11.03.2011

Schleuder, Pfeil und Zauberstab

zurück

Schleuder, Pfeil und Zauberstab

Israel baut an einem Schutzschild von Laurent Checola und Edouard Pflimlin

Der israelische Anti-Raketen-Schutzschirm „Iron Dome“ („Eisendom“) wurde vom staatlichen israelischen Rüstungsunternehmen Rafael Advanced Defense Systems entwickelt. Er besteht aus kleinen radargelenkten Abfangraketen, die nicht nur feindliche Kurzstreckenraketen (mit Reichweiten bis 70 Kilometer) zerstören können, sondern auch Artillerie- und Mörsergranaten. Das System wurde bereits erfolgreich gegen Katjuscha-Raketen vom Typ Grad getestet, die Israel im letzten Libanonkrieg der Hisbollah abgenommen hat.

Nach Angaben des israelischen Verteidigungsministeriums sollen die ersten beiden Batterien des Iron-Dome-Systems auf Lastwagen montiert werden, um sie an der Grenze zum Libanon oder zum Gazastreifen mobil einsetzen zu können. Eine einzige Batterie hält man für ausreichend, um eine Stadt wie Ashkelon im Süden des Landes mit 100 000 Einwohnern zu schützen. Zunächst soll das System in der Nähe des von der Hamas kontrollierten Gazastreifens zum Einsatz kommen, im zweiten Schritt soll es dann an der libanesischen Grenze stationiert werden. Der israelische Militärgeheimdienst geht davon aus, dass die Hisbollah im Libanon heute über ein Arsenal von 40 000 Raketen verfügt.

Iron Dome ist Teil eines mehrschichtig angelegten Schutzprogramms. Nach einer im September 2010 mit den USA abgeschlossenen Vereinbarung wollen die Israelis zusätzlich ein Verteidigungssystem namens „Zauberstab“ entwickeln, inklusive der neuen Abfangrakete „Kala David“ („Davids Schleuder“). Die soll nicht nur Kurzstreckenraketen mit Reichweiten zwischen 70 und 250 Kilometern abwehren können, sondern auch Marschflugkörper und großkalibrige Langstreckenraketen mit bis zu 500 Kilo schweren Sprengköpfen. Als dritte Komponente kommt eine verbesserte Version der landgestützten „Stunner“-Abwehrrakete hinzu, eine Gemeinschaftsentwicklung des Staatsunternehmens Rafael und des US-Rüstungskonzerns Raytheon.

Zur Abwehr ballistischer Raketen mit Reichweiten von mehr als 250 Kilometern verfügt Israel bislang über das „Arrow“-System (hebräisch „Hetz“), für dessen jährliche Kosten zur Hälfte das Pentagon aufkommt. Seit 1995 arbeitet der israelische Staatskonzern Israel Aerospace Industries (IAI) an dem Arrow-II-System, das für den Einsatz gegen konventionelle ballistische Raketen größerer Reichweite gedacht ist (insbesondere gegen die iranischen mit mehr als 1 600 Kilometer Reichweite). Und aus Furcht vor einem iranischen Nuklearangriff hat Israel schließlich noch mit der Entwicklung von Arrow III begonnen, einer Flugabwehrrakete, die eine größere Reichweite hat und in größeren Höhen operieren kann. Zu diesem Zweck haben die USA und Israel im Oktober 2007 ein bilaterales Komitee gebildet, das die gemeinsame Entwicklung des neuen Systems durch den US-Konzern Boeing und IAI beaufsichtigen soll. Die Arbeit an Arrow III begann 2008; die Rakete soll noch dieses Jahr getestet werden und 2014 einsatzbereit sein.

Insgesamt unterstützt das Pentagon die verschiedenen israelischen Anti-Raketen-Programme mit 422,7 Millionen Dollar, die zusätzlich zu den jährlich 3 Milliarden Dollar US-amerikanischer Militärhilfe fließen.1

Der Verlauf der Kriege gegen die Hisbollah (im Sommer 2006) und gegen die Hamas im Gazastreifen (um die Jahreswende 2008/2009) hat der israelischen Regierung eine militärische Rechtfertigung für die Weiterentwicklung der Raketenschutzschilde und insbesondere für das Projekt Iron Dome geliefert. In beiden Konflikte gerieten israelische Städte unter heftigen Raketenbeschuss. Im Sommer 2006 feuerte die Hisbollah rund 4 000 Raketen auf den Norden Israels und zwang etwa eine Million Menschen, in Bunkern Schutz zu suchen oder in den sicheren Süden des Landes zu flüchten. Bei den tausenden Geschossen, die vor und während des Gazakriegs im Süden Israels einschlugen, handelte es sich zumeist um Kassam- oder Katjuscha-Raketen, die in klandestiner Heimarbeit hergestellt wurden und aus einfachen Komponenten wie Salpeter, Zucker und Düngemitteln bestanden.

Aber wie wirksam ist ein solches Verteidigungssystem? Diese Frage stellte sich schon einmal in den 1980er Jahren in den USA im Hinblick auf die Strategic Defense Initiative (SDI) des damaligen US-Präsidenten Reagan, besser bekannt als „Star Wars“. Und die Antwort könnte wie damals lauten: Ein absolut sicheres System gibt es nicht.

Operation Gegossenes Blei

Viele und vornehmlich israelische Experten verweisen darauf, dass auch der „Eisendom“ nichts an dem entscheidenden Schwachpunkt ändert: der geografischen Lage der grenznahen israelischen Städte wie Sderot, dessen Zentrum nur etwa zwei Kilometer vom Gazastreifen entfernt ist. „Die Kassam-Raketen, die von der Hamas auf Sderot abgeschossen wurden, waren relativ langsam“, erklärt der israelische Militärexperte Reuven Pedatzur. „Aber vor allem während der Operation ‚Gegossenes Blei‘2 haben sie auch schon Kassams der dritten Generation und Grad-Raketen eingesetzt. Die fliegen drei- oder viermal so schnell wie die alten Modelle.“

Zudem ist angesichts der 40 000 Raketen, über die angeblich die Hisbollah verfügt, keineswegs auszuschließen, dass das israelische Abwehrsystems überfordert ist. „Das ist eine reale Gefahr und ein Problem aller Raketenabwehrsysteme“, meint auch Joseph Henrotin, Chefredakteur der Zeitschrift Défense et Sécurité Internationale (DSI) und Experte für Raketenabwehrsysteme. „Bei aller Effizienz der Abfangsysteme ist die hohe Zahl der potenziellen Geschosse auf jeden Fall schon mal ein Vorteil. Hinzu kommt, dass jeder Abschuss viel Geld kostet, während die Raketen der Hisbollah oder der palästinensischen Gruppen sehr billig sind.“ Der israelische Experte Pedatzur schätzt den Preis einer Tamir-Abfangrakete des Iron-Dome-Systems auf rund 100 000 Dollar, die einer Kassam-Rakete dagegen nur auf einige hundert.

Auf einen ganz anderen Aspekt verweist die israelische Tageszeitung Ha’aretz. Für sie stand hinter der Entscheidung über die Entwicklung von Iron Dome von Anfang an offenbar auch die Absicht, „die Wissenschaftler des Staatskonzerns Rafael weiterzubeschäftigen und das Unternehmen dafür zu entschädigen, dass es nicht von den Forschungs- und Entwicklungsgeldern des Arrow-Projekts abbekommen hat, das von Israel Aerospace Industries entwickelt wurde.“

Zudem sprachen für Iron Dome offenbar nicht nur militärische, sondern auch politische Gründe. So hat der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak geäußert, das System könne für den Fall, dass sich Israel im Rahmen eines möglichen Friedensabkommens mit den Palästinensern aus dem Westjordanland zurückzieht, den israelischen Bürgern als eine Sicherheitsgarantie präsentiert werden. Auch Joseph Henrotin sieht diese politische Dimension: Das Iron-Dome-Systeme sei eine „natürliche Reaktion“ darauf, dass der Raketenbeschuss in der israelischen Gesellschaft innerhalb der letzten Jahren zu einem wichtigen Thema der politischen Debatte geworden ist: „Das System soll nicht so sehr den Staat Israel ‚verbarrikadieren‘ als vielmehr seine Verhandlungsposition stärken. So kann er der anderen Seite sagen: ‚Mit diesem System könnt ihr uns nichts mehr anhaben. Akzeptiert jetzt also unsere Bedingungen.‘“

Henrotin glaubt allerdings, dass dies eine Illusion sein könnte: „Ehud Barak kann als guter General nicht außer Acht lassen, was der Militärtheoretiker Vincent Desportes das ‚Gesetz der Umgehung‘ genannt hat: Wenn man den Gegner daran hindert, seine Mittel effizient einzusetzen – in diesem Fall die Raketen –, wird er andere Aktionsformen finden. Und die Palästinenser wie die Hisbollah haben bereits demonstriert, dass sie in der Lage sind, sich taktisch, operationell und strategisch anzupassen. Wenn es keine politischen Lösung gibt, wird sich das Problem woanders erneut stellen.“

Zudem scheint das israelische Militär seine eigene Vorstellung vom Nutzen des Iron-Dome-Systems zu haben: In einem Vortrag an der Universität Haifa im letzten Dezember sagte der Chef des Nordkommandos, General Gadi Eizenkot, die verschiedenen Raketenabwehrsysteme seien vor allem „zum Schutz der Militärbasen konzipiert, selbst wenn das bedeutet, dass die Bürger in den ersten Tagen der Kämpfe einige Unannehmlichkeiten hinnehmen müssen“.3 Im Übrigen steht die defensive Ausrichtung des Iron-Dome-Projekts in einem gewissen Widerspruch zu der erklärten Priorität der israelischen Armee, ihre offensiven Kapazitäten zu stärken.

Die Installation des Iron-Dome-Systems zeigt auch ein weiteres Mal die Widersprüche der US-Politik gegenüber Israel: Trotz der Spannungen zwischen der Obama-Administration und der Regierung Netanjahu wegen der israelischen Siedlungspolitik4 hat Obama den US-Kongress im Mai 2010 aufgefordert, 205 Millionen Dollar für den Aufbau des Raketenschutzschilds zu bewilligen. Am 8. Dezember stimmte das Repräsentantenhaus für die Finanzierung des Programms.

Die bedingungslose Unterstützung der USA für den Aufbau der israelischen Raketenabwehr zeigt sich auch an der Installation des Ende 2008 vom US-Unternehmen Raytheon gelieferten Radarsystems AN/TPY-2 in Israel. Dieses bodengestützte Radar ist, was das Aufspüren feindlicher Raketen betrifft, effektiver als die bisherigen Systeme Israels, vor allem aber ist es mit dem globalen Satellitennetz „Defence Support Programme“ verbunden, dem Herzstück des US-Frühwarnsystems gegen Raketenangriffe.

Abfangrakete oder Laserkanone

Die Zusammenarbeit in diesem Bereich hatte schon 1996 mit der Finanzierung des gemeinsamen Laserwaffensystems Thel (Tactical High Energy Laser) begonnen. Dieses Projekt wurde jedoch aufgegeben, nachdem man bereits 400 bis 500 Millionen Dollar investiert hatte. Reuven Pedatzur geht aber davon aus, dass diese Laserwaffe weit kostengünstiger gewesen wäre als das Iron-Dome-System mit seinen teuren Abfangraketen. Dennoch wurde das Projekt 2005 endgültig begraben.

Welche politischen Auswirkungen sind von dem Iron-Dome-Projekt auf regionaler Ebene und darüber hinaus zu erwarten? „Grundsätzlich betrachten die arabischen Nachbarstaaten die Entwicklung solcher Kapazitäten aufgrund der defensiven Ausrichtung als wenig bedrohlich“, meint Joseph Henrotin. Doch das Projekt wird die Gegner Israels auch in Zukunft nicht davon abhalten, Städte wie Haifa im Norden oder Sderot im Süden mit Raketen anzugreifen. Im Übrigen gilt nach wie vor, dass der Frieden nicht mit militärischen Mitteln zu gewinnen ist. Was es für den Frieden braucht, sind politischen Entscheidungen und ausgehandelte Abkommen. Mit der Fortsetzung seiner expansiven Siedlungspolitik zeigt Israel allerdings, dass es diesen Weg offenbar nicht beschreiten will.

Fußnoten: 1 Siehe „Les États Unies accentuent leur soutien militaire à Israel“, www.israelvalley.com/news/2010/09/29/28769. 2 So lautete der Codename für den Angriff der israelischen Armee auf den Gazastreifen im Dezember 2008 bis Januar 2009. 3 Jerusalem Post, 1. Dezember 2010. 4 Trotz ihrer verbalen Kritik an Israel hat die US-Regierung am 18. Februar eine Verurteilung der israelischen Siedlungspolitik durch den UN-Sicherheitsrat durch ihr Veto verhindert.

Aus dem Französischen von Jakob Horst

Le Monde diplomatique vom 11.03.2011, von Laurent Checola und Edouard Pflimlin