Was der Brotpreis im Iran mit dem Atomprogramm zu tun hat
von David Motadel
Der alte Bootsverleiher in der südiranischen Hafenstadt Buschehr schimpft auf die Ausländer: „Auf die ist kein Verlass.“ Wieder sind zwei Jetskis überfällig, die er zwei blonden bleichhäutigen Männer ausgeliehen hat. Als die das Gerät endlich abgeben, drücken sie dem Alten ein Bündel Dollarnoten in die Hand, Trinkgeld inbegriffen.
100 Dollar kostet eine halbstündige Spritztour auf dem Golf. Die beiden Männer sind russische Atomingenieure, die am ersten iranischen Reaktor Buschehr arbeiten. Moskau erhielt 1995 von Teheran den Auftrag zum Bau der zwei Leichtwasserreaktoren. Mit dem Bau des Kraftwerks hatten bereits 1975 deutsche Siemens-Ingenieure begonnen. Nach dem Sturz des Schahs 1979 gab Siemens auf Druck der USA das unvollendete Projekt auf. Auch die Russen hatten es nicht eilig. Der erste Block des Kraftwerks sollte längst in Betrieb sein. Die iranische Führung drängt massiv, die Anlage fertig zu stellen, während der Druck auf das Regime wegen ihres Atomprogramms täglich stärker wird.
Israel und die USA werfen der islamischen Republik vor, heimlich nach Atomwaffen zu streben, während Teheran den friedlichen Charakter des Atomprogramms beteuert. Nachdem Verhandlungen über die Urananreicherung zwischen der EU und Iran gescheitert sind, beschloss der UN-Sicherheitsrat im Dezember einstimmig begrenzte Sanktionen gegen Iran. Präsident Ahmadinedschad kündigte an, man werde sich der Resolution nicht beugen, die nur ein „Fetzen Papier“ sei.
Die Sanktionen beziehen sich auf die Urananreicherung, die chemische Wiederaufbereitung, auf Schwerwasserprojekte und die Herstellung von Trägermitteln für Atomwaffen. Die EU will jetzt auch noch die Ausnahmen beseitigen, die der Sicherheitsrat zugelassen hat, um die Zustimmung Moskaus zu sichern. Auf russischen Druck hin sind bei einigen Gütern die Exportentscheidung den einzelnen Regierungen überlassen, damit können die russischen Ingenieure am Atomreaktor in Buschehr zunächst weiterarbeiten.
In Buschehr sind die russischen Ingenieure wenig beliebt. „Die Russen benehmen sich wie die Könige“, klagt der Taxifahrer Mahmud Hasani. Gegen die Atommachtambitionen seiner Regierung hat er jedoch nichts. „Der Westen will nur verhindern, dass Iran zur Großmacht wird.“ So denken viele. Die Führung in Teheran macht das Thema zu einer Frage des Nationalstolzes. Ahmadinedschad behauptet, der Westen gönne den iranischen Atomforschern ihre Erfolge nicht – ohne die Russen in Buschehr zu erwähnen.
„Die Amerikaner können uns nicht mehr stoppen“, sagt Mahmud und zeigt auf einen Hügel, wo sich die Silhouette eines Flugabwehrgeschützes abzeichnet. Buschehr gleicht einem Militärstützpunkt. Trotz heftiger Proteste der USA lieferte Russland erst vor wenigen Wochen 30 Luftabwehrsysteme vom Typ Tor-M1 und will die russischen SU-24- und MiG-29-Kampfflugzeuge der iranischen Luftwaffe modernisieren.1 Teheran hofft damit, seine Atomanlagen vor amerikanischen oder israelischen Angriffen schützen zu können.
Ein US-Experte für seegestützte Luftangriffe
Inzwischen häufen sich die Anzeichen, dass die USA und Israel einen militärischen Konflikt mit Teheran ins Auge fassen. Die Sunday Times berichtete bereits zum zweiten Mal, dass Israel die Bombardierung iranischer Atomanlagen mit taktischen Nuklearwaffen plane.2 Die USA verstärken die Militärpräsenz im Nahen Osten. In Kürze wird ein kompletter Kampfverband um den Flugzeugträger USS Stennis im Persischen Golf eintreffen und damit die Kampfkraft der USA vor der iranischen Küste verdoppeln.3 Auch Minenräumschiffe sind bereits vor Ort. Gleichzeitig verlegt Washington Patriot-Abwehrraketen in die Region, um Verbündete vor iranischen Vergeltungsangriffen zu schützen.
Bedeutsam sind zwei weitere Indizien: General John Abizaid, der Verhandlungen mit dem Iran befürwortet hat, wurde als Oberkommandierender von Central Command, der US-Befehlszentrale für den Nahen und Mittleren Osten, durch Admiral William Fallon abgelöst, der ein Experte für die Organisation von seegestützten Luftangriffen ist. Und in der nordirakischen Stadt Erbil nahmen US-Truppen fünf Iraner fest, die schiitische Milizen mit Geld und Waffen versorgt haben sollen. Diesen ersten direkten Angriff auf iranisches Personal im Irak unterfütterte US-Außenministerin Condoleezza Rice mit der Ankündigung einer „breit angelegten militärischen Offensive gegen iranische Kräfte, die im Irak operieren“.
Die Drohgebärden aus Washington gelten einer iranischen Führung, die innenpolitisch stark unter Druck geraten ist. Der außenpolitische Konfrontationskurs Ahmadinedschads gilt hier als gescheitert. Der Präsident setzte im Atomstreit auf Russland und China und hoffte auf den Widerstand der beiden Vetomächte gegen Sanktionsbeschlüsse im UN-Sicherheitsrat. Dieses Kalkül ist nicht aufgegangen, denn die ökonomischen Interessen Russlands und Chinas an den USA und der EU sind gewichtiger als die am Iran. Auch die von Ahmadinedschad als Folge von UN-Sanktionen angekündigte Explosion des Ölpreises ist ausgeblieben. Der Ölpreis bewegt sich im Gegenteil nach unten, unter anderem als Resultat einer bewussten Preispolitik der Saudis.4
Der Präsident hat dadurch im Iran enorm an Glaubwürdigkeit verloren. Iranische Politiker jeder Couleur, die lange geschwiegen hatten, werfen Ahmadinedschad nun vor, in der Atomfrage versagt zu haben. Die beiden ehemaligen Präsidenten Akbar Haschemi Rafsandschani und Mohammed Chatami mahnten Ahmadinedschad zur Besonnenheit. Rafsandschanis Bruder Mohammad Haschemi, ehemals Leiter des staatlichen Rundfunks und Fernsehens, forderte, nun sollten „kompetente und moderate Menschen“ die Verhandlungen übernehmen, um den Iran vor einer Katastrophe zu bewahren.
Der Kritik der Politiker schlossen sich einflussreiche konservative Zeitungen an. Selbst das bisher regierungstreue Blatt Hamschahri beschuldigte den Präsidenten, die Krise verschärft zu haben. Und das konservative Blatt Jomhuri Islami warf ihm vor, seine Ankündigungen und Reden seien widersprüchlich und ihr Tonfall „so widerwärtig und unbeherrscht, dass die internationale Öffentlichkeit völlig unnötig den Eindruck von Feindseligkeit gewinnt“. Das Blatt, das seit einiger Zeit Rafsandschani nahesteht, erteilte einen „letzten Ratschlag des Volkes“ an dessen Nachfolger Ahmadinedschad: „Hören Sie endlich auf mit dem Phrasendreschen und den Pöbeleien, mit denen Sie sich bisher hervorgetan haben, und beginnen Sie in Zukunft mit dem Nachdenken, bevor Sie reden. Schließlich geht es um die Zukunft unserer Kinder.“
Das Establishment im Gottesstaat fürchtet die drohenden wirtschaftlichen Sanktionen. Der UN-Sicherheitsrat hat Teheran eine Frist bis zum 21. Februar gesetzt. Sollte Teheran bis dahin seine Urananreicherung nicht einstellen, droht Teheran ein umfassendes wirtschaftliches Embargo. Der Auswärtige Ausschuss des iranischen Parlaments forderte bereits im September die Regierung auf, Sanktionen unbedingt zu verhindern. Ein Embargo werde einen Großteil der Bevölkerung treffen und die islamische Republik langfristig deutlich schwächen.
Doch Washington arbeitet schon seit Monaten daran, Teheran wirtschaftlich zu isolieren. So stufte das US-Finanzministerium die älteste iranische Bank Sepah als Helferin bei der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen ein und untersagte US-Firmen, Geschäfte mit der Bank zu tätigen. Schon 2006 hatten die USA die iranische Bank Saderat auf die schwarze Liste gesetzt.
Auf Druck der USA haben mittlerweile mehrere internationale Banken ihre Transaktionen an iranische Geldinstitute gestoppt.5 Auch DaimlerChrysler zieht sich aus dem Iran zurück, obwohl man bis vor kurzem noch die iranische Polizei ausgerüstet hat, dasselbe gilt für südkoreanische Autokonzerne. Auch in China drängen die USA darauf, geplante Milliardengeschäfte zur Erschließung iranischer Öl- und Gasfelder aufzugeben. Dabei ist Teheran gerade auf dem Öl- und Gassektor in den kommenden Jahren auf massive internationale Investitionen angewiesen. Ihr Stopp kann dem Land erheblich schaden, beruht doch die gesamte Fiskalpolitik auf den Öleinnahmen.
Präsident Ahmadinedschad hatte vor seiner Wahl versprochen, die Gewinne aus dem Ölgeschäft an die Armen weiterzuleiten. Doch nach anderthalb Jahren sind Armut und Arbeitslosigkeit ungebrochen. Im vergangenen Jahr kam es in verschiedenen Provinzen zu Arbeiterprotesten wegen nicht ausbezahlter Gehälter. In Teheran wurde der Streik der Busfahrergewerkschaft Sherkate Vahed niedergeschlagen und Gewerkschaftsführer Mansur Osanlo wiederholt verhaftet.
Die Regierung bemüht sich, die wirtschaftliche Lage durch Förderprogramme und Subventionen zu stabilisieren. Das mit jährlich 12 Milliarden Euro subventionierte Benzin kostet weniger als Flaschenwasser. Allein für die Subventionierung von Brot gibt der Staat jährlich über 2 Milliarden Euro aus. Das Geld dafür produziert die Notenpresse, wodurch die Inflation angeheizt wird. In Teheran kann man den Preisanstieg wöchentlich, bei einigen Produkten sogar täglich registrieren. Die Lebensmittelpreise sind in den vergangenen acht Monaten um etwa 30 Prozent gestiegen, die Preise für Gemüse um das Dreifache. Viele Iraner mussten ihre Ausgaben bereits deutlich einschränken. Der Rückgang der Konsumnachfrage kündigt einen generellen Konjunkturabschwung an.
Unter den Politikern wächst die Furcht vor sozialen Unruhen. Reformer wie Konservative werfen dem Präsidenten vor, zu wenig zur Stabilisierung der Wirtschaft getan zu haben. Die Regierung habe weder das Wohnungsproblem noch die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpft, kritisierte Mohammad Khoshchehreh, prominentes Mitglied im Wirtschaftsausschuss des Parlaments. Und die Korruption könne man nicht mit Parolen bekämpfen. Der konservative Abgeordnete fordert sogar die Gründung einer unabhängigen Parlamentsfraktion als Gegengewicht gegen die Fundamentalisten.
Kritik aus den Moscheen an der Wirtschaftspolitik
Einige angesehene Politiker forderten die Regierung auf, die ausstehenden Gehälter der iranischen Arbeiter und Angestellten auszuzahlen, statt die palästinensische Autonomiebehörde und die irakische Regierung zu finanzieren. Obwohl das Parlament noch von den Anhängern Ahmadinedschads dominiert wird, hat es die Ablösung des Sozialministers und des Ministers für die Genossenschaften erzwungen. 150 Abgeordnete forderten die Regierung auf, ihren Haushaltsentwurf für das kommende Jahr zu überarbeiten.
Kritik an der miserablen Wirtschaftspolitik und der rasant steigenden Inflation hagelt es auch in den Moscheen. In Teheran forderte Ahmad Dschannati, Vorsitzender des Wächterrats, einen energischen Kampf gegen die Inflation. Und der einflussreiche Freitagsprediger von Schemiran, Mohsen Doagoo, prophezeite, eine Politik der „leeren Versprechungen und Parolen ohne Berücksichtigung der Regeln und Mechanismen der Wirtschaft“ werde mit einer politischen Niederlage enden.
Die Freitagsprediger werden von Revolutionsführer Chamenei persönlich ernannt. Ihre Kritik an der Regierung lässt auf eine kritischere Haltung des Revolutionsführers gegenüber Ahmadinedschad schließen. Ein enger Freund Chameneis, der ultrakonservative Mohammed Gharavi, Sprecher der Geistlichkeit in Ghom, verkündete in seiner Freitagspredigt, dass das Vertrauen der Geistlichkeit in die Regierung Ahmadinedschads schwinde.
In Teheran hört man immer häufiger die Meinung, Ajatollah Chamenei habe erkannt, dass mit den Radikalen keine echte Politik zu machen und die Zeit für eine pragmatischere Politik gekommen sei. Deshalb habe er bereits bei den im Dezember abgehaltenen Kommunalwahlen und den gleichzeitigen Wahlen zum Expertenrat, der als höchstes Gremium im Gottesstaat den Revolutionsführer ernennt und kontrolliert, den als konservativen Pragmatiker geltenden Haschemi Rafsandschani favorisiert, der Ahmadineschad bei den Präsidentenwahlen 2005 noch unterlegen war. Die Fraktion der radikalen Islamisten um Ahmadinedschad erlitt in beiden Wahlen eine herbe Schlappe – eine Quittung eher für die wirtschaftliche als für die außenpolitische Krise des Landes. Gewinner der Kommunalwahlen waren fast überall gemäßigte Konservative und Reformer. Bei den Wahlen zum Expertenrat bekam Rafsandschani die meisten Stimmen, Ajatollah Mesbah Jasdi dagegen, Ahmadinedschads geistiger Ziehvater, weit weniger Stimmen als erwartet.
Die Niederlage der Fundamentalisten wurde durch den Schulterschluss traditionalistischer Konservativer, Pragmatiker und Reformer möglich, die Rafsandschanis Führungsrolle akzeptierten. Sollte es diesem gelingen, die Koalition der drei Flügel zusammenzuhalten, kann er bei den kommenden Parlamentswahlen6 wieder die Macht übernehmen. Auch Rafsandschani besteht zwar auf dem Anspruch Irans auf ein Atomprogramm, doch er würde sicher eine professionellere Diplomatie betreiben. Der Westen muss allerdings davon ausgehen, dass auch mit pragmatischeren und rationaleren Verhandlungspartnern Gespräche nur dann erfolgreich sein werden, wenn beide Seiten zu Kompromissen bereit sind und darauf achten, dass keiner sein Gesicht verliert. Die Motive für Teherans Streben nach einem eigenen Atomprogramm – als Garant außenpolitischer Sicherheit, als Statussymbol und als moderne Energiequelle – müssen ernst genommen werden. Das liefe darauf hinaus, dem Iran auch etwas anzubieten, zum Beispiel Sicherheitsgarantien oder die von Teheran angestrebte Aufnahme in die Welthandelsorganisation.
Vor allem aber müsste die internationale Staatengemeinschaft sich bemühen, den innenpolitischen Trend zu fördern und abzuwarten, bis sich die pragmatischen Kräfte im Iran wieder konsolidiert haben. Wenn die Außenwelt auf weitere Provokationen aus Teheran besonnen reagiert und Ahmadinedschad ins Leere laufen lässt, wird dieser zu Hause bald durch die inneren Probleme zerdrückt.
Die militärischen Drohgebärden der USA und Israels sind dagegen destruktiv. Sie stärken die extremistische Regierung Ahmadinedschads, insofern sie diesem die Chance geben, die nationale Einheit zu beschwören und von inneren Problemen abzulenken. Eine militärische Eskalation und die Bombardierung der Atomanlagen würden unvorhersehbar viele Opfer und eine ökologische Katastrophe zur Folge haben und das Bild der Iraner vom Westen langfristig schwer beeinträchtigen.
Fußnoten: