09.03.2007

Der orthodoxe Schatz

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Der orthodoxe Schatz

Die Geschichte einer Erpressung von Meron Rapoport

Der Amtssitz der griechisch-orthodoxen Kirche in Jerusalem liegt im Herzen der Altstadt, nur hundert Meter von der Grabeskirche entfernt und in einer Gasse, deren Name „griechisch-orthodoxe Gasse“ darauf verweist, dass hier die älteste christliche Institution der Heiligen Stadt zu Hause ist.

Das griechisch-orthodoxe Patriarchat von Jerusalem sah Eroberer und Okkupanten kommen und wieder verschwinden: die byzantinischen Kaiser, die Araber und die Kreuzfahrer, in jüngerer Zeit dann die Osmanen und die Briten. Über diese ganzen Jahrhunderte hat das Patriarchat versucht, sich als Hüter der wahren christlichen Identität Palästinas zu behaupten. Das mag der Grund sein, warum es der orthodoxen Kirche nicht besonders schwerfällt, sich in die Rolle zu fügen, die ihr in den vergangenen vierzig Jahren unter der israelischen Herrschaft über Jerusalem zugemutet wird: die Rolle einer Immobilienagentur.

Für diese neue und überraschende Rolle gibt es einen sehr einfachen Grund. Da die griechisch-orthodoxe Kirche seit 1 500 Jahren in Palästina tätig ist, wurde sie zu einem der größten nichtstaatlichen Grundbesitzer im heutigen Israel. Kein Wunder auch, dass auf ihre Gebäude und Grundstücke viele israelische Bauunternehmer ein Auge geworfen haben.

Besonders groß ist das Interesse an diesen Immobilien in Jerusalem, ist doch knapp ein Drittel der Altstadt im Besitz des orthodoxen Patriarchats. Und da die Palästinenser den Verkauf von Grundeigentum an israelische Käufer als Verrat betrachten, war der Erwerb von Immobilien der orthodoxen Kirche fast der einzige Weg, auf dem jüdische Siedlergruppen ihren Zugriff auf die Altstadt verstärken können, um diese, wie es schon immer ihr Ziel war, zu einer jüdischen Stadt zu machen.

Der alte Patriarch Diodoros hatte in seiner Amtszeit (von 1981 bis 2000) Grundstücke und Gebäude an israelische Unternehmer und jüdische Vereine veräußert, und dies nicht nur in Jerusalem.1 Doch diese Aktivitäten waren stets hinter der Bühne abgelaufen. Mit derart heiklen und teils dubiosen Geschäften wollte niemand offiziell zu tun haben: weder die jüdischen Vereinigungen noch die israelische Regierung noch das orthodoxe Patriarchat. Doch nach dem Tod von Diodoros im März 2000 kam plötzlich alles ans Licht. Für die Wahl des Nachfolgers hatten die Siedler einen Kandidaten favorisiert, Ministerpräsident Ariel Scharon einen anderen; und beide Seiten sagten ganz offen, der eigene Kandidat sei deshalb der bessere, weil er versprochen habe, Immobilien an Israelis zu veräußern.

Die Wahl des neuen Patriarchen Irenäus erfolgte wie immer durch die orthodoxe Synode, allerdings muss der Amtsinhaber von der israelischen Regierung – wie auch von der Regierung Jordaniens und der Palästinensischen Autonomiebehörde – offiziell bestätigt werden. Diese Bestätigung erfolgte erst nach mehrmonatiger Verzögerung. Und wiederum einige Monate später schien Irenäus seine Versprechen erfüllt zu haben: Eine israelische Zeitung brachte die Sensationsmeldung, das orthodoxe Patriarchat habe drei Hotels neben dem Jaffator, einem der strategisch bedeutsamsten Punkte innerhalb der Altstadt veräußert, und zwar an die Ateret Kohanim, eine der radikalsten jüdischen Vereinigungen in Jerusalem. In der Immobilienschlacht um Jerusalem stellte dieser Erwerb einen bedeutsamen Etappensieg auf dem Weg zur „Israelisierung“ der Altstadt dar.

Der alte Patriarch wusste von nichts

Doch dieses Geschäft erwies sich dann als eine wahre Zeitbombe. Die Information löste innerhalb der griechisch-orthodoxen Kirche einen Aufschrei aus. Die Popen und Bischöfe befürchteten, der Verkauf werde die Stellung der Kirche in der palästinensischen Bevölkerung gefährden, denn die Mitglieder der orthodoxen Gemeinde sind überwiegend Araber.2 In einer höchst ungewöhnlichen Reaktion beschloss die Synode, Irenäus abzusetzen und einen neuen Patriarchen zu wählen. Der alte Patriarch erklärte allerdings hoch und heilig, das Geschäft am Jaffator sei ohne seine Kenntnis zustande gekommen. Er zog sogar vor Gericht, um den Vertrag annullieren zu lassen.3

Die israelische Regierung war nicht bereit, sich mit dieser Entwicklung abzufinden. Scharon wurde mit der Aussage zitiert, er werde nie zulassen, dass die orthodoxe Kirche einen Patriarchen absetzt, nur weil er Immobilien an Juden verkauft hat. Bei einem Treffen mit dem neugewählten Patriarchen Theophilos legte ein Minister der Scharon-Regierung in aller Klarheit die Bedingungen dar, unter denen die israelische Regierung den neuen Patriarchen anerkennen würde: Theophilos solle versprechen, das Immobiliengeschäft vom Jaffator voranzubringen, andernfalls werde man seine Wahl nicht anerkennen. Dieselbe Forderung bekam auch der abgesetzte Irenäus vorgelegt: Wenn du deinen Job zurückhaben willst, solltest du der Abtretung der Hotels an die jüdische Vereinigung zustimmen.

Doch Theophilos erwies sich für die israelische Regierung als harter Verhandlungspartner. Er weigerte sich, die vorgetragenen Bedingungen zu akzeptieren – vielleicht, weil er die Reaktion seiner palästinensischen Gläubigen fürchtete, vielleicht auch, weil er meint, es stehe der orthodoxen Kirche nicht zu, den Status quo zwischen Palästinensern und Israelis in der Jerusalemer Altstadt zu verändern. Der Patriarch erklärte seinen israelischen Gesprächspartnern: Wenn das Geschäft mit den Hotels vom Jaffator legal ist, warum soll ich mich dann noch damit befassen?

Damit ist ein noch nie da gewesenen Situation entstanden: Der gewählte orthodoxe Patriarch wird von seiner Gemeinschaft anerkannt, nicht aber von Israel. Sein Vorgänger dagegen wird von Israel anerkannt, nicht aber von seiner Gemeinschaft. Und beide, Theophilos wie Irenäus, führen die verfahrene Situation auf den israelischen Drang nach dem Grund und Boden der Palästinenser zurück.

Die israelische Seite ging zuletzt noch einen Schritt weiter. In einem Dokument, das den Anwälten von Theophilos vorgelegt wurde, formulierte die israelische Regierung ihre Bedingungen für dessen Anerkennung in höchst expliziter Form. Demnach verlangt sie nicht nur, dass der künftige Patriarch mit der israelischen Regierung „ein Verfahren ausarbeitet, nach dem die Immobilie (das heißt die fraglichen Hotels) im Besitz ihrer israelischen Pächter verbleibt“. Die Regierung will darüber hinaus, dass sich das orthodoxe Patriarchat verpflichtet, bei jeder weiteren Veräußerung einer Immobilie der israelischen Regierung oder einem von ihr benannten Träger als Erstes das Recht zu gewähren, das betreffende Objekt zu kaufen oder zu pachten.

In der Vergangenheit wurden solche Geschäfte unter dem Tisch gemacht. Jetzt werden sie, ohne jedes Schamgefühl, in aller Offenheit vollzogen. Vor der Knesset erklärte Innenminister Ronni Bar-On auf eine Frage nach den Bedingungen, die in dem Theophilos vorgelegten Dokument formuliert sind: „In Bezug auf die Entscheidung der Synode, Irenäus abzusetzen, prüft der Ministerausschuss alle relevanten Erwägungen.“ Der Innenminister, der dem Ausschuss vorsteht, lehnte es ab, den Bericht über dieses Dokument zu dementieren. Das griechisch-orthodoxe Patriarchat war ohne weiteres bereit, den Bericht zu bestätigen. In den Amtsräumen neben der Grabeskirche sagt ein Gesprächspartner, der Bescheid weiß: „Israel ist zu weit gegangen.“

Fußnoten:

1 Nach dem noch aus der britischen Mandatszeit stammenden Rechtssystem können in Jerusalem Immobilien nicht verkauft, sondern nur verpachtet werden, und zwar bis zu 200 Jahren. 2 Das Patriarchat Jerusalem ist nicht nur für die orthodoxen Christen in Israel und dem Palästinensergebiet zuständig, sondern auch für die Gemeinden in Jordanien, Saudi-Arabien und den Golfstaaten. Von den 450 000 Gläubigen sind 90 Prozent Araber, die Hälfte von ihnen Palästinenser. In der orthodoxen Hierarchie sind die Araber allerdings unterrepräsentiert. Der Patriarch von Jerusalem ist stets ein Grieche, auch deshalb, weil ein Araber keine Chance auf Anerkennung durch Israel hätte. 3 Irenäus behauptet, die Geschäfte seien hinter seinem Rücken von seinem Generalbevollmächtigen abgeschlossen worden. Dieser Mann, ein Grieche namens Nikos Papadimas, ist seit Dezember 2004 spurlos verschwunden. Dazu: Niels Kadritzke und Susanne Knaul, „Die Tricks des Patriarchen“, in: taz-mag, S. III, tageszeitung, 23./24. Juli 2005.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke © Le Monde diplomatique, Berlin Meron Rapoport ist Mitarbeiter der israelischen Tageszeitung Ha’aretz.

Le Monde diplomatique vom 09.03.2007, von Meron Rapoport