Geld für den Wahlkampf
In Brasilien dürfen Gewerkschaften Wahlkampagnen nicht finanziell unterstützen – Unternehmen hingegen schon. Bei den Wahlen vom 5. Oktober 2014 übernahmen 19 Konzerne die Hälfte der auf umgerechnet 2 Milliarden Euro geschätzten Werbeausgaben – 2002 hatte der Wahlkampf noch 270 Millionen Euro gekostet. Das brasilianische Kellogg-Institut hat berechnet, dass jeder in den Wahlkampf investierte Real eine Rendite von 8,5 Reais an öffentlichen Aufträgen abwirft. Zu den großzügigsten Spendern gehören Baukonzerne, die direkt von staatlichen Aufträgen abhängig sind, wie OAS, Andrade Gutierrez, UTC Engenharia, Queiroz Galvão oder Odebrecht, gefolgt von Großbanken wie Bradesco oder BTG Pactual und dem Bergbaugiganten Vale. Bei den Wahlen von 2010 – den letzten, für die vollständige Zahlen vorliegen – wurde der Wahlkampf zu 95 Prozent durch die Wirtschaft finanziert. Nur 4,9 Prozent der Spenden stammten von Privatpersonen; vier Jahre zuvor waren es noch 27 Prozent gewesen. Die Wahl eines Abgeordneten kostete im Schnitt 370 000 Euro, eines Senators 1,5 Millionen und eines Gouverneurs 7,8 Millionen.
Bereits vor drei Jahren, im September 2011, war die brasilianische Anwaltskammer wegen der Wahlkampfspenden vor den obersten Gerichtshof gezogen – dass die Abgeordneten diesbezüglich etwas unternehmen würden, war ja nicht zu erwarten. Die Initiative wurde von der brasilianischen Bischofskonferenz, der Vereinigten Sozialistischen Arbeiterpartei (PSTU), dem Wahlrechtsforschungsinstitut der Staatsuniversität Rio de Janeiro und der Bewegung zum Kampf gegen Wahlkorruption unterstützt.
Seit dem 11. Dezember 2013 wird über die Verfassungsbeschwerde verhandelt. Vier der elf Richter des obersten Gerichtshofs stimmten für ein Verbot der Wahlkampffinanzierung durch Privatunternehmen. Richter Teori Zavascki war zwar gegen das Verbot, forderte aber dennoch eine Untersuchung; deshalb wurde die Urteilsverkündung bis zum 2. April 2014 aufgeschoben. Obwohl inzwischen zwei weitere Richter ihre Unterstützung für das Verbot signalisiert hatten (und damit eine Mehrheit für das Verbot zustande gekommen wäre), wurde vor dem 10. Juni 2014 kein Urteil gefällt, denn ein weiteres Mitglied des Gerichts forderte eine erneute „Überprüfung“ des Textes. Der 10. Juni war jedoch der Stichtag, damit das Verbot noch für den Wahlkampf 2014 hätte in Kraft treten können.
Auf der anderen Seite bereiteten 450 zivilgesellschaftliche Organisationen und 1 800 Bürgerkomitees seit November 2013 eine Volksabstimmung über die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung zur Reform des politischen Systems vor, die in der ersten Septemberwoche stattfand. Man konnte seine Stimme in 40 000 Wahlbüros oder über das Internet abgeben. Etwa 8 Millionen Brasilianer haben sich beteiligt, die überwältigende Mehrheit stimmte für Verfassungsreformen.
Silvio Caccia Bava
Silvio Caccia Bava leitet die brasilianische Ausgabe von Le Monde diplomatique.