Waldsterben bei Moskau
Der französische Konzern Vinci will eine Autobahn durch ein Naturschutzgebiet bauen von Adam Federman
Die Zeit wird knapp für die russischen Umweltaktivisten, die verhindern wollen, dass durch einen alten Wald nördlich von Moskau eine Autobahn gebaut wird. Die Bewegung zur Verteidigung des Chimki-Waldes hat eine verzweifelte Kampagne gestartet, um den französischen Konzern Vinci, der als Hauptunternehmer für die umstrittene Autobahn fungiert, in letzter Minute von dem Projekt abzubringen.
Das börsennotierte Unternehmen Vinci SA hat einmal als Baukonzern angefangen und ist inzwischen Weltmarktführer im Bereich bauliche und baunahe Dienstleistungen.1 Den Vertrag über den Bau – und die spätere Nutzung – der Autobahn von Moskau nach St. Petersburg hat der Konzern 2009 unterschrieben. Damals wurde sie als das erste russische Public-Private-Partnership-Projekt im Straßenbau hervorgehoben. Die Arbeiten am ersten Streckenabschnitt sollen noch in diesem Monat beginnen. Die 43 Kilometer lange Trasse wird einen alten Eichenwald durchschneiden, der ein wichtiges Revier für Großwild ist, Biotop für zahlreiche gefährdete Pflanzenarten und Grüngürtel für die Metropole Moskau mit ihrer extremen Luftverschmutzung.
Die Kampagne zur Rettung des Waldes von Chimki hat im Ausland einiges Aufsehen erregt, vor allem aber hat sie innerhalb Russlands viele Unterstützer gefunden: Eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ist gegen die geplante Autobahntrasse. Wenn Vinci abspringt, so hoffen die Aktivisten, muss das ganze Vorhaben noch einmal überdacht werden. „Wir wollen Druck auf Vinci machen, weil es das einzige europäische Unternehmen ist, das bei diesem Projekt dabei ist“, schreibt Jaroslaw Nititenko, einer der Anführer der Chimki-Kampagne, in einer E-Mail: „Im Gegensatz zur russischen Regierung hat Vinci einen Ruf zu verlieren; und es gibt Aktionäre, die Einfluss auf die Unternehmenspolitik haben. Wir wollen der Welt zeigen, was das für ein Projekt ist, an dem sich Vinci beteiligt.“
Nachdem die Verteidigt-Chimki-Bewegung für eine Petition auf Change.org mehr als 20 000 Unterschriften gesammelt hat, reiste ihre Sprecherin Jewgenia Tschirikowa nach Paris. Dort übergab sie am 2. Mai auf der Aktionärsversammlung des Konzerns die Liste an den Vinci-Vorstand. Bis jetzt hat sich der Konzern auffallend wenig zu den Vorwürfen geäußert, die das Projekt belasten, wie Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Mangel an Transparenz.
Seitdem das Autobahnprojekt konzipiert wurde, gab es immer wieder üble Angriffe auf Umweltaktivisten und Journalisten, die über den Fall recherchierten. So wurden Teilnehmer der Verteidigt-Chimki-Initiative mehrfach überfallen, häufig von bewaffneten Schlägern, und sogar festgenommen, als sie sich bei den Behörden nur über den Stand der Dinge erkundigen wollten. Die meisten Beobachter nehmen an, dass der Überfall auf den Journalisten Michail Beketow, der im November 2008 zusammengeschlagen und schwer verletzt wurde, auch mit dessen Reportagen über den Fall zu tun hatte und mit seiner Kritik an dem Bürgermeister von Chimki, Wladimir Streltschenko.2
Die Pläne der Umweltaktivisten
Ende März beschwerten sich zwei NGOs, und zwar die auf Zentral- und Osteuropa konzentrierte Organisation Bankwatch Network und die Bewegung zur Verteidigung des Waldes von Chimki, beim UN-Netzwerk Global Compact (UNGC) über dessen Mitglied Vinci. Unternehmen, die sich dieser Initiative angeschlossen haben, verpflichten sich nämlich explizit auf einen ganzen Katalog an Grundrechten, also die Einhaltung von Menschenrechten und Arbeitsnormen, den Umweltschutz und die Korruptionsbekämpfung. Vinci reagierte erst Ende April auf die Vorwürfe, indem es in einem Brief an Global Compact jeden Einsatz von Gewalt verurteilte und behauptete, das Bauprojekt und die Angriffe auf deren Gegner hätten nicht das Geringste miteinander zu tun.
Pippa Gallop, die Sprecherin von Bankwatch Network, sagt, dass es zwar keine Beweise dafür gebe, dass Vinci etwas mit den Übergriffen zu tun hat, aber davon profitiere. „Es ist ganz schön dreist zu behaupten, es gebe überhaupt keine Verbindung zwischen dem Autobahnprojekt und den nachweislichen Gewalttaten.“ Michèle Rivasi, die für die französische Grüne Partei im Europa-Parlament sitzt, gab auch eine Erklärung ab. Für sie ist es besonders schockierend, „dass ein französisches Unternehmen bei dieser üblen Geschichte mitmacht. Ich fordere die russischen Behörden auf, das gewaltsame Vorgehen gegen die Aktivisten einzustellen, und erwarte vom Vinci-Konzern, dass er sich aus diesem Projekt zurückzieht.“
So klar die Beweise für die gewaltsamen Attacken gegen die Gegner des Bauvorhabens sind, so undurchsichtig scheinen die finanziellen Interessen an dem Autobahnprojekt und die Strippenzieher hinter den Kulissen. Am 30. April legten die beiden NGOs einen Bericht über das Joint Venture vor, das Vinci mit mehreren russischen Bauunternehmen und Ingenieurbüros eingegangen ist. An der North-West Concession Company (NWCC) ist unter anderem ein langjähriger Kumpel des russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin3 beteiligt sowie eine Reihe von Offshore-Investmentfirmen, deren Besitzer größtenteils anonym sind. Vincis Partner bei dem Projekt ist eine kleine, unbekannte Firma namens Vosstran, deren Teilhaber in Syrien, im Libanon und in Frankreich sitzen. Pippa Gallop fragt sich, warum ein Riesenkonzern wie Vinci für sein Autobahnprojekt ausgerechnet diese kleine Firma angeheuert hat.
Die Umweltaktivisten schlagen eine andere Trassenführung vor und haben außerdem ein unabhängiges Gutachten in Auftrag gegeben, das mehrere Alternativen anbietet. Doch von Vinci kommen keinerlei Signale, sein Engagement zu überdenken – obwohl inzwischen die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung wie auch die Europäische Investitionsbank ihre Unterstützung zurückgezogen haben. Vinci will noch innerhalb dieses Monats einen neuen Vertrag über die erste Phase des Bauprojekts im Wert von 1,5 Milliarden Euro unterzeichnen. Der Konzernvorstand hat in seinem Bericht für die Aktionärsversammlung in Paris die Autobahn zwischen Moskau und St. Petersburg nur beiläufig erwähnt, und zwar als einen der „kommerziellen Erfolge“ des Unternehmens im Bilanzjahr 2010. Dieser kommerzielle Erfolg scheint auch für die kommenden Jahren gesichert: Vinci hat sich eine Konzession verschafft, die dem Unternehmen für mindestens 30 Jahre die Einnahmen aus dem mautpflichtigen Streckenabschnitt durch den Wald von Chimki garantiert.
Louis-Roch Burgard, der Vinci-CEO für den Geschäftsbereich „Konzessionen“, erklärte letztes Jahr auf dem Investment-Forum in Sotschi vor Journalisten: „Wir sind uns ganz sicher, dass hier eine absolut gigantische Nachfrage besteht: ob an Straßen, Flughäfen, Eisenbahnen oder Parkplätzen. Wir wissen, dass die Regierung gewillt ist, in diesen Bereichen voranzukommen, und dafür wird sie unter anderem Konzessionen vergeben müssen.“
Das mag ja sein. Doch nun trifft Vinci auf dem Weg zur Realisierung seines ersten Großprojekts auf ein unvermutetes Hindernis: eine gut organisierte Protestbewegung in einem Land, in dem so etwas eigentlich nicht vorgesehen ist. Daher dauerte es einige Zeit, bis Vinci auf die Umweltschützer überhaupt reagierte. Selbst deren Besuch in Paris schien die Franzosen nicht besonders zu beeindrucken. Auf der Aktionärsversammlung am 2. Mai erklärte Vinci-Chef Xavier Huillard, die Arbeiten im Wald von Chimki würden in wenigen Monaten beginnen. Und für die Wahl der Trasse und den dafür nötigen Landerwerb sei sein Unternehmen nicht verantwortlich.