Genehm und gratis
Die chinesische Agentur Xinhua macht Nachrichten für die ganze Welt von Pierre Luther
Seit ein paar Jahren setzt China verstärkt auf „Soft Power“. In etlichen afrikanischen Ländern, aus denen sich die ehemaligen Kolonialmächte mangels finanzieller Ressourcen oder politischen Interesses zurückgezogen haben, hat die Volksrepublik Kooperationsabkommen im Nachrichtengeschäft abgeschlossen. Dabei geht es offenbar eher um eine Imagekampagne als um den Profit. Die vor Ort eingerichteten Zweigstellen chinesischer Medien stellen ihren ausländischen Kollegen Agenturmeldungen, Radiosendungen und Artikel kostenlos zur Verfügung.
Am 1. Juli 2010 präsentierte die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua („Neues China“) in Peking ihren neuen englischsprachigen Fernsehsender CNC World, der über Kabel, Satellit, Internet und Handy empfangen werden kann und dessen journalistisches Ziel, so Direktor Li Congjun, der „globale Blick aus chinesischer Perspektive“ sei. In Konkurrenz zu den weltweiten Nachrichtenkanälen von CNN (USA) und BBC (Großbritannien) soll CNC World von allen Kontinenten berichten, angereichert durch Informationen aus japanischen, russischen, portugiesischen, arabischen und französischen Zeitungen.
Bereits im Januar 2009 hatte die chinesische Führung angekündigt, in die Nachrichtenagentur Xinhua, den Staatssender China Central TV (CCTV) sowie in People’s Daily, die englischsprachige Ausgabe der Renmin Ribao („Tageszeitung des Volkes“), insgesamt 6 Milliarden Dollar zu investieren. Das Geld sollte vor allem dazu dienen, Chinas Image im Ausland zu verbessern und Peking mehr Gehör zu verschaffen.
Alle drei Medien unterstehen dem chinesischen Staatsrat. Im Unterschied zu westlichen öffentlich-rechtlichen Sendern, in deren Belange sich die Politik bekanntlich auch manchmal einmischt, folgt die redaktionelle Linie der chinesischen Staatsmedien einzig und allein den Vorgaben der Zentralregierung. Deren Ziel ist es, auf allen Nachrichtenmärkten der Welt mitzumischen, um ihre Informationen und ihre Version der Geschehnisse zu verbreiten – ohne viel Rücksicht auf die Kosten.
In vielen afrikanischen Ländern ist immer noch das Radio die wichtigste Informationsquelle. Am 27. Februar 2006 weihte der staatliche Auslandsrundfunk Radio China International (RCI) in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, wo seit 1987 die afrikanische Zentrale von Xinhua sitzt, seine erste Auslands-Rundfunkstation ein. 5 000 Kilometer von Peking entfernt werden hier über UKW Programme auf Chinesisch, Englisch und Swahili gesendet. An die hundert weitere Auslandsstationen sollten in den folgenden fünf Jahren eingerichtet werden, und zwar sowohl in afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Schwellenländern als auch in Europa und den USA.
Bei der Eröffnungsfeier in Nairobi versprach RCI-Intendant Wang Gengnian, die Sendequalität zu verbessern und die Programme hörerfreundlicher zu gestalten. Man wolle ein modernes Medium schaffen, ein Radio, das über Funk und Internet zum „Kommunikationsfenster“ zwischen China und dem Ausland werde: „Die ganze Welt soll China besser kennen und verstehen lernen.“ Und umgekehrt sollen auch die chinesischen Hörer die Welt kennenlernen.1
Im August 2010 installierte RCI weitere Stationen in Dakar (Senegal) und Niamey (Niger), die Programme auf Französisch, Chinesisch sowie in mehreren Lokalsprachen ausstrahlen. Brüsseler Xinhua-Korrespondenten informieren die Afrikaner über die EU-Politik. Auch innerafrikanische Nachrichten werden über Xinhua-Zweigstellen verbreitet. So versorgt die Agentur die Kameruner mit Informationen über die Lage im Tschad, die Kongolesen über die Revolution in Tunesien, die Simbabwer über die Entwicklungen in Senegal, die Bevölkerung von Benin über die Ereignisse in Ägypten und so weiter.
Pekings mediale Kooperationen sind natürlich nicht ganz uneigennützig. Auf diese Weise bekommt die chinesische Perspektive, zu der auch Pekings „pragmatische“ Entscheidung gehört, sich im UN-Sicherheitsrat bei den Darfur-Resolutionen gegen den Sudan zu enthalten,2 in der Region ein gewisses Gewicht. Chinesische Nachrichten gehören inzwischen zum politischen Alltag in Afrika, im Nahen Osten und in den meisten Entwicklungsländern in Asien und Südamerika.
Radio China sendet in Afrika
Als der damalige chinesische Präsident Jiang Zemin in seiner Eröffnungsrede zum ersten Forum der chinesisch-afrikanischen Zusammenarbeit (Forum on China-Africa Cooperation, Focac) am 10. Oktober 2000 das Schlagwort von der „Süd-Süd-Kooperation“ prägte, machte er deren Vorzüge deutlich: „Weder darf ein Staat seine Gesellschaftsordnung oder Weltanschauung anderen Ländern aufdrängen noch unpassende Bemerkungen über deren innere Angelegenheiten machen.“3 Mit anderen Worten: Ratschläge in puncto Menschenrechte, Korruption, Umweltstandards oder Arbeitsschutz sind zu unterlassen.
Vielmehr solle man „zum Aufbau einer harmonischen Welt in dauerhaftem Frieden und allgemeinem Wohlstand beitragen“,4 riet Präsident Hu Jintao den 300 Journalisten aus mehr als 170 Ländern, die im Oktober 2009 zum Weltmediengipfel der Agentur Xinhua nach Peking angereist waren.
Jintaos harmonische Welt wird in der Tat gerade erschaffen: von einer großen Schar kleiner Angestellten im Dienst des Staats. Journalistische Kompetenz spielt eine eher untergeordnete Rolle. Was zählt, ist Regimetreue. Auf allen Kontinenten stationiert, sind die Staatsjournalisten zugleich Agenten und Vertreter des Imperiums, Förderer der „für beide Seiten gewinnbringenden Zusammenarbeit“ und Sprachrohre der KP-Führung.
„Wenn du willst, dass die Journalisten zu deiner Pressekonferenz kommen, musst du ihnen ein Geschenk machen.“ Ahmadou leitet einen Verein in Bamako und ist wenig darauf erpicht, dass sein richtiger Name genannt wird. Er spielt auf die Geldumschläge in den Pressemappen an. Wenn sich Journalisten in Afrika akkreditieren oder für ein Interview anmelden, werden sie stets nach ihren Honorarvorstellungen gefragt.
In der afrikanischen Presselandschaft sind solche Praktiken genauso gang und gäbe wie die fließenden Grenzen zwischen redaktionellen Beiträgen und Werbung. Für die Veröffentlichung von Schwerpunktberichten kaufen Unternehmen ganze Anzeigenseiten, die Auflage wird künstlich erhöht und sogenannte Exklusivinterviews dienen im Grunde nur der PR.
Im September letzten Jahres protestierten die Journalistenverbände in Niger und Senegal gegen solche Win-win-Deals (andere würden vielleicht von Korruption sprechen). Sie erinnerten einerseits die Zeitungsverleger an ihre Arbeitgeberpflichten und forderten andererseits Politik und Wirtschaft auf, die Zuwendungen an Journalisten (in Form von Spesen) zu unterlassen.
Das von den Berufsverbänden monierte Gebaren ist in den ehemaligen französischen Kolonien zum Teil auch eine Hinterlassenschaft des alten Françafrique, wo die unabhängigen Medien an einer Hand abzuzählen waren. Doch nun tritt an die Stelle des undurchsichtigen Geflechts französisch-afrikanischer Beziehungen ein anderes, nicht weniger undurchsichtiges namens Chinafrique. Heute sind die Menschen in Afrika der Dauerberieselung durch die Nachrichtenagentur Xinhua ausgesetzt, die in Afrika über 10 000 Mitarbeiter beschäftigt, davon ungefähr 150 Korrespondenten.
Beste Beziehungen zu China pflegt zum Beispiel Togo, dessen staatliches Nachrichtenportal seit 2007 von Xinhua bestückt wird. Die Agentur hat ähnliche Abkommen mit Tunesien, Marokko, Algerien, Kamerun, Kongo, Gabun, Burundi, Syrien, Ägypten und vielen anderen Ländern geschlossen, in denen sie inzwischen zu einer der wichtigsten Informationsquellen geworden ist.
Insgesamt versendet Xinhua etwa 1 000 Meldungen pro Tag in sieben Sprachen (Chinesisch, Englisch, Französisch, Spanisch, Arabisch, Russisch und Portugiesisch) an seine Abonnenten in aller Welt. Die Nachrichtenagentur übermittelt auch Artikel und Reportagen an Zeitungen in 150 Ländern, tauscht Fotos mit anderen Presseagenturen aus und liefert ihren Kunden einen kompletten Informationsservice. Auch Fernsehbilder und Radioreportagen gehören inzwischen zum Austauschprogramm. Allerdings geht es weniger darum, dass Informationen aus den verkümmerten afrikanischen oder arabischen Medien die Leser und Hörer in China erreichen, sondern dass Peking über die afrikanischen Kanäle seine Sicht der Dinge verbreiten kann.
Die ehemalige Rote Informationsagentur
Während Afrika bislang in westlichen Zeitungen praktisch keine Rolle spielte – außer bei Naturkatastrophen oder wenn Diktatoren stürzen –, steht der Kontinent auf der französischen Website von Xinhua an dritter Stelle nach den Rubriken China und Welt. Erst danach folgen Wirtschaft, Kultur, Sport, Gesellschaft und Gesundheit.
Im August letzten Jahres eröffnete People’s Daily ein Büro in der nigerianischen Hauptstadt Abuja. Auf seiner Website finden sich seitdem neben Artikeln über Politik und Wirtschaft auch sämtliche Fußballergebnisse. Die Zeitung pflegt ihre afrikanischen Freundschaften und sucht die Zusammenarbeit in einem Klima „der Ebenbürtigkeit und des gegenseitigen politischen Vertrauens, getragen von beiderseitigen wirtschaftlichen Erfolgen und dem interkulturellen Austausch“. So stellte es jedenfalls der damalige Leiter der Propagandaabteilung und Politbüromitglied Liu Yunshan dar, als er im September 2007 in Peking 40 Pressevertreter aus Afrika empfing.
Mit den häufigen Einladungen von Journalisten und auch Staatsbeamten aus Afrika sollen wertvolle Verbündete gewonnen und persönliche Beziehungen aufgebaut werden. Solche Kontakte könnten sich als nützlich erweisen, wenn es wieder einmal darum geht, Proteste gegen die Arbeitsbedingungen in chinesischen Unternehmen einzudämmen.
Die 1959 gegründete senegalesische Presseagentur APS ist der Internationalen Organisation der Frankophonie (OIF) zufolge die meistgenutzte Nachrichtenquelle in den französischsprachigen Ländern Westafrikas. Ihre Partner sind die International Islamic News Agency (IINA) aus Saudi-Arabien (das Presseorgan der Weltislamkonferenz), die Konrad-Adenauer-Stiftung und – seit kurzem – auch die Agentur Neues China, Xinhua News.
Auch private Anbieter werden von Peking bedacht: Im Oktober 2009 überreichte die chinesische Botschaft in Dakar der Afrikanischen Presseagentur (APA) – der wichtigsten privaten Nachrichtenagentur des Kontinents mit Sitz in Dakar – ein Geschenk im Wert von 6 Millionen CFA-Francs: eine Fernsehkamera und ein Freiabonnement für die chinesischen Dienste.
Xinhua, die vor der Gründung der Volksrepublik im Jahr 1949 Rote Informationsagentur hieß, ist keine gewöhnliche Presseagentur. In China nennt man sie „Ohren, Augen, Hals und Zunge der Partei“.5 Xinhua besitzt das Monopol über die Nachrichtenverbreitung, sie ist gleichrangig mit den Ministerien und steht in direkter und vollständiger Abhängigkeit von der Regierung. Im Gegensatz zu den weltweit aktiven Agenturen Agence France Presse (AFP), Reuters und der amerikanischen Associated Press (AP) muss sie keine Profite erwirtschaften – sie spielt daher vor allem eine strategische Rolle.
Während AFP mit 110 Büros und 50 Korrespondenten in 165 Ländern operiert, Reuters über ein Netz von fast 150 Korrespondenten verfügt und AP in 72 Ländern stationiert ist, besaß Xinhua 2009 schon 100 Korrespondentenbüros, im Juli 2010 waren es 130. Laut Newsweek sollen zukünftig 200 Auslandsbüros mit etwa 6 000 Journalisten eingerichtet werden.6
Dieses beeindruckende Aufgebot wird die Leser und Hörer in aller Welt vielleicht nicht unbedingt mit garantiert vertrauenswürdigen Informationen versorgen, doch es hilft der chinesischen Führung, über die Entwicklungen im Ausland stets bestens informiert zu sein. Und schließlich müssen auch die Partner in Afrika und anderswo über die „gemeinsamen Interessen“ auf dem Laufenden gehalten werden.
Fußnoten: