13.11.1998

Vollendete Tatsachen aus Stein

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Vollendete Tatsachen aus Stein

DAS Wye-Abkommen zwischen Arafat und Netanjahu mahnt im Grunde nur israelische Verpflichtungen an, die noch nie gehalten wurden: die Eröffnung des Flughafens und den Bau eines Handelshafens in Gasa, die Freilassung palästinensischer Gefangener, die Verlegung israelischer Garnisonen. Auch nach Umsetzung des Abkommens würden die Palästinenser nur knapp 20 Prozent des Westjordanlandes kontrollieren. Die israelischen Siedlungen aber wachsen weiter.

Von GEOFFREY ARONSON *

In den Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern hat sich im Laufe des vergangenen Jahrzehnts eine merkwürdige Dynamik ergeben. Während alle auf die Aushandlung der Verträge von Oslo und ihre Umsetzung starrten, lief im Schatten dieser Ereignisse ein anderer und wohl weitaus folgenreicherer Versuch an, das künftige Schicksal der von Israel seit 1967 besetzten Gebiete zu bestimmen. Die israelische Politik, vor Ort „Fakten zu schaffen“ (indem die bestehenden Siedlungen in den besetzten Gebieten erweitert und neue gegründet wurden), erweist sich immer mehr als erfolgreiches Mittel, um zu erreichen, was eine ganze Reihe der politischen Führungen Israels seit drei Jahrzehnten anstrebten: die Verhinderung eines politisch unabhängigen und souveränen palästinensischen Staatsgebildes östlich des Jordans.

In den mehr als zwei Jahren seit ihrem Amtsantritt hat es die Regierung Netanjahu verstanden, den „stillen Ausbau“ der 170 Siedlungen zu betreiben, die nach dem Krieg von 1967 jenseits der Waffenstillstandslinien von 1948 gegründet wurden. In ihnen leben heute etwa 350000 Israelis, und zwar 180000 im annektierten Ost-Jerusalem, 164500 im Westjordanland und 5500 im Gasastreifen.

Um die Expansion dieser Siedlungen zu ermitteln, bedarf es eher künstlerischer als wissenschaftlicher Begabung. Einschlägige Daten werden von den israelischen Behörden kaum zugänglich gemacht, und Presseberichte erweisen sich in der Regel als ungenau und widersprüchlich. Seit Amtsantritt der Regierung Netanjahu im Mai 1996 hat Verteidigungsminister Jitzhak Mordechai den Bau von etwas über 2000 neuen Wohneinheiten in den besetzten Gebieten genehmigt (Ost-Jerusalem und den Golan nicht eingerechnet). Nach anderen Berichten sollen sich allerdings 5000 Wohnungen im Westjordanland und im Gasastreifen in unterschiedlichen Bauphasen befinden.

Am 22. Juni forderte der Knesset-Abgeordnete Jossi Sarid auf der Sitzung des außen- und sicherheitspolitischen Parlamentsausschusses von Mordechai genaue Angaben über den Siedlungsausbau: „Ich habe Sie schon zwei Mal gebeten, vor diesem Ausschuß alle Genehmigungen vorzulegen, die Sie für den Ausbau der Siedlungen erteilt haben. Aber Sie weichen diesen Fragen einfach aus. Entweder erfolgt die verstärkte Bautätigkeit im Westjordanland mit Ihrer Zustimmung, das wäre schlimm genug, oder sie geschieht ohne Ihre Billigung, und Sie vertuschen das – was noch schlimmer wäre.“1

Die rasante Expansion der Siedlungen, die im Sommer 1997 begann, hat auch 1998 nicht nachgelassen. Anfang des Jahres präsentierte Netanjahu einen Ausbauplan für „Großjerusalem“, dessen Umsetzung von Nach Kinarti geleitet wird. Der war bereits unter der Regierung Rabin für den Siedlungsbau zuständig – eine anschauliche Illustration des breiten nationalen Konsenses, das besetzte Westjordanland zwischen Ramallah und Hebron nicht mehr aufzugeben. Sollte der im Juni bekanntgemachte Plan einer expansiven „Regenschirm-Stadtverwaltung“ für Jerusalem und Umgebung realisiert und rund zwanzig weitere Siedlungen in ein Großjerusalem eingemeindet werden, wären unter anderem Ma'ale Adumim, Givat Ze'ev, Betar und Efret de facto annektiert.

Im Etzion-Block, einer Gruppe von Siedlungen südlich von Jerusalem, die 1300 Häuser umfaßt, sind derzeit 630 neue Wohnungen in Bau. Und in den großen Wohnsiedlungen von Efrat, Ma'ale Adumim und Betar werden weitere Hunderte von Häusern gebaut. Im Etzion- Block wurde sogar eine Zementfabrik errichtet – die erste in den besetzten Gebieten – um die wachsende Nachfrage nach Baumaterialien zu decken.2

Im Gebiet von Benjamin nördlich und westlich von Jerusalem, wo mehr als 20000 Israelis in dreißig Siedlungen leben, werden derzeit 1500 neue Wohnblocks für 6000 weitere Bewohner errichtet. Auch in Bet El sind 150 neue Häuser bereits im Bau, weitere 50 Bauvorhaben sollen bis Ende des Jahres begonnen werden. Bet El nördlich von Ramallah gehört zu den Siedlungen, die fast an das Territorium der Palästinensischen Autonomiebehörde grenzen würden, wenn Israel die Osloer Vereinbarungen über den Truppenrückzug einhält. Weniger als zehn Kilometer südwestlich von Bet El liegt Givat Ze'ev, eine „Schlafstadt“ mit knapp 10000 Einwohnern. Die Straße Richtung Norden stößt auf eine Umgehungsstraße, die Israel bei seinem Rückzug aus Ramallah gebaut hat, so daß alle Siedler – vom Talmon- Siedlungsblock bis weiter im Norden – auf der Fahrt nach Jerusalem die palästinensischen Gebiete von Ramallah und Betunia umfahren können.

In dieser Siedlungszone, zu der die Orte Dolev (500 Einwohner), Talmon A und B (800), Nachliel (300) und Halamisch (1000) gehören, ist die Expansion gar nicht zu übersehen. So werden etwa in Dolev, auf einem Hügel südlich der Siedlung, Fundamente ausgehoben und neue Versorgungsleitungen gelegt; in Talmon steht eine Gruppe zweistöckiger Häuser kurz vor der Fertigstellung, und östlich von Talmon zeigt ein neuer Wasserturm an, wo die Siedlung Horesch-Jaron entstehen soll: Hier stehen seit fast einem Jahr dreizehn Wohnwagen. In Halamisch und weiter nördlich in Paduel werden bereits Grundstücke erschlossen.

Wenn man sich von Südwesten der Siedlung Ariel nähert, weist ein Straßenschild zur neuen Gewerbezone „Ariel Süd“, eine von vielen solcher Zonen im Westjordanland. Dort gibt es eine Auffahrt zur Transsamaria-Autobahn (Straße Nr. 5), die gerade neu angelegt wird und auf jeden Fall unter israelischer Oberhoheit bleiben wird, auch wenn es zum jüngst vereinbarten Rückzug aus 13 Prozent der besetzten Gebiete kommt. Von hier aus nach Westen fahrend sind die paar Kilometer entlang der Straße Nr. 5 bis zur „Green Line“ zu einem Stück Israel geworden, mit einem Gewirr von arabischen und israelischen Betrieben und Großhandlungen, die für die wachsende Bevölkerung beiderseits der unsichtbar werdenden Grenze entstanden sind.

Nach dem Koalitionsabkommen zwischen Netanjahu und der „Partei des Dritten Weges“ (einer Abspaltung der Arbeitspartei) können jetzt sogar die Siedlungen im Jordantal wieder expandieren, die wirtschaftliche Probleme und stagnierende Einwohnerzahlen hatten.3

Nach den jüngsten Daten über die Siedlungsexpansion, die sich auf die zweite Hälfte des Jahres 1997 beziehen, waren Bauvorhaben in 93 der 130 Siedlungen im Westjordanland in Gang. Wenigstens 13 dieser Projekte liegen von den vorhandenen Siedlungen, als deren Erweiterung sie ausgegeben werden, so weit entfernt, daß sie als Neugründungen zu betrachten sind. In der israelischen Presse war von 5000 neuen Wohneinheiten im Jahr 1997 die Rede, aus anderen Quellen verlautet, weitere 4000 Einheiten im Westjordanland seien bereits genehmigt – insgesamt genug, um die Siedlerbevölkerung in den besetzten Gebieten um mehr als 10 Prozent anwachsen zu lassen.

Aaron Domb, Generalsekretär des Siedlerrates Jescha4 , sieht darin „einen Erfolg für das Siedlungsprojekt, der gegen die politischen Beschränkungen durchgesetzt wurde, die für die Errichtung von Wohnungen in den jüdischen Siedlungsgebieten Judäas und Samarias galten“. Ein diplomatischer Beobachter meint dazu: „Angesichts der geringen Nachfrage nach Wohnungen in Israel und der Wachstumsraten in den Siedlungen selbst ist die Zahl der Bauvorhaben ungewöhnlich hoch.“

Vorläufige Zahlen für die ersten zehn Monate des Jahres 1997 zeigen zweistellige Zuwachsraten in den Siedlungen um Nablus (11,2 Prozent), um Ramallah (10,2 Prozent) und in Gasa (10 Prozent) – das ist jeweils das Dreifache der landesweiten Zuwachsrate. Nach Auskünften aus dem Amt des Ministerpräsidenten sind fast 80 Prozent der 4000 bis 5000 im vergangenen Jahr neu errichteten Wohnungen bereits verkauft. Diese überraschende Nachfrage läuft dem allgemeinen Trend auf dem israelischen Immobilienmarkt zuwider und erklärt sich durch die vergleichsweise niedrigen Preise in den Siedlungen. So kostet ein Einfamilienhaus von 150 Quadratmetern in der kleinen Siedlung Nokdim, südöstlich von Bethlehem, nur 110000 Dollar, wofür man in Jerusalem lediglich eine Zweizimmerwohnung bekommt.

Mehrere Faktoren machen die Angebote in den Siedlungen so interessant:

– Viele der Siedlungen gehören zur „Kategorie A“, was die staatlichen Zuschüsse und Steuervorteile angeht. Schon 1996, noch bevor die Regierung Netanjahu die Wirtschaftspolitik beeinflussen konnte, erhielten diese bevorzugten Gebiete die höchsten Pro-Kopf-Subventionen in ganz Israel.5

– Den privaten Bauträgern bot man erweiterte Verkaufsgarantien, so etwa in Ma'ale Ephraim im Jordantal.

– Siedlungen in Regierungseigentum bieten sehr billigen Wohnraum: Einzelne Wohnungen sind schon ab 30000 US- Dollar zu haben.

– Das populäre Programm „Bauen Sie ihr eigenes Haus!“, das den Ausbau der Siedlungen fördern soll, bietet Israelis besondere staatliche Vergünstigungen.

– Auch einige Siedlerräte und von den Siedlern finanzierte Organisationen wie Amana (ein Ableger von Gusch Emunim) bieten sehr günstige Kredite und Beihilfen für Wohneigentum innerhalb der Siedlungen.

Ein weiterer Beleg für die Absicht der Regierung, vor einem weiteren Truppenabzug und Gesprächen über den endgültigen Status der Palästinensergebiete „Tatsachen zu schaffen“, ist die Information, daß derzeit in 80 bis 90 der 120 Siedlungen im Westjordanland staatlich finanzierte Erschließungsmaßnahmen im Gange sind – und zwar meist auf Grundstücken, für die noch keine Bebauungspläne genehmigt sind. Allerdings laufen bereits Genehmigungsverfahren für mehr als 9000 Wohneinheiten, in der Presse6 war sogar von 20000 Wohnungen die Rede.

Die Hilflosigkeit der palästinensischen Führung

IM August 1996 erhielt Verteidigungsminister Mordechai für die Genehmigung von Bauvorhaben in den Siedlungen freie Hand. Obwohl er seither nur knapp 2500 neue Wohneinheiten erlaubt hat, sind mehr als doppelt so viele Wohnungen in Bau. Viele der 1997 ausgeführten Vorhaben waren bereits unter der Regierung von Jitzhak Schamir beschlossen, aber nach 1992 von Jitzhak Rabin eingefroren worden. Die Regierung Rabin selbst hat zahlreiche neue Wohnungen genehmigt, die während ihrer Amtszeit nicht gebaut wurden. So brauchte Netanjahu, noch bevor Mordechai offiziell zuständig war, nichts weiter zu tun, als einen Teil des Baustopps in aller Stille aufzuheben. Überdies erscheinen viele der Neubauten in den kleineren Siedlungen seltsamerweise nicht in den offiziellen Statistiken.

Während also im Westjordanland die Bautätigkeit vorangetrieben wird, stehen nach Angaben von Peace Now in den Siedlungen im Gasastreifen ein Viertel der Wohnungen leer – 454 von 1800. Dennoch ist dort kürzlich der Bau von 100 weiteren Wohneinheiten in der Siedlung Nezanit (nahe dem Flüchtlingslager Dschabalija) ausgeschrieben worden.

Die Wiederaufnahme des Siedlungsbaus vollzog sich Ende 1997, genau in dem Zeitraum, als die US-amerikanische Regierung von Israel eine Reduzierung der Expansion forderte und Benjamin Netanjahu versicherte, daß „es keinen wesentlichen Ausbau der Siedlungen und keine größeren Enteignungen (von Land) geben wird“. Worauf es der amerikanischen Diplomatie ankam, hatte Außenministerin Albright am 6. August 1997 in einer Rede vor dem National Press Club deutlich gemacht: „Störende unilaterale Maßnahmen, (...) die Vorentscheidungen in Fragen treffen, die Teil der abschließenden Verhandlungen sein sollen“, waren unerwünscht. Diese Formulierung wurde im folgenden als Aufforderung an Israel verstanden, eine „Auszeit“ beim Siedlungsbau zu nehmen; und nachträglich ist erklärt worden, man habe damit eine Beschränkung der Bautätigkeit auf die bereits erschlossenen Gebiete erreichen wollen, die etwa 3 Prozent des Westjordanlands ausmachen.7

Das amerikanische Außenministerium reagierte auf die offensichtliche Ausweitung der Siedlungsaktivitäten mit verstärkten nachrichtendienstlichen Bemühungen. Von der Regierung Netanjahu bekamen die USA allerdings keine aktuellen und genauen Angaben, denn das israelische Verteidigungsministerium hielt sich in der Angelegenheit bedeckt. Aus gut informierten Kreisen war zu hören, daß ein enger Berater von Verteidigungsminister Mordechai eine diesbezügliche Anfrage des amerikanischen Botschafters Ned Walker mit dem Hinweis abschlägig beschied, solche Auskünfte seien doch nur geeignet, das Verhältnis zwischen Israel und den Vereinigten Staaten zu belasten.

„Walker war völlig fassungslos“ berichtete ein anderer Informant. Aber die Anfrage, die sich ja immerhin auf Zusicherungen bezog, die Netanjahu im Juni 1996, bei seinem ersten Zusammentreffen mit Clinton, gegeben hatte, wurde nicht erneut gestellt. Walker soll sogar ein Telegramm nach Washington geschickt haben, in dem er empfahl, von weiteren Versuchen zur Eindämmung der Siedlungstätigkeit abzusehen.

Die palästinensische Führung hat ein bemerkenswertes Desinteresse an der Entwicklung der Siedlungen gezeigt. Natürlich konnte sie nicht übersehen, wie sich die Vorstädte von Jerusalem, etwa Ma'ale Adumim oder Givat Ze'ev, ausweiteten, aber Siedlungen wie Dolev oder Talmon, die zweifellos bald ebenso bedeutend sein werden, scheinen sie kalt zu lassen. Der Grund ist einfach: Die Palästinenser haben sich auf ein diplomatisches Spiel eingelassen, in dessen Rahmen sie gegen das Tempo und die Absichten der israelischen Siedlungspolitik wenig ausrichten können.

Jene palästinensischen Politiker, die hätten absehen können, welche Konsequenzen der Oslo-Prozeß haben würde, zogen es entweder vor, die zentrale Bedeutung der Siedlungen bewußt zu ignorieren, oder, was wahrscheinlicher ist, sie waren auf seltsame Weise unfähig, die israelischen Ziele zu erkennen.

Viele palästinensische Führer, die im Ausland leben und an Verhandlungen mit Israel beteiligt sind, vertreten die Ansicht, die tatsächliche Aneignung des Bodens, wie sie in der Siedlungspolitik zum Ausdruck kommt, sei kein bedeutender Faktor in der israelischen Strategie, sie könne (und werde) im Rahmen von Verhandlungen durch politische Entscheidungen rückgängig gemacht werden. Zum Beleg verweist man oft auf das Beispiel von Jamit und anderer Siedlungen im Sinai, die 1982 aufgelöst wurden, als dieses Gebiet an Ägypten zurückgegeben wurde. Dabei wird allerdings übersehen, daß der Zweck des Friedens mit Ägypten nicht zuletzt darin bestand, die Vorherrschaft über das Westjordanland zu sichern. Und außerdem besteht ein qualitativer Unterschied zwischen dem Abkommen, das damals von zwei Regionalmächten geschlossen wurde, und der Annäherung, die Israel und die Palästinenser heute vollziehen.

In der palästinensischen Führung tritt gegenwärtig niemand mit Nachdruck dafür ein, einen Siedlungsstopp zur Vorbedingung für weitere Verhandlungen zu machen. Jassir Arafat läßt sich hin und wieder über die israelische Siedlungspolitik informieren und reagiert auf das Ausmaß der Vorhaben, das die Karten zeigen, in der Regel mit schweigender Verblüffung. Die Unterhändler Mahmud Abbas (Abu Mazen) und Ahmad Quray (Abu Ala) haben sich nie vor Ort über die Siedlungen informiert – sie scheinen wirklich zu glauben, daß diese Angelegenheit mit einem diplomatischen Federstrich erledigt werden kann. Die Ansiedlung von Israelis im Westjordanland und im Gasastreifen zu verhindern ist ihnen nicht so wichtig, ihnen geht es nur um eines: in den Gebieten, die sie Israel abringen können, den palästinensischen Staat zu errichten.

Wie alle Vereinbarungen seit 1993 enthielt auch die neue amerikanische Nahostinitiative, die Anfang Juni 1998 in London von den beiden palästinensischen Vertretern abgesegnet wurde, keine klaren Aussagen zur Beschränkung der Siedlungsexpansion. Im Entwurf des Abkommens war davon die Rede, daß Israel sich verpflichten solle, keine weiteren Siedlungen zu bauen und außerhalb der bestehenden Anlagen keine „wesentlichen“ Erweiterungen vorzunehmen. Genau diese Formulierungen hat Benjamin Netanjahu seit über einem Jahr gebraucht – und in dieser Zeit sind zwanzig neue Siedlungen gegründet worden, und die Fundamente für Tausende neuer Wohnungen wurden gelegt.

Es hat sich gezeigt, daß weder die Palästinenser noch die Vereinigten Staaten in der Lage waren, eine „Auszeit“ in der israelischen Siedlungspolitik zu erwirken. Mehr als zwei Jahre nach dem Wahlsieg Benjamin Netanjahus laborieren die amerikanischen Nahostpolitiker noch immer an der Niederlage ihres Kandidaten Schimon Peres. Da es in der israelischen Führung am politischen Willen zur Umsetzung der Oslo-Verträge fehlte, konnte auch die Regierung Clinton keine glaubwürdige Strategie zur Erfüllung selbst dieser beschränkten Hoffnungen entwickeln. Das traurige Spektakel der ebenso häufigen wie folgenlosen Ultimaten des Außenministeriums in der Frage des israelischen Truppenabzugs hat vor allem Zweifel an der Ernsthaftigkeit der amerikanischen Bemühungen geweckt.

Daß die Palästinenser nicht gegen die Stärkung und den Ausbau der Siedlungen vorgingen, die von Israel während der „Übergangsperiode“ nach der Unterzeichnung der Oslo-Verträge im September 1993 betrieben wurde, hat Bedingungen geschaffen, die bei den Verhandlungen über den endgültigen Status der Palästinensergebiete kaum zu revidieren sein dürften.8 Inzwischen beginnen viele Palästinenser zu begreifen, daß es für die Erringung einer glaubwürdigen nationalen Souveränität ein schweres Hindernis bedeutet, wenn in der Schlußakte der Verhandlungen das Existenzrecht jüdischer Siedlungen auf palästinensischem Boden festgeschrieben wird. Es geht dabei weniger um die Siedlungen selbst, die im Westjordanland weniger als 15 Prozent des Territoriums beanspruchen, sondern um das umfassende System israelischer Sicherheitsmaßnahmen, das durch ihr Fortbestehen gerechtfertigt werden kann: vor allem die unablässige Erweiterung des Straßennetzes und die ständige Präsenz der israelischen Armee.

dt. Edgar Peinelt

* Direktor der Foundation for Middle East Peace in Washington, D.C.

Fußnoten: 1 Ha'aretz vom 23. Juni 1998. 2 Kol Hair vom 10. Juli 1998. 3 Kol Hair vom 3. Juli 1998. 4 Jescha ist ein Kürzel für Jehuda ve Schomron (Judäa und Samaria), den biblischen Namen, der von den Verfechtern eines „Groß-Israel“ zur Bezeichnung des Westjordanlands gebraucht wird. 5 Ha'aretz vom 11. Februar 1998. 6 Ma'ariv vom 11. Januar 1998. 7 Damit sind nur die bebauten Grundstücke gemeint – insgesamt kontrollieren die Siedler etwa 15 Prozent des besetzten Gebiets westlich des Jordan. 8 Siehe Karte der Siedlungen im Westjordanland in Le Monde diplomatique, Dezember 1995, S. 13.

Le Monde diplomatique vom 13.11.1998, von GEOFFREY ARONSON