16.04.1999

Ideologische Spitzkehre

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Ideologische Spitzkehre

ANDERS als ihr Name vermuten läßt, ist die Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (Unctad)1 eine reine UN-Unterorganisation. Der Begriff „Konferenz“ bezeichnet sowohl die Institution selbst als auch das von dieser alle vier Jahre einberufene Informations- und Verhandlungsforum – das zehnte fand im November 1998 in Lyon statt.

Die Unctad entsprang dem Wunsch der Entwicklungsländer, ihre Interessen in den internationalen Wirtschaftsinstitutionen und –foren besser gewahrt zu sehen: bei der Weltbank, beim Internationalen Währungfonds (IWF), beim (damaligen) Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (Gatt). Die Gründungskonferenz fand im Mai/Juni 1964 in Genf statt, wo die Organisation auch ihren Sitz hat; auf der UN- Generalversammlung wurde sie kraft einer Resolution vom 30. Dezember desselben Jahres in eine ständige Unterorganisation umgewandelt. Ihr Hauptziel war es, auf gerechtere Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Norden und dem Süden hinzuwirken und den Austausch zwischen den Ländern des Südens zu fördern, d.h. internationalen Handel und Entwicklung miteinander in Einklang zu bringen.

Doch seit Beginn der achtziger Jahre hat die Globalisierung in Form eines ungezügelten Freihandels Schritt für Schritt die wenigen wirtschaftlichen Begünstigungen abgebaut, die man den Ländern des Südens gewährt hatte. Im großen Spiel der Globalisierung werden Simbabwe und Haiti als gleichberechtigte Partner etwa der USA und Japans behandelt.

Der Unctad bleibt nun nichts anderes übrig, als kritische, aber höflich formulierte Berichte3 zu veröffentlichen und sich im Interesse des eigenen Überlebens allmählich der Ideologie der Welthandelsorganisation (WTO) anzunähern. Die zehnte Konferenz von Lyon war ein gutes Beispiel für diese ideologische Spitzkehre: Die Organisation, die sich dereinst der Entwicklung verschrieben hatte, rechtfertigte die Kürzung der staatlichen Finanzhilfe der reichen Länder für die ausgebeuteten Länder und forderte, bei der Bekämpfung der schlimmsten Armut auf den Privatsektor zu setzen.

B. C

Fußnoten: 1 United Nations Conference on Trade and Development. 2 Die Unctad veröffentlicht alljährlich ihren „Trade and Development Report“. In der Präambel des Berichts von 1998 heißt es, daß „Ungerechtigkeit herrscht, wenn die Entwicklungsländer und der Lebensstandard der Durchschnittsbürger den Preis für das Versagen des Marktes und für die Maßnahmen zur Unterstützung der Gläubiger entrichten müssen“. Der Report ist für 45 Dollar erhältlich bei der Verkaufsabteilung, Palais des Nations, CH-1211 Genf, e-mail: unpubli@un.org.

Le Monde diplomatique vom 16.04.1999, von B. C