Das letzte Rezept des Generals
Präsident George W. Bush ist überzeugt, dass die Aufständischen im Irak besiegt werden können. Damit auch der Kongress und die Öffentlichkeit in den USA daran glauben, schickte Bush General David Petraeus an die publizistische Front. Derselbe General wurde Ende Januar zum militärischen Oberbefehlshaber der Koalitionstruppen im Irak ernannt.
Petraeus gilt als Intellektueller und als jemand, der seine Überzeugungen gut verkaufen kann. Zuvor hatte er im Auftrag der Armee in Princeton eine Doktorarbeit über „Das US-Militär und die Lehren von Vietnam“ verfasst. Wichtiger noch ist das von ihm verantwortete neue Handbuch für die US-Army und die Marines, das – im Dezember 2006 erschienen – die Aufstandsbekämpfungsstrategie der USA erstmals seit 20 Jahren wieder auf den neuesten Stand bringt.1
Wie vergleichbar ist die heutige Lage im Irak mit der damaligen Situation in Vietnam? Zumindest ist den Autoren der Widerspruch gegenwärtig zwischen der Zwangsgewalt, die eine militärische Strategie gegen Aufständische anwenden muss, und dem hehren Endziel einer demokratischen Gesellschaft im Irak. Dieser Widerspruch könnte sich auch für Petraeus rasch als nicht auflösbar erweisen.
Erhellend ist schon die Bibliografie des Manuals: Die 34 angeführten Titel reichen von einem 1890 verfassten Werk, das britische Militäroperationen in Afghanistan, Südafrika und Malaysia analysiert, bis zu Büchern über den Algerienkrieg der Franzosen und, vor allem, den Krieg der USA in Vietnam.
In Vietnam wie im Irak waren sich die US-Strategen bewusst, dass die eigenen Streitkräfte in einem fremden Land operieren, mit dem Ziel, dem Regime ihres „Gastlandes“ Legitimität zu verschaffen. In beiden Konflikten wurde bzw. wird dem Regime von großen Teilen der Bevölkerung die Legitimität abgesprochen. Das Handeln der US-Streitkräfte hat diese Legitimität in beiden Fällen eher verringert. Das Dilemma dabei: Je entschlossener die Streitkräfte einschreiten, desto eher wird ihr Tun von der Bevölkerung abgelehnt.
Petraeus ist sich dieser Problematik bewusst: Das erste Ziel jeder Counterinsurgency-Operation, heißt es im ersten Kapitel, müsse die „Entwicklung einer effektiven Regierungsführung durch eine legitime Regierung“ sein. Dazu seien militärische wie zivile Maßnahmen erforderlich. Ob eine Regierung sich Legitimität erworben habe, darüber könne nur die Bevölkerung des „Gastlandes“ befinden.
Im Irak hängt die Legitimität der Regierung davon ab, ob sie die Sicherheit der Zivilbevölkerung garantieren könne. Außerdem müsse sie zeigen, dass sie sich an allgemein gültige Rechtsvorschriften hält. Was rechtliche Willkür und Misshandlungen in Militärgefängnissen wie Abu Ghraib betrifft, so räumt das US-Handbuch ein, dass solche offenkundigen Übergriffe Feindschaft produzieren. Zugleich wird aber die Verletzung etlicher wesentlicher Rechtsgrundsätze, etwa der Unschuldsvermutung, keineswegs ausgeschlossen. Vielmehr wird akzeptiert, dass in Anti-Guerilla-Aktionen tödliche Gewalt zum Einsatz kommt. Extremisten, die sich der Regierung nie beugen würden, müssten eliminiert werden.
Auch lässt Petraeus durchblicken, dass der US-Militärbefehlshaber im Land das Sagen haben müsse, und nicht der US-Botschafter oder die irakische Regierung. In seiner Dissertation heißt es: „Vietnam war eine schmerzliche Mahnung für das Militär, dass in einem bewaffneten Konflikt es und nicht die wechselnden Inhaber hoher politischer Ämter in der Regel die größte Last zu schultern haben.“
Heute breiten sich Nachrichten und Bilder schneller aus als in Zeiten des Vietnamkriegs. Und da auch die demokratische Sensibilität gewachsen ist, könnte die Petraeus-Mission im Irak unerwartet rasch scheitern.
Helena Cobban
Fußnote:
1 http://usacac.army.mil/CAC/Repository/Materials/COIN-FM3-24.pdf.
Aus dem Englischen von Stefan Schaaf
Helena Cobban schreibt für die Tageszeitung The Christian Science Monitor (Boston).