11.03.2011

Öl für zehn Tage

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Öl für zehn Tage

Die Schäden der Förderung aber bleiben von Alberto Acosta

Es ist ein revolutionärer Vorschlag: Rund 850 Millionen Barrel Erdöl sollen nicht gefördert werden. Sie lagern unter dem Yasuní-Nationalpark im Osten Ecuadors, einem der artenreichsten Naturreservate der Welt. Das Gebiet wird ITT genannt, nach den drei Ölquellen, die vor Jahren bei Probebohrungen angelegt wurden: Ishpingo, Tambococha, Tiputini. Die Ölmenge stellt etwa 20 Prozent der gesamten bekannten Ölreserven Ecuadors dar und entspricht damit knapp dem Ölverbrauch der Menschheit in zehn Tagen. Würde es gefördert, könnte der ecuadorianische Staatshaushalt mit Einnahmen von rund 7,5 Milliarden Dollar rechnen. Darauf zu verzichten, ist kaum akzeptabel, wenn man der Logik der traditionellen und bis heute vorherrschenden Einstellung folgt, dass der Reichtum des Landes an den Einkünften aus dem Erdöl hängt. Die Erdöllobby ist mit aller Macht gegen diesen Vorschlag vorgegangen.

Die sogenannte ITT-Initiative geht vom Prinzip der geteilten, aber differenzierten Verantwortung aus, wie man es aus den internationalen Klimaverhandlungen kennt: Die internationale Gemeinschaft soll einen Beitrag von wenigstens der Hälfte der Einnahmen leisten, die durch die Förderung dieses Erdöls erzielt würden (ohne Berücksichtigung der dadurch entstehenden Schäden für Mensch und Umwelt, die als Negativposten zu Buche schlagen würden). Doch der Vorschlag geht viel weiter. Mit diesem ersten Schritt wollen wir, die Initiatoren, unter anderem den Weg hin zu einer Post-Erdöl-Gesellschaft in Ecuador und anderswo beschleunigen. Ziel ist es, die Welt zu „entkarbonisieren“. Und wir streben neue Formen von Beziehungen zwischen den Ländern an, mit dem Anspruch, Mensch und Natur wieder zusammenzubringen.

Als der Autor dieser Zeilen Anfang 2007 als Energie- und Bergbauminister der neuen Regierung unter Rafael Correa die Idee zum ersten Mal öffentlich vorstellte, war bereits jahrelang an der Forderung nach einem Moratorium der Ölförderung im ecuadorianischen Amazonasgebiet gearbeitet worden. Ausgangspunkt war der Widerstand der indigenen Völker und betroffenen Siedler, die sich gegen die Aktivitäten des Texaco-Konzerns zur Wehr setzten.

Die ITT-Initiative ist das Ergebnis dieser sozialen Prozesse wie auch der Zusammenarbeit mit anderen Gruppen, vor allem mit Acción Ecológica.1 Sie hat viele Väter und Mütter, und mittlerweile gibt es auf der ganzen Welt tausende von Paten und Patinnen. Auf internationalen Foren, unter Wissenschaftlern und in vielen Medien ist die Initiative auf ein großes Echo gestoßen. Die Debatte, die sie in Ecuador und weltweit angestoßen hat, ist bereits ein unbestreitbarer Erfolg. Vor allem der Gedanke der geteilten Verantwortung – immerhin haben die reichsten Gesellschaften der Erde die größte Zerstörung verursacht – hat vielfältige Aktivitäten überall auf dem Planten angestoßen.

Das erste Land, das Ecuador in aller Form zu unterstützen versprach, war Deutschland. Im Bundestag sprachen sich im Juni 2008 Vertreter sämtlicher Fraktionen dafür aus. Ein Jahr später wurde sogar auf Regierungsebene in Aussicht gestellt, 13 Jahre lang je 50 Millionen Euro in einen internationalen Treuhandfonds einzuzahlen – so lange würde schätzungsweise die intensive Ausbeutung des Ölfelds ITT dauern. Über die finanziellen Seite hinaus war das Angebot aus Deutschland auch politisch von Bedeutung: Es half, die Initiative auch in den kritischsten Momenten in Ecuador aufrechtzuerhalten.

Seit dem 23. März 1967, als im ecuadorianischen Amazonasgebiet erstmals das Rohöl sprudelte, genauer gesagt, seit August 1972, als das erste Erdöl für den Weltmarkt geliefert wurde, sind rund 4,5 Millionen Barrel gefördert worden. Der ecuadorianische Staat hat dafür nominell ungefähr 90 Milliarden Dollar eingenommen. Aber die Entwicklung ist nicht vorangekommen. Nicht nur das: Die Erdölförderung in Amazonien hat die Lebensgrundlagen der dortigen Bevölkerung direkt und indirekt beeinträchtigt. Die Waldzerstörung, die Erosion, die Verschmutzung der Böden, des Wassers und der Luft sind allgegenwärtig. Die ärmsten Provinzen von Ecuador liegen in Amazonien, und die ärmsten aller amazonischen Provinzen sind jene, in denen es Erdöl gibt.

Es ist unmöglich, den Preis der Natur zu beziffern, denn das Leben kann man nicht in Geldwert messen. Doch wenn man die Öllecks, die Verseuchung der Sümpfe, das Abbrennen von Gas, die Entwaldung und den Verlust an Artenvielfalt berücksichtigt, kommt man auf Schäden in Milliardenhöhe. Hinzu kommen die Schäden durch die Versalzung der Flüsse, durch unterbezahlte Arbeit und Krankheiten – die Krebsrate liegt in den Erdölfördergebieten bei 31 Prozent, im landesweiten Durchschnitt hingegen bei 12,3 Prozent.

Chevron/Texaco, Verursacher dieser menschlichen und ökologischen Katastrophe, ist seit 17 Jahren in juristische Auseinandersetzungen wegen Entschädigungszahlungen verwickelt. Am 14. Februar 2011 wurde der Konzern wegen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Schäden vor einem ecuadorianischen Gericht zur Zahlung von 8 Milliarden Dollar verurteilt.2 Schon mit der ersten Phase der Förderung hat der Ölmulti die Vernichtung zweier Völker auf dem Gewissen, der Tetetes und der Sansahauris. Auf deren Namen wurden zwei Ölquellen getauft, just dort, wo die beiden Völker zuvor lebten. Es war ein Zusammenstoß mit der „westlichen Kultur“ in einer ihrer schlimmsten Erscheinungsformen.

All diese Faktoren, zusammen mit der Einsicht, dass die Erdölreserven bald erschöpft sind, bilden die Grundlage für die Forderung, das Öl im ITT-Gebiet nicht zu fördern und in der Mitte und im Süden des ecuadorianischen Amazonasgebiets die Förderung einzustellen.

Natürlich führte dieser Vorschlag 2007 auch innerhalb der neuen Linksregierung zu Auseinandersetzungen. Für viele war es unfassbar, dass sich ausgerechnet der Ölminister dafür aussprach, das Rohöl nicht zu extrahieren. Die Staatsfirma Petroecuador wollte das Öl um jeden Preis fördern. Die Stimmung war gespannt, bis schließlich der Präsident selbst die Option unterstützte, das Erdöl im Boden zu lassen – vorausgesetzt, wir bekämen dafür eine Entschädigung. Damals sprachen wir noch von Entschädigung. So also begann sich die Idee auf Regierungsebene herauszukristallisieren, und am 5. Juni 2007 wurde sie offiziell präsentiert.

Bis im August 2010 der Vertrag für den Treuhandfonds mit dem UN-Entwicklungsprogramm unterzeichnet wurde, fand ein komplizierter Prozess von Annäherungen und Distanzierungen statt, denn vonseiten der Regierung fehlte es an klaren Ansagen und Entscheidungen. Präsident Correa, der eingewilligt hatte, die Idee zur Regierungspolitik zu erklären, wurden wegen seiner Zweifel und Unstimmigkeiten zur größten Gefahr für die Yasuní-ITT-Initiative.

Bis heute ist es der ecuadorianischen Regierung nicht gelungen, die einmal getroffene Entscheidung umzusetzen. Zwar hat der Präsident mitgeholfen, die Initiative international bekannt zu machen – bei der UNO, der Opec und in diversen internationalen Foren. Doch leider sagte er dabei immer wieder, bei einem Ausbleiben der internationalen Finanzierung werde das Öl doch gefördert – die Vorstellung einer Erpressung liegt da nicht fern. Und das schafft Ungewissheit.

Ecuadors Umweltpolitik verliert die deutsche Unterstützung

Ein weiteres Risiko für die Initiative besteht in den Versuchen, sie in die Marktlogik einzubinden. Es gibt ecuadorianische Regierungsmitglieder, die solche merkantilen Thesen propagieren. Denen schloss sich auch der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel im September 2010 an und versetzte der Initiative einen schweren Schlag, als er ankündigte, dass Deutschland die Initiative nicht in der anfangs geplanten Weise mittragen würde.

Durch die Rückendeckung aus Deutschland hatten sich viele Türen geöffnet, doch nun ist es schwieriger geworden, sie offen zu halten. In den Gesprächen mit einigen Ländern ging es zwar voran, doch die Ergebnisse reichen noch nicht aus. Behörden und Unternehmer haben ihre Unterstützung zugesagt. Große Stiftungen wurden angesprochen. Es gibt eher symbolische Beiträge von Chile oder von Regionalregierungen wie der von Wallonien. Das hoffnungsvollste Ergebnis ist bislang mit Italien zustandegekommen, das einen umstrittenen Tausch gegen Auslandsschulden vorschlägt. Doch in den meisten Fällen gibt es noch keine definitiven Zusagen.

Einige von uns plädieren dafür, das Öl im Boden zu lassen, selbst wenn die internationalen Beiträge ausbleiben. Doch diese dritte Option würde viele der potenziellen Implikationen auf internationaler Ebene ins Leere laufen lassen. Mit dem Erfolg der Initiative könnte das Leben der nicht kontaktierten indigenen Völker, der Tagaeri, Taromenane und Oñamenane, geschützt werden. Allein dies müsste Grund genug sein, das Erdöl nicht zu fördern.

Auch die große Artenvielfalt würde geschützt werden. Auf einem Hektar des Yasuní gibt es mehr Baumarten als in ganz Nordamerika. In einem einzigen Baum kann es mehr einheimische Käferarten geben als in ganz Europa. Das liegt daran, dass sich während der Gletscherbildung auf der Erde das Leben in jener Region konzentriert hat. Außerdem ist die Nichtförderung eine effektive Art und Weise, die Umwandlung des Amazonas-Regenwalds in eine Savanne zu verhindern. Wenn dies geschähe, würde sich die Wassermenge auf dem gesamten Kontinent erheblich verringern, mit schädlichen Auswirkungen für alle Länder, nicht nur für Ecuador. Die Förderung des ITT-Erdöls würde rund 410 Millionen Tonnen an CO2-Emissionen verursachen. Da es sich um schweres, sehr schwefelhaltiges Öl handelt, wäre die Entkontaminierung sehr kostspielig.

Die Yasuní-ITT-Initiative weist über die Vision und die Mechanismen des Kioto-Protokolls hinaus, die ja darauf ausgerichtet sind, Emissionen zu absorbieren: Hier sollen Emissionen verhindert werden. Das ist ein neuer Ansatz für die internationale Klima-Agenda. Er betont, wie wichtig es ist, die Artenvielfalt zu erhalten und die Rechte der indigenen Völker zu respektieren. Er öffnet das Tor zur Anerkennung der geteilten, aber differenzierten Verantwortung: Die Gesellschaften der reichen Länder sind für das Gros der Umweltzerstörung weltweit verantwortlich. Daher müssen sie auch den größten Teil der Aufgabe übernehmen, die in den letzten 500 Jahren entstandenen Schäden zu reparieren. Hier entfaltet die Idee der ökologischen Schuld ihre Sprengkraft: Unter dem Strich ist der Norden beim Süden verschuldet.

Von dieser Initiative geht eine klare Botschaft aus: Wir müssen unsere Beziehungen zur Natur radikal ändern. Die einfachen Reden darüber, welche Auswirkungen der Klimawandel hat, reichen nicht mehr. Die Natur darf keine Ware mehr sein. Die Welt muss konkret handeln. Der Ansatz lässt sich zudem gut auf andere Weltregionen übertragen; er öffnet eine Tür, damit wir kreative, kühne, kurz: revolutionäre Antworten finden können.

Fußnoten: 1 www.sosyasuni.org/de/. 2 Zum Milliardenprozess gegen Texaco/Chevron siehe: chevrontoxico.com sowie www.chevroninecuador.com/2011/02/chevron-found-guilty-in-amazon.html. Aus dem Spanischen von Gerhard Dilger Alberto Acosta ist Ökonomieprofessor an der Fakultät für Sozialwissenschaften (Flacso) in Quito und war zwischen 2007 und 2008 Energie- und Bergbauminister. © Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 11.03.2011, von Alberto Acosta