12.02.1999

Ein Pyrrhussieg in Rumänien

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Ein Pyrrhussieg in Rumänien

Bis Bukarest sind die etwa 15000 streikenden Bergleute dann doch nicht durchmarschiert. Nach Abschluß eines geheimen Abkommens, das ihnen offenbar Lohnerhöhungen und die Wiedereröffnung zweier Zechen zusagt, die vor Weihnachten geschlossen worden waren, kehrten die Bergarbeiter in ihr Schiltal zurück. Mit diesem Kompromiß, der am 22. Januar zwischen Miron Cozma, dem charismatischen Führer der Streikenden, und Ministerpräsident Radu Vasile ausgehandelt wurde, konnte die Regierung ein blutiges Kräftemssen ermeiden. Doch die Vereinbarung bedeutet zugleich einen erneuten Rückschritt auf dem Weg zu den Wirtschaftsreformen, die Staatspräsident Emil Constantinescu dem Internationalen Währungsfonds zugesichert hat. Nicht zum ersten Mal haben sich damit die Kumpel energisch in die politische Entwicklung Rumäniens eingemischt – aber eine entscheidende Kursänderung konnten sie auch diesmal nicht erzwingen.

Von unserem Korrespondenten DAMIEN ROUSTEL *

ES ist bloß ein Stück Papier, ein Blatt, auf dem steht, daß Costica Stoleriu einen Umschulungskurs absolviert hat – seit dem 15. Dezember 1998 darf sich der ehemalige Bergmann damit als ausgebildeter Wachmann fühlen. Mehr hat er nicht davon, denn Arbeit gibt es für ihn nicht in dieser Gegend. „Ich habe mein letztes Geld in diese Ausbildung gesteckt“, sagt er resigniert, „weil es hieß, man bekommt dann eine Anstellung. Man hat mich unter zweihundert Anwärtern ausgewählt. Aber von den zwanzig Bergleuten, die den Kurs besuchen durften, wurde nicht ein einziger eingestellt.“

Costica, 40 Jahre, lebt mit seiner sechsköpfigen Familie in einem heruntergekommenen Wohnblock in Vulkan, im Schiltal. Mit dem Bild vom versoffenen, stumpfsinnigen und gewalttätigen Kumpel, das die rumänische Presse zeichnet, hat dieser höfliche und ernste Mann nichts gemein. Seine Lebensgeschichte ist exemplarisch für die Bergleute in der Schilregion; die Geschichte von Menschen, die man ständig betrogen hat: „Ich habe mich voll hereinlegen lassen. Vor zwanzig Jahren hatte ich Arbeit in Constanza, auf den Werften. Damals kam jemand und erzählte mir, daß er Leute für die Bergwerke von Schil anwirbt, und er zeigte mir einen Lohnstreifen – die Bezahlung war sehr gut. Ich konnte nicht widerstehen. Aber meine Illusionen verflogen sehr bald – mein Lohn blieb weit unter dem, was ich erhofft hatte.“

Anfangs wollte er wieder weg – aber wohin? Und dann ging es ihm wie den meisten Bergarbeitern, die nicht im Schiltal aufgewachsen sind: Er heiratete eine Frau aus der Gegend und blieb. Seit zwanzig Jahren, zunächst unter der Diktatur von Nicolae Ceausescu, dann unter dem Regime von Ion Iliescu, lebt Costica in sehr bescheidenen Verhältnissen. Aber er beklagt sich nicht – seinen Nachbarn geht es noch schlechter.

Im Herbst 1997 ließ er sich darauf ein, zum „Beurlaubten“ zu werden. In Rumänien werden mit diesem Begriff die Bergleute bezeichnet, die bereit waren, gegen ein Ruhegeld die Arbeit aufzugeben. Inzwischen sind diese Empfänger von staatlichen Entschädigungszahlungen völlig mittellos. „Man hat mich betrogen“ klagt Costica. „In den Medien hieß es, die Bergwerke würden bald geschlossen, und die Gewerkschaft hat uns weisgemacht, wir könnten mit vier- bis fünftausend Mark Abfindung rechnen. Die Regierung hat erklärt, wir würden innerhalb von drei Monaten wieder Arbeit finden. Alle sind wie verrückt zum Arbeitsamt gerannt, um sich arbeitslos zu melden. Wenn ich gewußt hätte, wie es weitergeht ...“

Costica erhielt die maximale Abfindung von etwa 2700 Mark. Wie alle Bergleute träumte er davon, ein kleines Unternehmen aufzumachen, aber diese Idee gab er rasch auf. Die Schmiergelder, die er zahlen müßte, um die bürokratischen Hindernisse zu überwinden, überstiegen seine Möglichkeiten. Also beschloß er, das Geld auf die Bank zu bringen, doch die Inflation fraß seine Ersparnisse auf. In seiner Ratlosigkeit kaufte er schließlich Konsumgüter, um sie nach und nach wieder zu verkaufen und dadurch seine Familie zu unterhalten. Heute ist sein ganzes Einkommen die monatliche Sozialhilfe von etwa 50 Mark. Costica lebt im Elend. Und er weiß, daß er einen Fehler gemacht hat. Genau wie die Frauen der anderen Bergleute war seine Frau schon immer dieser Meinung – aber er will auf keinen Fall zurück: „Das Bergwerk ist das schlimmste Gefängnis. Aber niemand glaubt einem das, nicht einmal die eigene Ehefrau.“

Seit 150 Jahren wird im Schiltal Kohle gefördert. Bis zum Zweiten Weltkrieg waren die Gruben in Privatbesitz, danach wurden sie verstaatlicht und in sowjetisch-rumänische Gemeinschaftsunternehmen (Sovrom) verwandelt – auf diese Weise leistete Rumänien (das mit Deutschland verbündet gewesen war) seine Reparationszahlungen an Moskau. Rund ein Dutzend Jahre lang gab es diese Sovrom-Gesellschaften. Unter Nicolae Ceausescu (der 1965 an die Macht kam) wurde die Produktion gesteigert, um mit den Exporterlösen die Auslandsschulden begleichen zu können.

Heute leidet Rumänien, wie alle kohlefördernden Länder, unter der Überproduktionskrise in diesem Rohstoffsektor. Die Inlandsnachfrage ist stark rückläufig, ausländische Märkte, vor allem der russische, sind zusammengebrochen. Man schätzt, daß der Kohleverbrauch in Rumänien von 44 Millionen Tonnen (1996) auf 33,5 Millionen Tonnen (1997) gesunken ist, während die jährliche Fördermenge immer noch bei 52 Millionen Tonnen liegt und die Förderungskosten ins Unermeßliche steigen.

12 Prozent der in Rumänien verbrauchten Kohle kommen aus dem Schiltal, der einzigen Region des Landes, die vollständig urbanisiert und zugleich von einem einzigen Industriezweig abhängig ist. Für 80 Prozent der Einwohner gibt es jenseits des Kohlebergbaus keine Beschäftigungsalternative. Von den 170000 Bewohnern des Tales sind 16000 arbeitslos, was einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent entspricht – nach der offiziellen Statistik sind es im Landesdurchschnitt nur 10 Prozent.1

Die Region hatte schon immer eine Schlüsselrolle in den sozialen und politischen Auseinandersetzungen. Bereits im Sommer 1929, noch vor den großen Streiks vom Februar 1933, kam es im Schiltal zu dramatischen Zusammenstößen: Am 5. August 1929 wurden bei Arbeitsniederlegungen in Lupeni 36 Arbeiter getötet und 56 verletzt.2

Knapp fünfzig Jahre später formierte sich erneut eine starke Protestbewegung, die sich gegen das Regime von Nicolae Ceausescu richtete. Am 1. August 1977 demonstrierten 35000 Bergleute der Förderanlage von Lupeni gegen eine Verordnung, die das Rentenalter für Bergleute von 50 auf 55 Jahre heraufsetzen und zugleich die Rentenbezüge reduzieren sollte.

„Der Streik von 1977 war eine der wichtigsten Protestbewegungen gegen das kommunistische Regime“, erklärt Volodea Macovei, der Sprecher der Bergarbeitergewerkschaft, anläßlich der Gedenkfeiern zum zwanzigsten Jahrestag der Ereignisse. „Damals entlud sich der Unmut, der sich über Jahre angestaut hatte.“ Es sei nicht nur „der sinkende Lebensstandard“ gewesen, der den Zorn der Bergleute ausgelöst hatte, „es war vor allem die unerträgliche politische Situation in Rumänien.“

Ceausescu gab dem Druck zunächst nach; er erschien persönlich vor Ort, wie es die Kumpel verlangt hatten, und er akzeptierte alle Forderungen. Aber als die Bewegung verebbt war, erließ er seine Strafmaßnahmen. Ion Toma, einer der Führer des damaligen Streiks, der zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde und sich bis 1998 über die Ereignisse nicht geäußert hat, meint heute: „Wir hätten Ceausescu schon viel früher loswerden können, wenn die Bergarbeiter nicht so ängstlich und verschreckt gewesen wären.“

Das Regime wußte, wie es die Kumpel in Schach halten konnte. Als erstes wurden viertausend von ihnen in entlegene Bergwerke versetzt. Und unter denen, die nach der Krise eingestellt wurden, um ihren Platz einzunehmen, gab es viele, die als Spitzel für den Geheimdienst Securitate arbeiteten. So gelang es der politischen Polizei, ein Wiederaufleben der Bewegung von 1977 zu verhindern.

Die Bergleute aus dem Schiltal machten deshalb erst wieder nach dem Sturz Ceausescus von sich reden. 1990 führte Miron Cozma, der kurz zuvor gewählte Vorsitzende ihrer Gewerkschaft, den ersten blutigen Überfall der Kumpel auf Bukarest an. Vom damaligen rumänischen Staatspräsidenten Ion Iliescu freudig willkommen geheißen, verwüsteten die Bergarbeiter die Büros der demokratischen Opposition, gingen gewaltsam gegen die Studentenbewegung vor und versetzten die Stadt mehrere Tage lang in Angst und Schrecken. Daß Präsident Iliescu die Hand im Spiel hatte, wurde beim darauffolgenden „Bergarbeiterkreuzzug“, im September 1991, noch deutlicher: Diesmal richteten sich die gewaltsamen Aktionen gegen die Regierung von Petre Roman, der schließlich zurücktreten mußte.

Der Expremier hat nach seinem Sturz wiederholt Kritik am doppelten Spiel von Iliescu geübt und ihm vorgeworfen, die Bergleute als eine Art „Volksmiliz“ für seine politischen Zwecke eingesetzt zu haben. Für Petre Brait, ehemals die rechte Hand von Miron Cozma, besteht in dieser Hinsicht nicht der geringste Zweifel: „In unseren Reihen tauchten ,falsche' Bergleute auf, die immer genau wußten, wo wir anzugreifen hatten. Wir sind mit vierundzwanzig Forderungen losgezogen, und am Ende hatten wir den Ministerpräsidenten gestürzt, aber unsere Forderungen waren immer noch nicht erfüllt. Wir sind von Ion Iliescu nur benutzt worden.“ Die verschiedenen Regierungen der Ära Iliescu zeigten keinerlei Bereitschaft, Reformen oder Umstrukturierungsvorhaben in der Region einzuleiten, doch mit Unterstützung der rechtsextremen Nationalisten sorgten sie dafür, daß Miron Cozma „zufriedengestellt“ wurde: Der erreichte für „seine“ Bergleute Lohnerhöhungen und Arbeitsplatzgarantien, obwohl der Bergbau ständig Verluste einfuhr.

Die neue Mitte-rechts-Koalition, die seit den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vom November 1996 regiert, will offensichtlich einen Kurswechsel vornehmen. Sie sieht ihre Aufgabe darin, den Übergang zur Marktwirtschaft und den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft und zur Nato zu erreichen. Voraussetzung dafür ist eine tiefgreifende strukturelle Reform der Wirtschaft nach den Vorgaben (und mit Unterstützung) des Internationalen Währungsfonds (IWF). Ihr Hauptaugenmerk gilt daher dem Abbau des Haushalts- und Handelsdefizits: Alle unrentablen Wirtschaftssektoren müssen aufgegeben werden, und es sind deutliche Budgetkürzungen angesagt, vor allem im Bereich der Sozialausgaben.3

Ministerpräsident Radu Vasile, der im April 1998 Victor Ciorbea abgelöst hat, bleibt dafür nicht viel Zeit, denn die Reduzierung des Defizits gehört zu den Bedingungen, an die der IWF die Vergabe eines weiteren Kredits geknüpft hat. Den braucht man in Bukarest dringend, um im Laufe des Jahres 1999 Auslandsschulden in Höhe von 2,8 Milliarden Dollar begleichen zu können, von denen 2 Milliarden bereits im Juni fällig sind. Denn dem Schuldenloch, das vor allem nach 1990 immer größer wurde und inzwischen das Ausmaß von 10 Milliarden Dollar erreicht hat, stehen Rücklagen (Goldreserven nicht eingerechnet) von nur 1,8 Milliarden gegenüber.

In diesem Kontext steht der Plan zur Schließung nicht rentabler Bergwerke, der kurz vor Weihnachten bekanntgemacht wurde und den Zorn der Bergleute erregt hat. Für Präsident Constantinescu und seinen Premier ist er nur ein weiterer Schritt zur Begrenzung der Verluste im Bergbausektor, die sich auf 370 Millionen Dollar belaufen. Die Umstrukturierungsmaßnahme sollte zur Entlassung weiterer 6500 Bergleute führen, nachdem bereits 1997 etwa hundert Gruben geschlossen und 90000 Arbeitsplätze abgebaut worden waren, davon 20000 im Schiltal. Der neue Plan wurde zwar von der Weltbank als „Erfolg“ bezeichnet, weil er – zunächst – bei den Bergleuten keinen Protest ausgelöst hatte, doch er erwies sich bald als soziales Schreckensszenario. Und das gilt auch für den Wirtschaftskurs insgesamt, den die regierende Koalition aus Christdemokraten, Demokraten, Liberalen und Vertretern der ungarischen Minderheit eingeschlagen hat.

Wasser auf die Mühlen der Rechten

DIE innenpolitischen Folgen des ultraliberalen Wirtschaftskonzepts sind leicht auszumalen. Zu ihnen gehört eine nostalgische Verklärung der Ceausescu- Ära, vor allem bei den Bergleuten, die sich zu Recht nach den Zeiten der Vollbeschäftigung zurücksehnen, in denen sie zudem als Helden der Gesellschaft angesehen worden waren. Aber nicht nur sie: 51 Prozent der Rumänen glauben heute, vor 1989 sei es ihnen besser ergangen.5 Daß so viele einer kommunistischen Vergangenheit nachtrauern, die sie in der Erinnerung nach Belieben verklären können, haben sich die rechtsextremen Nationalisten zunutze gemacht. Ihr Anführer, Corneliu Vadim Tudor, hielt einst die glühendsten Lobreden auf Ceausescu. Heute bewundert er Jean-Marie Le Pen.

Tudors Großrumänien-Partei (RomÛnia Mare/PRM) profitiert vor allem von ihrer Sonderstellung in der rumänischen Parteienlandschaft. Keine andere Gruppierung verfügt über so günstige Voraussetzungen, die Unzufriedenheit und Verunsicherung der Rumänen für sich einzusetzen. Die klassische Rechte hat mit ihren unpopulären Maßnahmen die Hoffnungen, die eine Mehrheit der Bürger in sie gesetzt hatte, enttäuscht. Die Sozialdemokratie, geführt von Petre Roman, ist für diese Politik mitverantwortlich, da sie sich an der Koalition beteiligt. Und der längst in Verruf geratene frühere Präsident Iliescu hat eine Art Stillhalteabkommen mit der extremen Rechten geschlossen, weil er hofft, mit ihrer Hilfe eines Tages wieder an die Macht zu kommen. So sprach er sich etwa gegen die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Corneliu Vadim Tudor aus, als dieser wegen Verleumdung des Staatspräsidenten angeklagt werden sollte.

Da glaubwürdige politische Alternativen fehlen, macht sich die extreme Rechte Hoffnungen, alle diejenigen für sich zu gewinnen, die tagtäglich die Folgen der staatlichen „Reformen“ zu tragen haben, und das sind vor allem die unteren Schichten. Dabei setzt man auf nationalistische Parolen, die in Rumänien gut ankommen.6 Außerdem hat die fremdenfeindliche Partei inzwischen in Bukarest eine regelmäßige Volksspeisung organisiert, die als „christliches Abendmahl“ bezeichnet wird. Jedenfalls ist es der PRM innerhalb von zwei Jahren gelungen, von 4 Prozent bei der letzten Wahl7 auf geschätzte 20 Prozent zu kommen. Glaubt man den Meinungsumfragen, kann Tudor bei den nächsten Präsidentschaftswahlen (die allerdings erst im Jahr 2000 stattfinden) mit 18 Prozent der Stimmen rechnen (1996 bekam er 6 Prozent) und damit hinter dem Christdemokraten Constantinescu und dem Neokommunisten Iliescu den dritten Platz belegen.

So überrascht es nicht, daß Tudor im Januar 1999 die streikenden Bergleute ermutigte, ihren Kampf fortzusetzen. Er rief sie zu einem „landesweiten Streik“ auf, „mit dem Ziel, das Regime zu stürzen, das volksfeindliche und antinationale Ziele verfolgt“. Ministerpräsident Radu Vasile meinte dazu: „Was sich im Schiltal abspielt, hat eindeutig parteipolitischen Charakter.“ Damit spielt er auf die politischen Verbindungen von Bergarbeiterführer Cozma an, der vor einiger Zeit der Partei RomÛnia Mare beigetreten ist. Cozma, der wegen seiner Rolle bei den „Bergarbeiterkreuzzügen“ 1996 zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde, hat sich zwar zeitweilig aus der Partei zurückgezogen, um die Forderungen der Streikenden nicht in falschem Licht erscheinen zu lassen, aber dadurch läßt sich niemand täuschen.

Falls die Nationalisten davon geträumt hatten, mit Hilfe der Streikenden einen Putschversuch zu inszenieren, sind sie jedenfalls gescheitert. Aber was haben die Kumpel eigentlich mit ihrem Streik erreicht? Sie laufen Gefahr, in ein paar Wochen alle Errungenschaften ihrer Bewegung wieder zu verlieren, und die extreme Rechte könnte von dieser abermaligen Enttäuschung wiederum profitieren.

Zumal auch die Regierung bei dieser Episode Federn lassen mußte. Es ist ihr gelungen, eine Machtprobe zu vermeiden, die sicher viele Opfer gefordert hätte und die sie zweifellos nicht hätte gewinnen können. Aber was bedeutet der Kompromiß mit den Bergleuten? Die Financial Times stellt mit Bedauern fest, das Abkommen bedeute „einen möglicherweise verheerenden Rückschlag für die ohnehin gefährdeten Bemühungen um die Durchsetzung marktwirtschaftlicher Reformen. Das betrifft auch die geplante Schließung von 140 unrentablen Kohlebergwerken sowie 49 weiteren, ebenso defizitären Staatsbetrieben, sowie den Fünfjahresplan zur Umstrukturierung der Eisen- und Stahlindustrie, der den Abbau von weiteren 70000 Arbeitsplätzen vorsieht.“8

Wie wird der Internationale Währungsfonds reagieren? In diesem Monat soll eine IWF-Delegation in Bukarest über die Gewährung eines weiteren Kredits in Höhe von 500 Millionen Dollar verhandeln, aber die jüngsten Ereignisse dürften kaum vertrauensbildend gewirkt haben: Bislang hat die Regierung keines der vier geschlossenen Abkommen erfüllt. Und sicher sitzt den Machthabern der Schreck noch so in den Knochen, daß sie sich – zumindest vorerst – bestimmt nicht begeistert für die „Schocktherapie“ ins Zeug legen werden.

Den Bergarbeitern hingegen geht es im Grunde nur um eines: Sie wollen eine Strukturreform, die ihnen neue, andere Arbeitsplätze bringt. Das ist derzeit zwar kaum realisierbar, aber dennoch kein völlig utopisches Ziel. Nur muß man dafür die Voraussetzungen schaffen. Die bisher eingeleiteten Maßnahmen sind völlig untauglich gewesen. Das seit 1998 in Rumänien praktizierte Phare-Programm der Europäischen Gemeinschaft hat nicht mehr gebracht als die Gründung von dreizehn Unternehmen mit 383 neuen Arbeitsplätzen. Das ist viel zuwenig: Selbst die „Nationale Behörde für die Erstellung und Umsetzung von Wiederaufbauprogrammen in den Bergbaugebieten“ – eine staatliche Institution mit Sitz in Petrosani, die den Strukturwandel koordinieren soll – hat die Schaffung von 4500 neuen Arbeitsplätzen gefordert.

Im „Jammertal“ von Schil wissen die Bergleute nicht, wem sie vertrauen sollen. Sie haben alle Hoffnungen verloren, nicht aber ihr Gedächtnis. Man erinnert sich sehr genau daran, was Staatspräsident Constantinescu anläßlich des zwanzigsten Jahrestags der Streiks von 1977 in Lupeni erklärt hat: „Ich will einen Pakt mit den Bewohnern des Schiltals schließen. Wenn die Reformen hier nicht gelingen, gelingen sie in ganz Rumänien nicht.“

dt. Edgar Peinelt

* Journalist. Verfasser von: „Les Journalistes et Pierre Botton. Vous avez dit déontologie?“, Lyon (Editions lyonnaises d‘art et d‘histoire) 1996.

Fußnoten: 1 Die Angaben stammen von der Nationalen Behörde für Entwicklung und Umsetzung von Wiederaufbauprogrammen in den Bergbaugebieten (ANDIPRZM). 2 Siehe Catherine Durandin, „Histoire des Roumains“, Paris (Fayard) 1995, S. 287. 3 Siehe dazu Jean-Yves Potel, „Kein Geld für die Mühen des Landlebens“, sowie Edith Lhomel, „Leid, Schweiß und Tränen“, Le Monde diplomatique, Juni 1997. 4 Das entspricht 4,8 Milliarden Mark. 5 Nach einer vom Soros Institute bezahlten Umfrage, die das Institut MMT durchgeführt hat. Die Ergebnisse wurden am 26. November 1998 veröffentlicht. 6 Siehe Jacques Decornoy, „L'ultranationalisme roumain recrée le spectre d'un ,danger hongrois'“, Le Monde diplomatique, November 1992. 7 Bei den Parlamentswahlen von 1996 errang die Großrumänien-Partei (PRM) 4,5 Prozent der Stimmen; sie hat damit 19 Sitze im Abgeordnetenhaus und 8 im Senat. Die Partei, die auch 58 Bürgermeister stellt, beziffert ihre Anhängerschaft mit 80000. 8 Financial Times vom 23./24. Januar 1999.

Le Monde diplomatique vom 12.02.1999, von DAMIEN ROUSTEL