Im Hinterland herrscht Selbstbedienung
Von COLETTE BRAECKMAN *
ZWEI Jahre nachdem der Bürgerkrieg Laurent-Désiré Kabila an die Macht gebracht hat, befindet sich das ehemalige Zaire in einer katastrophalen Lage. Unfähigkeit des Regimes, Menschenrechtsverletzungen, Rebellenfraktionen mit unterschiedlichen Interessen und Hutu-Flüchtlinge, die in den Völkermord in Ruanda verwickelt waren, provozieren eine chaotische Situation, von der sechs Staaten der Region auf die eine oder andere Weise tangiert werden. Ganze Provinzen stehen unter fremder Kontrolle. Hinter gediegnen Argumenten lauern hegemoniale Absichten und Begehrlichkeiten, die sich auf die Reichtümer des geschwächten Riesen Zentralafrikas richten.
In Kisangani, der verschlafenen Geisterstadt am Ufer des Kongoflusses, wo längst jedes Wirtschaftsleben erloschen ist, kündeten noch einige Grandhotels vom Glanz vergangener Zeiten. Als am 14. August dieses Jahres ruandische Granaten die wurmstichigen Gemächer dieser Paläste in Schutt und Asche legten und am Ende der Kämpfe, die 200 Menschenleben kosteten, eine der Rebellenfraktionen sich samt ihren ugandischen Schutztruppen in den Busch zurückziehen musste, verflogen auch die letzten Illusionen. Die Suche nach einer friedlichen Lösung in diesem Krieg, der die Demokratische Republik Kongo seit dem 2. August 1998 heimsucht und in den mindestens sechs afrikanische Regierungen verwickelt sind, erweist sich als schwieriger denn je.1
Die Kämpfe um Kisangani zeigten schlaglichtartig die Hilflosigkeit und Passivität der Kongolesen, die bei den von ihren Kriegsherren angezettelten Konfrontationen Zuschauer blieben. Die Granaten zerfetzten auch den Mythos von der Gesinnungsfreundschaft zwischen den ugandischen und ruandischen Machthabern. Zwischen Yoweri Museveni und Paul Kagame traten durch die Entwicklung der Lage im Kongo wirtschaftliche und politische Divergenzen zu Tage, die zu alten persönlichen Rivalitäten aus der Zeit ihrer Waffenbrüderschaft hinzukamen.2 Die Zwistigkeiten zwischen den drei kongolesischen Rebellengruppen, die als letzte das am 10. Juli 1999 ausgehandelte Friedensabkommen von Lusaka unterzeichneten, widerspiegeln diese Divergenzen. Zwar sind beide Männer entschiedene Gegner von Laurent-Désiré Kabila – den sie 1997 an die Macht brachten und dann im Sommer 1998 zu stürzen versuchten, weil er ihrem Einfluss entkommen wollte –, und beide betrachten den östlichen Kongo als ihr natürliches wirtschaftliches Hinterland. Doch ihre politischen Zielvorstellungen unterscheiden sich.
Der ugandische Präsident Museveni denkt pragmatisch: Er sieht, dass der Krieg viel kostet, dass die Kreditgeber allmählich ungehalten werden, da Uganda nach dem Beschluss der sieben wichtigsten Industrieländer (G 7) in den Genuss eines teilweisen Schuldenerlasses kommen sollte3 und dass die Kritik in der einheimischen Presse und im Parlament immer lauter wird. Er ist der Meinung, die Rebellion gegen Kabila müsse von den Kongolesen selbst getragen und wenigstens einigermaßen von der örtlichen Bevölkerung bejaht werden, die entsprechend zu mobilisieren und zu motivieren sei. Aus diesem Grund unterstützt er mehr oder minder tatkräftig den MLC („Mouvement pour la libération du Congo“), dessen Chef der Geschäftsmann Jean-Pierre Bemba ist. Der MLC operiert vor allem in Mobutus Heimatprovinz im Äquatorgebiet und wird von Generälen des früheren Regimes finanziert, die wieder an die Macht wollen. Bewaffnet ist Bemba, der die Brüsseler Restaurants besser kennt als die heimatliche Buschregion, allerdings nur mit einem Satellitentelefon, die Durchführung der militärischen Operationen überlässt er der ugandischen Armee.
Beistand und militärischen Schutz gewährt Museveni auch dem historischen Präsidenten der Rebellion, Ernest Wamba dia Wamba, einem Freund des kürzlich verstorbenen ehemaligen Präsidenten von Tansania, Julius Nyerere. Wamba, der an der Universität von Daressalam lehrte, war im August 1998 an die Spitze des Rassemblement Congolais pour la Démocratie (RCD) berufen worden; dieser entstand drei Wochen nach der Offensive, bei der ruandische und ugandische Truppen, unterstützt von kongolesischen Meuterern, versucht hatten, den selbsternannten Präsidenten Kabila zu stürzen. Doch Wamba dia Wamba und einige seiner Mitstreiter, die aus der Umgebung Kabilas kamen und auf eine Demokratisierung des Regimes in Kinshasa setzten, gingen mehr und mehr auf Distanz zu ihren ruandischen Beschützern und deren mobutistischen Gehilfen. Da der alte Professor schließlich um sein Leben fürchten musste, entfloh er seinen Leibwächtern und rettete sich nach Kisangani – d. h. er stellte sich unter den Schutz der ugandischen Armee!
Recht auf Verfolgung
SEITHER betont Wamba dia Wamba unablässig seine Bereitschaft, direkt mit Präsident Kabila zu verhandeln, und er traf sogar in Harare Simbabwes Präsident Robert Mugabe, den wichtigsten Verbündeten Kinshasas. Wamba, der sich nicht auf Kampftruppen stützen kann und ohne den ugandischen Schutz verloren wäre, hat in Lusaka für einige Verwirrung gesorgt, als er gleichzeitig mit der Goma-Gruppe, die ihn abgesetzt hatte, das Friedensabkommen unterzeichnen wollte. Durch diese doppelte Unterstützung hoffte Yoweri Museveni, zwei „Vertreter“ in der gemischten Militärkommission zu haben, die im Kongo praktisch die Macht übernehmen sollte, nachdem im Juli 1999 unter der Ägide der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) und auf Betreiben des US-amerikanischen Diplomaten Howard Wolpe das Friedensabkommen von Lusaka zustande gekommen war.
Dass Ruanda mit derselben Unnachgiebigkeit die von Goma aus operierenden Rebellen unterstützt, liegt daran, dass diese Gruppe, die von dem aus Katanga stammenden Dr. Emile Ilunga geführt wird und in der die Kongo-Tutsi äußerst einflussreich sind4 , für Kigali einen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Hebel darstellt, mit dem es eine Art mittelbare Kontrolle wenn nicht über den ganzen Kongo, so doch zumindest über den Osten des Landes ausüben kann. Ruanda beruft sich auf legitime Sicherheitsinteressen und verweist auf die ehemaligen Militärs und Milizen der Hutu, die den Völkermord von 1994 verübten und sich immer noch in der Demokratischen Republik Kongo aufhalten – schätzungsweise 10 000 bis 40 000 Mann, die sogar in den Regierungstruppen mitkämpfen sollen. Die Regierung von Kigali verlangt, dass diese Männer gefangen gesetzt und in ihr Land zurückgeschickt werden, wo sie bis zu ihrer Verurteilung oder ihrer Entlassung ins Zivilleben in Umerziehungslagern untergebracht werden sollen. Erst bei den Verhandlungen für das Lusaka-Abkommen wurde dieser Frage endlich Rechnung getragen, seither überdeckt sie allerdings andere Facetten des Problems.
Das Abkommen sieht vor, dass schnellstmöglich Militärbeobachter entsandt werden, eine gemischte, aus den kriegführenden Parteien zusammengesetzte Kommission gebildet sowie eine internationale Friedenstruppe auf der Grundlage von Kapitel 7 der UNO-Charta im Kongo stationiert wird, die alle rivalisierenden Rebellengruppen neutralisieren soll. Denn die ruandischen Extremisten sind längst nicht die einzigen: Es werden etwa zehn Organisationen aufgezählt, unter ihnen die burundischen Rebellen, die ugandischen Gruppen und sogar die angolanische Unita. Zumindest theoretisch sollte also das ehemalige Zaire von allen Rebellen gesäubert werden, die das Territorium zu Angriffen auf die Regimes der Region benutzen.
Praktisch nichts wurde hingegen zum Schutz der kongolesischen Bevölkerung selbst beschlossen, die den Krieg auf ihrem Boden schon sehr teuer bezahlt hat: Die Vereinten Nationen sprechen von 700 000 kongolesischen Flüchtlingen in den Nachbarländern und 300 000 Zivilisten, die innerhalb des Landes Schutz vor den Kriegshandlungen suchten. Außerdem kosteten wiederholte Vergeltungsaktionen der ruandischen und ugandischen Truppen unter der örtlichen Bevölkerung Tausende Menschenleben, so in Kassika, Makobola, Walungu, Masisi und Kamituga. Man weiß darüber hinaus auch von zahlreichen Vergewaltigungsfällen durch die kriegführenden Parteien, deren Soldaten häufig HIV-positiv sind.
Der Umsetzung des Friedensabkommens stehen auch praktische Hindernisse im Weg. Obwohl die UNO eine Friedenstruppe von 25 000 bis 50 000 Mann für erforderlich hält, zeigt kein Land die Bereitschaft, die Kosten zu tragen, Südafrika hat sein Angebot sogar auf 270 Mann reduziert. Hinzu kommt, dass der Vizepräsident Ruandas jeglicher mit welchem Mandat auch immer ausgestatteter UNO-Truppe von vornherein misstraut, da er sehr gut im Gedächtnis behalten hat, wie die Blauhelme 1994 die Zivilbevölkerung den Hutu-Milizen überließen. Er pocht auf eine Garantie, die es seinen Truppen erlaubt, Feinde bis auf kongolesisches Territorium zu verfolgen. Die Anwendung eines solchen Prinzips hätte freilich schwerwiegende Folgen in der Region, denn die für den Völkermord verantwortlichen Extremistengruppen befinden sich nicht nur im Kongo, viele von ihnen halten sich auch in Tansania, in der Zentralafrikanischen Republik und in anderen frankophonen Ländern Afrikas auf; ganz zu schweigen von den Netzwerken, die sich von Belgien, der Schweiz und von Kanada aus gebildet haben.
Aus dem Verhalten der ruandischen Truppen im Kongo wird aber deutlich, dass das von Kigali vorgebrachte Sicherheitsargument in Wirklichkeit nur noch ein Vorwand ist, der weit weniger noble Ziele kaschieren soll. Der an den Tutsi begangene Völkermord muss dafür herhalten, bei der internationalen Gemeinschaft Schuldgefühle zu erwecken und das wohlwollende Stillschweigen der USA zu erkaufen, wenn es darum geht, kongolesisches Gebiet zu erobern und die Bodenschätze unter Kontrolle zu bringen. Längst gehen die Operationen über die Verfolgung geflohener Hutu hinaus: Als im August 1998 der Versuch, Kabila abzusetzen, knapp scheiterte, startete die ruandische Armee, weit entfernt von ihren Basen im Kivu, eine gewagte luftgestützte Operation im Südwesten des Landes, wobei sie gemeinsam mit den Ugandern die Atlantikhäfen und den Staudamm von Inga besetzten. Mehrere Wochen lang war Kinshasa ohne Strom und Wasser, während Soldaten in der Hoffnung auf einen Aufstand gegen Laurent-Désiré Kabila in die Hauptstadt einsickerten. Der bedrängte Präsident rief die Bevölkerung zum Widerstand auf, wobei Lynchjustiz geübt und Verdächtigen brennende Autoreifen um den Hals gelegt wurden. Doch erst das militärische Eingreifen der Nachbarländer Simbabwe und Angola vermochte im letzten Moment die Offensive aus dem Süden zu stoppen und die Hauptstadt zu retten.
In der Folge setzten die Rebellen ihren Vormarsch aus den Ostprovinzen wieder fort, sie überschritten schon bald die Grenzgebiete des Kivu, in die sich die Interhahamwe-Milizen zurückgezogen hatten, und stießen auf Mbuji Mayi vor, die Hauptstadt des Kasai, dessen Diamantenminen Kabilas größte Einnahmequelle sind. Monatelang verwandten die von ruandischen Soldaten und Offizieren unterstützten Rebellentruppen mehr Energie darauf, die Bergbauregionen zu erobern und auszubeuten, als die Hutu-Kämpfer zu jagen, die sich angeblich in den Dienst des kongolesischen Präsidenten gestellt hatten. Monatelang hieß es, Mbuji Mayi stehe unmittelbar vor dem Fall, doch simbabwische und angolanische Truppen verteidigten erbittert die Stadt, denn der Verlust der Diamanten-Metropole hätte Kinshasa nicht nur von kriegswichtigen Einkünften abgeschnitten, er hätte auch die Vereinigung der Rebellen mit den Unita-Truppen ermöglicht, die sich im benachbarten angolanischen Gebiet befinden. Amerikanischer Druck soll schließlich die Ruander bewogen haben, nicht zum Angriff überzugehen. Ein militärischer Sieg hätte die politische Lage nur noch weiter kompliziert.
Alle Berichte besagen denn auch übereinstimmend, dass die Rebellen in den seit einem Jahr besetzten Gebieten äußerst unbeliebt sind. Die Bewohner des östlichen Kongo betrachten den RCD nicht nur als Besatzungsmacht und seine Führer als Opportunisten, sie müssen auch feststellen, dass die Rebellen noch schlimmer sind als das anerkanntermaßen unfähige und undemokratische Kabila-Regime: Die politischen Parteien dürfen sich in den besetzten Gebieten nicht betätigen, Verteidiger der Menschenrechte werden verfolgt oder zum Schweigen gebracht, die Beamten bekommen ihre Gehälter nicht, die Kassen der Staatsbetriebe werden zur Finanzierung des Aufstandes geplündert. Auch die von den Rebellen angeworbenen kongolesischen Soldaten beklagen sich, denn sie erhalten ihren minimalen Sold in der Landeswährung, während die gut versorgten ruandischen und ugandischen Soldaten in Dollar bezahlt werden.
Für Uganda und in noch stärkerem Maße für Ruanda ist der Osten des Kongo zum Hinterland geworden, dessen Bodenschätze man ausplündern darf. Die abgeschöpften Gewinne finanzieren den Krieg und sichern den Eliten an der Macht einen gehobenen Lebensstandard. So wurden in Kigali Gold- und Diamanten-Kontore eröffnet, und der Kaffee aus dem Nord-Kivu wird über Ruanda und Uganda exportiert. Die Begehrlichkeiten, die diese Bodenschätze in Kisangani, Mongwalu und Kilo Moto erwecken, sind mindestens genauso verantwortlich für die Zusammenstöße zwischen ruandischen und ugandischen Truppen wie die polititschen Gegensätze. Im Norden und Osten des ehemaligen Zaire haben sich die Ugander bereits so solide festgesetzt, dass sich der örtliche Armeekommandant die Freiheit herausnehmen konnte, eine neue Provinz mit dem Namen Kibale-Ituri zu schaffen, deren Gouverneur zu ernennen und die Grenze nach Uganda zu öffnen. In ähnlicher Weise wurde die Provinz Süd-Kivu zur Partnerprovinz der Stadt Kigali erklärt; die Grenze zwischen den beiden Ländern ist nur noch eine formale Trennlinie.
Auch sieht es danach aus, als beschränkten sich die wirtschaftlichen Absichten Ruandas nicht auf den Raub der leicht zugänglichen und verkäuflichen Edelrohstoffe wie Gold und Diamanten. Der Untergrund des Kivu birgt Mineralien, die in der High-Tech-Industrie (Elektronik, Raumfahrt, Nuklearmedizin) Verwendung finden, wie Niob (15 Prozent der Weltreserven liegen in Afrika, 80 Prozent davon im Kongo) oder mit Niob gebundenes Tantal, das in der Region Coltan heißt (80 Prozent der Tantal-Lagerstätten liegen in Afrika, 80 Prozent davon im Kongo). Diese seltenen Mineralien halten sehr hohe und sehr niedrige Temperaturen aus und werden für hoch duktile und widerstandsfähige Legierungen verwendet. Nach zahlreichen Berichten aus Kivu haben die Ruander unter dem Schutz des Militärs die Verkmarktung dieser Mineralien monopolisiert, und mehrere internationale Firmen haben Vertretungen in Kigali, so die in Maryland beheimatete Kenrow International of Gaithersburg.
Nutzungsrechte gegen militärische Unterstützung
DEM tansanischen Daily Mail vom 14. Januar 1999 zufolge sollen Vizepräsident Kagame und Kommandant James Kabare – letzterer war zeitweilig Kabilas Generalstabschef, bevor er das Lager wechselte – Anteile an mehreren Minengesellschaften (Littlerock Mining Ltd, Tenfields Holdings Ltd, Collier Ventures Ltd, Sapora Mining Ltd) sowie eine Import-Export-Firma (Intermarket) besitzen. Seit dem Ausbruch des ersten Kongokrieges, der zum Sturz von Marschall Mobutu führte, kamen mehrere Minengesellschaften ins Gerede, weil sie als Gegenleistung für günstige Verträge im Osten der Republik Kongo Militäroperationen finanzierten: die US-amerikanische Barrick Gold Corporation (zu deren Aktionären der ehemalige Präsident George Bush zählt), die vom israelischen Exgeneral David Agmon geleitete australische Russel Ressources, die österreichische Krall-Gruppe, die kanadische Banro American Ressources.
Einige dieser Gesellschaften hatten zunächst Verträge mit der Comiex, einer Import-Export-Firma, die Laurent-Désiré Kabila gehörte, als er noch Chef einer Guerilla-Truppe war, und mit der er seine Rebellion finanzierte. Später wurde in Goma eine andere Firma namens Gomex gegründet, die die Bodenschätze des Kivu vermarkten sollte. Mehrere ruandische Banken stellten in Form von revolving funds (mit Rohstoffen rückzahlbare Darlehen) das Startkapital zur Verfügung; ein erster Kredit von 10 Millionen Dollar soll das Grundkapital für eine Rebellion gewesen sein, die sich zu rentieren beginnt.
Dieses Ausplündern der kongolesischen Ostprovinzen durch die Nachbarstaaten, die von außerhalb Afrikas Unterstützung erhalten, verträgt sich natürlich nicht mit dem Wiederaufbau eines funktionierenden Zentralstaates. Dagegen passt es exakt ins Schema der vor allem in Nordamerika vertretenen These, der Kongo sei durch seine Größe und Heterogenität unregierbar und er könne oder solle implodieren, damit eine lockere Föderation von Provinzen oder eine Konstellation von Kleinstaaten entsteht, die zu den Anliegerstaaten engere Beziehungen hätten als zu einer erheblich geschwächten Zentralmacht. Ruanda, Uganda und, in geringerem Ausmaß, Angola und Südafrika erhielten damit eine Art Protektorat über ihre kongolesischen Nachbarn und in bestimmten Provinzen auch ein Mitspracherecht.
Solche Pläne, über die in der amerikanischen Presse und in den Regierungskreisen von Kigali und Kampala ganz offen diskutiert wird, begegnen natürlich dem Widerstand der Machthaber in Kinshasa. Für die kongo-zairischen Regierungen, wer auch immer sie stellt, zählen andere Realitäten: die Stimmung in der Bevölkerung, bei der die Einheit des Landes einen hohen Stellenwert hat, ein sich auf Patrice Lumumba, aber auch auf das Erbe der Mobutu-Zeit berufender Nationalismus, der manchmal chauvinistische Züge annimmt, ein tiefes Misstrauen gegen die Nachbarländer und die Ausländer allgemein, einschließlich der UNO, deren üble Rolle in den ersten Jahren der Unabhängigkeit nicht vergessen ist.5
Vor Ort mit diesen Zwängen und Realitäten konfrontiert, blieb Kabila schon 1997 bei seinem Einzug in Kinshasa praktisch keine andere Wahl, als seine bisherigen Verbündeten vor den Kopf zu stoßen. Als der neue Präsident den Wiederaufbau des Staates in Angriff nahm (Neuverhandlung der Minenverträge, Steuereintreibung, Einführung einer harten Landeswährung und Abkehr von den Fremdwährungen im täglichen Geschäftsverkehr), galt dies als Undank bei den Nachbarn, die weiterhin die Dividenden ihres militärischen Engagements einzutreiben gedachten. Der anfängliche Dilettantismus des Regimes, die zu bewältigenden Schwierigkeiten, der fehlende Kontakt zur inneren Opposition und zu den zivilen Strukturen der Gesellschaft (denen die neuen Machthaber, die aus dem Ausland oder einer mit den örtlichen Kräfteverhältnissen nicht vertrauten Diaspora kamen, mit Misstrauen begegneten), die Menschenrechtsverletzungen, die Suspendierung der politischen Aktivitäten: all das untergrub den Machtanspruch Kabilas, der überdies für die Massaker an Hutu-Flüchtlingen verantwortlich gemacht wurde, die in Wirklichkeit von Truppen begangen wurden, die ihre Befehle aus Kigali erhalten.6
Einige Entscheidungen brachten den Präsidenten bei seinen Ziehvätern und beim Westen zusätzlich in Misskredit: Er entzog ruandischen und ugandischen Geschäftsleuten ihre Privilegien, schloss mit der simbabwischen Rüstungsindustrie gewichtige Verträge ab, übertrug die Kontrolle der Gecamines einer vom weißen Simbabwer Billy Rautenbach geführten Gesellschaft und holte malaysische Holzhändler ins Land, die nun den ugandischen Händlern (unter anderen einem Halbbruder von Präsident Museveni) Konkurrenz machen. Noch schwerer wog, dass er einer chinesischen Gesellschaft die Ausbeutung der Kobaltvorkommen antrug und mit Nordkorea die Entsendung von 350 Militärberatern gegen eine Beteiligung am Uranabbau in Katanga aushandelte.
Solche Aussichten – Abbaugenehmigungen für Staaten, die im Westen als Paria gehandelt werden, Süd-Süd-Verträge mit Simbabwe, Namibia (Kobaltabbau), Malaysia oder gar Kuba – verstärkten in den USA das Misstrauen gegen diesen Präsidenten, der einmal ihre Unterstützung hatte, dann aber untragbar wurde. Als im August 1998 Simbabwe, Angola und Namibia zugunsten Kabilas militärisch einschritten, waren Ruanda und Uganda perplex und Washington, das die Absetzung des Störenfrieds befürwortet hatte, ratlos.
Das mit einem militärisch angeschlagenen Präsidenten und enttäuschten Bündnispartnern ausgehandelte Friedensabkommen von Lusaka (das die Resolution 1234 des UNO-Sicherheitsrates missachtet, in der ausdrücklich von einer Aggression gegen die Demokratische Republik Kongo die Rede ist) ist in Wirklichkeit die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln: Die Zentralmacht soll geschwächt, das ehemalige Zaire zum Vasall degradiert und die faktische Teilung festgeschrieben werden. In den Vereinbarungen ist vorgesehen, dass der Rückzug der ausländischen Streitkräfte erst sechs Monate nach dem erfolgreichen Abschluss innerkongolesischer Gespräche erfolgen soll, und niemand weiß, wie sich die Zentralregierung in jenen 40 Prozent des Territoriums durchsetzen soll, in denen die Rebellen die lokale Verwaltung kontrollieren, offizielle Papiere ausstellen und eigenmächtig Provinzen neu aufteilen.
Die Verträge postulieren auch die Aufteilung der Verantwortung zwischen der Regierung in Kinshasa und den bei der Bevölkerung vielfach als verlängerter Arm der Besatzer geltenden Rebellengruppen, wogegen die verschämt als „nicht angefordert“ bezeichneten ausländischen Truppen (d. h. die Aggressoren) in einer gemischten Militärkommission mitwirken und einen prekären Waffenstillstand überwachen helfen sollen. Doch einerseits ist die kongolesische Armee im Aufbau begriffen und wenig kampfbereit, andererseits tauchen schon wieder neue Gruppen auf, die in den Verträgen nicht vorkommen und den mühselig errungenen Kompromiss in Frage stellen: Mehrere Ethnien des Kivu (Bahunde, Bashi) schicken ihre jungen Männer zu den Mayi-Mayi – Stammesmilizen, die gegen die fremde Besatzung kämpfen und bei der Bevölkerung trotz ihrer Disziplinlosigkeit und ihrer Raubzüge zunehmend als Patrioten gelten.
Auch wenn das Abkommen von Lusaka die ruandischen Forderungen weitgehend berücksichtigt, von den diversen Rebellenfraktionen, die sich durch persönliche Konflikte sowie Interessen- und Strategiestreitigkeiten immer weiter auseinander bewegen, wurde es nur widerstrebend akzeptiert. Niemand glaubt ernsthaft daran, dass sich alle fünfzig Einzelpersonen, die das Dokument unterschrieben haben, dauerhaft an ihre Zusagen halten werden.
Die Anwendung des zweiten Teils des Abkommens könnte Präsident Kabila etwas mehr Handlungsspielraum verschaffen. Dieser politische Teil sieht die Eröffnung eines nationalen Dialogs vor, an dem nicht nur die militärische, sondern auch die zivile Opposition, d. h. die wieder zugelassenen politischen Parteien, beteiligt werden sollen. Letztere haben es allerdings nicht eilig, ihre Zulassung offiziell zu beantragen, weil sie Kabila misstrauen und einige von ihnen auf den militärischen Sieg der Rebellen gesetzt haben. Die religiöse Gemeinschaft Sant'Egidio und ein Vertreter der Frankophonie wollen dafür sorgen, dass auch Vertreter der zivilen Stände am Dialog teilnehmen können.
Bei diesem Dialog werden sich zwei Auffassungen gegenüberstehen, in deren Zentrum wiederum die Souveränität des Landes steht. Präsident Kabila und seine Anhänger wollen so schnell wie möglich Wahlen organisieren. Sie hoffen dabei natürlich zu gewinnen, und um sicherzugehen, haben sie Volkskomitees geschaffen, die auf lokaler Ebene mit praktischen Aufgaben wie der Wiederherstellung von Straßen betraut sind, die aber auch als Transmissionsriemen für die Machthaber funktionieren. Das Abkommen von Lusaka, in dem sich die Rebellen in wichtigen Punkten durchgesetzt haben, sieht eine Übergangsperiode mit einer „Regierung der Nationalen Einheit“ vor, in der Kabila und seine Leute nur eine Komponente unter anderen sind, neben ehemaligen Mobutisten und neben Vertretern der Interessen Kigalis oder Kampalas. Sollte es dazu kommen – es läge in der Linie des 1990 von Marschall Mobutu angekündigten politischen Übergangs –, müsste die Bevölkerung noch länger auf das Recht warten, ihre Regierung frei zu wählen.
Alles deutet bereits darauf hin, dass die mühsam ausgehandelten Vereinbarungen von Lusaka nicht eingehalten werden und dass der unberechenbare Kongo den Zauberlehrlingen, die ihn sich dienstbar machen wollten, eine weitere böse Überraschung bescheren wird. Er wird sie lehren, dass dieses große Becken hundert Jahre nach der Grenzziehung durch die Kolonialmacht nicht nur eine potentielle Beute ist, sondern auch ein Volk beherbergt, das sich trotz aller Verschiedenartigkeit inzwischen als Nation begreift. In absehbarer Zukunft wird Ruanda vielleicht einsehen müssen, dass eine demokratisch gewählte kongolesische Regierung die Sicherheit seiner Grenzen weit besser gewährleistet, als seine Besatzungstruppen es vermögen, die durch ihre bloße Anwesenheit und ihr Verhalten neue Feindseligkeiten und neuen Hass heraufbeschwören.
dt. Josef Winiger
* Journalistin bei „Le soir“ (Brüssel). Verfasserin u.a. von „L'enjeu congolais“, Paris (Fayard) 1999.