11.05.2007

Global mit Besen und Schrubber

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Global mit Besen und Schrubber

Warum unsere Nachfrage nach cosmobilen Haushaltshilfen ein Politikum darstellt von Maria S. Rerrich

Wie Schwestern sind Carmen und Sara1 bei Carmens Mutter in Ecuador aufgewachsen, nachdem Saras Mutter Lucia als Haushaltshilfe nach Europa gegangen war. Die Frauen hatten zuvor abgemacht, dass dafür Lucia der Tochter ihrer Freundin eines Tages helfen würde, ebenfalls in Europa Fuß zu fassen. Als es so weit war, konnte sich Carmen sogar aussuchen, wohin die Reise gehen sollte. Denn inzwischen hatte die 23-jährige Studentin aus Quito Verwandte in mehreren Ländern, die alle bereit gewesen wären, sie bei einem Neuanfang als Putzfrau fern der Heimat zu unterstützen. Mehrere Tanten leben in Nordamerika. Ihre Tante Cristina arbeitet in Spanien als Haushaltshilfe, wo auch ein Onkel wohnt, dessen Frau einen alten Mann rund um die Uhr betreut. Und dann gibt es noch Tante Ana, die seit einigen Jahren in israelischen Haushalten sauber macht. Am Ende entschied sich Carmen schließlich doch für München, wo Lucia seit einigen Jahren lebte.

Global Players findet man heute nicht nur im Topmanagement. Auch Haushaltshilfen wie Carmen sind inzwischen global vernetzt und weltweit unterwegs. Ich nenne sie „cosmobil“, als Kürzel für ihre internationale Mobilität, die sich vor allem in den für das Globalisierungsgeschehen bedeutsamen Metropolen abspielt.

Weitgehend unbemerkt verteilt sich ein Teil unserer Arbeit in Haushalt und Familie um, allerdings nicht in erster Linie zwischen Frauen und Männern. Im Hinblick auf häusliche Arbeit nimmt offenbar die Ungleichheit zwischen Frauen zu, und es entsteht eine neue „heimliche weibliche Dienstbotenklasse“ in Deutschland. Da es sich dabei um einen recht komplexen Umschichtungsprozess handelt, verläuft die Umverteilung von Arbeit auch nicht einfach und geradlinig von den einheimischen Frauen hin zu den Haushaltshilfen. In den Hilfsnetzwerken der einzelnen Haushalte finden sich viele verschiedene bezahlte und unbezahlte Akteurinnen, von den Babysitterinnen aus der Nachbarschaft bis zu den Großmüttern (und gelegentlich sieht man, wenngleich mit etwas Mühe, auch den einen oder anderen Mann bei der Familienarbeit). Und doch sind Haushaltshilfen wie Carmen aus vielen Haushalten heute kaum mehr wegzudenken.

Der Arbeitsmarkt Privathaushalt ist weitgehend unerforscht

Ihre genaue Anzahl ist zwar nicht bekannt, aber es handelt sich gewiss nicht um eine unbedeutende kleine Gruppe. Die seriöseste Schätzung, die gegenwärtig vorliegt, geht davon aus, dass im Frühjahr 2000 etwa 7,6 Prozent der Privathaushalte in Deutschland regelmäßig eine Putz- oder Haushaltshilfe beschäftigt haben.2 Das entspricht mehr als 2,9 Millionen Beschäftigungsverhältnissen. Weitere 4 Prozent der Haushalte nehmen gelegentlich eine Haushaltshilfe in Anspruch – somit treten zusammengenommen mehr als 4 Millionen Privathaushalte regelmäßig oder gelegentlich als Arbeitgeber auf. Dieses riesige Arbeitsmarktsegment ist weitgehend unerforscht, und über die Frage, wie hoch der Anteil von Migrantinnen an der Gesamtheit aller häuslichen Beschäftigten ist, ließe sich nur spekulieren. Die einschlägige Forschung geht jedenfalls von einem hohen Anteil von Migrantinnen aus, vor allem in den Metropolen.

Die „cosmobilen Putzfrauen“ sind nur eine Teilgruppe der vielen Haushaltshilfen mit Migrationshintergrund. Dazu zähle ich die sogenannten Transmigrantinnen, also Frauen, die auf Dauer in zwei Ländern leben, indem sie in einem bestimmten Turnus zwischen Deutschland und ihrem Heimatland, wie zum Beispiel Polen, pendeln. Und dazu gehören Frauen wie Carmen, die für unbestimmte Zeit zugewandert sind, aber quasi auf einem gepackten Koffer sitzen, weil sie keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben.3

Abgesehen von der Schwarzarbeit, die die bezahlte Hausarbeit meistens ist, gibt es in diesem Personenkreis oft auch Formen einer umfassenderen, die gesamte Lebensführung prägenden Illegalität. Denn etliche Frauen leben, teils viele Jahre lang, ohne Papiere in Deutschland. Die 35-jährige Julia beispielsweise war zunächst als Hausangestellte einer Diplomatenfamilie offiziell nach Deutschland eingereist. Als ihre Arbeitgeber vor acht Jahren versetzt wurden, beschloss sie, in Hamburg zu bleiben. Seither schlägt sich die alleinstehende Mutter als „Illegale“ durch, hält sich mit Putzen über Wasser und verdient damit auch den Lebensunterhalt für ihre beiden Kinder, die in Honduras von den Großeltern aufgezogen werden. So wie Julia bleiben viele länger als ursprünglich geplant, manche auch mit gefälschten Dokumenten als sogenannte Scheinlegale. In Deutschland putzen abgetauchte Asylbewerberinnen ebenso wie ehemalige Studentinnen oder Au-pairs, die ihren offiziell genehmigten Aufenthalt überzogen haben, und auch Frauen, die von irgendwoher irgendwie eingereist sind.

Gut geschützt vor amtlicher Kontrolle

Die cosmobilen Putzfrauen sind keine einheitliche Gruppe. So differieren die soziale Herkunft, die Einbindung in Netzwerke, der konkrete Arbeitsplatz, der Familienstand, überhaupt die ganze Familiensituation. Auch die Lebensverhältnisse, wie etwa die Wohnsituation, hier und im Heimatland sind oft sehr unterschiedlich. Carmen zum Beispiel lebte zunächst in einem Münchner Studentenwohnheim, bevor sie zu ihrem Freund zog. Ich habe sowohl Haushaltsarbeiterinnen kennengelernt, die mit weiteren acht Personen zusammengepfercht in einer Zweizimmerwohnung lebten, als auch Frauen wie Julia, die inzwischen eine kleine Wohnung für sich allein hat.

Dennoch lassen sich Gemeinsamkeiten festhalten. Zunächst betreffen diese die verrichtete Arbeit im Privathaushalt. Putzen gilt aus der Sicht der Beschäftigten als eine vergleichsweise gute Beschäftigung, die darüber hinaus auch einigermaßen gut bezahlt wird. In München war in den letzten Jahren ein Stundenlohn von um die zehn Euro für Putzfrauen gängig, zuzüglich Fahrtkosten (obwohl einige Frauen deutlich weniger und wenige etwas mehr bekommen), in Hamburg liegt der Satz etwas darunter. Für eine ungelernte Tätigkeit ist das eine Entlohnung, die Frauen in keinem anderen Beschäftigungsfeld, mit Ausnahme der Prostitution, verdienen können. Hinzu kommt, dass diese Form der Schwarzarbeit vor amtlicher Kontrolle gut geschützt ist.

Die Tätigkeit im Haushalt ist gesellschaftlich unsichtbare und nicht weiter beachtete Arbeit, weshalb auch Ausländerinnen ohne Papiere kaum damit rechnen müssen, dabei erwischt zu werden. Hier sind statuslose Frauen gegenüber Männern in vergleichbaren Situationen, die beispielsweise auf Baustellen arbeiten, deutlich im Vorteil. Zudem handelt es sich um einen Arbeitsmarkt mit ausgeprägter Nachfrage sowie um Tätigkeiten, von denen angenommen wird, dass jede Frau sie verrichten kann.

Es ist erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Frauen zugetraut wird, dass sie Wohnungen putzen können – als wäre das ein primäres Geschlechtsmerkmal aller Frauen. Die Techniken des Putzens muss man aber lernen. Vielleicht sollte man das nicht zu sehr an die große Glocke hängen, denn ihr vermeintlich natürliches Talent, Hausarbeit zu verrichten, ist das wichtigste Kapital, auf das Frauen gleich welcher Herkunft bauen können, unabhängig davon, in welchem Beruf sie davor gearbeitet haben.

Potenzielle Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen gehen meist einfach davon aus, dass Frauen aus ärmeren Ländern alles können, was man im Haushalt können muss. Carmen erinnert sich: „Ich wusste gar nicht, wie man bügelt – meine Mama hat das immer für mich gemacht. Das war herrlich. Am Tag, bevor ich hierher gekommen bin, habe ich angefangen, bügeln zu lernen. Aber jetzt kann ich das sehr gut. Putzen konnte ich auch nicht. Meine Tante hat mir alles gesagt. Aber jetzt kann ich das schon.“

Selbst Frauen, die noch nie zuvor einen Besen in der Hand hatten, fanden bei entsprechender Gesamtnachfrage leicht eine Arbeit als Putzfrau. Das hat natürlich mit dem bei uns weit verbreiteten Klischee zu tun, dass Frauen aus ökonomisch weniger entwickelten Ländern viel traditioneller und häuslicher seien. Dieses Vorurteil kennen alle Migrantinnen, und sie machen es sich bei ihrer Suche nach Arbeit zunutze.

Hinter der Annahme, diese Frauen seien noch bestimmten Traditionen verhaftet, verbergen sich nach wie vor wirksame Klischees über Männlichkeit und Weiblichkeit, die bei uns eine lange Geschichte haben. Frauen und Männer sind, so die Leitidee, nicht nur biologisch verschieden, sondern kraft ihrer Geschlechtszugehörigkeit von Natur aus prädestiniert für unterschiedliche Aufgaben und Arbeitsvollzüge, die sich in qualitativ unterschiedlich zu bewertenden Aufenthaltsorten abzuspielen haben. Diese Konstruktion von Geschlechtscharakteren entstand im europäischen Kulturraum erst vor gut zweihundert Jahren, und sie prägt bis heute unsere Normen von Beruf und Familie. Niemand hat diese Vorstellungen schöner zum Ausdruck gebracht als Friedrich Schiller, dessen berühmtes „Lied von der Glocke“ Generationen von deutschen Schulkindern auswendig gelernt haben:

Der Mann muss hinaus

Ins feindliche Leben,

Muss wirken und streben

Und pflanzen und schaffen,

Erlisten, erraffen,

Muss wetten und wagen,

Das Glück zu erjagen. (…)

Und drinnen waltet

Die züchtige Hausfrau,

Die Mutter der Kinder,

Und herrschet weise

Im häuslichen Kreise, (…)

Und füget zum Guten den Glanz

und den Schimmer,

Und ruhet nimmer.

Draußen findet die Jagd des Mannes in der feindlichen Welt statt, sein Platz ist die Öffentlichkeit, seine Aufgabe das Risiko. Drinnen entfaltet sich der Fleiß der Frau, dort wirkt sie segensreich in einer auf das Haus beschränkten Umgebung – so die Idealvorstellung, die das Bürgertum vom angemessenen Verhältnis und Verhalten der Geschlechter hatte und die in viele gesetzliche Regelungen Eingang fanden.

Längst betrachtet man diese Rollenverteilung zwischen Mann und Frau als Geschlechterstereotype, die es möglichst zu überwinden gilt. Aber der von Schiller entworfene Gegensatz zwischen der feindlichen Außenwelt, in der sich der Mann jagend bewähren muss, und dem freundlichen Haus, in dem die Frau weise waltet, lebt in unseren Köpfen modifiziert weiter. Er steckt auch hinter der Vorstellung, dass in ärmeren Gesellschaften die traditionelle Aufgabenverteilung zwischen Frauen und Männern immer noch existiere. Offenbar wird dieses Klischee auch nicht erschüttert, wenn plötzlich eine junge Frau wie Carmen vor der Tür steht und um eine Stelle als Putzfrau nachfragt – im Gegenteil. Anstatt sich irritiert zu fragen, wie es eigentlich kommt, dass eine angeblich so traditionelle Frau wie sie ihren vermeintlich auf das Haus beschränkten Aktionsradius verlassen konnte, um vom anderen Ende der Welt allein nach Europa aufzubrechen, geht man selbstverständlich davon aus, dass sie sich schon auf alles Häusliche verstehen wird.

In der neuen Weltgeschlechter(un)ordnung ist für Frauen aus ökonomisch benachteiligten Regionen der Welt, wie traditionell auch immer ihre Herkunftsgesellschaften ansonsten geprägt sein mögen, die Sorge für den Glanz und Schimmer in deutschen Haushalten vor allem jedoch eines – Ausdruck ihres Strebens in die feindliche Welt, in die sie hinaus müssen, um ihr Glück zu erjagen, und wenn es nicht anders geht, dann eben tausende von Kilometer entfernt. Anders gesagt: Das, was für uns „drinnen“ ist, ist aus der Perspektive von Frauen wie Carmen oder Julia überhaupt nicht „drinnen“, sondern „draußen“.

Derzeit ist die häufigste Beschäftigungsform im Privathaushalt die stundenweise Tätigkeit als Reinigungskraft. Haushalte beschäftigen eine Putzfrau beispielsweise für drei oder vier Stunden pro Woche, um die Fußböden und den Sanitärbereich sauber zu machen, fürs Bügeln, Fensterputzen und Ähnliches. Um möglichst viel Geld zu verdienen, nehmen cosmobile Putzfrauen meist mehrere Beschäftigungsverhältnisse an und arbeiten nicht selten bis in den Abend hinein und auch am Wochenende. Das ergibt eine Arbeitsbelastung, die sich auf die Dauer nicht ohne massive körperliche Beschwerden durchhalten lässt. Aber welche Möglichkeiten hat eine cosmobile Haushaltshilfe, sich einmal länger auszukurieren, selbst wenn es ihr irgendwie gelingt, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen? Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist in häuslichen Beschäftigungsverhältnissen nicht üblich – mit der Folge, dass viele weit über ihre Belastungsgrenzen hinaus einfach weiterarbeiten.

Auch der Aspekt der Qualifikation ist problematisch. Migration kostet Geld, und den Schritt ins Ausland muss man sich auch zutrauen. Cosmobile Haushaltshilfen sind vor allem mutig und haben in ihrem Heimatland oft eine gute bis höhere Ausbildung absolviert. Die Folgen für die Entsendeländer sind ambivalent. Das Geld, das die Migrantinnen nach Hause schicken, ist einerseits hochwillkommen. Aber andererseits wandern auch dringend benötigte Fachkräfte aus, und dieser Braindrain ist in den betroffenen Ländern schwer zu verkraften.

Der Gesundheitsminister von Sambia erklärte zum Beispiel vor einiger Zeit, dass in der größten Klinik des Landes, im University Teaching Hospital, 700 Schwestern fehlen. Das Krankenhaus arbeite mit 50 Prozent Unterkapazität beim Pflegepersonal, und eine Schwester müsse bis zu 40 Patienten versorgen. Rund 2 000 Krankenschwestern aus Sambia würden sich derzeit in Großbritannien aufhalten, wo die meisten von ihnen in Privathaushalten arbeiten. Obgleich die Gehälter für das Krankenpflegepersonal in Sambia inzwischen fast verdoppelt worden sind, war der Minister nicht sehr optimistisch, dass nun viele Krankenschwestern zurückkehren würden. Denn trotz dieser Gehaltserhöhung könnten sie im Ausland als Putzfrauen erheblich mehr verdienen als in den Krankenhäusern ihrer Heimat.

Wie dieses Beispiel zeigt, ist für den Arbeitsmarkt Privathaushalt vielfach auch ein Brainwaste charakteristisch. Ehemalige Verwaltungsangestellte, Technikerinnen und Chemikerinnen arbeiten heute in München, Hamburg oder Berlin als Haushaltshilfen – das heißt, hier wird vielfach Humankapital verschwendet. Die erworbenen Qualifikationen gehen aber in die Arbeit im Haushalt ein, in Form von Schlüsselqualifikationen wie Belastbarkeit, soziale Kompetenz, Einfühlungsvermögen und Frustrationstoleranz.

Trotz all dieser Probleme passt die Opferrolle ganz und gar nicht zur Selbstwahrnehmung der cosmobilen Haushaltshilfen. Es gibt typische persönliche Ressourcen, die mir bei diesen Frauen immer wieder aufgefallen sind und die für die Problembewältigung eine wichtige Rolle spielen. Dazu gehört die Überzeugung, dass „man es schon irgendwie schaffen wird“. Die Frauen sehen sich selbst in der Regel als stark, optimistisch, flexibel und belastbar und vertreten die pragmatische Grundeinstellung, dass Probleme zunächst einmal dazu da sind, gelöst zu werden. Obgleich verschiedene widrige Ereignisse als sehr belastend, manchmal sogar als existenziell bedrohlich dargestellt werden und die Betroffenen zum Teil sehr darunter gelitten haben, ist mir Selbstmitleid so gut wie nie begegnet, Zuversicht und Humor dagegen laufend.

Auch die zentrale Bedeutung des Gesetzesverstoßes, der in Begriffen wie „Schwarzarbeiterinnen“ und „Illegale“ anklingt, findet keine Entsprechung in ihrem Selbstbild. Regelungen wie das Ausländergesetz sieht man eher als administrative Hürde in einem Leben, das ohnehin aus vielen Hürden besteht, die es möglichst alle erfolgreich zu nehmen gilt.

Die erste und wichtigste Loyalität dieser Frauen gilt der Familie zu Hause. Ihre gegenwärtige Arbeits- und Lebenspraxis finden sie deshalb völlig vertretbar, denn sie ergibt sich notwendig aus ihrer Rolle als Mutter oder Tochter. Für Mütter wie Julia wäre es illegitim, wenn sie nicht alles in ihrer Macht Stehende unternehmen würden, um ihren Kindern eine gesicherte Existenz und eine gute Zukunft zu ermöglichen.

Seit 1950 hat sich die Wohnfläche pro Person verdreifacht

Wie ist es zu der aktuellen Beschäftigungssituation in den privaten Haushalten gekommen, die niemand gefordert und niemand gefördert hat? In den letzten 40 bis 50 Jahren haben sich die Wohn- und Lebensverhältnisse erheblich gewandelt. Nimmt man als Bezugspunkt das Deutschland der 1950er-Jahre, dann ist im Vergleich dazu die Zahl der Personen pro Haushalt heute deutlich kleiner geworden, unsere Wohnungen sind aber erheblich größer. Wir gibt es heute viel mehr Ein- und Zweipersonenhaushalte und kaum noch sogenannte Mehr-Generationen-Haushalte. Das bedeutet auch, dass bedeutend mehr ältere Leute allein in einem eigenen Haushalt leben. Die Wohnfläche pro Person hat sich seit 1950 fast verdreifacht, von 15 auf 43 Quadratmeter (2002, Westdeutschland). Und solche Durchschnittswerte verdecken, dass viele gut verdienende Menschen noch deutlich größere Wohnungen haben – wobei die zahlreichen Zweitwohnungen und Wochenendhäuser gar nicht eingerechnet sind.

Unsere Hausarbeit ist trotz der inzwischen flächendeckenden Ausstattung mit Geräten wie Waschmaschine und Spülmaschine nicht weniger geworden, sondern hat sich vor allem in ihrer Qualität verändert. Denn unsere Standards sind mitgewachsen, angefangen vom täglich frischen Hemd bis zu den hell gefliesten Bädern mit ihren Hochglanzarmaturen.

Das frei verfügbare Einkommen hat sich ebenfalls deutlich erhöht, weshalb es sich heute viel mehr Haushalte leisten können, für fremde Hilfe im Haushalt zu zahlen. Das hängt unter anderem mit der zunehmenden Berufstätigkeit der Frauen zusammen. Sie sorgt nicht nur für mehr Einkommen, sondern führt auch dazu, dass unbezahlte Arbeit von Frauen in Deutschland knapper geworden ist. Zugleich fehlen jedoch nach wie vor die strukturellen Voraussetzungen dafür, dass eine stärkere Umverteilung der häuslichen Arbeit zwischen Frauen und Männern stattfinden könnte. Spätestens wenn Kinder da sind, kehren die Muster traditioneller Arbeitsteilung selbst bei egalitär eingestellten Paaren wieder.

Die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung ist weiterhin fest in der Tiefenstruktur unseres Wohlfahrtsstaats eingelassen, angefangen von den Regelungen der Steuergesetzgebung bis hin zur Sozialpolitik. Gravierende Veränderungen der Rahmenbedingungen unserer Lebenswelt einerseits, beharrlicher Stillstand andererseits – solche widersprüchlichen Entwicklungen der privaten Lebensverhältnisse hat die Politik bislang weitgehend ignoriert. Die konkreten Belange des Alltags und die insgesamt wenig angesehene Arbeit in Haushalt und Familie waren allenfalls in feministischen Kreisen und in den privaten Beziehungen ernsthaft Thema.

So wirkt die private Zuständigkeit für die häusliche Arbeit (konkret eben die Zuständigkeit von Frauen) nach wie vor als strukturell verankerte Verhaltensnorm weiter, als führten wir in Deutschland heute noch das Alltagsleben der Fünfzigerjahre in den Wohnungen der Nachkriegszeit. Unsere Lebensführung ist zudem insgesamt komplexer, flexibler und mobiler geworden, und für die Nachfrage der Haushalte nach Entlastung gibt es so gut wie keine bedarfsgerechten, bezahlbaren „offiziellen“ Dienstleistungsangebote. Genau hier springen die qualifizierten, belastungsbereiten, individuell anpassungswilligen Migrantinnen in die Bresche.

Wie gehen wir mit der Situation um, dass manche privilegierten Frauen und die meisten Männer heute von Teilen der häuslichen Arbeit freigesetzt werden und stattdessen andere Frauen sie übernehmen, zu Arbeitskonditionen, die wir selbst nicht akzeptieren würden? Sollten wir ein schlechtes Gewissen haben, wenn wir eine Putzfrau beschäftigen? Das ist eine häufige und vielleicht auch naheliegende Reaktion, aber eine möglicherweise recht kontraproduktive. Wenn mehrere Millionen Haushalte in Deutschland regelmäßig oder gelegentlich Haushaltshilfen beschäftigen, von denen nur ein winziger Bruchteil offiziell gemeldet ist, liegt nicht einfach individuelles Fehlverhalten vor. Vielmehr ist das ein Hinweis auf ein massives strukturelles gesellschaftliches Problem, für das ein akuter politischer Handlungsbedarf besteht.

Das heißt natürlich nicht, dass die gegenwärtige Beschäftigungssituation in den Haushalten so in Ordnung wäre. Denn nicht wenige der Haushaltshilfen in Deutschland befinden sich in einem doppelten Niemandsland – nicht nur im arbeitsrechtlichen Niemandsland der Schwarzarbeit, sondern im politischen Niemandsland der Statuslosigkeit. Ihr Leben spielt sich in einer Schattenwelt ab, die politisch sich selbst überlassen wird. Solche Haushaltshilfen haben nicht nur keine soziale Absicherung, sie haben auch kaum Zugang zu den üblichen arbeitsrechtlichen Institutionen, die reguläre Arbeitnehmerinnen bei Bedarf in Anspruch nehmen können.

Im privaten Haushalt wird Arbeitskraft heute gewissermaßen extraterritorial zu Markte getragen, und die Arbeit findet unter quasi-feudalen Bedingungen statt. Souverän ist der einzelne Arbeitgeberhaushalt, und entsprechend ist von Ausbeutungsverhältnissen übelster Art bis recht freundschaftlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin alles möglich, aber nichts einklagbar, zumindest nicht ohne Weiteres. Genau hier wäre ein schlechtes Gewissen angebracht, und zwar eines, das vor allem die Politik haben müsste. Sie hat nämlich sowohl die gravierenden Veränderungen der privaten Lebensführung als auch den Entlastungsbedarf der Haushalte bisher weitgehend verschlafen. Sie nimmt bislang weder zur Kenntnis noch setzt sie sich ernsthaft damit auseinander, dass in deutschen Haushalten inzwischen ungezählte Frauen aus aller Welt arbeiten.

Hier könnte man einiges anders und sehr viel besser regeln, vorausgesetzt der politische Wille wäre vorhanden. Ein umfassender öffentlicher Diskurs über neue strukturelle Lösungen für die häusliche Arbeit und angemessene Anerkennung für alle Menschen, die sie verrichten, wäre weitaus sinnvoller als das individuell schlechte Gewissen. Denn dieses führt nur dazu, dass man die bestehende Situation wie bisher verschweigt und damit fortschreibt.

Langfristig wird man sich mit der international und geschlechterpolitisch brisanten Arbeitssituation in deutschen Haushalten politisch auseinandersetzen müssen. Denn die seit Jahrzehnten geführte öffentliche Diskussion über die notwendige Neuverteilung von Haus- und Familienarbeit zwischen Frauen und Männern hat zwar inzwischen sogar den Mainstream der konservativen politischen Parteien erreicht – an der Alltagspraxis aber hat das ganz offensichtlich bis dato nur sehr wenig verändert.

Und doch bleibt nicht einfach alles beim Alten. Längst wird ein Teil der Hausarbeit in Deutschland, aber auch der häuslichen Betreuung von Kindern, chronisch kranken, behinderten und alten Menschen gegen Bezahlung verrichtet. Und nicht selten sind diese häuslichen Beschäftigten unsichtbar arbeitende cosmobile Migrantinnen wie Carmen und Julia, die dafür ihre eigenen Angehörigen in der Heimat zurücklassen müssen und für ihre Leistungen bei uns weder Arbeits- noch Bürgerrechte genießen. Das kann keine Dauerlösung sein. Aber zu Schillers züchtiger Hausfrau führt auch kein Weg zurück.

Fußnoten:

1 Alle Namen wurden geändert. 2 Jürgen Schupp, „Quantitative Verbreitung von Erwerbstätigkeit in privaten Haushalten Deutschlands“, in: Claudia Gather, Birgit Geissler, Maria S. Rerrich (Hg.): „Weltmarkt Privathaushalt. Bezahlte Haushaltsarbeit im globalen Wandel“, Münster (Westfälisches Dampfboot) 2002. 3 Ich habe qualitative Interviews und Gespräche mit cosmobilen Putzfrauen in Hamburg und München durchgeführt und parallel dazu informell mit Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern gesprochen, wo immer ich konnte. Zudem fand eine Reihe von Experteninterviews statt mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Beratungsstellen, von Hilfsorganisationen, aus der einschlägig arbeitenden Kommunalverwaltung (das nur in München), mit Medizinern und Gewerkschaftlern und anderen mehr.

Maria S. Rerrich ist Professorin für Soziologie an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule München. Im Herbst 2006 erschien ihr Buch „Die ganze Welt zu Hause. Cosmobile Putzfrauen in privaten Haushalten“, Hamburg (Hamburger Edition).

© Le Monde diplomatique, Berlin Le Monde diplomatique nimmt am Zeitschriftenprojekt documenta 12 magazines teil.

Le Monde diplomatique vom 11.05.2007, von Maria S. Rerrich