11.12.1998

Staatsstreich mit Schalldämpfer

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Staatsstreich mit Schalldämpfer

IM Dezember 1997 hat die Militärjunta in Birma eine Namensänderung verkündet. Der Staatsrat zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung (SLORC), der das Land seit 1988 regiert, hat dem Staatsrat für Entwicklung und Frieden (SPDC) Platz gemacht. Diese Änderung, die mit dem Austausch einiger Köpfe in der Führungsriege einherging, besiegelte einen „gedämpften“ Staatsstreich im Innern des Machtzentrums.

Die letztjährige Palastrevolution erfolgte nicht durch den Druck der Straße1 , sondern indirekt aufgrund des Drucks aus dem Ausland. Es kam zu keinem Blutvergießen; doch eine Reihe führender Gründungspolitiker des SLORC wurden verhaftet. Die Veränderung sollte zweierlei bewirken: zum einen dem Regime in den Augen der internationalen Öffentlichkeit neue Legitimität verschaffen und zum anderen die wachsende Unzufriedenheit im Lande selbst in den Griff bekommen.

Die südostasiatische Finanzkrise und ihre wirtschaftlichen Folgen haben auch Birma nicht verschont. Zwar notiert der offizielle Kurs des Kyat immer noch bei etwa 6 Kyat je Dollar, doch ist sein Wert auf dem Schwarzmarkt von 150 auf etwa 380 Kyat je Dollar gefallen.

Im September 1997 reiste der frühere Diktator General Ne Win, der sich immer noch im Dunstkreis der Macht befindet, zu einem Treffen mit General Suharto in das gleichfalls krisengeschwächte Indonesien.2 Bei diesem Treffens soll sich der indonesische Präsident bei General Ne Win beklagt haben, das unerträglich hohe Maß an Korruption in Birma (!) behindere die ausländischen Investoren – allen voran natürlich Suhartos eigene Kinder.

Die Investitionen der Familie Suharto in Birma sind in der Tat beträchtlich. So unterzeichnete Präsident Suharto anläßlich seines Staatsbesuchs in Birma im Februar 1997 einen Kooperationsvertrag zugunsten der indonesischen Gesellschaft Citra Lamtoro Gung Persada, die auf den Bau gebührenpflichtiger Straßen spezialisiert ist und von seiner ältesten Tochter Siti Hardiyanti Rukmana, genannt „Tutut“, geleitet wird. Die meisten der von Birma importierten Fahrzeuge liefert Astra International, das wiederum von der Gruppe Nusamba kontrolliert wird, an der Suharto mit 80 Prozent beteiligt ist. Über das Joint-venture-Unternehmen Myanmar Astra Chinte Motor besitzt dieses Unternehmen die alleinigen Vertriebsrechte für BMW und Land Rover in Birma. Bambany Trihatmojo, der zweitälteste Sohn Suhartos, investiert über seine Firma Elecktrindo Nusantara in Telefongesellschaften, während der jüngste Sohn, Hutoma Mandalaputra Suharto, genannt „Tommy“, Bohranlagen exportiert. Er stand außerdem an der Spitze der Luftfahrtgesellschaft Sempati Air, welche die Strecke Rangun-Jakarta flog, im Juni 1998 aber infolge der Wirtschaftskrise in Indonesien ihre Tätigkeit einstellte.

Entsprechend mußte sich General Ne Win die Vorwürfe eines seiner besten Verbündeten innerhalb der Asean-Gruppe nicht nur anhören3 , sondern, wegen der wechselseitigen Interessenabhängigkeit, auch etwas unternehmen. Zumal aus der Wirtschaft Singapurs die gleichen Beschwerden kamen; erschwerend sei, hörte man von dort, daß jedes Projekt von mehreren Ministerien abgesegnet werden müsse und jeder Minister „seinen Teil“ fordere.

Unmittelbar nach seiner Rückkehr rief General Ne Win daher sein „Privatkabinett“ ein, das aus den vier wichtigsten Führern des SLORC besteht, den Generälen Khin Nyunt, Maung Aye, Than Shwe und Tin Oo. Auch wenn Ne Win nicht mehr zum offiziellen Machtkreis gehört, hat er nach wie vor entscheidenden Einfluß auf die allgemeine Ausrichtung des Regimes. Es heißt, daß er bei dem letztjährigen Wechsel die Fäden gezogen habe. Dieser Coup hatte alle Welt überrascht, zumal einflußreiche Minister-Generäle abgesetzt wurden, die sich mit Millionen Dollar bereichert hatten.

Ne Win soll außerdem die beiden rivalisierenden Generäle Khin Nyunt und Maung Aye angewiesen haben, sich auf ihre jeweiligen Zuständigkeitsbereiche zu beschränken. General Khin Nyunt obliegt als Leiter des Geheimdienstes die Kontrolle des Landes, und Maung Ayes Armee hat die Aufgabe, Stabilität zu garantieren. General Than Shwe ist lediglich für das Gleichgewicht zwischen beiden Kräften zuständig. Oppositionskreise in Birma schätzen, es handele sich um eine Wende im Machtkampf innerhalb der Regierung: General Khin Nyunt habe mit Unterstützung General Ne Wins eindeutig einen Machtzuwachs gesichert. Daß die unerbittlichsten Generäle des SLORC, die sich dem Dialog mit der Opposition am entschiedensten verweigert hatten, unter dem Vorwand der Korruption verhaftet wurden, hat die Position von General Maung Aye zweifellos erschüttert.

Doktor Sein Win, Führer der Exil- Opposition, erklärt dazu, daß die Macht nicht einfach unter zwei Clans aufgeteilt sei. Die verhafteten Generäle Tun Kyi, Kyaw Ba, Myo Nyunt, Miynt Aung, Thein Win oder Sein Aung besäßen jeweils ihren eigenen Clan und ihren eigenen Einflußbereich. Und General Than Shwe verfolge weiterhin sein eigenes Spiel und nutze die Rivalitäten zwischen den Generälen Khin Nyunt und Maung Aye aus.

Allerdings gelten die neu ernannten Minister, die nicht im SPDC sitzen, als Anhänger von General Khin Nyunt, was die These untermauert, daß dessen Gegenspieler Maung Aye nun geschwächt ist. Zwölf der neunzehn Mitglieder des SPDC sind regionale militärische Befehlshaber. Diese regional commanders verfügen über enorme Macht und sind teilweise so unabhängig, daß sie es sich erlauben können, Befehle aus Rangun zu ignorieren. Zwei einstige SLORC-Generäle – Tun Kyi, der ehemalige Handelsminister, und Kyaw Ba, der ehemalige Minister für Hotel und Tourismus –, die sich während ihrer Amtszeit in Mandalay und Myitkyina der Führung des SLORC und Rangun ständig widersetzt hatten, sind nun unter Hausarrest gestellt. Die Regionskommandanten herrschen vor Ort quasi wie warlords.

Mit der internen Säuberung sollte die oberste Militärführung eingeschüchtert werden; zugleich sollte die Eingliederung der Regionskommandanten in den SPDC den Einfluß von General Khin Nyunt stärken. Diese für die Generäle vorteilhaften Verbindungen werden über den künftigen Kurs der neuen Junta entscheiden. Fortan kann General Khin Nyunt sich der Unterstützung oder Neutralität von mehr als der Hälfte der Regionskommandanten sicher sein. Allerdings ist die Unterordnung der Offiziere unter einen Clan in Birma niemals selbstverständlich gewesen.

Drohende Wirtschaftssanktionen

DESHALB ist General Khin Nyunt bei der Auswechslung seiner Mannschaft auch so vorsichtig vorgegangen. Eigentlich wären die Verhaftungen in sein Ressort gefallen, doch er hielt sich geschickt im Hintergrund und überließ die Dinge dem General im Ruhestand Tin Oo (nicht zu verwechseln mit seinem Namensvetter Tin Oo, dem Zweiten Sekretär des SPDC). Tin Oo, Vorgänger und einstiger Vorgesetzter von Khin Nyunt an der Spitze des Geheimdienstes, wurde nach dem Anschlag Nordkoreas von 1983 abgesetzt, da General Ne Win ihm damals das Versagen seines Dienstes vorgeworfen hatte.4

Doch abgesehen von den Säuberungen an der Spitze der Staatsmacht und in Generalskreisen ist die Politik des SPDC auf Kontinuität angelegt: Nach wie vor verweigert der Staatsrat den Dialog mit der Opposition und hält Frau Aung San Suu Kyi quasi unter Arrest, um deren Partei, die Nationale Liga für Demokratie (LND), zu spalten. General Khin Nyunt, dem selbst seine Gegner Geschick und Intelligenz bescheinigen, hat ein Gespür für Zukünftiges. Da die Diktatur für März 1999 Wahlen geplant hat, ist es dringend geboten, die LND im Innern zu spalten und deren Symbolfigur ein für allemal zu neutralisieren. Dies muß natürlich möglichst unauffällig geschehen, um kein internationales Protestkonzert zu provozieren. Die für das Regime beste Lösung wäre zweifelsohne, wenn Aung San Suu Kyi von der eigenen Partei an den Rand gedrängt würde.

Die Unterwanderungsaktionen der Regierung, begleitet von der Inhaftierung von Oppositionsführern aus dem Kreis der birmesischen Passionaria, beginnt Früchte zu tragen. Viele ihrer Anhänger neigen bereits zu einem Kompromiß, sogar zur Zusammenarbeit mit dem SPDC. Ermüdungserscheinungen und die Lasten des Alltags, die seit der Wirtschaftskrise drückender geworden sind, bewirken, daß der Widerstand abbröckelt und sich spaltet. Frau Suu Kyi, die längere Zeit krank war, ist inzwischen physisch und psychisch geschwächt.

Viele Birmesen, die man fragt, wünschen tatsächlich einen Wandel in der Oppositionspolitik und einen Dialog mit den Militärs; manche werfen der Anführerin sogar ihre Unnachgiebigkeit vor. Trotz dieser Kritiken genießt sie jedoch nach wie vor hohe Popularität, vor allem bei der ländlichen Bevölkerung, die die Mehrheit darstellt. Die städtische Bevölkerung ist jedoch der Ansicht, daß eine Aufhebung der internationalen Wirtschaftssanktionen die Lage unmittelbar verbessern würde; denn gerade die von Frau Suu Kyi immer wieder gepriesenen Sanktionen rauben dem Land jene Basisunterstützung, welche die normale Bevölkerung dringend benötigt.

Wenn die nächsten Wahlen tatsächlich stattfinden sollten, hängt alles davon ab, daß es der Armee gelingt, die Wahlen wirksam zu kontrollieren. Denn sollte es wie 19905 freie Wahlen geben, ist keineswegs sicher, daß die derzeitigen Machthaber daraus als Sieger hervorgehen. Zwar gibt es in der Bevölkerung gewisse Vorbehalte gegenüber der Opposition, doch aus der breiten Ablehnung der Militärmacht und ihrer Helfershelfer, der Union Solidarity Development Association (USDA, eine von der Armee kontrollierte Massenorganisation) macht niemand einen Hehl.

A. und L. B.

Fußnoten: 1 Demonstrationen zwangen 1988 den Diktator General Ne Win, auf der politischen Bühne in den Hintergrund zu treten. 2 Vgl. Françoise Cayrac-Blanchard, „Indonesien: Wirtschaftswunder abgestürzt“, Le Monde diplomatique, Februar 1998. 3 A. und L. Boucaud, „Gute Zeiten für Nashörner und Investoren“,Le Monde diplomatique, Juni 1997. 4 Obwohl General Tin Oo als politischer Erbe von General Ne Win galt, wurde er wegen Korruption zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und einige Jahre später wieder freigelassen. Daraufhin schloß er sich dem engeren Beraterkreis des ehemaligen Diktators an. 5 Damals hat die Nationale Liga für Demokratie einen haushohen Sieg davongetragen.

Le Monde diplomatique vom 11.12.1998, von A.B. und L.B.