Fusionen und feindliche Übernahmen
Von FRÉDÉRIC F. CLAIRMONT *
DIE schamlose Werbekampagne, die den Übernahmekampf zwischen der Banque Nationale de Paris (BNP) und der Société générale begleitete, hat das kritische Urteilsvermögen der Medien offenbar in Tiefschlaf versetzt. Entzückt stellten die Kommentatoren fest, wie der angelsächsische „Killerkapitalismus“ nun auch auf Frankreich übergreift, und schwärmten von einem „Shareholder-Value-Konzept“, das nichts anderes beschreibt als das Konfiszieren des gesellschaftlich produzierten Reichtums durch die Aktionäre.Die Flut an Fusionen und Übernahmen wird Arbeitsplätze vernichten und die soziale Ungleichheit weiter anwachsen lassen. Aber die politische Führung lässt es unbeeindruckt geschehen.
Ausgehend von den Vereinigten Staaten hat die merger mania mittlerweile sämtliche Industrieländer erfasst.1 Knapp 2 500 Fusionen und Übernahmen, mit einem Gesamtvolumen von 411 Milliarden Dollar oder 384 Milliarden Euro, wurden allein im ersten Quartal 1999 vollzogen – gegenüber dem ersten Halbjahr 1998 eine Steigerung von 68 Prozent.2 Dabei werden Konzernehen heute nicht mehr nur zwischen zwei, sondern gleich drei Partnern geschlossen – wer bietet mehr?
Am 11. August 1999 ließen Alcan (Kanada), Pechiney (Frankreich) und Alusuisse (Schweiz) ihre Absicht verlauten, das weltweit größte Aluminium- und Verpackungsunternehmen zu gründen. Noch am selben Tag konterte der bisherige Weltmarktführer Alcoa (USA) mit einem Übernahmeangebot an das ebenfalls US-amerikanische Unternehmen Reynolds und setzte sich damit, nachdem man mit Reynolds am 19. August einig geworden war, erneut an die Spitze der Weltrangliste. Am selben Tag wurde im Bankensektor bekannt, dass sich drei der größten japanischen Häuser – die Industrial Bank of Japan, die Dai-Ichi-Kangyo-Bank und die Fuji-Bank – im Herbst 2000 zu einer Holding zusammenschließen wollen, die mit Gesamtaktiva von 142 Milliarden Yen oder 1 200 Milliarden Euro zur weltweit führenden Bankengruppe aufrücken würde. Sollte es nach der BNP-Übernahme von 65,1 Prozent der Paribas-Aktien und 36,8 Prozent der Aktien der Société générale tatsächlich zur Gründung der neuen SBP-Gruppe (Société générale/BNP/Paribas) kommen, so rückte diese mit einer Bilanzsumme von 957 Milliarden Euro nach der Deutschen Bank auf Platz 3 der Weltrangliste. Damit entfielen 42 Prozent der konsolidierten Aktiva der elf größten französischen Handelsbanken auf die neue Gruppe. Den übrigen acht bliebe folglich nichts anderes übrig, als sich rasch zu drei oder vier Häusern zusammenzuschließen, um nicht von ausländischen Interessenten geschluckt zu werden.
Bei den SBP-Verhandlungen wie in dem noch nicht entschiedenen Übernahmekrieg zwischen Elf und TotalFina: Stets rechtfertigen die Wirtschaftsführer das höllische Tempo des Konzentrationsprozesses mit der notwendigen Schaffung von „Shareholder-Value“. Der harmlos klingende Ausdruck lässt kaum erkennen, worum es sich eigentlich handelt: Die Aktionäre eignen sich den Wert an, der real aus anderen Quellen entspringt – aus der Arbeit der Beschäftigten in den Betrieben, aus dem sozioökonomischen Umfeld insgesamt, aus den Vorleistungen der öffentlichen Hand in Bildung und Forschung.3
Um ihre Zwecke zu erreichen, haben die Wirtschaftsführer der genannten Konzerne eine gigantische Propagandamaschinerie aufgefahren, die astronomische Summen verschlingt: Mehrere 100 Millionen Franc wurden bisher aufgewendet, davon 175 Millionen für Werbung (160 Millionen von der BNP und der Société générale, 15 Millionen von Elf und TotalFina). Die Gelder flossen teils in Werbeanzeigen – was für einen Teil der Presse finanziell segensreich, ihrem kritischen Urteilsvermögen aber nicht unbedingt förderlich war –, teils in die Tasche der verschiedensten Schmarotzer: Beraterbanken, die auf Fusionen und Übernahmen spezialisiert sind, Agenturen für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit, Buchführungsfirmen, Berater aller Art und unersättliche Wirtschaftsanwälte.
Ähnliche Verhältnisse herrschen in Malaysia, wo Premierminister Mahathir bin Mohamad den Bankensektor von Grund auf umstrukturieren will. Unter seiner Führung sollen die 21 wichtigsten Geschäftsbanken noch vor Ende September dieses Jahres zu sechs Großbanken verschmelzen, während die bisher 25 Finanzgruppen und 12 Investitionsbanken zu nur mehr sechs Finanzinstituten zusammengefasst werden sollen. Wie in Frankreich geht es dabei um die Schaffung von „nationalen Champions“, die in der Lage sind, den Angriffen transnationaler Banken standzuhalten. Darüber hinaus hat die Operation aber auch eine politische Dimension: die Stärkung der nationalen Bourgeoisie und der mit ihr liierten Regierungspartei „United Malays National Organization“ (UMNO). Mit der hohen Politik verbandelt, können die Geldvermögen leichter wachsen und sich mehren.
Als Kehrseite dieses Unternehmens-monopolys erweist sich die systematische Eliminierung von Arbeitskräften. Nicht nur, dass die transnationalen Unternehmen keine neuen Arbeitsplätze mehr schaffen, sie tragen auch massenhaft zur Vernichtung der alten bei. Ihre Shareholder-Value-Strategie ist als regelrechte Kriegserklärung zu verstehen, als Dokument des Klassenkriegs von oben. Die Wochenzeitschrift Newsweek hat vor drei Jahren einen vielbeachteten Artikel mit der Überschrift „The Hit Men“ (Die Killer) veröffentlicht, ein Ausdruck, den die Chicagoer Polizei ursprünglich auf die Gangster Al Capones münzte. Der Artikel beschreibt das Ausmaß der Verbrechen dieser Killer in den Chefetagen: „Du verlierst deine Stellung, die Aktien deines Ex-Arbeitgebers vollführen Kurssprünge, und der Vorstandsvorsitzende genehmigt sich eine komfortable Gehaltserhöhung. Irgendetwas stimmt nicht, wenn die Kurse an der Wall Street unaufhörlich steigen, während sich in den benachbarten Straßen die Kadaver der Arbeiter türmen, die von Großunternehmen wie AT&T und Chase Manhattan auf die Straße geworfen wurden.“4
Was der Verfasser dieses Artikels in seiner moralischen Entrüstung offenkundig nicht versteht, ist, dass für das System durchaus alles „stimmt“.
Das Ganze nennt man kapitalistische Akkumulation. Die „Killer-Vorstandsvorsitzenden“ der neun Unternehmen, die zwischen 1990 und 1996 305 000 Beschäftigte entließen, bezogen ein jährliches Grundgehalt von jeweils 1,835 Millionen Dollar. Zählt man Aktienoptionen und andere Vergünstigungen hinzu, lag ihr Jahreseinkommen über 5 Millionen Dollar.
Als der Vorstandsvorsitzende von Elf, Philippe Jaffré, seine ausländischen Aktionäre am 11. August dieses Jahres zu einem Treffen im engen Kreis nach London einlud, wollte er sich wohl den Ruf eines solchen Hit Man erwerben: „Seit ich diesen Posten bekleide“, setzte er seinen Zuhörern auseinander, „habe ich 15 Prozent der französischen Arbeitsplätze in unserer Unternehmensgruppe abgebaut. Ich hatte dabei zwar einige Probleme mit den Gewerkschaften, aber ich habe es getan. Und ich werde damit weitermachen.“5 Der BNP-Vorstandsvorsitzende wiederum hütete sich in seinem Propagandafeldzug für die SBP wohlweislich, Beschäftigungszusagen zu machen. Und in Anbetracht der Gelder, die ihr aus seiner Kasse zuflossen, zog es die französische Presse vor, die Ankunft der angelsächsischen „Marktdemokratie“ abzufeiern, statt störende Frage zu stellen. Auch Wirtschafts- und Finanzminister Dominique Strauss-Kahn, dessen Unterstützung der SBP-Fusion kein Geheimnis ist, hüllte sich in Schweigen, obgleich er einer Regierung angehört, die offiziell der Schaffung von Arbeitsplätzen höchste Priorität einräumt, insbesondere mit ihrem zweiten Gesetz zur 35-Stunden-Woche (siehe den Beitrag von Martine Bulard auf den Seiten 4 und 5).
Was soll bei der heutigen Überproduktion mit der enormen Menge an überschüssigem Kapital geschehen? Wo kann es investiert werden, und zu welcher Profitrate? Die amerikanischen Megabanken kennen dieses Dilemma, nach der explosionsartigen Entwicklung der Finanzmärkte in den letzten Jahren. Die Citicorp und die Chase Manhattan zum Beispiel weisen in ihrem letzten Quartalsbericht eine Eigenkapitalrendite von 24 Prozent aus. Die Strategien, mit denen Mega-Unternehmen einen Fall der Profitrate am ehesten verhindern können, sind (neben dem Rückkauf eigener Aktien) zum einen Fusionen und Übernahmen – sie belaufen sich seit Beginn der neunziger Jahre auf insgesamt über 7 000 Milliarden Dollar, mehr als das Bruttoinlandsprodukt der Vereinigten Staaten. Zum anderen die Strategie der Diversifizierung, wie sie etwa Citicorps mit dem Einstieg ins Versicherungsgeschäft praktizierte.
Das enorme Anwachsen der Pensionsfonds hat dieses Phänomen noch weiter beschleunigt. Die Beraterfirma InterSec Research beziffert die Aktiva dieser Fonds für 1998 auf weltweit 11 000 Milliarden Dollar und prophezeit bis 2003 einen Anstieg auf 15 000 Milliarden Dollar. Rund 10 Prozent des Portfolios der amerikanischen Pensionsfonds ist im Ausland investiert. Sie sind bei Fusionen und Übernahmen überall auf der Welt die Hauptprotagonisten; das gilt auch für die Übernahmekämpfe zwischen BNP und Société générale und zwischen Elf und TotalFina.
Erleichtert wurde dieser Raubbau am gesellschaftlich produzierten Reichtum durch die Deregulierungs- und Privatisierungswut der Welthandelsorganisation (WTO), die wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank als bloße Wurmfortsätze der internationalen Finanzmacht anzusehen sind. Auch die Einführung des Euro hat den Konzentrationsprozess durch die Abschaffung nationaler Währungssouveränität stimuliert. Der Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, Christian Noyer, höchstpersönlich hat diesen Zusammenhang hervorgehoben. „Die Entstehung eines einheitlichen europäischen Marktes wird zu einer Konzentration im Finanzsektor führen, und dieser Prozess wird früher oder später grenzüberschreitende Dimensionen annehmen.“6
Fusionen und Übernahmen sind für die Finanzwelt das letzte Mittel, um den deflationistischen Tendenzen in der Weltwirtschaft, das heißt dem sinkenden Preisniveau bei Rohstoffen und Fertigwaren zu begegnen – wobei die Mega-Unternehmen, nachdem lohnende Beute immer rarer wird, keinen anderen Ausweg sehen, als sich nun gegenseitig zu verschlingen. In der Automobilindustrie etwa sind die weltweiten Produktionskapazitäten derzeit nur zu zwei Dritteln ausgelastet – was freilich nicht verhindert, dass neue Produktionseinheiten entstehen. So plant Ford zum Beispiel, in Brasilien eine neue Fabrik zu errichten, mit einem öffentlichen Investitionszuschuss von 730 Millionen Dollar. In China liegt die Kapazitätsauslastung in der Industrie laut Economist bei nur 60 Prozent.7 Die weltweite Überproduktion drückt das allgemeine Preisniveau, die Gewinnmargen in der produzierenden Industrie tendieren gegen null.
Der transnationale Charakter der derzeitigen Kapitalkonzentration setzt sich hohnlachend über die vorhandenen, aber kaum genutzten demokratischen Kontrollmöglichkeiten hinweg. Die konformistischen Medien und Ökonomen stoßen sich in keiner Weise daran, dass die Entscheidung über das Schicksal eines Unternehmens und seiner Beschäftigten bei Großaktionären wie den Pensionsfonds liegt, deren Gesellschaftssitz mitunter tausende von Kilometern vom Ort des Geschehens entfernt gelegen ist.
Großes Geschrei erhebt sich hingegen, wenn eine Regierung, die im Prinzip ja dem Gemeinwohl verpflichtet ist, Vorbehalte zu äußern wagt. So löste es durchaus keinen Skandal aus – ja nicht einmal irgendwelche witzigen Kommentare –, als sich der Vorstandsvorsitzende der Société générale, Daniel Bouton, zu der Aussage verstieg: „Diese plötzliche Hexenjagd auf ausländische Aktionäre ist irgendwie absurd.“8 In den Augen der Wirtschaftsführer-Kamarilla, die kräftig am Fusionskarussell dreht, um ihren eigenen und den Profit einer Handvoll finanzstarker Investoren zu mehren, „wiegt“ in Sachen Shareholder-Value ein Aktionär in der Tat mehr als Millionen einfacher Bürger.
dt. Bodo Schulze
* Ökonom