13.04.2007

Klimaflüchtlinge in Bangladesch

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Klimaflüchtlinge in Bangladesch

Wenn der Meeresspiegel weiter steigt, haben bald 5,5 Millionen Menschen kein Land mehr von Donatien Garnier

Von Dhaka aus braucht man etwa zwölf Stunden, um nach Munshiganj zu gelangen, einem winzigen Flecken im äußersten Südwesten Bangladeschs. Erst fährt man sieben Stunden in einem klimatisierten Bus bis nach Khulna und braucht auf dieser Etappe allein schon eine Stunde, um über den Ganges zu setzen. Das Wasser unter der Fähre hat die Farbe von Milchkaffee. Dann geht es weiter in einem zweiten Bus, der gerammelt voll ist und genauso mitgenommen wirkt wie der Busfahrer: Vier Stunden lang wird man durchgeschüttelt und versinkt in Hitze und Staub. Schließlich endet die Straße an einem Fluss ohne Brücke und ohne Fähre – Endstation Munshiganj. Auf der anderen Seite des Flusses, nach Süden hin, erstreckt sich ein undurchdringlicher Wald – der Sundarban, der größte Mangrovenwald der Erde, der zum Teil zu Indien gehört und von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Hinter den Mangroven liegt der Ozean.

Der vollständige Name des Ortes lautet Munshiganj Bazar. Er dient als Markt für die übers Land verstreuten kleinen Siedlungen. Die einzige Hauptstraße verläuft mitten auf dem großen Deich, der die Gegend vor Überschwemmungen und Springfluten schützt. Den Straßenrand säumen Verkaufsbuden, Läden aller Art, Teehäuser und eine Handvoll Wohngebäude. Am Ende der Straße: eine Schule und eine kleine Moschee.

In diesem Jahr hat der Monsun lange auf sich warten lassen. Dass er sich inzwischen eingefunden hat, davon zeugt ein plötzlicher heftiger Platzregen. Schon bald sind die Saris der Frauen und die Longhis der Männer durchnässt. Was der Geschäftigkeit keinen Abbruch tut.

Mohamad Abdul Mannan Molla ist gut geschützt unter seinem Regenschirm aus dickem schwarzen Stoff, von dem er sich nie trennt. Fest steht er da auf seinen mageren Beinen, mit rundem Bauch und einem pausbäckigen Gesicht, dem auch der graue Bart keinen Anschein von Ernsthaftigkeit verleihen kann. Im Moment ist er eifrig am Handeln, es geht um den Preis der Zutaten, die er für die Zubereitung seines Paans braucht – eine Mischung aus kleinen Stückchen Muskatnuss und Kalk, eingewickelt in große, bitter schmeckende Blätter, die er den ganzen Tag über kaut. Nachdem er seine Einkäufe erledigt hat, schlägt Onkel Mannan, wie man ihn hier nennt, so zügig den Weg nach Hause ein, dass man ihm seine siebzig Jahre kaum glauben kann.

Mannan lebt in Pankhali, einem Weiler, der nur über einen schmalen Deichweg zu erreichen ist. Drei Kilometer watet man durch tiefen und rutschigen Schlamm. Der alte Mann bewegt sich mit erstaunlicher Leichtigkeit; nur hin und wieder bleibt er stehen, um ein paar Worte mit den Nachbarn, ganz gleich, ob jung oder alt, zu wechseln. Die Grußworte sind warm und herzlich, was umso mehr auffällt, da die Landschaft sehr streng wirkt. So weit das Auge reicht, sind ringsum nur Wasserflächen zu sehen, die von Erddämmen eingegrenzt werden: Mastbecken zur Aufzucht von Riesengarnelen für den Export. Wären da nicht die bunten Saris der Frauen, die auf ihren Hüften Kinder oder schwere Wasserkrüge schleppen – alles schiene grau und stumpf.

„In meiner Jugend“, erzählt Mannan, ohne sein Tempo zu verlangsamen, „gab es hier nur Reisfelder und Kuhherden. Es war großartig! Aber seit der Flutwelle von 1988 ist der Boden voller Salz. Man musste die Felder aufgeben; stattdessen gibt es jetzt die Garnelenfarmen.“ Die Anpassung an die Umwelt ist gelungen – doch ist der Wandel wirklich zu begrüßen? „Der Wohlstand ist gestiegen, sehr sogar“, meint Mannan, „den Basar gab es ja vorher nicht.“ Ein Nachbar widerspricht heftig. „Wohlstand ja – aber nur für die Reichen!“, mischt er sich in das Gespräch ein. „Die Armen werden nur immer noch ärmer.“1 Eine Gruppe von fünf oder sechs Leuten hat sich inzwischen um den alten Mann geschart. Der Einwurf des Nachbarn löst einen regen Disput aus.

„Auf den Garnelenfarmen brauchen sie viel weniger Leute zum Arbeiten als auf den Reisfeldern“, meint einer zustimmend, „es gibt keine Arbeit mehr.“ „Früher“, erinnert sich ein anderer, „konnten wir außerdem mit dem getrockneten Kuhdung heizen. Jetzt müssen wir in den Sundarban gehen und Holz hacken.“ Ein Dritter klagt: „Früher hatten wir hier sechs Jahreszeiten. Jetzt hab ich das Gefühl, es sind nur noch vier.“ Es ist noch kein positives Wort gefallen, als die Gruppe Mannans Haus erreicht, wo man sich weiterunterhalten will.

Die Nacht bricht bereits herein über den drei kleinen Häusern, die sich mit ihren Lehmwänden und den Palmdächern dicht an den Deich schmiegen. Der alte Mann lebt hier mit Zohura, seiner Frau, und den Familien ihrer beiden Söhne. Irgendwo in der Nachbarschaft hebt Gesang an, begleitet von einem Harmonium. Drinnen brennt eine Petroleumlampe und beleuchtet nur spärlich den einzigen Raum des Hauses, kärglich möbliert mit einer Bank, einem Tisch und einem aus Holzbrettern gebauten Bett ohne Matratze.

Früher gab es in jedem Garten einen Trinkwasserbrunnen

Während sich alle auf Matten niederlassen, die auf der nackten Erde ausgebreitet sind, bietet Zohura den Gästen Paan an. Klein und von der Arbeit ausgemergelt wie sie ist, wirkt sie zehn Jahre älter als ihr Mann – dabei ist sie zehn Jahre jünger. Als sie erfährt, worum es in dem Gespräch geht, sagt sie: „Alles ist anders geworden. Früher hatte jeder in seinem Garten einen Trinkwasserbrunnen, aber das Wasser ist salzig geworden und nicht mehr zu gebrauchen. Wenn man Trinkwasser braucht, muss man jetzt zum Basar gehen oder mit dem Boot über den Fluss setzen.“

Mit der großen Überschwemmung von 1988 hat es begonnen, seither schreitet die Versalzung ständig fort. Die Ursache ist der gestiegene Meeresspiegel. Man merkt es vor allem, wenn der Monsun kommt und die Springfluten sich über die Deiche ergießen oder Löcher hineinreißen.2 „Das passiert, obwohl wir die Deiche jedes Jahr um mehrere Zentimeter erhöhen“, bemerkt Mannan, der oft an den Deichen als Vorarbeiter auf den Reparaturbaustellen arbeitet.

Die Versalzung wird auch dadurch begünstigt, dass die Flüsse in der Trockenzeit weniger Wasser führen und die kraftvollere Flut das Meerwasser noch ungebremster ins Landesinnere treiben kann. Ein verhängnisvoller Prozess ist in Gang gekommen. Die Klimaerwärmung – um die und nichts anderes geht es hier – schafft die Bedingungen dafür, dass das Salzwasser immer weiter ins Land vordringt und immer tiefer in die Grundwasserschichten gelangt. Deshalb verschwinden die Anbauflächen für Reis und die entsprechenden Arbeitsplätze gehen verloren.

Wie soll man unter solchen Bedingungen überleben? Andernorts bliebe nur ein Ausweg: fortziehen. Hier im Südwesten Bangladeschs bietet sich zumindest vorübergehend noch eine alternative Existenzmöglichkeit: die Mangrovenwälder. Wer keinen Job auf den Garnelenfarmen findet, der wird wieder Fischer oder Jäger und streift als Sammler durch den Sundarban auf der Suche nach Holz und wildem Honig – immer mehr Leute tun das.

Abdul Rahman Molla, Mannans jüngerer Sohn, ist dreißig Jahre alt und Fischer in den Gewässern der Mangrovenwälder. Er nickt: „Auf dem Wasser trifft man jeden Tag mehr Leute. Seit fünf Jahren kommen sie auch aus dem Norden zum Fischen. Die brauchen drei Tage mit dem Boot, bis sie hier sind.“ Das hat Folgen für den Artenbestand: „Es gibt immer weniger junge Garnelen und Fische. Früher habe ich zehn Kilo an einem einzigen Tag gefischt, heute fange ich heute gerade mal ein Pfund.“

Wer sich in den Sundarban hineinwagt, riskiert viel. In den Mangrovenwäldern lauern Piraten, die die Fischer entführen und schlagen, um Geld zu erpressen. Hier lebt auch der gefürchtete Bengalische Tiger, dem, so heißt es, jährlich an die hundert Menschen zum Opfer fallen. Erst als sich das Gespräch diesen Themen nähert, schlägt die Stimmung in der Gruppe vorübergehend um – bislang waren alle, trotz der ernsten Themen, erstaunlich gut gelaunt. Nebenan ist die Musik verstummt, auch der sangesfreudige Nachbar hat sich zu der kleinen Versammlung gesellt.

Wenn das Gespräch nun gelegentlich verstummt, hört man nur noch das Quaken der Frösche – es müssen Tausende sein. Auch wenn jeder der Anwesenden eine schreckliche Geschichte zu erzählen hat – man hört doch immer heraus, wie sehr sie alle mit ihrer Heimat verwachsen sind. Der Islam ist hier im Südwesten gemäßigt, er verbietet die Musik nicht, schränkt die Frauen nicht ein und erlaubt ein friedliches Zusammenleben mit den Hindus. Es gibt sogar einen gemeinsamen Kult, den der Waldgöttin Bono Vidi. Überhaupt spielt der Wald eine große Rolle – seine Schönheit und die Mythen, die sich um ihn ranken, prägen die Gegend.

Doch die Mangroven sind in keiner guten Verfassung. Der Zustrom der Menschen macht ihnen zu schaffen, dazu die vermehrte Versalzung und der Anstieg des Meeresspiegels sowie der Wasser- und Lufttemperatur. Der Wald hatte keine Zeit, sich alledem anzupassen. Wie schlecht es dem Sudarban geht, erkennt man daran, dass die größeren Bäume weniger werden und viele Tier- und Pflanzenarten verschwunden sind. Doch ohne diese Biodiversität bricht langfristig auch das fragile Gleichgewicht zusammen, das den Menschen hier im Südwesten das Überleben ermöglicht. In diesem Fall sähen sich Hunderttausende gezwungen, die Gegend zu verlassen. Über 8 000 Familien wären direkt, über 5 Millionen indirekt betroffen, weil ihr Überleben vom Ökosystem im Sundarban abhängt.

„Weggehen?“, ruft Zohura aus. „Wohin denn? Lieber sterbe ich hier!“ Die Gäste lachen. Ihr Sohn Rahman sieht die Dinge pragmatischer: „Ich würde mit meiner Familie nach Dhaka gehen. Andere Möglichkeiten gibt es nicht.“ Doch noch stellt sich die Frage nicht – zumindest für sie. Noch heißt es, sich anpassen – jeden Tag von neuem.

Dhaka, im Juli 2006. Das Stadtviertel Niketon wirkt ein bisschen so, als sei es erst nach dem letzten Monsunregen aus dem Erdboden geschossen: die Straßen ungeteert, überall halbfertige Neubauten, die schon bewohnt werden. Dhaka ist eine Megastadt. Bereits heute leben hier 13 Millionen Menschen, für das Jahr 2015 rechnet man mit 21 Millionen Einwohnern – Dhaka wäre dann die viertgrößte Stadt der Welt. Das Wachstum der Stadt vollzieht sich in einem weltweit einmaligen Tempo. Überall wird gebaut, oft viel zu schnell und alles durcheinander: Glastürme, Elendsviertel, Villen und Straßenzüge mit Gebäuden von sieben oder acht Etagen, mit Parkplätzen im Erdgeschoss und riesigen improvisierten Klimaanlagen auf den Balkonen. In einem dieser schmucklosen Gebäude befinden sich die Büros der Bangladesh Unnayan Parishad (BUP)3 . Leiter dieser Forschungseinrichtung ist Ahsan Uddin Ahmed, Autor zahlreicher Artikel, in denen es um die Auswirkungen der globalen Erwärmung in Bangladesch geht.

Ahmed sitzt sehr aufrecht in seinem Sessel; die Rückenlehne ist mit einem Tuch bespannt, das dazu dient, den Schweiß aufzusaugen, falls die Ventilation ausfallen sollte. Nüchtern benennt der Wissenschaftler, was auf dem Spiel steht: „Im Moment sind die Menschen im Südwesten unseres Landes am stärksten vom Klimawandel betroffen. Am Ende wird es die gesamte Bevölkerung sein.“

Über 140 Millionen Einwohner leben in Bangladesch auf einem Gebiet, das etwa 40 Prozent der Fläche Deutschlands entspricht.4 Das Land ist einer der Staaten, die weltweit am meisten von der Klimaerwärmung betroffen sind. Der dritte Bericht des IPCC5 schätzt: Bereits ein Anstieg des Meeresspiegels um 45 Zentimeter würde dazu führen, dass in Bangladesch 5,5 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen müssten, 10,9 Prozent der Fläche des Landes gingen verloren.

Im Norden droht Dürre im Süden das Salz

Überschwemmungen sind in Bangladesch nichts Ungewöhnliches. Hunderte von Wasserläufen durchziehen das Land, darunter drei große Flüsse: der Ganges, der Meghna und der Brahmaputra. 92 Prozent des Wassers kommen aus Tibet, Bhutan, Indien und Nepal. Vor allem zur Zeit des Monsuns gelangen riesige Wassermassen ins Land – und überfluten im Durchschnitt ein Drittel des Landes. „Die Menschen haben gelernt, damit umzugehen“, erklärt Ahmed. „Aber die globale Erwärmung bringt das ganze Schema durcheinander.“ Weil die Niederschläge während des Monsuns steigen und dazu noch die Gletscher im Himalaja abschmelzen, muss immer mehr Wasser ins Meer abfließen. Das werde aber immer schwieriger, weil ja der Meeresspiegel ansteigt.

Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die jährlichen Überschwemmungen also weiter an Umfang und Dauer zunehmen – und das fragile Gleichgewicht zerstören, das im Lauf der Jahrhunderte zwischen einer mehrheitlich immer noch ländlichen Bevölkerung und der launischen Natur des Landes entstanden ist.

Doch das ist nicht alles. Da die Niederschläge außerhalb der Monsunphasen erheblich geringer geworden sind, die Temperaturen aber ansteigen, drohen im Nordwesten des Landes Dürreperioden. Das würde bedeuten, dass die Flüsse weniger Wasser führen würden und das von den Küsten her eindringende Salzwasser noch weniger aufhalten könnten. Angeschoben von den Gezeiten, würde das Salzwasser immer weiter nach Norden gelangen und die Versalzung der Felder und des Grundwassers bewirken.

Ahmed bezieht in diese Szenarien, die die Auswirkungen der globalen Erwärmung darzustellen versuchen, noch nicht einmal mit ein, wie sich der mögliche Anstieg der Zahl tropischer Wirbelstürme auswirken wird. Zwar verstärkten Stürme den Seegang und trügen so zum Anstieg des Meeresspiegels bei, erläutert er; doch diese Fragen seien wissenschaftlich noch nicht endgültig geklärt. Wie dem auch im Einzelnen sei: Der Klimawandel werde sich auf ganz Bangladesch verhängnisvoll auswirken.

„Wenn wir verhindern wollen, dass die Menschen in Massen in die Städte abwandern, dann müssen wir ihnen helfen zu verstehen, was vor sich geht.“ Mohon Kumar Mondal setzt seine Worte ruhig und präzis – anders als die oft etwas dramatisch auftretenden Vertreter vieler anderer NGOs aus der Gegend von Munshiganj.

Er ist für einige Tage nach Dhaka gekommen, um Fundraising für seine eigene Organisation, Gana Unnayan Sangstha, zu betreiben. Die winzige, rein lokal agierende NGO gründet Umweltschutzvereine in den Dörfern der Umgebung. Man trifft sich, um über die Veränderungen zu sprechen, die man beobachtet hat, und um gemeinsam Lösungen zu finden für die Probleme, die sich stellen: Man pflanzt Bäume an, baut die Häuser auf Pfähle, verbessert die Trinkwasserversorgung und verwendet Reisarten, denen das Salz weniger zu schaffen macht.

Onkel Mannan gehört dem Umweltschutzverein von Pankhali an. Obwohl er Analphabet ist, hält er regelmäßig Vorträge für seine Nachbarn. „Die Leute merken, dass die Dinge sich verändern, aber weil sie sehr schlecht informiert sind, können sie sich das nicht erklären. Wir haben deswegen Aufführungen organisiert, mit Schauspielern und Musikern von hier, die durch die Dörfer ziehen und den Leuten beibringen, was global passiert – mit Symbolen und Geschichten aus unserer eigenen Kultur.“

Doch trotz aller Bemühungen von Mohons Organisation und trotz ihrer Heimatliebe sehen sich immer mehr Bewohner Munshiganjs gezwungen, ihre Heimat zu verlassen: Sie finden weder auf den Garnelenfarmen noch in den Mangrovenwäldern Arbeit.

Einer von ihnen ist Mohamad Abdul Hamid, 25 Jahre alt, Vater zweier Kinder. Weil er seine Familie in Munshiganj nicht ernähren kann, verdingt er sich seit einem Jahr als Rikschafahrer im dichten Verkehr der Hauptstadt – Arbeit, die an den Kräften zehrt. „Es gibt keinen härteren Job “, sagt er, und sein trauriges Lächeln hat etwas Entschuldigendes. Seine Stimme ist heiser, rau geworden von der Luftverschmutzung, sein Körper sehr mager. „Ich brauche immer mehrere Tage, um wieder etwas Gewicht zuzulegen, wenn ich nach Hause zurückkehre“, berichtet er, „Das tue ich ungefähr einmal im Monat, sobald ich genug Geld zusammen habe für die Reise und für meine Frau und die Kinder.“

Dass er überhaupt durchhält, verdankt Hamid auch der Solidarität einer kleinen Gruppe junger Leute, die alle aus der Gegend um Munshiganj stammen. Gemeinsam mieten sie vom Besitzer der Rikschas ein kleines Zimmer, wo sie sich treffen und kochen können. Und es gibt eine aus Bambusholz gezimmerte Liegefläche, auf der sie sich nach zehn oder zwölf Stunden härtester Arbeit erschöpft ausstrecken.

Der Besitzer der Rikschas, ein ruhiger, besonnener Mann, trauert ein wenig der Vergangenheit nach. Es ist noch gar nicht so lange her, da war er noch Bauer und die Garage, in der heute die Rikschas stehen, ein Kuhstall; wo heute die Fahrer schlafen, lagerten damals die Heu- und Strohballen. Die Stadt hat sein Stück Land geschluckt, doch das Rikschageschäft läuft gut: „Es kommen immer mehr und wollen für mich arbeiten“, berichtet er, halb ausgestreckt auf der Holzbank, von der aus er den Betrieb überwacht.

Hamid gibt ihm Recht: „Als ich letztes Jahr hierherkam, da waren wir nur elf Leute aus Munshiganj, jetzt sind wir fast fünfzig.“ Haben sie alle die Hoffnung aufgegeben, je wieder zu Hause zu arbeiten? Wollen sie auch in Zukunft einer Beschäftigung nachgehen, die gerade genug zum Überleben abwirft – obwohl sie noch jung und gesund sind? Hamid träumt davon, genug Geld zu sparen, um zu Hause in den Garnelenhandel einzusteigen.

Die Verursacher werden die Opfer nicht haben wollen

Weit weg vom Viertel Kilgaon, in dem sich die Rikschafahrer durch den dichten Verkehr quälen, liegt das Büro von Maudood Elahi. Der Geograf, ein Experte für Migrationsbewegungen innerhalb Bangladeschs, hat ein nüchtern eingerichtetes modernes Büro in einem etwas protzigen Turm, der zu einer der Privatuniversitäten gehört, die seit einigen Jahren in Dhaka mit Erfolg gegründet werden.

Elahi prophezeit Hamid eine andere Zukunft: „Das ist ein typischer Fall. Zuerst kommt das Familienoberhaupt hierher. Er schickt seiner Familie Geld und denkt anfangs noch, dass er eines Tages zu ihnen zurückkehrt. Im Allgemeinen läuft es aber genau umgekehrt.“ Und der Professor prophezeit, dass Dhaka, Hauptziel der Migranten, weiter wachsen wird. Die Fläche der Stadt hat sich „in zwanzig Jahren um 40 Prozent vergrößert“.

Wenn sich die Auswirkungen des Klimawandels auf Bangladesch weiter fortsetzen, wie es der letzte Bericht des IPCC6 voraussagt, muss man mit ungeheuren Wanderbewegungen in Bangladesch rechnen – im Südwesten wie im ganzen Land. Dhaka wird einen solch massenhaften Zuzug aus den ländlichen Gebieten nicht aufnehmen können, das ist unvorstellbar. Schon allein deswegen, weil die Hauptstadt ihrerseits von schlimmen Überschwemmungen bedroht ist – wie die von 2004. Wohin werden die Flüchtlinge also ziehen? In die Nachbarländer?

Das ist, will man gewaltsame Konflikte vermeiden, sehr unwahrscheinlich. Maudood Elahis ist da sehr entschieden: „Nach Indien oder Myanmar auszuwandern wäre sehr schwierig. Indien hat genug eigene demografische Probleme, außerdem sind beide Länder auch selbst stark vom Klimawandel betroffen. Von den Schwierigkeiten auf politischer Ebene gar nicht erst zu reden! Deshalb ist es dringend nötig, Kooperationen zu Ländern außerhalb Südasiens aufzubauen. Es ist lebenswichtig.“

Und in immer noch ruhigem Ton fährt er fort: „Internationale Organisationen wie die UNO oder das UNHCR (Flüchtingskommissariat der Vereinten Nationen) spielen eine ganz entscheidende Rolle – sie müssen Pläne entwickeln, wie man in Zukunft mit den Massenmigrationen umgehen kann, die sich schon heute abzeichnen. Um es ganz deutlich zu sagen: Ich bin der Ansicht, dass die großen Länder dieser Welt ihre Einwanderungspolitik ändern müssen. Wenn man davon ausgeht, dass die Klimaerwärmung ein globales Problem ist, muss man auch nach globalen Lösungen suchen.“

Atiq Rahman, der Gründer des Bangladesh Centre for Advanced Studies (BCAS)7 , setzt sich seit zwanzig Jahren für eine solche globale Strategie ein. Das BCAS ist ein multidisziplinäres Forschungszentrum, ein Wegbereiter in der Erforschung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der globalen Erwärmung. Rahman, der, wenn es um wissenschaftliche Probleme geht, immer sehr auf Didaktik bedacht ist, kommt beim Thema globale Erwärmung sofort auf Fragen globaler Gerechtigkeit zu sprechen.

„Bangladesch leidet ohnehin schon unter der Verantwortungslosigkeit seiner Politiker und den Folgen der verschiedensten Naturkatastrophen. Der Klimawandel ist dabei der kritische Faktor – der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Dabei verursacht unser Land nur 0,3 bis 0,4 Prozent des weltweiten Ausstoßes an Treibhausgasen. Das ist weniger als New York. Natürlich müssen wir unsere eigenen Emissionen verringern, das ist eine moralische Pflicht. Wenn aber der Rest der Welt nichts tut und es eine riesige humanitäre Katastrophe gibt – wer muss dann am Ende die Verantwortung übernehmen?“

Als Ausweg aus dieser globalen Ungerechtigkeit schlägt Rahman folgende Lösung vor: „Jedes Land sollte sich um einen bestimmte Anteil der Klimaflüchtlinge kümmern, damit meine ich: ihre Reise organisieren und sie aufnehmen. Die Quote würde von der Menge der Treibhausgasemissionen des jeweiligen Landes abhängen – jetzt und in der Vergangenheit.“ Vielleicht könnte sich dieser Vorschlag sogar auf die Genfer Konvention aus dem Jahr 1951 stützen – wenn der Flüchtlingsstatus, wie er dort definiert wird, auch Klimaflüchtlingen zugestanden würde. Der Vorschlag mag überraschend sein – und ist bedenkenswert.

Fußnoten:

1 Siehe Cédric Gouverneur, „Krabben für die Reichen. Die reine Exportstrategie ist für Bangladesch kein Segen“, Le Monde diplomatique, August 2005. 2 Bangladesch verfügt über keine verlässlichen Messungen. Im Südwesten, sagen die Fischer, sei der Meeresspiegel in den letzten dreißig Jahren sichtbar gestiegen. Für denselben Zeitraum gibt der Intergovernmental Panel on Climate Change („Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen“, IPCC) einen Anstieg zwischen 12 und 22 Zentimetern auf dem ganzen Planeten an. 3 www.bup-bd.org/index.htm. 4 Das entspricht einer Bevölkerungsdichte von 1 001 Einwohnern pro Quadratkilometer. 5 IPCC, „Climate Change 2001“, Bd. 1 „The Scientific Basis“, Genf 2001. 6 Der letzte IPCC-Bericht wurde am 1. Februar 2007 veröffentlicht. www.ipcc.ch. 7 www.bcas.net.

Aus dem Französischen von Patrick Batarilo

Donatien Garnier schreibt für das Collectif Argos, www.collectifargos.com/#.

Le Monde diplomatique vom 13.04.2007, von Donatien Garnier