Bildung statt Waffen
Von RAMÓN-LUIS ACUÑA *
BÜRGER der Welt, hört auf, euch gegenseitig umzubringen!“ So könnte die – inoffizielle – Devise der Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur der Vereinten Nationen (Unesco) lauten, die am 12. November 1999 formell ihren neuen Generaldirektor wählt.1
Ziel dieser am 4. November 1946 gegründeten Sonderorganisation der UNO mit Sitz in Paris ist eine engere Zusammenarbeit unter den Völkern durch die Entwicklung von Bildung und Erziehung. Sie widmet sich vor allem der Alphabetisierung, der Verbreitung der (kostenlosen) Schulpflicht, der Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund von Rasse, Religion oder Geschlechtszugehörigkeit; sie fördert die wissenschaftliche Forschung, pflegt und erhält das Kulturerbe der Menschheit und engagiert sich, nicht zuletzt, für eine Kultur des Friedens.
Was darunter zu verstehen ist, wurde 1995 definiert: eine „auf den Prinzipien der Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie, Toleranz und Solidarität gründende Kultur des Zusammenlebens und Teilens. Diese Kultur widersetzt sich der Gewalt, bemüht sich, Konflikten im Keim vorzubeugen und Probleme durch Dialog und Verhandlungen zu lösen. Sie sichert allen die volle Ausübung ihrer Rechte und die Mittel, an der endogenen Entwicklung der Gesellschaft voll teilzuhaben.“2
In dieser Hinsicht war 1999 ein besonders schmerzliches Jahr, wurde es doch von vielen ernsten Konflikten überschattet, vor allem von denen im Kosovo, in Osttimor und Tschetschenien.
„Diese Kriege mit ihren grausigen Begleiterscheinungen sind eine Niederlage für die Unesco und die ganze Menschheit“, sagt Generaldirektor Federico Mayor, dessen zweite Amtszeit nach zwölf Jahren nun zu Ende geht. „ Sie sind außerdem ein Rückschlag für den kulturellen Auftrag unserer Generation. Eine schwere Enttäuschung für alle, die nicht nur nach mehr Frieden streben, sondern auch nach mehr Ethik und Harmonie unter den Bewohnern der Erde.“
Unser Planet ist nach wie vor bis an die Zähne bewaffnet. Trotz verschiedener Abrüstungsabkommen geben die Staaten der Erde insgesamt für ihre Verteidigung jährlich 826 Milliarden Dollar aus. Die USA und Russland besitzen noch über 36 000 Nuklearsprengköpfe, die unseren Planeten gleich mehrmals in die Luft sprengen könnten. Zwar haben mit Beendigung des Kalten Krieges die weltweiten Militärausgaben zwischen 1987 und 1994 um durchschnittlich 3,6 Prozent abgenommen und lagen 1997 nur noch bei 2,6 Prozent des Bruttosozialprodukts aller Staaten. Aber diese Ausgaben beliefen sich 1998 immer noch auf fast 2,5 Milliarden Dollar pro Tag. Für Triumphgefühle besteht also kein Anlass, zumal die militärischen Ausgabekürzungen der reichen Länder nicht etwa der Entwicklung der ärmsten Länder, sondern häufig als Steuergeschenke den begüterten Schichten im eigenen Lande zuflossen. Im Schnitt halten die Verteidigungshaushalte den hohen Stand der ausgehenden siebziger Jahre.
Seit dem Ende des Kalten Krieges wurde zudem der Weltmarkt mit Waffen überschwemmt, die in beiden Blöcken überflüssig geworden waren und deshalb zu Schleuderpreisen angeboten wurden. Von 1988 bis 1997 erhöhte Asien seine Militärausgaben um 26 Prozent, der Nahe Osten um 9 Prozent, Lateinamerika um 14 Prozent und Nordafrika um 46 Prozent. Für Waffenkäufe geben meist gerade jene Länder die höchsten Summen aus, die am dringendsten in ihre Entwicklung investieren sollten. Diese Gelder werden dringend für andere Zwecke benötigt: für das Erziehungwesen, für Investitionen in die Infrastruktur – die für die ökonomische Entwicklung entscheidend ist – für den Ausbau der Kommunikationsmittel, für die Erhaltung der natürlichen Umwelt und für kulturellen Fortschritt.
Die Vereinigten Staaten, die der Unesco nicht mehr angehören3 , haben kürzlich beschlossen, ihren Verteidigungshaushalt um 4,2 Prozent zu erhöhen, nämlich um 110 Milliarden bis zum Jahre 2005. Gleichzeitig verringern sie laufend ihre Entwicklungshilfe für die ärmsten der armen Länder. Federico Mayor schreibt in seinem neuen Buch: „In den Entwicklungsländern ist das Risiko, aufgrund von sozialpolitischen Defiziten (Unterernährung und mangelnde Prophylaxe) zu sterben, dreiunddreißig Mal größer als die Gefahr, das Leben in einem von außen begonnenen Angriffskrieg zu verlieren. In diesen Ländern kommen auf einen Arzt durchschnittlich zwanzig Soldaten, die auch noch häufig gegen die eigene Bevölkerung kämpfen. Zu Beginn des Jahrhunderts waren 90 Prozent der Kriegsopfer Soldaten, heute sind 90 Prozent der Kriegsopfer Zivilisten.“4
Seit 1945 starben in Kriegen und bewaffneten Auseinandersetzungen mehr als zwanzig Millionen Menschen. Und zahllose Kinder dieser Welt wurden Opfer barbarischer Verstümmelungen. Laut Expertenschätzungen sind weltweit 65 bis 110 Millionen Antipersonenminen verlegt. Sie verursachen jährlich den Tod oder die Verwundung von circa 26 000 Menschen. Allein in Angola liegen mehr als 10 Millionen Minen, so viel wie das Land Einwohner hat. Nach Angaben von Handicap International haben Landminen seit zwanzig Jahren fast eine Million Menschen umgebracht, darunter 600 000 Zivilpersonen. Splitterminen, der am meisten verbreitete Minentyp, verstümmeln die Opfer, wenn sie nicht sofort tot sind oder verbluten, häufig so schwer, dass sie lebenslang zu Krüppeln werden.
1997 erhielt die von Jody Williams geführte Internationale Kampagne zum Verbot von Landminen, der über tausend regierungsunabhängige Organisationen angehören, den Friedensnobelpreis. Zahlreiche Länder haben sich seitdem verpflichtet, ihre Landminen zu vernichten. Doch einige große Staaten, darunter die USA, haben dies unter Berufung auf ein veraltetes Sicherheitskonzept verweigert. Zu hoffen ist, dass der in diesem Jahr an „Ärzte ohne Grenzen“ verliehene Nobelpreis ebenfalls positive Anstöße gibt.
Nach Federico Mayor muss der Begriff Sicherheit neu gefasst werden, und zwar nicht im Sinne der Abwehr gegen einen bewaffneten Angriff. „Es ist von nun an absurd, Unsummen auf den Kauf von Waffen gegen häufig nicht mehr existente Bedrohungen zu verwenden und dafür Ressourcen einzusetzen, mit denen man dem Viertel der Weltbevölkerung, dem es an den nötigsten Gütern und Dienstleistungen fehlt, das Leben erleichtern könnte.“5
Um den Frieden dauerhaft zu sichern, ist die Erziehung der entscheidende Faktor. Das betonte schon Leon Blum 1946 bei der Londoner Konferenz, aus der die Unesco hervorging: „Eine entschieden auf Frieden ausgerichtete Erziehung muss im Zentrum all unserer Bemühungen stehen.“
Nimmt man als Kriterium das Verhältnis zwischen jährlichen Militärausgaben und Ausgaben für Erziehung und Gesundheit – welche beiden Länder standen dann im Jahr 1980 an der Spitze der Militarisierung? Auf dem ersten Platz liegt der Irak (8 zu 1), gefolgt von Somalia (5 zu 1). Es verwundert daher kaum, dass diese beiden Staaten in den achtziger Jahren die eigene Bevölkerung ebenso wie die der Nachbarstaaten in kriegerische Abenteuer mit höchst tragischen Folgen verstrickt haben.
Wie viel geben die Entwicklungsländer für Rüstungsgüter aus? Die Vereinten Nationen schätzen diese Ausgaben allein für das Jahr 1994 auf insgesamt 125 Milliarden Dollar.6 Dabei würden 12 Prozent dieser Summe ausreichen, um eine gesundheitliche Grundversorgung für alle zu finanzieren, alle Kinder zu impfen, die schlimmsten Formen von Unterernährung zu beseitigen und die weniger schlimmen zu mildern sowie alle Menschen mit Trinkwasser zu versorgen. Mit 8 Prozent dieser Summe könnte man „ allen Paaren, die es wünschen, eine Grundversorgung in Familienplanung anbieten, damit sich die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2015 stabilisiert.“ Mit 4 Prozent dieser 125 Milliarden könnte man „das Analphabetentum bei Erwachsenen um die Hälfte reduzieren, den Lehrstoff der Grundstufe universell vermitteln und den Frauen eine Erziehung auf dem für die männliche Bevölkerung gängigen Niveau zukommen lassen“7 . 1997 haben die Entwicklungsländer für Waffenkäufe dreimal so viel ausgegeben, wie eine schulische Grundbildung für alle Kinder kosten würde.
Was als Friedensdividende bezeichnet wird, wäre letztendlich die Entwicklung selbst und die Freiheit, die sich aus ihr ergibt. Wenn die Unesco eine Kultur des Friedens preist, muss sie von den ärmsten Ländern den Einstieg in eine bessere Zukunft fordern. Diese Länder müssten also statt auf den Krieg in Zukunft auf die Intelligenz und das Wohlergehen ihrer Bürger setzen: durch Bildung, Versorgung und Aussicht auf bessere Lebensbedingungen.
dt. Margrethe Schmeer
* Schriftsteller und Journalist