10.09.1999

Im Reich der Ahnungslosen

zurück

Im Reich der Ahnungslosen

Von HERBERT I. SCHILLER *

DER robuste Einsatz von Machtmitteln im Dienste der US-amerikanischen Außenpolitik lässt sich weitgehend aus der Art und Weise erklären, wie in den Vereinigten Staaten der innenpolitische Konsens zustande kommt. Den Preis für die wirtschaftliche Hegemonialstellung ihres Landes zahlen damit auch die US-amerikanischen Bürger. Sie sind nicht nur ständig den Werbekampagnen und der ideologischen Dauerberieselung durch eine Vielzahl von Institutionen ausgesetzt, die von Unternehmerseite finanziert werden. Aufrund des beispiellosen Kulturimperialismus haben sie außerdem nur rudimentäre Kenntnisse über die Vorgänge in anderen Ländern. Dass dies seitens der Bevölkerung kaum als Mangel begriffen wird, ist einer Indoktrinierung zu verdanken, die bereits an der Wiege beginnt.

Seit mindestens einem halben Jahrhundert wird die internationale Bühne von einem einzigen Akteur dominiert: den Vereinigten Staaten von Amerika. Deren Vormachtstellung ist zwar nicht mehr so eindeutig wie noch vor fünfundzwanzig Jahren, aber auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene bleibt die US-amerikanische Präsenz erdrückend. Das belegen einige simple Fakten: Das Bruttosozialprodukt der USA belief sich 1998 auf 7 690 Milliarden Dollar; in den USA sind die meisten transnationalen Unternehmen ansässig, die den Erdball nach neuen Märkten und Profitmöglichkeiten absuchen; Washington ist machtpolitisch in der Lage, die Fäden hinter den Kulissen der wichtigsten multinationalen Organisationen zu ziehen, also bei der UNO, der Nato, dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der Welthandelsorganisation (WTO); die USA sind nicht zuletzt die Supermacht der elektronischen Globalkultur. Diese allseitige Vorherrschaft löst freilich zunehmend ablehnende Reaktionen aus. Samuel P. Huntington zitiert einen britischen Diplomaten mit den Worten: „Nur in den Vereinigten Staaten kann man lesen, die ganze Welt sehne sich nach amerikanischer Führung. Doch jenseits der USA spricht man überall viel eher von der Arroganz und Einseitigkeit Amerikas.“1

Doch vielleicht ist die Art, wie wir im Ausland wahrgenommen werden, weniger erhellend als unsere Selbstwahrnehmung als Amerikaner. Ist den Bürgern unseres Landes, das der Welt ihre Gesetze diktiert, eigentlich bewusst, welche Last sie den anderen – und vielfach auch sich selbst – damit aufbürden? Sind sie darüber empört? Leisten sie auch nur minimalen Widerstand? Eine offen geäußerte Empörung ist schon insofern unwahrscheinlich, als ein globaler Souverän zur Aufrechterhaltung seiner Machtposition auf die aktive und passive Unterstützung der rund 270 Millionen Amerikaner angewiesen ist. Und an der hat es zu keiner Zeit gefehlt. Sie ist das Ergebnis einer Kombination von Indoktrinierung – die bereits an der Wiege beginnt – und selektiver Informationspolitik, die in ihrem Zusammenwirken die amerikanische Vormachtstellung in der Welt absichern helfen. Parallel zu dieser intensiven, wenn auch meist unsichtbaren Überzeugungsarbeit werden abweichende Meinungen systematisch ausgegrenzt und unterdrückt, wobei ein differenziertes Arsenal von Maßnahmen zum Einsatz kommt, das von der Verwarnung bis zur Inhaftierung reicht. Mit 1,8 Millionen Gefängnisinsassen sind die Vereinigten Staaten das Land mit dem weltweit höchsten Prozentsatz von Eingesperrten.

Mittels dieses Instrumentariums ist es gelungen, wenn nicht eine eingeschworene Glaubensgemeinschaft zu erzeugen, so doch zumindest für die allgemeine Akzeptanz der globalen amerikanischen Herrschaftsrolle zu sorgen. Um diese Rolle zu rechtfertigen, lässt die politische Führung ihre Mitbürger und den Rest der Welt unablässig wissen, dass die Existenz der USA für den Planeten ein unermesslicher Segen sei. Die Größe Amerikas ist im Übrigen schon seit Ende des Zweiten Weltkriegs ein ständig wiederkehrender Topos amerikanischer Präsidentenreden. Offenbar ist unser Land bereits seit den Zeiten des Neandertalers einzigartig. Bill Clinton hat gar von der „unverzichtbaren Nation“ gesprochen.2 Muss sich da nicht jeder Amerikaner glücklich schätzen, in diesem Land leben zu dürfen? Seltsamerweise gibt es aber noch immer viele Menschen, die sich dieser Einsicht versperren.

Ein wirksames Mittel, um die eigenen Reihen zu schließen, besteht darin, sich die Definitionsmacht über die Begriffe zu sichern, mithin als Ideenpolizei zu agieren. Die politische Führung muss also die Fähigkeit besitzen, eine Sicht der lokalen und globalen Realität zu verbreiten, die ihren Interessen förderlich ist. Zu diesem Zweck nimmt sie das gesamte Bildungssystem ebenso in Beschlag wie die Medien, die Unterhaltungsindustrie und die politischen Kommunikationsmechanismen. Es ist genau diese mediale Infrastruktur, die Sinn und Bewusstsein (bzw. Unbewusstsein) produziert. Befehle von oben sind bei diesem medialem Dauerbeschuss gar nicht nötig: Die US-amerikanische Bevölkerung absorbiert die Bilder und Botschaften der herrschenden Ordnung und bewegt sich wie selbstverständlich in diesem Bezugs- und Wahrnehmungsrahmen. Den meisten Amerikanern ist es daher gar nicht möglich, sich eine andere gesellschaftliche Realität auch nur vorzustellen.

Die Kunst des Lügens durch Weglassen

NEHMEN wir ein konkretes Beispiel: den Gebrauch des Wortes „Terrorismus“. Der tatsächliche Terrorismus bereitet den Regierungen der Vereinigten Staaten und anderer Länder nicht zu Unrecht Kopfzerbrechen. Das rechtfertigt die enormen Mittel, die der Polizei und den Streitkräften für die Bekämpfung terroristischer Aktivitäten zur Verfügung stehen. Doch wo immer auf der Welt eine Widerstandsbewegung auftritt, die womöglich mit gewalttätigen und blutigen Mitteln agiert, wird das der amerikanischen Öffentlichkeit als „Terrorismus“ verkauft, zumal wenn die Unterdrücker, gegen die sich der Widerstand richtet, Freunde oder Vasallen Washingtons sind. In den neunziger Jahren wurden auf diese Weise die Kämpfe der Libyer, Palästinenser, Kurden3 und vieler anderer Völker in Misskredit gebracht; ebenso erging es den Widerstandsbewegungen in Malaysia, Kenia, Angola oder Argentinien, ja sogar den Juden in ihrem Kampf gegen die britische Mandatsherrschaft. Im Laufe der letzten fünfzig Jahre haben die US-Streitkräfte und ihre Mithelfer in Korea, der Dominikanischen Republik, Vietnam, Nicaragua, Irak und vielen anderen Ländern „Terroristen“ mit Napalmbomben eingedeckt und massakriert.

Die Ideenpolizei arbeitet auch mit der Kunst des Lügens durch Weglassen. Ein gutes Beispiel bietet die vor zwei Jahren im US-Magazin Time erschienene Aufstellung über die „einflussreichsten Amerikaner des Jahres 1997“. Auf der Liste standen ein Golfspieler, ein Rundfunkmoderator, ein Popmusiker, ein Anlagenfondsberater, ein Filmproduzent, ein Fernsehmoderator, ein Wirtschaftsprofessor, ein schwarzer Wissenschaftler sowie US-Außenministerin Madeleine Albright und der republikanische Senator John McCain. Die beiden einzigen Personen, die mit den eigentlichen Zentren der Macht verknüpft sind, waren ein Erbe der Mellon-Dynastie, die ultrakonservative Initiativen und Organisationen finanziert, und der ehemalige Generaldirektor des Investmenthauses Goldman Sachs und damalige Schatzminister Robert Rubin. Und diese beiden sind auch noch Persönlichkeiten, die inzwischen keinen direkten Kontakt mehr zu den Machtkomplexen haben, denen sie ihren persönlichen Reichtum verdanken.

Auf der Liste der einflussreichen Personen führte Time also nur nachgeordnete Manager und nicht etwa die tatsächlichen Machtinhaber. Ein angemesseneres Bild von den wirklichen Machtverhältnissen bot hingegen die Hitliste der zehn größten multinationalen US-Unternehmen, die einen Monat später im Finanzteil der New York Times erschien. Nach dem Kriterium der Börsenkapitalisierung lag General Motors an der Spitze, gefolgt von Coca-Cola, Exxon und Microsoft. Eine knappe Schilderung der Aktivitäten dieser Firmen, ihrer Standortstruktur, ihrer Investitions- und Personalentscheidungen – sowie ihrer Auswirkungen auf die Menschen in den USA und anderswo – hätte über die reale Machtverteilung innerhalb und außerhalb unserer Grenzen mehr ausgesagt als die in Time publizierte Liste.

Hintergrundinformationen dieser Art zu unterbinden ist das eigentliche Anliegen der Ideenpolizei. Ihre Zuarbeiter, die zahllosen Analytiker und Informationsproduzenten in Forschungsinstitutionen und anderen think tanks4 , haben die Aufgabe, das tatsächliche Bild dadurch zu vernebeln, dass die eigentlichen Machthaber den Blicken der Öffentlichkeit entzogen bleiben. In zahlreichen Studien zu rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen vertreten sie den Standpunkt der Wirtschaft, die auch für die entsprechenden Forschungsmittel sorgt. Die Glaubwürdigkeit solcher Arbeiten wird dadurch aufgewertet, dass sie Verbreitung über die lokalen und nationalen Medien finden. Die Vertreter der rechten think tanks sind regelmäßig bei Radio und Fernsehen zu Gast und verkehren ständig mit führenden Lokal- und Bundespolitikern.

Zu den Produzenten derart maßgeschneiderter Informationen gehört das Manhattan Institute in New York. Nach Auskunft des Institutspräsidenten besteht seine Aufgabe darin, „Ideen zu entwickeln und in die öffentliche Zirkulation einzuspeisen“, und zwar mit Hilfe der „Nahrungsmittelkette der Medien“. Das Institut, zu dessen „Frühstücksdiskussionen“ mit einleitendem Vortrag stets zahlreiche Journalisten, hohe Beamte und führende Politiker eingeladen werden, hat nach Einschätzung der New York Times dazu beigetragen, „das politische Gravitationszentrum New Yorks nach rechts zu verschieben“5 .

Das Manhattan Institute ist allerdings nicht die einzige Organisation, die der „Stimme der Wirtschaft“ – die sich über mangelnde Medienaufmerksamkeit ohnehin nicht beklagen kann – Gehör zu schaffen versucht. Die bekanntesten einschlägigen Organisationen sind die Brookings Institution, die Heritage Foundation, das American Enterprise Institute und das Cato Institute. Die der Öffentlichkeit präsentierten Informationen sind also bereits an der Quelle kontaminiert. Diese Strukturen der Ideologieproduktion und -verbreitung werden an Wirksamkeit sogar noch übertroffen von der – weniger sichtbaren – Dynamik des Markts, die vor allem im Bereich der Kulturindustrie die Rolle der Ideenpolizei ausfüllen. Mit dieser Marktdynamik ist hier nicht so sehr der Einfluss der US-amerikanischen Kulturindustrie im Ausland gemeint als vielmehr ihr verheerender Einfluss auf die eigene Bevölkerung. Dieselbe Nation, die nach den Worten ihrer Führer „unverzichtbar“ sein soll, ist durch das „Spiel der Marktkräfte“ dazu verurteilt, vom kulturellen Schaffen der übrigen Welt keine Ahnung zu haben.

Während 96 Prozent der Filme, die den Kanadiern vorgesetzt werden, im Ausland und zum überwiegenden Teil in Hollywood produziert sind (dasselbe gilt für vier von fünf Zeitschriften, was in Ottawa mit großem Unwillen vermerkt wird6 ), liegt der Anteil ausländischer Filmproduktionen am Gesamtvolumen des amerikanischen Kino- und Videokonsums zwischen 1 und 2 Prozent. Dieses Missverhältnis erklärt sich aber nicht ausschließlich daraus, dass Hollywood dank dem riesigen amerikanischen Binnenmarkt all seine ausländischen Konkurrenten förmlich erdrückt. Letztere verfügen einfach nicht über die Produktions- und Werbebudgets, um sich ein Publikum zu erschließen, dessen Geschmack durch die Erzeugnisse der führenden US-Produktionsfirmen bereits weitgehend vorgeprägt ist.

Was für den Kinofilm gilt, trifft gleichermaßen auf das Fernsehen und den Buchmarkt zu. Da in den Vereinigten Staaten jährlich nur 200 bis 250 ausländische Buchtitel übersetzt werden – in Frankreich waren es 1998 1 636 –, erhält das US-Publikum keine Kenntnis von den großen Denkströmungen anderer Länder. Erst recht nicht über die Fernsehnachrichten, die für andere Länder nur in akuten Krisenphasen Interesse zeigen. Dass die Amerikaner über die Welt und ihre Probleme so gut wie nichts wissen, erklärt sich aus der wirtschaftlichen Konzentration im Medienbereich, wobei das Internet die (vorerst) einzige Ausnahme ist. Der Filmemacher Larry Gelbart, der in „Barbarians at the Gate“ (Die Barbaren stehen vor der Tür) das verheerende Wirken der Tabakindustrie angeprangert hat, begündet den Titel seines neuesten Film, „Weapons of Mass Destruction“ (Massenvernichtungswaffen) mit folgenden Sätzen: „Die führenden Manager der Tabakindustrie sind nur für die Raucher gefährlich. Die Verantwortlichen im Mediensektor sind weitaus gefährlicher, da wir alle ihre Informationen schlucken. Wir inhalieren den Rauch, der aus dem Fernseher kommt. Wir verschlingen alles, was sie unseren Augen vorsetzen.“7 Und was sie uns vorsetzen, sind selektive Informationen – ausgewählt nach dem Kriterium ihrer Fähigkeit, möglichst viel „Quote“ für die Werbespots zu machen. Das gilt zwar nicht nur für die USA8 , aber hier sind die Verhältnisse krasser als in den anderen Industrieländern, was den norwegischen Politologen Johan Galtung dazu brachte, von einer television idiotization, der „Verblödung“ der Amerikaner durchs Fernsehen zu sprechen.

Der beschriebene Mangel an Wissen ist aber nicht allein mit der Trivialisierung der Nachrichten und der Zurückhaltung von Informationen erklärbar. Die Wurzeln reichen tiefer. Die Finanzierung praktisch aller Medienunternehmen durch diejenigen, die sich Sendeplätze und Sendezeiten leisten können, führt unweigerlich zur ständigen Verarmung der kulturellen Inhalte. Das kann auch die Hartnäckigkeit einiger weniger begabter Medienmacher nicht verhindern, die seit Jahrzehnten bestrebt sind, eine nichtkommerzielle Medienkultur aufzubauen. Die 40 Milliarden Dollar an Werbegeldern, die sich alljährlich über die Fernsehanstalten ergießen, schaffen ein Geschäftsklima, das dem ganzen Land seinen Stempel aufdrückt.

Die Dauerberieselung beginnt im zartesten Kindesalter, wobei niemand an die wahrscheinlichen Folgen denkt. Das schockierende Ausmaß, das in dieser Hinsicht bereits erreicht ist, lässt ein Artikel in der Wochenzeitschrift Business Week erkennen, die sich nicht gerade durch Marktfeindlichkeit auszeichnet: „Um 1 Uhr 55 wurde an diesem Mittwoch, dem 5. Mai, eine Verbraucherin geboren. Als ihre Eltern sie drei Tage später nach Hause brachten, waren bereits einige der größten Versandhäuser der Vereinigten Staaten hinter ihr her, mit Warenproben, Coupons und anderen Kaufgutscheinen. [...] Wie noch keine andere Generation zuvor wird sie sofort mit Logos, Ansteckern und Werbung eingedeckt, wird sie praktisch von Geburt an in die Welt des Konsums hineingezogen. [...] Im Alter von zwanzig Monaten identifiziert sie bereits einige der vielen tausend Markensymbole, die vor ihr auf dem Bildschirm flimmern. Mit sieben Jahren wird sie, wenn sie dem typischen Profil ihrer Altersgruppe entspricht, rund 20 000 Werbespots im Jahr sehen. Mit zwölf Jahren wird ihr Name in den riesigen Datenbanken der einschlägigen Versandhäuser zu finden sein.“9

Die kumulierten Auswirkungen dieser entfesselten Kommerzialisierung genau einzuschätzen mag nicht einfach sein, doch es lässt sich bereits ahnen, was es bedeutet, im Zentrum des Weltwirtschaftssystems zu leben. Ein solches Umfeld schafft nicht gerade die besten Voraussetzungen, um die Welt jenseits des Warenkonsums zu verstehen oder vielleicht sogar zu ändern. Auf diesem Nährboden wächst folgerichtig jene beißende Kritik, die von der extremen Rechten – deren von zahllosen Siftungen produzierte Thesen über alle Funk- und Fernsehanstalten laufen – an jeder Form nationaler und internationaler gesellschaftlicher Organisation geübt werden. Ein bevorzugtes Ziel dieser extremistischen Gruppen ist die Regierung. Die US-Regierung kann der Führungsschicht der Großunternehmen noch so loyal dienen, ihr Handeln wird gleichwohl strikt abgelehnt, und zwar nicht etwa im Namen eines prinzipiellen Anarchismus, sondern auf einer fast unverhüllt parteilichen Auffassung, wonach staatliches Handeln ausschließlich Privatinteressen zu dienen habe. Wo solche Stimmungen tagtäglich über tausende von Kanälen im ganzen Land verbreitet werden, ist jeder vernünftige Zugang zu den entscheidenden lokalen, nationalen und internationalen Fragen von vornherein verstellt.

Was die internationalen Beziehungen betrifft, so stacheln selbst solche Medien, die normalerweise keine Vorliebe für extremistische Positionen pflegen, die öffentliche Meinung ständig gegen die Idee einer Organisation der Vereinten Nationen auf. Seit Jahrzehnten betreiben diese Kreise eine Verleumdungskampagne nach der anderen gegen die UNO, die Unesco und die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Gewiss gibt es an diesen Institutionen vieles zu kritisieren. Doch besagte Angriffe richten sich nicht etwa gegen die Funktionsweise der UN-Organisationen, sondern frontal gegen ihre eigentliche Mission, die den Prinzipien internationaler Solidarität verpflichtet ist. Zielschiebe solcher ebenso mystifizierenden wie dümmlichen Attacken sind im übrigen nicht nur die internationalen Organisationen. Die US-Amerikaner wenden sich seit geraumer Zeit auch von ihren ärmeren und schwächeren Mitbürgern ab und den Thesen derer zu, die ein Netz der sozialen Sicherheit für überflüssig und nutzlos erklären. Dass die übrige Welt das amerikanische Modell der Konsumorientierung und Privatisierung bis auf wenige renitente Ausnahmen kritiklos akzeptiert10 , stärkt die in den USA dominierende Geisteshaltung. Nur beträchtliche Umwälzungen, die sich auf das nationale und internationale Wirtschaftsgefüge auswirken, könnten die Überzeugungen und Wertvorstellungen der meisten Amerikaner ins Wanken bringen.

dt. Bodo Schulze

* Emeritierter Professor für Kommunikation an der California University von San Diego (USA).

Fußnoten: 1 Samuel P. Huntington, „The lonely superpower“, Foreign Affairs (New York), März/April 1999. 2 Clinton in seiner Kongress-Rede zur Lage der Nation am 4. Februar 1997. 3 Vor allem von Außenministerin Madeleine Albright in ihrer Rede vor dem National Press Club in Washington am 6. August 1997, siehe New York Times, 8. August 1997. 4 Dazu Serge Halimi, „Die ,think tanks‘ der amerikanischen Rechten“, Le Monde diplomatique, Mai 1995. 5 „Intellectuals who became influential“, The New York Times, 12. Mai 1997. 6 Dazu Anthony DePalma, „US gets cold shoulder at a culture conference“, International Herald Tribune, 2. Juli 1998. 7 Zitiert nach The New York Times, 8. Mai 1997. 8 Dazu Ignacio Ramonet, „La Tyrannie de la communication“, Paris (Galilée) 1999, erscheint im Oktober auf Deutsch unter dem Titel „Die Kommunikationsfalle“ (Zürich, Rotpunktverlag). 9 Business Week, 30. Juni 1997. 10 Dazu Benjamin R. Barber, „Culture McWorld contre démocratie“, Le Monde diplomatique, August 1998.

Le Monde diplomatique vom 10.09.1999, von HERBERT I. SCHILLER