USA: Ethnoquote für die Chefetage
Die Politik der affirmative action demokratisiert die Aufstiegschancen, ohne die Diskriminierung durch Armut zu beseitigen von John D. Skrentny
Im November 2006 stimmten die Wähler in Michigan gegen die Vorzugsbehandlung von ethnischen Minderheiten in ihrem Bundesstaat. Das Verbot betraf auch die Förderung benachteiligter Gruppen, also die „positive Diskriminierung“ (affirmative action) seitens der angesehenen Universität von Michigan.
Faktisch setzten die Wähler damit eine seinerzeit gefeierte Entscheidung des obersten US-Gerichtshofs aus dem Jahr 2003 außer Kraft. Im Fall Grutter vs. Bollinger hatte der Supreme Court entschieden, dass die Universität von Michigan schwarze Bewerber und solche lateinamerikanischer Herkunft bevorzugt aufnehmen durfte, weil sie damit die ethnische Vielfalt der Studentenschaft erhöhe. 58 Prozent der Wahlberechtigten in Michigan verwarfen diese Mehrheitsentscheidung von fünf Bundesrichtern in Washington: Nach dem Plebiszit durfte es keine positive ethnische Diskriminierung in Michigan mehr geben.
Den Universitäten in den meisten anderen Bundesstaaten bleibt zwar freigestellt, auch weiterhin einzelne ethnische Gruppen bevorzugt zu behandeln, und auch in der Arbeitswelt und anderen Bereichen bestehen die entsprechenden Programme weiter. Und doch besteht kein Zweifel, dass diese demokratische Ohrfeige für eine Verfassungsentscheidung einen dramatischen Wendepunkt und einen schweren Rückschlag für die sozialen Aufstiegschancen ethnischer Minderheiten darstellte. Zugleich ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die Entscheidung der Wähler nennenswerte Auswirkungen auf das Leben der Bewohner in den schwarzen Ghettos von Detroit, Michigan, haben wird, die zu den hoffnungslosesten und ärmsten Stadtvierteln der Vereinigten Staaten gehören.
Der Grund: Positive Diskriminierung ist nicht darauf angelegt, den Armen zu helfen. Sie zielt vielmehr darauf ab, Menschen zu unterstützen, die aus ethnischen Gründen oder wegen ihres Geschlechts, nicht aber aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit benachteiligt sind. Selbstverständlich geht für viele US-Amerikaner die Kategorie der ethnischen Minderheit mit sozialer Benachteiligung Hand in Hand – und dafür gibt es natürlich Gründe. Obwohl sie nur jeweils rund 13 Prozent der Bevölkerung stellten, waren im Jahr 2004 von den Armen der Nation 25 Prozent Schwarze und 22 Prozent Latinos.1 Positiv diskriminierende Fördermaßnahmen nützen jedoch in der Regel den am besten gestellten Einzelpersonen aus den am stärksten benachteiligten Gruppen der US-Gesellschaft. Deshalb ist dieses Mittel zwar wegen seiner ethnischen Ausrichtung umstritten, im Grunde aber doch zutiefst „amerikanisch“. Sie soll Chancen und nicht etwa Gleichheit schaffen. Die Klassenstruktur lässt sie unangetastet. Wenn sie perfekt funktioniert, werden die Anzugträger in der Chefetagen der Konzerne eine wunderbar vielfältige Gruppe bilden – genau wie die Obdachlosen, die durch die Straßen ziehen.
Obwohl es viele Definitionen von affirmative action gibt, ist es zunächst einmal hilfreich, sie mit dem zu vergleichen, was sie nicht ist: dem „farbenblinden“, mithin diskriminierungsfeindlichen Umgang mit Chancengleichheit. Das Diskriminierungsverbot des bahnbrechenden Bürgerrechtsgesetzes von 1964 untersagte Arbeitgebern und Bildungseinrichtungen, Einstellungs- oder Zulassungsentscheidungen aufgrund bestimmter Kriterien wie ethnischer Zugehörigkeit, nationaler Abstammung, Glaubensbekenntnis oder Geschlecht zu treffen. Gelangt beispielsweise ein Afroamerikaner zu der Überzeugung, seine ethnische Zugehörigkeit habe bei seiner Nichteinstellung oder Nichtzulassung eine Rolle gespielt, kann er sich an die Behörden wenden oder vor Gericht gehen.
Im Gegensatz dazu bedeutet die Politik der affirmative action mehr als die bloße Abwesenheit von Diskriminierung. Entstanden ist sie wenige Jahre nach dem Antidiskriminierungsgesetz im Klima der großen urbanen Krise, vor dem Hintergrund der massiven Rassenunruhen in den Städten. Und manchmal beschränkt sie sich nur darauf, Stellen in den von Minderheiten bevorzugten Medien auszuschreiben, um so Frauen oder Angehörige einer bestimmten ethnischen Minderheit Vorteile zu verschaffen.
Natürlich war vor allem die ethnisch ausgerichtete Förderung seit jeher überaus umstritten. Sowohl im Bildungssektor als auch auf dem Arbeitsmarkt war affirmative action nicht gleichbedeutend mit einer festen Quotenregelung, aber sie kam dem doch sehr nahe: nämlich das Notwendige zu tun, um eine „Zielgröße“ oder „kritische Masse“ einer bestimmten Gruppe zu erreichen. Im höheren Bildungswesen lief dies üblicherweise darauf hinaus, dass Bewerber von Minderheiten mit Notendurchschnitten oder Eignungstestergebnissen zugelassen wurden, die unter dem Durchschnitt der Bewerber der Mehrheit lagen – de facto handelte es sich damit um positive ethnische Diskriminierung.
Es gibt zugewanderte und einheimische Minderheiten
In der Arbeitswelt sind die erforderlichen Qualifikationen gewöhnlich komplexer, ihre Beurteilung ist subjektiver. Auch hier kann Förderung auf ethnische Vorzugsbehandlung hinauslaufen, üblicherweise jedoch nimmt sie die Form zusätzlicher Anwerbungs- und Ausbildungsprogramme für ethnische Minderheiten und Frauen an.
Bei der Politik der affirmative action ging es von Anfang an um Diskriminierung: Man wollte sie verhindern oder die Folgen früherer Diskriminierungen ausgleichen. Stellt aber Diskriminierung heute in Amerika überhaupt noch ein Problem dar? Die Antwort hängt davon ab, wen man fragt und woran man sie bemisst. Abgesehen davon, dass an Grund- und Oberschulen ethnische Ungleichheit ein erhebliches Problem darstellt, kommt es bei der Zulassung zu Universitäten höchstens noch ausnahmsweise zur Diskriminierung von ethnischen Minderheiten oder Frauen. Auf dem Beschäftigungssektor stellt sich die Lage anders und erheblich komplizierter dar.
Für die Kongressangehörigen, die 1964 das Antidiskriminierungsgesetz verabschiedeten, spielte die Arbeitslosenrate der schwarzen Bevölkerung eine große Rolle. Sie lag damals bei Schwarzen doppelt so hoch wie bei Weißen. Fatalerweise hat sich daran in keinem einzigen Jahr etwas geändert, seit sich die US-Regierung dazu verpflichtet hat, die Rassendiskriminierung zu beseitigen. Im Februar dieses Jahres betrug die Arbeitslosenrate weißer US-Amerikaner 4 Prozent, die der schwarzen 7,9 Prozent, die von Latinos 5,2 Prozent und die von US-Amerikanern asiatischer Herkunft (ebenfalls eine Zielgruppe von affirmative action) 2,7 Prozent.
Die einschlägigen Sozialwissenschaftler suchen nach komplexeren Gradmessern für die tatsächliche Diskriminierung. Viele Experten halten sich an das Lohngefälle und verweisen darauf, dass Menschen mit ähnlichen intellektuellen Fähigkeiten (gemessen nach standardisierten Tests) auch ähnliche Löhne bekommen, und zwar unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Dagegen machen andere geltend, dass für einen fairen Vergleich zusätzliche Faktoren berücksichtigt werden müssten, etwa die Dauer der Schulausbildung und die psychische Verfassung der Menschen. Sie konnten mit ihren Studien aufzeigen, dass die Löhne schwarzer Beschäftigter diskriminierungsbedingt 11 Prozent unter denen der weißen liegen.2
Eine andere Methode arbeitet mit „Tests“, bei denen Bewerber, die sich allein nach ethnischer Zugehörigkeit unterscheiden, zu Vorstellungsgesprächen geschickt und die Resultate dann verglichen werden. Verschiedene Studien kommen hier zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen, belegen aber mehrheitlich eine Diskriminierung von Schwarzen und Latinos. Besonders beunruhigend ist dabei die Erkenntnis der Soziologin Devah Pager, dass vorbestrafte Weiße bessere Chancen haben, eine Stelle zu finden, als Schwarze, die sich nie etwas zuschulden kommen ließen.3 Sozialwissenschaftler, die sich mit der Zuwanderung befassen, haben einen Typ Arbeitgeber ausgemacht, der sich offen zu seiner Vorliebe für asiatische und lateinamerikanische Einwanderer – im Gegensatz zu schwarzen wie weißen US-Amerikanern – bekennt. Einheimische schwarze Arbeiter seien „faul“, einheimische weiße Arbeiter hingegen, mit den drastischen Worten eines Arbeitgebers, „jammernde Arschlöcher“.4
Die Unterscheidung zwischen zugewanderten und einheimischen ethnischen Minderheiten spielt in den USA eine wichtige Rolle. Eine Untersuchung der Harvard-Universität ergab, dass nicht weniger als zwei Drittel der schwarzen Undergraduate-Studierenden (die 8 Prozent der gesamten Studentenschaft ausmachten) westindische oder afrikanische Zuwanderer der ersten oder zweiten Generation waren.5 Es ist kein Zufall, dass die beiden Schwarzen, die als mögliche Präsidenten der Vereinigten Staaten am häufigsten erwähnt werden – Colin Powell und Barack Obama – von Einwanderern und nicht von Sklaven abstammen.
Ein ähnlicher Dissens besteht in der Frage, ob affirmative action tatsächlich ein wirksames Mittel ist, um Chancen für Minderheiten zu eröffnen. Auch hier gibt es zwischen den Bildungseinrichtungen und dem Arbeitsmarkt große Unterschiede. Die Mehrheit ist sich einig, dass die positive Diskriminierung sehr vielen Schwarzen und Latinos – die im Durchschnitt bei universitären Zulassungstests schlechter abschneiden – den Weg zu hohen universitären Abschlüssen ebnet (Amerikaner asiatischer Abstammung schaffen dies ohne entsprechende Bevorzugung).
Universitäten diskriminieren die Armut, nicht die Hautfarbe
Als die Universität von Kalifornien6 , an der ich arbeite, Mitte der 1990er-Jahre die Bevorzugung ethnischer Minderheiten abschaffte, ging die Zahl der Immatrikulationen – und Bewerbungen – von Schwarzen und Latinos erheblich zurück. In einem Staat, in dem diese Bevölkerungsgruppen 38 Prozent der High-School-Absolventen ausmachten, sank der Anteil der Schwarzen und Latinos von rund 21 auf 15 Prozent der Studierenden und verlagerte sich außerdem in die Universitäten, deren Auswahlverfahren nicht so streng sind.7 Für die juristischen Fakultäten ergab eine Untersuchung, dass die Beendigung der Vorzugsbehandlung zu einem Rückgang schwarzer Studierender von 40 bis 50 Prozent führen würde.8
Eine andere Studie über Absolventen des Grundstudiums kam zu dem Ergebnis, dass hier der Anteil schwarzer und lateinamerikanischer Studierender von 12 Prozent auf 4 Prozent zurückgehen würde.9 Debattiert wird nun, ob nicht statt der ethnischen Minderheiten besser die Armen durch unterstützende Maßnahmen gefördert werden sollten.
Doch ganz gleich, welcher ethnischen Herkunft sie sind, Studierende aus dem unteren Viertel der elterlichen Einkommens- und Bildungsskala sind an den Eliteuniversitäten geringer repräsentiert als Angehörige ethnischer Minderheiten, und 75 Prozent der Studierenden an den Eliteuniversitäten kommen aus dem oberen Viertel der Einkommensskala.10
Auch für den Arbeitsmarkt bestätigen diverse Studien die Wirksamkeit der positiven Diskriminierung. Die habe zum Beispiel den Anteil schwarzer Beschäftigter um 20 bis 25 Prozent erhöht. Mit einer Vielzahl von Maßnahmen konnte die Zahl schwarzer US-Amerikaner in Führungspositionen nachweislich gesteigert werden, wenngleich sie immer noch weit hinter ihrem Bevölkerungsanteil zurückbleibt. Der Anteil schwarzer Frauen in Führungspositionen stieg zwischen 1971 und 2002 von 0,4 auf 2 Prozent, während sich der Anteil schwarzer Männer im selben Zeitraum von 1 auf 3,1 Prozent erhöhte. Positive Diskriminierung bewirkte auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass es immer mehr Angehörige von Minderheiten in die Führungsetagen schaffen. Einer oder eine von ihnen ist bei 76 Prozent der tausend größten Unternehmen im Vorstand vertreten, bei 47 Prozent gibt es mindestens ein afroamerikanisches Mitglied.
Sieht man vom lebhaften Streit der Professoren ab, gibt es heute jedoch kaum noch eine öffentliche Diskussion über die positive Diskriminierung in den USA, und zwar aus zwei Gründen. Erstens handelt es sich für beide großen Parteien um ein Thema, bei dem sie nur verlieren können. Die Demokraten, Hauptunterstützer einer entsprechenden Politik, sind mit der Tatsache konfrontiert, dass die Mehrzahl der US-Amerikaner ethnische Quoten ablehnt. Und so verteidigen die Demokraten die Förderpolitik zwar gegen Angriffe, haben aber jahrzehntelang nichts getan, um sie zu stärken oder weiterzuentwickeln. Am liebsten vermeiden sie das Thema – um den konservativen Vorwurf zu vermeiden, sie würden die überzogenen Ansprüche einer unpopulären Bevölkerungsgruppe bedienen.11
Die Republikaner dagegen tun nichts, um die Förderpolitik abzuschaffen, denn dies wäre für die Liberalen eine Steilvorlage, um sie als bürgerrechtsfeindlich oder rassistisch abzustempeln. Den meisten Amerikanern würde die Vorstellung missfallen, dass sie eine rassistische Regierung unterstützen. Deshalb vollzog sich der Abbau der Minderheitenförderung vor allem über Gerichtssäle oder Wahlen in einzelnen Bundesstaaten, was bislang in Michigan, Kalifornien und Washington gelungen ist. Aber die Liste dürfte noch länger werden. Dennoch: Die gewählten Amtsträger halten sich lieber heraus.
Der zweite wichtige Grund liegt darin, dass das Konzept der positiven Diskriminierung in den USA von heute praktisch ein Anachronismus ist. Bei der Minderheitenförderung ging es um die Verhinderung oder Kompensation von Diskriminierung bestimmter, identifizierbarer Gruppen – sprich um Gerechtigkeit und Fairness. Heute dagegen ist von Gerechtigkeit für Minderheiten nicht mehr so viel die Rede. Heute geht es um „Vielfalt“. Im öffentlichen Diskurs sprechen sich Unternehmensvorstände und Universitätsvertreter für die Einbeziehung ethnischer Minderheiten aus, weil Unternehmen und Universitäten dadurch leistungsfähiger würden. Unterschiedliche Ethnien auf der Gehaltsliste oder im Seminarraum gelten demnach als ein Vorteil für die jeweilige Organisation.
Der Begriff der Vielfalt ist für das politische Konzept, das einmal affirmative action genannt wurde, von mehrfachem Nutzen. Während Kategorien wie Diskriminierung, Gerechtigkeit und sogar Chancengleichheit aus dem politischen Diskurs verbannt sind, verspricht das Argument der Vielfalt, die Weißen von ihren Schuldgefühlen wegen vergangener oder gegenwärtiger Unterdrückung zu entlasten. Zudem nimmt es der Behauptung, dass Minderheiten, die es nicht verdient hätten, unfaire Schützenhilfe bekämen, den Wind aus den Segeln. Und die Vielfalt macht überdies alle zu Gewinnern, weil die betreffende Firma besser dasteht.
Für ethnische Minderheiten eröffnen sich auf diese Weise mehr Chancen, auch wenn dies gar nicht das Ziel der Übung ist. Für alle, die auf eine farbenblinde Zukunft hoffen, liegt der große Nachteil dieser Politik freilich darin, dass an der Vielfalt orientierte Maßnahmen dazu tendieren, der ethnischen Zugehörigkeit eine noch größere Bedeutung zu geben. Es ist also zu befürchten, dass damit die Unterschiede eher verstärkt als abgeschwächt werden.
Sowohl die auf Vielfalt zielende Politik als auch die Politik der positiven Diskriminierung übersehen jedoch, dass nicht alle Benachteiligungen von Minderheiten gleich sind: Nach den meisten Indikatoren für Ungleichheit – wie Einkommen, Ghettoisierung oder Häufigkeit von Mischehen – bleiben die Schwarzen eine Gruppe für sich. Nahezu 30 Prozent der Latinos und asian americans gehen Mischehen ein, zumeist mit Weißen. Bei schwarzen Amerikanern gilt das nur für 10 Prozent. In der jüngeren Generation sind es bei den Asiaten und Latinos 66 respektive 40 Prozent, aber bei den jungen Schwarzen nach wie vor nur noch 10 Prozent, die das Mitglied einer anderen ethnischen Gruppe heiraten.
Es ist ein nicht genügend gewürdigter Triumph der Bürgerrechtsbewegung, dass sich heute viele US-Amerikaner in homogen weißen Firmen und Organisationen unwohl fühlen. Wir wollen Fairness und wir wollen sichtbare Vielfalt. Viele Amerikaner aber haben nie ihren Frieden mit den Instrumenten gemacht, die diese Vielfalt herbeiführen sollen. Deshalb ist deren Zukunft höchst ungewiss.
Fußnoten:
Aus dem Englischen von Michael Adrian
John D. Skrentny ist Professor an der University of California in San Diego.