Burkina unter dem Schock der Zongo-Affäre
Von BRUNO JAFFRÉ *
IN Burkina Faso hat die Hartnäckigkeit eines Journalisten, der seinen Mut mit dem Leben bezahlte, das Regime von Präsident Blaise Compaoré bis in die Grundfesten erschüttert. Bislang schien der Präsident fest im Sattel zu sitzen, sowohl als Diplomat als auch in Menschenrechtsfragen genoss er einen guten Ruf. Zwölf Jahre sind inzwischen vergangen, seit Hauptmann Thomas Sankara das „Land der Unbestechlichen“ ausrief und wenig später ermordet wurde.
Am Sonntag, dem 13. Dezember 1998, wurde auf der Verbindungsstraße zwischen Leo-Sapouy und Ouagadougou ein ausgebrannter Jeep gefunden. Die Leichen der vier Insassen, darunter auch die des Journalisten Norbert Zongo, waren verkohlt. Bereits die ersten Zeugenaussagen machten deutlich, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Verkehrsunfall handelte, sondern um Mord.
Am 15. Dezember gingen tausende von Schülern und Studenten auf die Straße. Sie demonstrierten vor dem Justizpalast und verschiedenen anderen Herrschaftssymbolen der Regierungspartei Congrès pour la Démocratie et le Progrès (CDP). Zehntausende gaben am 16. Dezember den sterblichen Überresten von Norbert Zongo ein letztes Geleit zum Friedhof von Ouagadougou. Der Trauerzug dauerte mehrere Stunden und war über 10 Kilometer lang.
Am nächsten Tag beschwor die CDP „ein kaltblütig geplantes Komplott von Politikern, die an Einfluss verloren haben und deshalb jederzeit bereit sind, im Trüben zu fischen“1 . Die großen demokratischen Organisationen schlossen sich mit den politischen Parteien zu einem Oppositionsbündnis zusammen, bestehend aus der Menschenrechtsorganisation Mouvement des droits de l'homme et des peuples (MBDHP), dem mächtigen Gewerkschaftsdachverband Conféderation générale du travail-Burkina (CGT-B), einer Gruppe von Rechtsanwälten, Journalistenvereinigungen, Oppositionsparteien und verschiedenen anderen Organisationen.
Die Kraftprobe zwischen diesem Bündnis und der Staatsmacht erstreckte sich über mehr als einen Monat, begleitet von Demonstrationen und Streiks. Schließlich ging die Regierung auf einige Vorbedingungen der Opposition ein: Freilassung der festgenommenen Demonstranten, Aufhebung der gegen einige von ihnen verhängten Strafen und Wiederaufnahme der Debatte über unaufgeklärte Verbrechen.
Am 23. Januar 1999 erklärte sich das Bündnis bereit, an der Gründung einer unabhängigen Untersuchungskommission (Commission d'enquête indépendante, CEI) mitzuwirken. Drei der insgesamt elf Kommissionsmitglieder wurden von der Regierung benannt, die übrigen waren unabhängige Persönlichkeiten und Vertreter burkinischer regierungsunabhängiger Organisationen.2 Die Regierung stellte der Kommission Polizisten, Kriminalbeamte, Justizbeamte und Fahrer zur Verfügung; des Weiteren erhielt die Kommission einen Gesamtetat von 122 Millionen CFA-Franc, aus dem auch die Gehälter der Mitglieder abgedeckt werden sollen.
Norbert Zongo war 49 Jahre alt, als er ermordet wurde. Der ehemalige Grundschullehrer aus Togo hatte seine Ausbildung an der Journalistenschule im kamerunischen Yaoundé absolviert. Aus Togo war Zongo geflüchtet, weil er wegen seines gewerkschaftlichen Engagements in Studentenkreisen von der Polizei gesucht wurde. Er war Mitglied der burkinischen Presseagentur geworden und hatte kurz darauf wieder gekündigt, um dann bei mehreren privaten Presseorganen tätig zu sein, bevor er L'Indépendant gründete – ein Blatt, das sich zum Zeitpunkt seiner Ermordung zur einflussreichsten Wochenzeitung von Burkina entwickelt hatte. Wie alle anderen Zeitungen auch war L'Indépendant 1998 mit 7 Millionen CFA-Franc subventioniert worden. Doch der Chefredakteur war streng auf die Autonomie des Blattes bedacht; nebenher bewirtschaftete er ein Jagdrevier, eine so genannte Ranch, als zusätzliche Einnahmequelle. Jedes Wochenende nach Redaktionsschluss begab er sich dorthin.
Entführung und Folter
NORBERT ZONGOS Popularität wuchs mit jedem neuen Skandal, den er enthüllte. Seit 1996 konzentrierte er seine Recherchen auf die groß angelegte Unterschlagung öffentlicher Gelder nach der Gründung der burkinischen Goldminengesellschaft Cemob, die auch mit Mitteln der französischen Entwicklungshilfe unterstützt worden war. Zu diesem Zeitpunkt hatten seine Nachforschungen schon zahlreiche andere Affären ans Tageslicht gebracht: Das Monopol auf den Export von Leder, das der Schwiegermutter des Präsidentenbruders François Compaoré zugeschanzt worden war, einen Grundstückshandel, in den CDP-Funktionäre verwickelt waren, oder auch den Vertrieb schadhafter Produkte durch die Faser- und Textilgesellschaft Sofitex, der die Zerstörung der Baumwollernte zahlreicher Landwirte nach sich gezogen hatte.
Auch die politischen Stellungnahmen des Journalisten verfehlten nicht ihre Wirkung. Als das Parlament 1997 einer Verfassungsänderung zustimmte, die es Blaise Compaoré ermöglichte, sein Leben lang für das Präsidentenamt zu kandidieren – während der ursprüngliche Verfassungstext die Präsidentschaft auf maximal zwei Mandate begrenzt hatte –, schrieb Norbert Zongo: „Was wird der Präsident unternehmen, um sich der Intellektuellen zu erwehren, die sowohl das Ausmaß seiner Diktatur vorausahnen als auch das Drama, das sie für unser Volk bedeutet? [...] Es gibt für ihn nur eine einzige Lösung: Sie einsperren, umbringen, verschwinden lassen. Eine Alternative gibt es nicht. Der Präsident ist tatsächlich wieder auf den Weg der Gewalt eingeschwenkt, die bald viele zu Witwen und Waisen machen wird.“3
Im Dezember 1997 entführten Soldaten der Präsidentengarde David Ouédraogo, den Chauffeur von François Compaoré, um ihn zu verhören. Seine Familie erfuhr nie wieder etwas über seinen Verbleib. Unermüdlich wies Norbert Zongo auf diesen Rechtsbruch hin, durch den einem mutmaßlichen Dieb der normale Rechtsweg vorenthalten wurde. Diese Affäre brachte er mit dem Fall von zwei Oppositionellen in Verbindung, die vermutlich zu Tode gefoltert wurden: der Universitätsprofessor Guillaume Sessouma, der 1990 nachts um 2 Uhr aus seinem eigenen Haus entführt worden war, und der Student Dabo Boukary, der im selben Jahr auf offener Straße gekidnappt wurde.4
Erst im Rahmen der Befragungen durch die unabhängige Untersuchungskommission kam heraus, dass David Ouédraogo in der Krankenstation des Präsidentenpalastes starb. Der oberste Krankenpfleger habe „entgegen seinem hippokratischen Eid auf der Todesurkunde verzeichnet: Am 18. Januar um 6 Uhr 50 an den Folgen seiner Krankheit verstorben.“5 Die Zeugenaussagen waren niederschmetternd. Ein Mitgefangener von David Ouédraogo erklärte: „Zum zweiten Mal wurden wir nachts mit verbundenen Augen von Militärs aus der Stadt herausgebracht und mussten ein Grab ausheben. Man legte mir einen Strick um den Hals und zog daran. [...]. Im Ratsgebäude war Folter an der Tagesordnung. Wir wurden geschlagen und mussten alle möglichen militärischen 'Übungen‘ über uns ergehen lassen. Ein weiteres Mal wurden wir an einen Ort außerhalb der Stadt gebracht. Man trieb Hamidou, Bruno und mich zusammen, schichtete trockenes Stroh um uns herum auf und zündete es an. Wir durften den brennenden Kreis nicht verlassen. David war währenddessen ein wenig abseits an Händen und Füßen gefesselt worden, und die Militärs strichen mit Flammen über seinen Körper.“6
Der Bericht, der wie geplant am 7. Mai 1999 fertiggestellt wurde, kommt zu dem eindeutigen Schluss, es habe sich um einen geplanten Mord gehandelt. Genannt werden die Namen von sechs „dringend tatverdächtigen“ Militärs aus der Präsidentengarde. Seine Veröffentlichung löste eine neue Welle der Gewalt und neue Verhaftungen aus. Am 21. Mai verkündete Präsident Compaoré in einer Ansprache an die Nation eine Reihe von Maßnahmen, die teilweise für eine Entspannung der Lage sorgten: die Aushändigung der Akte Zongo an einen Ermittlungsrichter, Freilassung der Gefangenen, Wiedereröffnung der Schulen, „Reorganisierung und Rekasernierung“ des Regiments der Präsidentengarde, Zahlung von Opferrenten an die Familien von Norbert Zongo, seinen ermordeten Begleitern und von David Ouédraogo.
Der moderate Tonfall der Rede kontrastierte mit den kriegerischen Erklärungen der CDP-Anführer, die dem Bericht „Parteilichkeit“ vorwarfen und überdies am 10. Mai einen Überfall auf das Haus des Bündnisvorsitzenden Halidou Ouédraogo ausführten. Die Opposition beschuldigte sie sogar der „Ausgabe von Waffen“.
Die Strategie war gut durchdacht: Compaoré konnte sich als Schiedsrichter gerieren, der erheblich verständiger ist als andere führende CDP-Persönlichkeiten. Er kündigte auch die Einsetzung eines Ältestenrats an, dem die traditionellen Chiefs, die ehemaligen Staatschefs und die religiösen Autoritäten angehören sollten und der „alle anstehenden Probleme binnen kürzester Frist behandeln und Empfehlungen aussprechen soll, die alle politischen Strömungen zufriedenstellen“7 . Das Oppositionsbündnis forderte dagegen eine überfällige Justizreform und verlangte, an der Aufklärung bisher unbestrafter Verbrechen beteiligt zu werden.
Der Ältestenrat gab dann einige Empfehlungen ab, die als erste Errungenschaften gelten können. So zum Beispiel die Verhaftung von drei Verdächtigen Ende Juni und die Befreiung derjenigen, die zur selben Zeit wie David Ouédraogo eingesperrt und gefoltert worden waren. Dies sind jedoch nicht mehr als erste Anzeichen dafür, dass Bewegung in den Justizapparat kommt – sie erfüllen noch lange nicht die Forderung nach einer wirklich unabhängigen Justiz, denn allem Anschein nach stehen die meisten neu Ernannten den Machthabern nahe.8
Schritt für Schritt hatte Präsident Compaoré sich das Image eines Demokraten erarbeitet und genoss in der Region sogar diplomatisches Ansehen: Im Dezember 1996 richtete er das französisch-afrikanische Gipfeltreffen aus, und auch die im Februar 1998 von seinem Land organisierte Afrikameisterschaft im Fußball wurde zum Erfolg. Mitte Juli sollte der burkinische Staatschef nun auch noch Vorsitzender der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) werden, was seine Position als starker Mann der Region, der er gerne werden wollte, endgültig besiegelt hätte. Doch plötzlich wurde seine dubiose Rolle in verschiedenen Konflikten wieder thematisiert, die bis dato mit Hilfe seiner gut bezahlten Medienberater – und Dutzenden regelmäßig gekaufter Zeitungsseiten in afrikanischen Blättern – vertuscht worden war.9 Anlass war die Entsendung von Soldaten aus Burkina Faso zur Unterstüzung des Milizenchefs Charles Taylor, der damals noch an der Spitze der National Patriotic Front of Liberia (NPFL) stand.10 Kurz vor dem Friedensabkommen in Sierra Leone wurde zudem der schwerwiegende Verdacht geäußert, dass Burkina eine Durchgangsstation für die Waffen sei, mit deren Hilfe die Vereinigte Revolutionäre Front (RUF) in Sierra Leone einen der schrecklichsten Konflikte der letzten Jahre geschürt hat.11 Überdies wurde Compaoré auch noch von der angolanischen Regierung beschuldigt, „verbrecherische Beziehungen“ zur Unita zu unterhalten.12
Der wachsende Erfolg des Präsidenten auf dem internationalen Parkett wurde jäh unterbrochen, als die für Ende März in Ouagadougou angesetzte OAU-Konferenz, auf der nach einer Friedenslösung für den Kongo gesucht werden sollte, aus Mangel an Teilnehmern nicht stattfand. Abgesagt wurde auch die schon seit langem vom Umfeld des ehemaligen französischen Premierministers Michel Rocard geplante Globalisierungskonferenz. Gleiches gilt für eine Konferenz über französisch-burkinische Kooperation auf regierungsunabhängiger Ebene. Compaoré manövrierte sich endgültig ins Abseits, als Burkina auch nach der Ermordung von General Baré Mainassara noch offizielles „Verständnis“ für das Militärregime im Niger äußerte.13
Innenpolitisch schien Compaoré mit dem Wahlsieg vom November 1998 endlich sein Ziel erreicht zu haben: Nachdem er zwölf Jahre lang mit der Opposition verhandelt hatte und verschiedenste Taktiken einsetzte, um sie zu spalten oder einige ihrer Anführer abzuwerben, gaben die Burkiner ihm an den Wahlurnen ihren Segen. Nur wenige Monate später, im vergangenen März, wurde er bei der Eröffnungszeremonie des panafrikanischen Filmfests in Ouagadougou erstmals von einem Teil des Publikums ausgepfiffen. Zu diesem Zeitpunkt schien die Protestbewegung bereits das ganze Land erfasst zu haben. Zum ersten Mal seit 1966 zogen die Gewerkschaften an ein- und demselben Strang, als sie für Ende Juni zum Generalstreik aufriefen. Auch Militärs nutzten das Klima des Protests, um ausstehende Löhne einzufordern.
Nach der Ermordung von Thomas Sankara im Oktober 198714 gab es im ganzen Land groß angelegte Diskussionen, im Rahmen derer sich alle politischen Strömungen Burkinas äußern durften – mit Ausnahme der Sankaristen. Sie wurden eingesperrt und gefoltert oder hatten bereits im Ausland Zuflucht gesucht. Die beiden anderen Anführer der „Revolution“, Hauptmann Henri Zongo und Hauptmann Jean-Baptiste Lingani, waren als Verschwörer bezichtigt und hingerichtet worden, während einflussreiche Zivilisten wie Clément Oumarou Ouédrago und Watamou Lamien, die sich als einzige dem von der Regierung geplanten Rechtsruck widersetzt hatten, verschwanden. Ersterer wurde von einer Granate getötet, letzterer durch einen Autounfall.
Stets setzte die Regierung repressive Methoden ein, um einzuschüchtern, regelmäßig wurden Oppositionsführer verhaftet oder Leute ausgeschaltet wie Hyacinthe Kafando, der damals die Mörder von Thomas Sankara befehligt hatte und im Anschluss an einen Frankreichaufenthalt verschwand.
Die Fusion von etwa zehn politischen Gruppierungen mit der Regierungspartei brachte das mühsam errichtete Herrschaftssystem durcheinander, das nun starke Ähnlichkeiten mit einem Einparteiensystem aufweist. Angesichts der Schwäche der Opposition wird im Parlament nur noch abgenickt. Die selbst ernannten Revolutionäre von damals, die Sankara Reformismus vorwarfen, haben ihre marxistischen Phrasen ohne Not gegen die Textbausteine des Liberalismus ausgetauscht. Ab sofort ist es nicht nur erlaubt, sich persönlich zu bereichern, sondern auch, den eigenen Reichtum zur Schau zu stellen. Einträgliche Posten sind CDP-Mitgliedern vorbehalten, und bei Wahlen wird der Staatsapparat ausgiebig genutzt.
Die derzeitige Protestbewegung knüpft an die Kämpfe der letzten Jahre an und setzt die Widerstandstradition des burkinischen Volkes fort.15 Auch die CGT-B prangert ständig Korruption und Straflosigkeit an, während sie die Interessen der Lohnabhängigen verteidigt und die breiten sozialen Bewegungen von Studenten, Lehrern oder Pflegepersonal organisiert bzw. unterstützt. Diese sehr breite, vom Oppositionsbündnis angeführte Mobilisierung für mehr Transparenz und Gerechtigkeit könnte einen neuen Demokratisierungsschub bewirken.
Um diesen entscheidenden Schritt vollziehen zu können, wird man allerdings die Profiteure des Systems angreifen müssen, d. h. einen Teil der herrschenden politischen Klasse sowie die burkinischen oder ausländischen Geschäftemacher, die aus ihren politischen Verbindungen Kapital schlagen. Wenn der Justiz wirklich unabhängige Ermittlungen erlaubt wären und die wirkungsvollen Einschüchterungsinstrumente (wie zum Beispiel das Regiment der Präsidentengarde und bestimmte Sondereinheiten der Bundespolizei) abgeschafft würden, müsste das Regime sich den Folgen der Meinungsfreiheit stellen. Damit würde es jedoch zum einen riskieren, insgesamt bloßgestellt zu werden, und zweitens, dass die Kanäle äußerst lukrativer Schmuggelgeschäfte mit Waffen, Gold oder Diamanten offen gelegt werden. Kann Compaoré es sich leisten, so weit zu gehen?
dt. Miriam Lang
* Verfasser von „Biographie de Thomas Sankara“, Paris (L'Harmattan) 1997.