15.01.1999

Byzantinische Querelen

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Byzantinische Querelen

Von GEORGES PRÉVÉLAKIS *

DER Konflikt zwischen Griechenland und der Republik Makedonien ist ein schlagendes Beispiel für den „byzantinischen“ Geist, der die politische Kultur der Balkanregion zu prägen scheint. Die Sache ist wahrlich paradox: Obwohl ihre Interessen weitgehend zusammenfallen, bleibt das Verhältnis der beiden Nachbarländer eines der großen ungelösten Probleme nach dem Ende des Kalten Krieges.

Es ist müßig, das Auf und Ab in der Geschichte der griechisch-makedonischen Beziehungen zu rekapitulieren1 oder die historischen Argumente zu wiederholen, die beide Seiten bis zum Erbrechen widergekäut haben. Hier sollen nur die drei Hauptphasen des Konfliktablaufs skizziert werden.

In der ersten Phase zwischen September 1991 und Oktober 1993 versuchte die griechische Mitte-rechts- Regierung Mitsotakis, nach der Unabhängigkeitserklärung der ehemals jugoslawischen Teilrepublik die Anerkennung des neuen Staates zu blockieren. Diese arrogante und starrsinnige Politik mäßigte sich erst, als Mitsotakis im April 1992 seinen Außenminister Antonis Samaras ausbootete und durch den gemäßigten Michalis Papakonstantinou ersetzte. Jetzt konnte Makedonien unter der „provisorischen“ Bezeichnung FYROM in die UNO aufgenommen werden. Diese Kurskorrektur von Mitsotakis führte aber zu seiner Wahlniederlage, die im Oktober 1993 erneut die Pasok unter Führung von Andreas Papandreou an die Macht brachte.

Die zweite Periode bis Oktober 1995 war die schwierigste. Papandreou setzte die harte Linie durch, die er im Wahlkampf versprochen hatte. Das brachte den Griechen aber nur politische Niederlagen: Makedonien wurde von den USA, den EU-Ländern und Rußland als unabhängiger Staat anerkannt, Griechenland war diplomatisch isoliert. Um sich innenpolitisch zu sanieren, verhängte Papandreou im Februar 1994 ein Wirtschaftsembargo gegen Makedonien, das die Spannungen zwischen beiden Ländern massiv verschärfte.

Die dritte Phase begann im Oktober 1995: Ein unter UN-Schirmherrschaft unterzeichnetes Abkommen brachte die Aufhebung des Embargos.2 Seitdem haben sich die Beziehungen laufend verbessert. Dabei spielte zwar die Ablösung Papandreous durch Kostas Simitis eine wichtige Rolle, aber noch bedeutsamer war die gespannte politische Situation in Makedonien. Denn hätte sich in diesem Land ein neues balkanisches Drama angebahnt, hätten sich gerade für Griechenland die gravierendsten Folgen ergeben.

Ist also die schwierigste Phase in den griechisch- makedonischen Beziehungen bereits überstanden? Sicher läßt sich das noch nicht sagen. Wegen des Widerstandes in der griechischen Öffentlichkeit ist eine zentrale Frage noch längst nicht entschieden: Das Problem des Namens der jungen Republik ist auch deshalb so schwerwiegend3 , weil auf dem Balkan der Prozeß der Nationenbildung historisch noch nicht lange abgeschlossen ist. Die nationalen Identitäten, von denen die geopolitische Instabilität und viele der politischen Konflikte herrühren, sind daher noch ziemlich brüchig.4 Dabei sind die Staaten besser dran, die eine starke nationale Identität ausgebildet haben bzw. reproduzieren können – in diesem Fall Griechenland. Das Geheimnis der erfolgreichen griechischen Nationbildung ist und bleibt der neoklassizistische Mythos, der die modernen Griechen als Erben der Antike sieht.

Makedonien dagegen hat die historische Bühne erst viel später betreten.5 Und weil das Land von außen und von innen bedroht ist, braucht es, um seine nationale Identität zu begründen, prestigeträchtige historische Referenzen. Seine einzige reale Möglichkeit bietet die Geschichte der Region, und die heißt nun einmal Makedonien. Dieser Name und die auf ihm fußende historische Symbolik sind deshalb für den makedonischen Staat von entscheidender Bedeutung. Präsident Gligorov hat es so ausgedrückt: „Mit dem Verlust dieses Namens würden wir unsere Identität verlieren (...). Würde unser Land ohne Namen, also ohne Identität bleiben, würden sich wieder die alten Streitigkeiten regen, und mit ihnen die alten (territorialen) Ambitionen.“6

Deshalb können sich die Makedonier in der Namensfrage nicht die kleinste Konzession leisten; aber auch die Griechen können nur schwer auf etwas verzichten, was zu ihrem ureigensten politischen Fundus gehört. Für sie ist die Unantastbarkeit der nationalen Ideologie noch wichtiger als die Unantastbarkeit ihres Territoriums. Der griechisch-makedonische Konflikt, der sich in der Namensfrage bündelt, ist mithin ein Problem, das fast so unlösbar zu sein scheint wie der Kosovokonflikt.

Die südliche Balkanregion ist vor zwei Jahren in eine gefährliche historische Phase eingetreten. Am bedrohlichsten hat sich die albanische Frage entwickelt; Bulgariens Wirtschaft kommt nicht in Gang; in Griechenland leidet das politische System unter wachsendem Legitimitätsverlust, die politische Elite und die Kirche geraten immer mehr in die Kritik, und in Makedonien rückt das Ende der Gligorov-Ära immer näher. In einem solchen Umfeld könnte sich die harzige Namensfrage, für die man bis heute keine diplomatische Lösungsformel gefunden hat, wider allen Anschein noch immer als Zeitbombe erweisen.

dt. Niels Kadritzke

* Dozent an der Sorbonne-Universität Paris und am Institut des Études politiques, Paris.

Fußnoten: 1 Vgl. Christophe Chiclet, „Pourquoi la Grèce a peur de la Macédoine“, in: ders. und Bernard Lory (Hrsg.), „La République de Macédoine“, Paris (L'Harmattan) 1998, S. 93-103. 2 Die ursprüngliche Staatsflagge zeigte die „Sonne von Vergina“, ein Symbol der altgriechischen Dynastie der Mazedonier, was sich für die Griechen als Raub hellenischen Kulturguts durch das slawo- makedonische Nachbarvolk darstellte. 3 Siehe Sophia Clément, „Les relations gréco-macédoniennes: de L'affrontement au rapprochement“, Politique étrangère, Paris (Nathan) 1998 (2. Aufl.), S. 390-399, insb. S. 399. 4 Siehe Georges Prévélakis, „Les Balkans, cultures et géopolitique“, Paris (Nathan) 1996 (2. Aufl.), insb. S. 97-103. 5 Siehe Bernard Lory, „Approches de l'identité macédonienne“, in „La République de Macédoine“ (Anm. 1); S. 13-32. Siehe auch Loring M. Danford, „The Macedonian conflict, ethnic nationalism in a transnational World“, Princeton University Press 1995. 6 Libération, 5./6. Dezember 1992, S. 16.

Le Monde diplomatique vom 15.01.1999, von GEORGES PRÉVÉLAKIS