13.05.2011

Der Fernsehkrieg in der Elfenbeinküste

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Der Fernsehkrieg in der Elfenbeinküste

Beim Machtkampf zwischen Gbagbo und Ouattara wurden die Medien zur politischen Waffe von Vladimir Cagnolari

Montag, 11. April 2011: Die Bilder eines entgeisterten Laurent Gbagbo im Unterhemd und seiner niedergeschlagenen Ehefrau Simone gehen um die Welt. Das Paar, das in der Elfenbeinküste jahrelang die Zügel in der Hand hielt, wurde gerade im Keller seiner Residenz verhaftet; die im Rahmen der UN-Operation agierende französische Licorne-Truppe hatte das Haus zuvor unter Dauerbeschuss genommen.

Die kurzen Szenen ohne Ton – Gbagbo bewegt die Lippen, man hört nicht, was er sagt – wurden zuerst im Sender Télévision Côte d’Ivoire (TCI) gezeigt, den Alassane Ouattara im Januar 2011 als Gegengewicht zum allmächtigen Staatssender Radiodiffusion-Télévision ivoirienne (RTI) gegründet hatte. Der neue Präsident wollte dem Land beweisen, dass der Krieg vorbei war. Seit dem 28. November 2010, dem Tag des umstrittenen zweiten Wahlgangs bei der Präsidentenwahl, sind Bilder zu ebenso wichtigen Waffen geworden wie die Gewehre.

Seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1960 besaß RTI das Informationsmonopol, zusammen mit der offiziellen Tageszeitung Fraternité Matin. In jeder Zeitung fand man damals zunächst die „Gedanken zum Tag“ von Präsident Félix Houphouët-Boigny, dessen Einheitspartei autoritär regierte. Die meisten Zeitungen und Zeitschriften berichteten vor allem von den Maßnahmen der Regierung und den Reisen des Staatschefs, die der persönliche Reporter des Präsidenten, Joseph Diomandé, in hymnischen Worten zu beschreiben pflegte. In dem stark agrarisch geprägten Land dienten die Staatsmedien auch dazu, eine gemeinsame Identität zu schaffen und die großenteils analphabetische Bevölkerung zu erziehen: Hygiene- und Gesundheitssendungen, landesweite Wettbewerbe zur Verschönerung der Dörfer, Schulfernsehen und dergleichen.

Die Journalisten, die beim Staatssender Dienst taten, galten als Vertreter der Macht. Dann fiel die Berliner Mauer, und der folgende Demokratisierungsschub in Afrika zwang den alternden Houphouët-Boigny zu einer Öffnung der Medienlandschaft. Es entstanden etliche – oft kurzlebige – Pressetitel, und bald teilten sich etwa zwanzig Tageszeitungen einen der größten französischsprachigen Pressemärkte in Afrika. Schließlich war die Elfenbeinküste trotz der Wirtschaftskrise eines der reichsten Länder der Region, mit einer deutlich höheren Kaufkraft als in den Nachbarländern.

Obwohl der Gründung einer Zeitung kaum noch bürokratische Hürden entgegenstanden, verbesserte sich die journalistische Qualität nicht. Die Tageszeitungen, die häufig von wichtigen Parteipolitikern abhängig waren, wiederholten die Fehler der Staatsmedien. Einige hervorragende Journalisten versuchten zwar, unabhängig zu arbeiten, aber das wurde immer schwieriger, als nach dem Tod Houphouët-Boignys im Jahr 1993 die politischen Spannungen zunahmen.

Hofberichterstattung und Latrinengerüchte

Die Liberalisierung der Presselandschaft entwickelte sich allmählich zum Freibrief für jede Art von Propaganda. Die verrücktesten Gerüchte, häufig gleich auf der ersten Seite platziert, sorgten für Unterhaltungsstoff unter den sogenannten Titelexperten: Passanten, die sich vor den Zeitungskiosken versammelten und die Nachrichtenlage anhand der Schlagzeilen kommentierten. Dies führte schließlich zum Rückgang der Verkaufszahlen und machte die Journalisten noch abhängiger von den mit Geld gefüllten Umschlägen ihrer Mäzene, die Lobeshymnen bestellten und sich gelegentlich regelrechte Hofberichterstatter hielten.

RTI stand im Dienst des Houphouët-Boigny-Nachfolgers Henri Ko-nan Bédié, auch wenn der Sender den neuen Staatschef nicht ganz so lautstark feierte. Die internationalen Radiosender – BBC, Radio France Internationale (RFI), Africa N°1 –, die 1993 Sendelizenzen erhalten hatten, wahrten zwar ihre Neutralität, doch der Ton in der nationalen Presse wurde schärfer. Die Artikel wurden immer gehässiger und die Journalisten im vergifteten politischen Klima zu Kampfschreibern – bis schließlich ein offener Konflikt ausbrach.

Als am 19. September 2002 die Revolte gegen den seit zwei Jahren regierenden Laurent Gbagbo ausbrach und desertierte Soldaten Kasernen im ganzen Land angriffen, wurden die Auslandssender sofort geschlossen. Die Redaktionen der Zeitungen und privaten Radiosender, die im Verdacht standen, dem mutmaßlichen Auftraggeber des Staatsstreichs, Alassane Ouattara, nahezustehen, wurden verwüstet. RTI stieg zum mächtigsten Propagandainstrument des Regimes auf. Die Leitung des staatlichen Senders sorgte dafür, dass alle angeblichen Sympathisanten von Ouattaras Partei, dem Rassemblement des Républicains (RDR), entlassen wurden. Westliche Journalisten, denen man Parteilichkeit vorwarf, wurden dem Volkszorn preisgegeben, indem man ihre Adressen öffentlich bekanntgab. RTI strahlte den ganzen Tag lang brutale Hetzreden der „Patrioten“ genannten Unterstützer von Präsident Gbagbo in voller Länge aus.

Die im Land lebenden Staatsangehörigen des benachbarten Burkina Faso, wo die Rebellen ihre Stützpunkte hatten, wurden Opfer von Vergeltungsmaßnahmen. Der Staatschef befahl den Sicherheitskräften, Ausländern, in deren Stadtvierteln man Waffenverstecke vermutete, „Beine zu machen“. Das Staatsradio trug seinen Teil zu der Hasskampagne bei – so erklärte einer der Chefredakteure am 6. Oktober 2002: „Man müsste nur 500 000 Burkiner aus der Elfenbeinküste vertreiben, damit der Rebellenchef [gemeint ist Blaise Compaoré, der Präsident von Burkina Faso – d. Red.] die Bedeutung der Elfenbeinküste in der Region begreift.“ Das trug dem Sender den Spitznamen „Radio Mille Lagunes“ (Radio der tausend Lagunen) ein, ein Verweis auf das berüchtigte „Radio Mille Collines“ (Radio der tausend Hügel) in Ruanda, das 1994 die Aufrufe zum Genozid an den Tutsi verbreitet hatte. Die verbale Brutalität heizte die physische Gewalt an und verstärkte das Gefühl der Straflosigkeit bei Übergriffen. Einen Monat nach Beginn der Feindseligkeiten stoppten französische Truppen den Vormarsch der Rebellen und zementierten damit die faktische Teilung des Landes. Im Zentrum und im Norden, dem Territorium der Rebellen, war RTI nicht mehr zu empfangen; lokale Radio- und Fernsehstationen kümmerten sich darum, „die Bevölkerung zu informieren“.

Auf beiden Seiten gingen die Ausschreitungen allerdings weiter, bis die Verträge von Ouagadougou (Burkina Faso) im März 2007 den Weg zu Neuwahlen freimachten, die schließlich nach sechsmaliger Verschiebung im vergangenen November stattfanden. Ausländische Medien wie Radio France Internationale, deren Sendungen zuvor ständig gestört wurden, konnten nun wieder offiziell senden. Nach dem politischen entspannte sich auch das mediale Klima – bis zum Wahlkampf 2010.

Am Abend des zweiten Wahlgangs, am Sonntag, dem 28. November 2010, begab sich der ivorische Regierungssender RTI mit den 20-Uhr-Nachrichten wieder in Kampfstellung. Ouattara und sein Team verschwanden von den Bildschirmen, zahlreiche Reportagen enthüllten Gewalttaten und Betrügereien im Norden. Es gab kein Recht auf Gegendarstellung, und die Ausschreitungen im Süden und Westen des Landes fanden keinerlei Erwähnung.

Am Morgen des 30. November, einem Dienstag, wartete das gesamte Land auf die Wahlergebnisse, doch RTI baute die Übertragungswagen am Sitz der Unabhängigen Wahlkommission (CEI) wieder ab1 – und „verpasste“ dadurch deren Sprecher, der vergeblich versuchte, das Wahlergebnis zu verkünden. Die Unterlagen wurden unter den Augen der internationalen Presse zerrissen, und zwar von dem Kommissionsmitglied Damana Pickas, dem ehemaligen Vizevorsitzenden der Schüler- und Studentenvereinigung der Elfenbeinküste (Fesci), die seit zehn Jahren als Nachwuchsschmiede für Gbagbos Gefolgsleute gedient hatte.2

Am Donnerstag, dem 2. Dezember, verkündete zur allgemeinen Überraschung CEI-Präsident Youssouf Bakayoko die Wahlergebnisse, nach denen Alassane Ouattara gewonnen hatte, in dessen Hauptquartier, dem Golf-Hotel. Seine Rede war jedoch auf RTI nicht zu sehen, die ausländischen Sender waren ebenso wie die SMS-Übertragung abgeschnitten. Am nächsten Tag, dem 3. Dezember, erklärte der Verfassungsrat Laurent Gbagbo zum Sieger. Diese Bilder liefen dann in Endlosschleife über das Staatsfernsehen (das seit dem Vorabend als Einziges noch sendete), nur unterbrochen von den gebetsmühlenartigen Wiederholungen juristischer Erklärungen für diese Entscheidung.

Zweite Front in Frankreich

Seltsamerweise bezog sich keiner von ihnen auf Artikel 64 des ivorischen Wahlrechts, der unter solchen Umständen eine Annullierung der Wahl und einen neuen Wahlgang vorschreibt. Gbagbos Amtseid vom 4. Dezember wurde live im Staatsfernsehen übertragen: Er war der einzige Präsident, den die Ivorer zu Gesicht bekommen sollten. In den folgenden Wochen wurde Ouattaras Wahlsieg erst von der UNO und dann nacheinander von den USA, Frankreich und der Afrikanischen Union (AU) anerkannt. Im Land bildete sich derweil eine ungleiche Doppelführung heraus: Während Gbagbo das Machtzentrum in Abidjan in der Hand behielt, verschanzte sich Ouattara im Golf-Hotel, bewacht von den Blauhelmen der UNO, denn seine Unterstützer saßen mehrheitlich im Ausland. In dieser Lage entschloss sich Gbagbo zu einer neuerlichen Medienoffensive, um die einhellige internationale Ablehnung seines Machtanspruchs zu durchbrechen.

Die Schlacht spielte sich im Wesentlichen in Frankreich ab, der ehemaligen Kolonialmacht, die weiterhin enge Beziehungen zur Elfenbeinküste unterhält. Wahlverlierer Gbagbo verfügte dort über ein recht heterogenes Netzwerk von Unterstützern, das vor allem eines belegt: dass Laurent Gbagbo ein pragmatischer Stratege ist. Schon im Wahlkampf hatte er Stéphane Fouks engagiert, den Chef der Werbeagentur Euro RSCG Wordwide, eines Tochterunternehmens der Havas-Gruppe. Eine konsequente Entscheidung, wenn man bedenkt, dass Havas-Aufsichtsratsvorsitzender Vincent Bolloré 2003 die Konzession für den Hafen von Abidjan erhalten hatte und 2008 zum Kommandeur des Nationalen Ordens der Elfenbeinküste ernannt worden war.

Im Laufe der Wochen nach der Wahl genoss Gbagbo in den Havas-Blättern eine Vorzugsbehandlung. Die übrigen Verbindungen des Expräsidenten verteilten sich über alle politischen Lager: alte Genossen von der Sozialistischen Partei (PS), allen voran Guy Labertit, der frühere „Monsieur Afrique“ der Partei, bei dem Gbagbo während seines französischen Exils in den 1980er Jahren Aufnahme gefunden hatte. Labertit unterstützte Gbagbo auch dann noch offen, als die Parteiführung der PS diesen aufforderte, das Wahlergebnis anzuerkennen.

Daneben tauchten weniger bekannte Unterstützer aus der extremen Rechten auf: Bernard Houdin, der ehemalige Führer der rechtsextremen Studentenvereinigung Groupe Union Défense (GUD), aber auch der Rechtsanwalt Marcel Ceccaldi, der frühere Berater von Jean-Marie Le Pen. Dessen Tochter Marine Le Pen – seit dem 16. Januar 2011 Nachfolgerin ihres Vaters als Vorsitzende des Front National – wollte nicht zurückstehen und kritisierte ebenfalls den Interventionismus von Präsident Sarkozy. Damit kam sie Gbagbos Absicht entgegen, die ivorische Krise in eine Auseinandersetzung mit Paris umzumünzen. Das Thema wurde unter Franzosen ebenso heiß debattiert wie unter Afrikanern.

All diese Unterstützer legten sich bei Talkshows im französischen Fernsehen und Radio für den „Widerstandskämpfer“ Gbagbo ins Zeug und erklärten, dass die ivorische Verfassung jede internationale Einmischung verbiete. Ende Dezember reisten die Staranwälte Jacques Vergès und Roland Dumas nach Abidjan und verkündeten eine neue Option für das Gbagbo-Lager in den französischen Medien: Die beiden wollten ein „Weißbuch“ verfassen mit dem Ziel, Zweifel bei der internationalen Öffentlichkeit an der Ablehnung Gbagbos zu säen und zwei Präsidenten als weiterhin gleichwertige Rivalen in Stellung zu bringen. So entstand automatisch der Eindruck, die westlichen Regierungen und die UNO seien parteiisch. Und tatsächlich verfassten die beiden Anwälte eine Anklageschrift, die sich jedoch hauptsächlich auf Beweise des ivorischen Staatssenders RTI stützte.

Alassane Ouattara konzentrierte sich im Informationskrieg dagegen vor allem auf die heimische Front und setzte auf den Kampf mit Bildern, die die Ivorer selbst zu sehen bekamen. Seine Wahlkampagne hatte er 2010 Patricia Balme (PB Com International) anvertraut, einer der führenden PR-Strateginnen auf dem afrikanischen Politikberatungsmarkt. Am 16. Dezember scheiterte Guillaume Soro, den Ouattara gerade zum Premierminister ernannt hatte, mit seinem Marsch auf die RTI. Daraufhin gründete der von der UNO anerkannte Präsident Ende Dezember ein eigenes Radio und im Januar den Fernsehsender TCI, der jedoch auch nicht durch verlässliche Informationen glänzte. Die Ausschaltung der RTI, die weiterhin Gbagbo-Propaganda sendete, blieb Ouattaras vorrangiges Ziel. Seine Milizen vom „Unsichtbaren Kommando“3 attackierten Gbagbo-Leute, die im Abobo-Viertel von Abidjan unterwegs waren, wo sich auch der Sender befindet; dieser geriet zudem ins Visier französischer Hubschrauberangriffe.

In der Nacht vom 10. auf den 11. April machten die Bombardements der Licorne-Truppe den RTI-Sendungen endgültig ein Ende. Am Mittag wurden die Bildschirme ebenso schwarz wie die Zukunft Gbagbos. Mitarbeiter des Senders wurden Opfer einer regelrechten Hexenjagd. Eine Versöhnung der Ivorer wird wohl erst dann gelingen, wenn die mediale Abrüstung Fortschritte macht.

Fußnoten: 1 Die Sicherheitskräfte (FDS) verwiesen auch die ausländischen Journalisten des Landes. Die Angestellten von Radio Onuci FM wurden aufgefordert, ihr Studio vor Ort abzubauen. 2 Siehe Vladimir Cagnolari, „Drei ungleiche Brüder“, in: Le Monde diplomatique, Januar 2011. 3 Das „unsichtbare Kommando“ ist ein Zusammenschluss von Milizen, die sich dem Kampf gegen Gbagbo angeschlossen haben. Aus dem Französischen von Sabine Jainski Vladimir Cagnolari ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 13.05.2011, von Vladimir Cagnolari