Fidel Castro als Leibkoch der Nation
SCHON als Student interessierte sich Fidel Castro für die Küche und ihre Produkte. Der kubanische Revolutionär gab Frauen gerne Kochanweisungen und sorgte dafür, daß der Angriff auf die Moncada-Kaserne nicht mit leerem Magen erfolgte. Manuel Vázquez Montalbán, bekannt als Verfasser kulinarischer Kriminalromane, widmet sich anläßlich des 40. Jahrestags der kubanischen Revolution dem Verhältnis von Fidel zur Küche und zu den Frauen.
Von MANUEL VÁZQUEZ MONTALBÁN *
Am Vorabend des Papstbesuchs im Januar 1998 stand ich auf dem Platz der Revolution in Havanna und sah, wie auf einmal ein riesiges Herzjesu-Bild entfaltet wurde, wobei der Che von seinem Wandgemälde mißtrauisch hinüberlugte und sich die Statue von José Marti, dem Vater der Nation, in steinerner Gleichgültigkeit übte. Die Anwesenden bereiteten sich auf den Empfang des Papstes vor, weil Fidel Castro es verlangt hatte und weil sie hofften, ihm bei dieser Gelegenheit einige praktische Fürbitten unterbreiten zu können: daß mehr Dollars von den Verwandten in Miami eintreffen möchten und der Herrgott Steaks und Fisch vermehren möge, damit es ein Ende habe mit jener sogenannten „fleischhaltigen Masse“, die es auf Lebensmittelkarten gibt.
Die Kubaner sind besessen von Essensdingen, und die Fremden vom Sexmarkt in Havanna. Essen und Sex gehen einmal mehr Hand in Hand; Essen und „Reiterspiele“, so die euphemistische Bezeichnung für eine nicht immer subtile, aber hochwertige Prostitution, denn die von Silvio Rodriguez besungene junge Mädchenblüte der Quinta Avenida besitzt eine ausgezeichnete Grundbildung.
Was haben ein kubanischer Eisschrank und eine Kokosnuß gemeinsam? In beiden gibt es nichts als Wasser. So lautete der vielleicht harmloseste Witz über den Hunger während der „speziellen Periode“ (periodo especial).1 Einer der bösartigeren bezog sich auf den Zoo, wo, wie es heißt, die Warntafeln nach und nach ausgetauscht werden mußten: Es ist verboten, die Tiere zu füttern ... Es ist verboten, den Tieren das Futter wegzuessen ... Es ist verboten, die Tiere aufzuessen. Zwar erinnerten die historischen Materialisten daran, daß zur Zeit der Pariser Commune die Tiere des Zoos geopfert wurden und auf die Speisekarte bedeutender Restaurants wanderten, der Korrespondent einer spanischen Tageszeitung jedoch wurde des Landes verwiesen wegen eines Berichts über das Verschwinden sämtlicher Katzen aus Havanna.
Nitza Villapol, eine populäre Fernsehmoderatorin aus der Batista-Zeit, wurde während dieser „speziellen Periode“ gebeten, im Fernsehen fleischlose Kochrezepte vorzustellen, zu denen lediglich solche Lebensmittel gebraucht wurden, die auf Bezugsschein erhältlich waren: Backkartoffeln, Kartoffelpüree mit Zwiebeln, Knoblauch oder Schweineschmalz und Orangensaft, zum Nachtisch gezuckerter Kartoffelbrei mit Orangenschalen ...
Fidel Castro verbrachte seine schlaflosen Nächte mit der Suche nach ernährungstechnischen Notlösungen, nicht ohne auch weiterhin eine ambitioniertere Landwirtschaft und Viehzucht zu fördern: Reisfelder in der Umgebung von Havanna; Pläne zum Anbau spezieller Obstsorten; die Zucht friesischer Rinder aus Kanada; die Herstellung vorzüglicher französischer Käsesorten, allerdings zu französischen Preisen; die Destillierung von Whiskey der Marke „Old Havanna“, die eine Vorliebe Fidels ans Licht brachte, aber nur in Geschäften für Ausländer verkauft wurde; eine Gänsezucht unter der besonderen Aufsicht des Comandante Castro zur Gewinnung von Gänseleberpastete, die den sandinistischen Führern auf den Feiern zum Gedenken an Daniel Ortegas Machtergreifung vorgesetzt wurde.
Fidel beschäftigte sich so lange und intensiv mit den Gegenständen seiner kulinarischen Träume, bis er sich die nötige Sachkenntnis angeeignet hatte, darüber mit Experten diskutieren zu können, stets bereit, hartnäckig darum zu kämpfen, seine Projekte voranzutreiben, aber auch bereit zur „Rektifikation“2 , denn einen Irrtum einzusehen ist das höchste Vergnügen für einen Menschen mit Überzeugungen und quasi unumschränkter Macht.
Fidel spricht für sein Leben gern übers Essen. Der Dominikaner Frei Betto erinnert in seinem Buch „Nachtgespräche mit Fidel“ (einer Interview-Sammlung) daran, mit welcher Präzision dieser ihm die Zubereitung von Garnelen und Langusten beschreiben konnte: „Am besten ist es, sie nicht kochen zu lassen, weil sie durch das kochende Wasser an Geschmack verlieren und ihr Fleisch leicht zäh wird. Ich ziehe es vor, sie im Ofen oder am Spieß zu grillen. Die Garnelenspießchen brauchen fünf Minuten, Langusten im Ofen elf und am Spieß über der offenen Glut sechs Minuten. Dazu nichts als Butter, Knoblauch und Zitrone. Ein gutes Essen ist ein schlichtes Essen. Die internationalen Köche treiben meines Erachtens Raubbau mit Lebensmitteln.“
Fidels kulinarischer Interventionismus ist bekannt. Bei einer Gelegenheit schenkte er einem nordamerikanischen Ehepaar eine große Portion Lammkoteletts und eine Keule, und dazu seine Anwesenheit in der Küche als Oberaufseher. Als auf seinen Rat, das Fleisch zu panieren und in Öl zu braten, die Frau und angebliche Köchin den gutgemeinten, aber wenig einfallsreichen Gegenvorschlag machte, das Fleisch auf einem Barbecue zu grillen, meinte Fidel nur, sie solle tun, was sie nicht lassen könne, und entzog den Gastgebern seine Präsenz, wenn auch nicht die Koteletts.
Als junger Student wurde Castro gelegentlich von seinem kaum älteren Professor Moreno Fraginals zu sich eingeladen. Der hungrige Hüne ging schnurstracks in die Küche, inspizierte die Essensvorbereitungen und verdrängte die Gastgeberin vom Herd: „Laß mich die Bananen braten, ich werde dir zeigen, wie man das richtig macht.“ Nachdem sie sich von ihrer ersten Verblüffung erholt hatte, fragte sie, ob er denn glaube, alles zu wissen. Darauf er: „Fast alles, nur fast alles.“
Wenn er auf Wildentenjagd geht, beaufsichtigt er am liebsten selbst ihre Zubereitung. Und wegen seiner Vorliebe für Leberpastete und französischen Käse wurden Versuche zur Entenmast in Kuba und zur Erzeugung einer für die Käseherstellung erforderlichen hohen Milchqualität angestellt, deren Ergebnisse er zuerst an den Mitgliedern der kubanischen Nomenklatura erprobt: zuerst an den „pinchos“, der militärischen Elite, und dann an den „mayimbes“, der zivilen Elite, weil Castro alles wissen möchte, einschließlich der despektierlichen Bezeichnungen, welche die Kubaner für die verhältnismäßig Privilegierten erfunden haben, jene spontanen Anhänger und Claqueure, auf die keine Revolution verzichten kann. Die absolut Privilegierten kommen in der Regel erst mit der Konterrevolution.
Fidel verbindet die Küche mit den Frauen, weil sie ihn an die Kochkünste seiner Mutter erinnert, die ihm dauerhafter in Erinnerung geblieben ist als sein Vater, obwohl sie wild wurde, als das Dekret über die Enteignung der Ländereien erlassen wurde. Mit der Flinte in der Hand erklärte die alte Maria Mediadora, daß ihr niemand ihr Land wegnehmen werde, nicht einmal der eigene Sohn. Der ältere Bruder Ramón mußte kommen, um sie zu überzeugen oder zu entwaffnen.
Diese Verbindung von Essen und Frauen rührt auch daher, daß er die Frauen, die ihn zu einem Giganten der Geschichte geformt haben, mit kulinarischem Wissen und gelegentlich mit Speisen versorgt hat. Die erste, die fast täglich die Erfahrung machte, daß ihr Mann glaubte, kochen zu können, war Mirta Diaz Belart. Sie war schön, wie alle Frauen, die Castro geliebt hat, und entstammte einer Familie von rechten, Batista treu ergebenen Großgrundbesitzern der Provinz Oriente – einer ihrer Brüder, Rafael, ein Studienkollege von Fidel, gelangte unter Batista in die höchsten Ämter des Innenministeriums und schrieb später ein Büchlein mit dem Titel „Es lebe Fulgencio Batista!“
Mit Mirta und Fidelito, seinem ersten Sohn, lernte Fidel die Unbilden des täglichen Lebens kennen: Kein Geld zu haben, um die Miete oder Medikamente für das Kind zu bezahlen, sich als Vater für einen Versager zu halten und die Hilfe von Freunden annehmen zu müssen; und er machte Bekanntschaft mit so dubiosen Jobs wie Schuldeneintreiber oder Verkäufer von Brathähnchen auf der Terrasse seiner Wohnung in Havanna. Ihre Flitterwochen hatten sie in New York verbracht, wo Fidel im Oktober 1948 „Das Kapital“ und die ersten Marx-Engels-Werke erstand. Mirta bildete bald die Nachhut für den kämpferischen Eifer ihres Gatten, in dessen Leben sonst kein Platz für sie war; sie wurde eingespannt für seine Ziele, selbst noch in der Zeit, die er nach dem Sturm auf die Moncada-Kaserne am 26. Juli 1953 im Gefängnis verbrachte. Von dort schrieb er ihr Briefe, in denen er sie um eine ganze Reihe von Büchern und, 1954, um die Scheidung bat, weil bekanntgeworden war, daß Mirta auf der Gehaltsliste des von ihrem Bruder Rafael geleiteten Innenministeriums stand.
Sei niemals gut zu einem Mann
DANEBEN schrieb sich Fidel auch mit Natalia Revuelta, die ihren ganzen Familienschmuck und die Goldgeschenke ihres Mannes verkauft hatte, um den Angriff auf die Moncada-Kaserne zu finanzieren. Sie versuchte, ihre bourgeoise Existenz zu überwinden und eine „neue Frau“ und vorbildliche Kommunistin zu sein. Sie tat alles, um Fidel möglichst oft in ihrem Haus und in ihrem Leben zu Gast zu haben – ein Ehrgeiz, den ihre gemeinsame Tochter Alina mit kritischer, zärtlicher und leicht hysterischer Aufmerksamkeit verfolgte. Ihr zufolge waren die besten Besuche jene, zu denen Fidel Nahrungsmittel mitbrachte, die nicht auf Bezugsschein zu bekommen waren, wenngleich es sich manchmal um Produkte der „speziellen Periode“ handelte, Kürbiskerne etwa, die von väterlichen Ratschlägen begleitet wurden: „Die Kürbiskerne, Alina, gibt man in einen mit Öl eingefetteten, gußeisernen Topf, wie wenn man Kaffee röstet, und läßt sie auf kleiner Flamme bräunen, bis die Schalen sich fast von selbst lösen.“
Im Gefängis hatte Castro Gelegenheit, sich die profunden Speisen der Literatur einzuverleiben: Victor Hugo und Marx, dessen „18. Brumaire“ er sehr lehrreich fand und als Mittel gegen revolutionäre Ermüdungserscheinungen anwendete, „Jahrmarkt der Eitelkeiten“ von Thackeray, „Ein Adelsnest“ von Turgenjew, die Biographie von Carlos Prestes, einem brasilianischen Kommunistenführer und Mitglied der Komintern, „Vom Kriege“ von Carl von Clausewitz, „Staat und Revolution“ von Lenin, Schriften von Roosevelt und Einstein; von Shakespeare vor allem der „Julius Cäsar“, dem er die Erleuchtung abgewann, daß Cäsar der Revolutionär und Brutus der Reaktionär war. Cäsar bildete den Gegenstand eher gelehrter als verliebter Briefe an Naty Revuelta: „Das menschliche Denken unterliegt unweigerlich den Bedingungen der jeweiligen Epoche. Ich wage sogar zu behaupten, daß ein politisches Genie ausschließlich von ihr abhängt. Lenin wäre in der Epoche von Katharina der Großen allenfalls ein lebhafter Verteidiger der russischen Bourgeoisie gewesen; hätte José Marti gelebt, als Havanna von den Engländern erobert wurde, würde er an der Seite seines Vaters die spanische Fahne verteidigt haben. Und wären denn Napoleon, Mirabeau, Danton oder Robespierre zur Zeit Karls des Großen etwas anderes gewesen als Leibeigene oder unbekannte Bewohner irgendeiner mittelalterlichen Burg? Daß Julius Cäsar den Rubikon überschritt, wäre in der Frühzeit der Republik undenkbar gewesen, bevor sich der erbitterte Klassenkampf, der Rom erschütterte, zuspitzte und die plebejische Partei der Popularen entstand, die seinen Aufstieg zur Macht notwendig und möglich machte ...“
Eine andere Frau von fundamentaler Bedeutung für sein Leben war seine Halbschwester Lidia, die ihm ihre Wohnung zur Verfügung stellte, um dort den Angriff auf die Moncada-Kaserne vorzubereiten. Lidia bügelte zusammen mit Melba Hernández und Haydée Santamaria die zerknitterten Briefe, die Fidel aus dem Gefängnis schmuggelte und die den unsichtbaren, mit Zitronensaft geschriebenen Text von „La Historia me absolverá“ (“Die Geschichte wird mich freisprechen“) enthielten. Die drei Frauen machten ihn sichtbar, tippten ihn ab und und fotokopierten ihn, so daß er in hundertfacher Vervielfältigung unter seinen Anhängern verteilt werden konnte. Lidia war es auch, die von Fidel einen Brief erhielt, in dem er vorgab, über den Bruch mit Mirta hinweggekommen zu sein, ein Brief, der offensichtlich an seine weibliche Anhängerschaft gerichtet war: „Macht Euch um mich keine Sorgen, Ihr wißt doch, ich habe ein Herz aus Stahl.“ Dann waren da noch Vilma Espin und Celia Sánchez. Die erstere war Mitarbeiterin und Fahrerin von Franck Pais in Santiago de Cuba; sie organisierte die Studentenbewegung für eine Amnestierung der Gefangenen und heiratete später Raúl Castro. Die zweite stand zukunftsweisend mit wenig profunden Speisen in Verbindung: Sie hatte Büchsen mit Konservenfleisch und Süßigkeiten an die Gefangenen auf der Sträflingsinsel Isla de los Pinos zu schicken. Als Fidel aus dem Gefängnis kam, war es Lidia, die ihn abholte, ihm die einzige Jacke wusch, die er besaß, Lidia, die Mittel und Wege fand, Fidelito aus Kuba herauszuschleusen, damit er seinen Vater im Exil besuchen konnte, und abermals Lidia, die ihn zeitweilig ins mexikanische Exil begleitete, die sich immer bedingungslos für ihn einspannen ließ, bis sie still und leise starb, ohne etwas zu fordern, ohne sich zu beklagen.
Haydée Santamaria, eine Überlebende von Moncada, wurde eine hohe Funktionärin und Repräsentantin der Kulturpolitik nach 1958; sie war Gründerin der Casa de las Americas [kubanisches Kulturinstitut und Forschungszentrum, d.Ü.], was sie nicht daran hinderte, Castro, bevor sie Selbstmord beging, ein spanisches Familienrezept für eine Tortilla mit Kartoffeln zukommen zu lassen, die nicht gebraten, sondern als Soufflé zubereitet wurde.
Die mittlerweile ebenfalls verstorbene Celia Sánchez aber sollte die entscheidende Frau in Fidels weiblicher Entourage werden und seine ergebene Mitarbeiterin über dreiundzwanzig Jahre hinweg. Mit ihr arbeitete er im Palast der Revolution und auch in Celias kleiner Wohnung in der Calle Once, die dem Comandante sehr zusagte und wo er häufig über Nacht blieb. Gelegentlich kochte Fidel für sie beide, um die Arbeit nicht zu unterbrechen, häufiger aber war es Celia, die etwas zubereitete. Wenn der Freund auf Reisen war, schickte sie ihm die Speisen nach. Sie kannte seine Vorliebe für einfache, wenig aufwendige, aber schmackhafte und nahrhafte Gerichte; Fidel haßte die Vergeudung von Lebensmitteln, und von allen Dingen war ihm frische Schildkrötensuppe das liebste. Celia wußte, daß sich unter seiner harten Schale ein feinsinniges Gespür verbarg – den Gehörsinn ausgenommen, wie er sich eingestehen mußte, als er in jungen Jahren versuchte, Gitarre spielen zu lernen. In Extremsituationen jedoch behielt Fidel alle fünf Sinne beisammen, und nie verließ ihn sein guter Geschmack, wie er vor dem Angriff auf die Moncada-Kaserne bewies, als er Melba und Haydée beauftragte, für die Kämpfer Huhn mit Reis zu kochen und die hundertzwanzig Uniformen, die sie besaßen, zu bügeln, weil man unmöglich zerlumpt und mit leerem Magen einen Staatsstreich durchführen kann. Kurz vor dem Beginn der großen Offensive gegen Batistas Armee, im Mai 1958, schrieb er an Celia einen ironisch pathetischen Klagebrief: „... ich habe keinen Tabak, keinen Wein, ich habe nichts. Es lag noch eine Flasche köstlichen spanischen Roséweins im Kühlschrank der Casa de Bismarck. Wo ist sie hin?“ Celia durchschaute Fidels Autismus, sein einsiedlerisches Wesen, das völlige Einsamkeit verabscheut; sie wußte, daß der Comandante jemanden brauchte, der ihm zuhört, ihm antwortet, der ihm schreibt.
Sicher bekamen seine Frauen nie so viel von ihm zurück, wie sie ihm gegeben haben; seiner Tochter Alina sagte er einmal in einer schwachen Stunde: „Deine Mutter hat einen Fehler. Sie ist zu gut. Sei niemals gut zu einem Mann.“ Dennoch empfand sich Fidel als Hüter der Würde der Frauen, die es ihm ermöglicht haben, der zu sein, der er ist; und noch Anfang der neunziger Jahre erinnerte er daran, daß die Revolution unter anderem gemacht wurde, um zu verhindern, daß Kuba das Bordell der Nordamerikaner würde und betrunkene Soldaten der US-Marine ihr Wasser am Denkmal von José Marti abschlügen, wie er es selbst mitangesehen hatte.
Es kostet ihn große Überwindung, von der gegenwärtigen Prostitution und ihren Euphemismen zu sprechen: den Reiterinnen, den Pflastertreterinnen... eine Plage, die der Tourismus mit sich gebracht hat und die er nicht auf den Hunger, sondern auf die Fetischisierung westlichen Konsums zurückführt, auf die ökonomische Knebelung durch die Blockade, die eine ausreichende Produktion von Konsumgütern nicht erlaubt, und darauf, daß der neue Mensch noch immer auf sich warten läßt – diese Schimäre, die in der humanistischen Revolution des 15. Jahrhunderts gezeugt worden ist. Aber die Revolution wurde unter anderem deswegen gemacht, damit Kuba nicht das Bordell der US- Amerikaner sein muß, und nicht, damit es nun zum Bordell der Spanier, Italiener, Kanadier oder der Touristen vom Rio Grande wird.
Fidel ist überzeugt, daß mit der Beendigung der Blockade und der Überwindung der derzeitigen Schwierigkeiten die Situation von 1965 wiederkehren würde, als Kuba kein einziges Bordell besaß, weil es auch keine einzige Prostituierte gab – ohne daß Prostitution verboten gewesen wäre. Den Frauen des Gewerbes wurde lediglich angeboten, einen anderen Beruf zu lernen, und in der Zwischenzeit bezahlte der Staat den Lebensunterhalt für sie und alle von ihnen abhängigen Familienmitglieder einschließlich der Großeltern. Gegenwärtig müsse man unerbittlich gegen jene vorgehen, die in dieser Wunde bohren und die kubanische Frau benutzen, um die Revolution herabzuwürdigen. Darum befahl er die unverzügliche Ausweisung eines Korrespondenten von France Press, der besonders originell erscheinen wollte, indem er seinen Bericht betitelte: „Groß oder klein, dick oder dünn, weiß oder schwarz, alt oder jung – jede Kubanerin kostet 7000 Dollar“. Und obwohl der Korrespondent später erklärte, daß dieser Betrag von den Behörden für Eheschließungen zwischen einer Kubanerin und einem Ausländer erhoben würde, war und blieb der Text zweideutig und ließ das kubanische Regime als eine Art Zuhälter dastehen.
Viele Europäer haben die kubanische Revolution als ihre Adoptivrevolution betrachtet, was der Tatsache geschuldet ist, daß die Geschichte uns bis zur Einführung von Viagra eine eigene Revolution vorenthalten hat. Kuba versprach vor vierzig Jahren einen neuen Frühling der Völker. Doch mit Wehmut sehen die ehemaligen Bewunderer heute den Herbst des Patriarchen.
dt. Christian Hansen
* Spanischer Schriftsteller, Autor von „Die Leidenschaft des Schnüfflers. Kochen mit Carvalho“, aus d. Span. von Bernhard Straub, Reinbek (Rowohlt) 1992. Zuletzt erschien “Das Quartett“, aus dem Span. v. Theres Moser, Berlin (Wagenbach) 1998.