12.02.1999

Auf der Überholspur der Datenautobahn

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Auf der Überholspur der Datenautobahn

Von PHILIPPE QUÉAU

DIE US-amerikanischen Telekommunikationsanbieter haben sich vor allem im Internet-Bereich zur Drehscheibe des weltweiten Kommunikationsverkehrs entwickelt. Dank ihrer Finanzkraft, eines wachsenden Wettbewerbsvorsprungs und der allgemeinen Marktderegulierung sind sie heute imstande, in Europa und Asien eigene Kommunikationssysteme aufzubauen und mit den lokalen Anbietern noch vorteilhaftere Verknüpfungstarife auszuhandeln – und damit das internationale Accounting-Rate-System endgültig aus den Angeln zu heben.

Die Accounting Rate (die Gesamtkosten eines internationalen Ferngesprächs) umfaßt drei Kostenpositionen: für die Anbindung der Teilnehmer an die lokale Telefongesellschaft, für die Vermittlung und für die Nutzung des internationalen Fernnetzes. Bis vor kurzem überwies das Land, in dem der Telefonanruf fakturiert wurde, die Hälfte dieses Betrags an das Empfängerland. Im Januar 1998 hat die US-amerikanische Federal Commission on Communication (FCC) diese Regelung jedoch aufgekündigt, weil das wachsende Ungleichgewicht zwischen ankommenden und abgehenden Anrufen den amerikanischen Netzbetreibern ein jährliches Defizit von 6 Milliarden Dollar beschert. Ein Großteil dieser Mindereinnahmen erklärt sich allerdings aus Diensten amerikanischer Anbieter wie „Call Back“ und „Least Cost Routing“ (Ferngespräche über Drittländer mit billigeren Tarifen).

Aber auch die politische Kurzsichtigkeit der europäischen und asiatischen Regierungen trug dazu bei, die US-amerikanische Vormachtstellung auf den Kommunikationsmärkten zu festigen, weil keine Gegenstrategien entwickelt und gegen die Interessen der regionalen Monopolgesellschaften durchgesetzt wurden. Besonders folgenreich könnte dies im Internet-Bereich sein, für den prognostiziert wird, daß das weltweite Fernsprechaufkommen bis 2002 nur noch 1 Prozent des Internet-Verkehrs ausmachen wird.

Der Rückstand gegenüber den USA ist die Summe verschiedener Faktoren. Die US-Anbieter konnten ihre Kosten durch einschneidende technologische Fortschritte drastisch senken; sie entwickelten eine Vermarktungsstrategie, die Konstruktionsfehler des Accounting-Rate-Systems geschickt ausnutzt, und sie profitieren dank des riesigen Binnenmarkts von steigenden Ertragszuwächsen. Schließlich haben die nichtamerikanischen Konkurrenten das vorhandene Ungleichgewicht auch noch freiwillig und nachgerade enthusiastisch verstärkt.

Die Deregulierung der Kommunikationsmärkte begann in den USA weitaus früher als woanders. Der damit angestoßene Wettbewerb und die sofortige Umsetzung technologischer Fortschritte in marktfähige Produkte ermöglichten drastich gesenkte Tarife. Eine weitere Verschärfung der Konkurrenz auf dem US- Binnenmarkt bewirkte das Auslandsgeschäft, denn je größer der Binnenmarktanteil eines US-Anbieters ist, desto höhere Einnahmen erzielt er dank des Verrechnungssystems mit dem Auslandsgeschäft.

Unter dem verschärften Konkurrenzdruck entwickelten die US-Gesellschaften Systeme zur Bündelung und Umleitung des Telefonverkehrs (Callback und Least Cost Routing), mit denen sie ihren Anteil am Auslandsgeschäft künstlich erhöhten. So schlugen sie drei Fliegen mit einer Klappe: Sie schwächten die nichtamerikanischen Anbieter, indem sie auf deren angestammten Märkten zu einer Zeit gegen sie konkurrierten, als diese noch nicht darauf vorbereitet waren; sie erzielten immense Vorteile durch die mit zunehmender Größe sinkenden Kosten pro Gesprächseinheit; und sie schufen sich mit ihrem wachsenden Defizit im Rahmen des Accounting-Rate-Systems einen hervorragenden Vorwand, um das Abkommen schließlich aufzukündigen.

In den Entwicklungsländern führte diese Entscheidung zu heftigen Protesten, weil die Gebüren nicht mehr den bereits geschwächten Anbietern vor Ort zufließen, sondern den US-Betreibern. Damit ist auch das alte System der Quersubventionierung in Frage gestellt, das die Finanzierung des einheimischen Fernsprechverkehrs durch Einnahmen aus Auslandsferngesprächen ermöglicht hat.1 Im Zuge der Globalisierung von Technik und Finanzierung wird also auch die Telekommunikationspolitik der Entwicklungsländer „globalisiert“. Letztere müssen sich den Vorgaben des höchstentwickelten Industrielandes anpassen, ohne Zeit zu haben, ihr lokales Netz zu vervollständigen.2

Das Accounting-Rate-System war für alle nichtamerikanischen Telekommunikationsanbieter äußerst bequem, weil es ihnen ein angenehmes Dollarpolster verschaffte: Die Entwicklungsländer bezogen von den Industrieländern jährlich rund 10 Milliarden Dollar. Doch der Geldsegen diente selten dem Ausbau der lokalen Telekommunikationsnetze; die chronisch devisenschwachen Staaten finanzierten damit teils irgendwelche „Nachtragshaushalte“, teils die Untätigkeit ihrer nationalen Telefonmonopole mit nicht mehr wettbewerbsfähigen Verfahren.

Während sich in den USA der Wettbewerb verschärfte, die Grenzen des technisch Machbaren ständig erweitert wurden (die Kosten für ein einstündiges Telefongespräch zwischen Paris und New York sollen bis 2010 auf 5 Pfennige sinken) und immer leistungsfähigere Übertragungssysteme zum Einsatz kamen, blieb die übrige Welt technisch wie strategisch immer mehr zurück. Die nichtamerikanischen Monopolgesellschaften gaben die erheblichen Kostensenkungen durch den Einsatz moderner Techniken nicht an den Verbraucher weiter. Schlimmer noch: Sie brauchten sehr lange, um völlig neue Konzepte wie das Internet überhaupt zu verstehen (in Frankreich versuchten die Verantwortlichen bornierterweise, das „Minitel“ zu einem „französischen Internet“ auszubauen).

Dann schnappte die Falle zu. Es begann mit der Verlagerung des Telefonverkehrs aufgrund des eklatanten Tarifgefälles zwischen den USA und den anderen Ländern. Dabei hat die neue Konkurrenz, deren Preisgefüge manche für Dumping halten, die inländischen Monopole zunächst kaum gestört. Die ließen die Amerikaner gewähren, weil sie von deren Neuerungen profitierten, ohne sich selbst anzustrengen. Aber als die Amerikaner eine marktbeherrschende Stellung erobert hatten und das eherne Gesetz der „steigenden Ertragszuwächse“ ihnen satte Gewinne bescherte, war die Schonzeit zu Ende. Jetzt wurde zur Jagd geblasen.

Die Fakten sprechen für sich: Heute, da der Datentransfer via Internet das Volumen des Fernsprechverkehrs übersteigt, sind die 13 weltweit größten Internet-Provider ausnahmslos in amerikanischer Hand, der führende europäische Anbieter British Telecommunications (BT) liegt auf Platz 14.3 Worldcom, Eigentümer des Marktführers UUNet, hat sich mit der Übernahme des zweitgrößten Providers MCI Communications global eine marktbeherrschende Stellung gesichert. Und die übrigen Länder sehen ohnmächtig zu, wie die USA die Kontrolle über die globalen Netze übernehmen.

Zur Illustration des Gesetzes der „steigenden Ertragszuwächse“: Der Network Service Provider UUNet hat die meisten Kunden, weil er mit seiner Netzinfrastruktur (Backbone) die größte Fläche abdeckt und durch zahlreiche Assoziierungs- und Partnerschaftsabkommen mit anderen Backbone-Betreibern schnellen Datenfluß, problemlosen Internet-Zugang und erhöhte Betriebssicherheit gewährleistet. Die Funktionslogik der Netze begünstigt Zusammenschlüsse und Synergieeffekte – in der Sprache des Marktes: Absprachen, Oligopole und Monopole.

Die „unsichtbaren Hände“ der Netze und des Marktes spinnen selbsttätig an einem einheitlichen Web. Microsoft hat es exemplarisch vorgemacht.4 Selbst die Geographie hat sich verändert, insofern die USA heute virtuell im Herzen Europas und Asiens liegen. Die Verbindungskosten auf dem European Backbone – der „Datenautobahn“ für den europäischen Internet-Verkehr – liegen im Schnitt 17 bis 20mal höher als in den USA5 , und der Datentransfer zwischen Paris bzw. London und New York ist billiger als zwischen Paris bzw. London und Frankfurt. Deshalb hat sich der US-Staat Virginia zur Drehscheibe des innereuropäischen Datenverkehrs entwickelt.6

Die Anbindung an die USA hat damit für die europäischen Internet-Provider höchste Priorität. Obwohl sie dafür hundertmal soviel zahlen müssen wie ihre US-amerikanischen Konkurrenten7 , ist das für sie billiger als der Aufbau gleichwertiger Verbindungsnetze innerhalb Europas. Das gilt auch für Asien, wo mehr als 93 Prozent der Internet-Infrastruktur auf die USA ausgerichtet sind.8 Auch die asiatischen Internet-Provider bezahlen für die Anbindung an die US-Netze jährlich etwa 1 Milliarde Dollar. Weltweit subventionieren die nichtamerikanischen Provider ihre US-Konkurrenten mit rund 5 Milliarden Dollar pro Jahr.9

Zudem gewinnen die US-Provider durch ihre marktbeherrschende Stellung quasi kostenlosen Zugang zu den Internet- Ressourcen aller anderen Länder. Denn die europäischen und asiatischen Netz- Provider suchen in erster Linie eine möglichst kostengünstige internationale Anbindung, die nach dem Gesetz der steigenden Ertragszuwächse nur Firstcomer bieten können; darüber vernachlässigen sie den flächendeckenden Ausbau eigener Backbones. Der scharfe Wettbewerb zwischen diesen Unternehmen verhindert jede Zusammenarbeit. Konflikte werden durch die US-Unternehmen entschieden, die den Datenverkehr vermitteln. Bei steigendem Bedarf nach hohen Übertragungsraten sind die marktbeherrschenden Anbieter besser in der Lage, Breitbandkabel mit Bitraten bis zu 80 GBit/s zu verlegen, was ebenfalls den Ausbau von Verbindungen in die USA begünstigt. Schließlich ist der grenzüberschreitende Internet-Verkehr auch inhaltlich stark ungleichgewichtig, da die meisten „Produzenten“ in den USA sitzen. Damit subventionieren die nichtamerikanischen Benutzer offenbar den Zugang der amerikanischen Surfer zum World Wide Web.

Die USA haben es also geschafft, trojanische Pferde in den Telekommunikationsmärkten anderer Länder zu plazieren. Mit dieser erfolgreichen Taktik werden sie am Ende die elektronische Kommunikationsindustrie weltweit kontrollieren.

dt. Bodo Schulze

* Leiter der Abteilung „Information und Datenverarbeitung“ der Unesco.

Fußnoten: 1 Vgl. die Web-Seite des Unesco Observatory on the Information Society: http://www.unesco.org/webworld/observatory/. 2 International Telecommunication Union, „The World Telecommunication Development Report 1998“, Genf, März 1998 (http://www.itu.ch). 3 Data Communications, 1 (Oktober 1998), Paris. 4 Dazu James Love und Ralph Nader, „Surfen auf den Erfindungen der Konkurrenz“, Le Monde diplomatique, November 1997. 5 Phil Sayer, „The Future of Telecoms in Europe. The User Perspective“, Beitrag zur Milan Economist Conference, Mailand, Februar 1998. 6 EuroISPA, „The Effects of Telecoms Pricing Policies on the European Internet“, Brüssel, Januar 1998. 7 Phil Sayer, siehe Fn. 5. 8 The Regional Meeting on Settlement Rate Reform, 29.-30. August 1997, Chiangmai/Thailand, organisiert von der Asia-Pacific Telecommunity (die Tagungspapiere wurden vom Organisator in Bangkok veröffentlicht). 9 Asia & Pacific Internet Association, „Report for APEC Telecommunications Working Group on Sustainable International Internet Infrastructure Financing“, Singapur, September 1998, (http://www.apia. org).

Le Monde diplomatique vom 12.02.1999, von PHILIPPE QUÉAU