dakar mit Holzkohle, und sobald der Krieg zu Ende ist, soll Off-shore-Erdölförderung hinzukommen. Und nicht zuletzt bietet sie Boden und Wasser für die von der Dürre vertriebenen Bauern und Fischer aus dem Norden. Doch die Einwohner der Casamance haben nicht den Eindruck, von ihren Reichtümern zu profitieren, und fragen nach dem Verbleib der öffentlichen Gelder. Sie klagen auch über Ressourcenverschwendung und die Zerstörung des empfindlichen Gleichgewichts der Natur. Seit langem ist der traditionelle Reisanbau auf gefluteten Feldern den billigen Reisimporten geopfert worden. Das hat die Regierung aber nicht daran gehindert, im Norden am Senegalfluß teure Bewässerungsanlagen für den Anbau von Reis einzurichten, dessen Erzeugerpreis unsinnig hoch ist.
Zum anderen werden die Fanggründe von ausländischen Industrieflotten überfischt, und die letzten Wälder in der Casamance sind bedroht. Wenn es so weitergeht, wird die „grüne Casamance“ bald Vergangenheit sein, und die Dürre wird sich verschlimmern. Bemühungen zur Förderung des lokalen Obstanbaus scheitern am Mangel an Absatzmärkten: Die Orangen und Mangos verfaulen vor Ort.
Der grenzüberschreitende Handel leidet unter der militärischen Situation und unter den überraschenden monetären Entwicklungen, durch die sich die Währungsunterschiede verringern. Die Entwertung des CFA-Franc hat dem Schmuggel mit Gambia arg zugesetzt, der Eintritt Guinea-Bissaos in die Franc- Zone hat auch hier die Möglichkeiten reduziert. Bleibt der Anbau von Yamba, dem lokalen Cannabis, der durch die starke Nachfrage aus Dakar gefördert wird. Ansonsten schließen sich die jungen Arbeitslosen – die wegen der Krise ihr Glück nicht mehr in Dakar versuchen können – den Rebellen oder kriminellen Banden an.
Daß Senegal im Juni 1998 Truppen nach Bissao schickte (nachdem ein Teil der Armee von Guinea- Bissao revoltiert hatte), hat dem Konflikt eine neue Dimension hinzugefügt. Der legalistische Vorwand (Verteidigung eines demokratisch gewählten Regimes) und die Berufung auf ein Geheimabkommen zur gegenseitigen Unterstützung, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es in erster Linie darum ging, die Machtübernahme durch ein Regime zu verhindern, das der Rebellion in der Casamance wohlgesonnen ist, und die Rebellen aus ihren Rückzugsgebieten auf bissaoischem Gebiet zu vertreiben. Die Bedeutung dieser Stützpunkte hatte sich daran gezeigt, daß sich die Kämpfe in den Jahren 1995 und 1997 im Grenzgebiet konzentrierten.
Doch diese Ziele wurden nur teilweise erreicht. Die senegalesischen Soldaten haben zwar Präsident João Bernardo Vieira gerettet, konnten aber den Aufstand nicht niederschlagen, so daß ihr Verbündeter geschwächt aus der Auseinandersetzung hervorgegangen ist und den Waffenstillstand vom 26. August akzeptieren mußte, der vor allem durch die diplomatischen Bemühungen der lusophonen Länder zustande kam. Bis vor einigen Jahren hatte man die Regierung in Bissao des Wohlwollens gegenüber der Rebellion in der Casamance bezichtigt. Damals trübte der Streit um eine erdölreiche Meeresregion die Beziehungen zu Dakar. Die Situation hat sich geändert: Unter dem Einfluß Frankreichs (das daraus eine Bedingung für den Eintritt in die Franc-Zone machte) vollzog „Nino“ Vieira nach und nach eine Annäherung an Dakar. Nach der Unterzeichnung eines Abkommens zum gemeinsamen Abbau der Vorkommen des umstrittenen Gebiets verpflichtete er sich 1995 zum Kampf gegen die Untergrundkämpfer aus der Casamance – womit er jene Teile der eigenen Armee gegen sich aufbrachte, die an Waffengeschäften mit den Rebellen beteiligt waren. Die senegalesische Armee, die immer stärkeren Einfluß auf die Entscheidungen in Dakar zu bekommen scheint, ist daher in Guinea-Bissao auf unerwarteten Widerstand gestoßen. Ihre Einmischung in die Abrechnungen innerhalb des Regimes hat bei Teilen der Bevölkerung alte antisenegalesische Ressentiments aufleben lassen.
dt. Christiane Kayser
* Forscher am Centre de Geopolitique der Universität Paris-VIII.