11.03.2011

Internet, Fernsehen und eine freie Gesellschaft

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Internet, Fernsehen und eine freie Gesellschaft

„Wer nicht mit auf dem Platz ist, bekommt auch kein Foto.“ Mit diesem Slogan begrüßten die Dauerdemonstranten auf dem Tahrirplatz die Neuankömmlinge, die nach dem Freitagsgebet zu ihrer Unterstützung eilten – ein Spruch aus dem nasseristischen Repertoire, um islamistische Parolen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Später skandierte man noch unmissverständlicher: „Friedlich, zivil, weder islamistisch noch militärisch.“

Woher haben die jungen Demonstranten dieses politische Bewusstsein und diesen geschickten Umgang mit politischen Symbolen? Galt Ägypten nicht als eine stark islamisierte und konfessionell gespaltene Gesellschaft? Woher kommt dieser neue Wind? Wael Ghoneim, ein Mitarbeiter von Google-Egypt und eine der Ikonen der Bewegung, war am Abend des 25. Januar spurlos verschwunden und tauchte erst am 7. Februar, nach dem Sturz des Regimes, wieder auf, nachdem die Staatssicherheit ihn aus der Haft entlassen hatte.

Ghoneim hat eine einfache Erklärung: „Wenn Sie eine freie Gesellschaft wollen, geben Sie ihr das Internet.“1 Zweifellos ist die arabische Revolution geprägt von den sozialen Netzwerken im Internet. Facebook und Twitter ermöglichten erstmals den Austauch zwischen unterschiedlichen sozialen und zivilgesellschaftlichen Organisationen in einem Land, das solche Aktivitäten ansonsten strikt kontrollierte oder gleich ganz verbot. Damit gab es auch eine Alternative zur Moschee als sozialer Begegnungsstätte und Ort der gesellschaftlichen Debatte.

„Wir führen seit Jahren einen ‚Zermürbungskrieg‘, und das Internet ist eines der Schlachtfelder“, meint Ahmad Eid, ein junger Mann, der zum harten Kern der Demonstranten gehörte. „Der 25. Januar 2011 war der Beginn unseres ‚Oktoberkriegs‘.“2 Tatsächlich wurden in den Blogs schon seit Jahren Verfehlungen der Regime kritisiert, denen „die Macht wichtiger war als die Nation“ und die im Namen des Wirtschaftsliberalismus zuließen, dass die sozialen Grundrechte missachtet, die staatlichen Leistungen abgebaut und die Bürgerrechte eingeschränkt wurden.

Aber auch die arabische Fernsehsender haben beträchtliche Freiräume geschaffen, gerade weil es unter den Regimen, die sie finanzieren, erhebliche Widersprüche gibt. Den katarischen Sender al-Dschasira kennt inzwischen jeder. Aber es war der saudische Kanal al-Arabija, der eine öffentliche Diskussion über die Korruption in Saudi-Arabien und in Katar einforderte – eine Initiative des Chefredakteurs, der in Kairo saß, und die allerdings sofort wieder abgewürgt wurde. Außerdem trugen viele Künstler und Schriftsteller ihren Teil zur Entstehung des neuen Bewusstseins bei. Alaa al-Aswani, Autor des Bestsellers „Der Jakubijân-Bau“3 , war mitten unter den Demonstranten auf dem Tahrirplatz.

Werden die Revolutionen in Ägypten und Tunesien nun auch langfristig zu einem Erfolg? Und wird Saudi-Arabien, das seit Jahrzehnten seine reaktionäre Islamauslegung in andere Länder exportiert hat, nun das Vordringen einer arabischen Erneuerungsbewegung ertragen? Was steht Syrien bevor, das stets mit Ägypten und Tunesien um die Vorreiterrolle bei der „Nahda“, der arabischen Renaissance, konkurrierte? Und nicht zuletzt stellt sich die Frage: Wollen eigentlich nur die Araber mit aufs Foto? Samir Aita

Fußnoten: 1 Interview mit CNN am 11. Februar 2011. 2 Interview am 13. Februar 2001 in der Nachrichtensendung „Ägypten heute“ des ägyptischen Staatsfernsehens. Die Anspielung auf den „Zermürbungskrieg“ meint die Zeit von 1967 bis 1973, als die syrischen und ägyptischen Streitkräfte nach der arabischen Niederlage im Sechstagekrieg immer wieder kleine Gefechte mit Israel suchten. Der „Oktoberkrieg“ („Jom-Kippur-Krieg“) von 1973 endete letztlich mit einem Teilerfolg für Ägypten und der Teilrückgabe der 1967 von Israel eroberten Gebiete. 3 Alaa al-Aswani, „Der Jakubijân-Bau“, Basel (Lenos) 2007.

Aus dem Französischen von Edgar Peinelt

Samir Aita ist Chefredakteur der arabischen Ausgaben von Le Monde diplomatique (als E-Paper unter: www.mondiploar.com/).

Le Monde diplomatique vom 11.03.2011, von Samir Aita