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Die Huffington Post hat sich an AOL verkauft von Rodney Benson
Nachdem die Demokratische Partei der USA 2004 zum zweiten Mal die Präsidentschaftswahlen gegen George W. Bush verloren hatte, tauchte mit Arianna Huffington ein unverhoffter Bündnispartner auf: Die öffentliche Laufbahn der gebürtigen Griechin hatte auf Seiten der Republikaner begonnen, im Umkreis des Sprechers der Republikaner im Repräsentantenhaus, Newt Gingrich. Ihr erstes Internetprojekt hieß resignation.com, eine Website, die für den Rücktritt Präsident Clintons nach der Lewinsky-Affäre warb.
Nach der Jahrtausendwende rückte Huffington politisch immer mehr nach links und unterstützte schließlich 2004 den demokratischen Präsidentschaftskandidaten John Kerry. Die Huffington Post, im Mai 2005 als progressive Alternative zum rechtslastigen Drudge Report lanciert, wurde schnell zu einem wichtigen Forum der Linken. Umstritten war sie von Beginn an, nicht nur wegen ihrer politischen Ausrichtung. Ihr Inhalt – eine Mischung aus insgesamt über 15 000 Blogs, kleinen Meldungen aus anderen Quellen (mit Schlagseite zu Sex und Promiklatsch) und Originalbeiträgen aus der eigenen, mittlerweile auf über 100 Vollmitarbeiter angewachsenen Redaktion – machte sie zur Zielscheibe der Kritik – und des Neids: Die monatlichen Klicks stiegen von einer Million Anfang 2008 auf mehr als 25 Millionen zu Beginn des Jahres 2011. Heute ist die Huffington Post eine der zehn meistgelesenen US-amerikanischen Nachrichten-Websites.
„HuffPo“ wurde zur Wortführerin gegen den Irakkrieg, entgegen all jenen Medien, die die Lügen der Bush-Regierung über irakische Massenvernichtungswaffen stützten oder übergingen – wie die New York Times. Gesellschafter von HuffPo wurde das gemeinnützige Center for Investigative Reporting, mit dessen Hilfe 50 Vollzeitstellen für investigative Journalisten geschaffen wurden. HuffPo lancierte auch einen Aufruf, Konten bei den großen Banken zu kündigen, die nach der Finanzkrise hochriskante Spekulationen betrieben .
Als Arianna Huffington im Februar ankündigte, dass der Online-Riese AOL die Huffington Post für 315 Millionen US-Dollar übernehmen werde, war die Enttäuschung groß. Doch bereits auf dem Parteitag der Demokraten 2008, auf dem die Huffington Post ein viel besuchtes Zelt mit Duftkerzen und Rückenmassagen sponserte, hatte Huffington jedem, der es hören wollte, gesagt, dass sich die Website demnächst von ihrer rein politischen Ausrichtung verabschieden werde.1
Der Verkauf wirft grundsätzliche Fragen auf: Welche politischen und journalistischen Grundsätze darf man dem Streben nach einer immer größeren Leserschaft zum Opfer bringen? Wie weit müssen Worte und Taten übereinstimmen?
„Es ist an der Zeit, den Links-rechts-Gegensatz zu überwinden“, erklärte Huffington am 9. Februar 2011 der Washington Post und wiederholte damit, was sie zehn Jahre zuvor anlässlich ihres Schwenks von rechts nach links schon einmal verkündet hatte. Nur wenige Wochen zuvor hatte der gewerkschaftsnahe Publizist Mike Elk die Auswirkungen von Huffingtons postprogressiver Linie am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Elk hatte 200 Gewerkschaftern dabei geholfen, das Treffen eines Verbands von Hypothekenbanken in Washington D.C. zu stürmen, um gegen die Zweckentfremdung von Staatsgeldern durch Banker zu protestieren. Der leitende HuffPo-Wirtschaftsredakteur Peter Goldman nahm dieses „professionelle Fehlverhalten“ zum Anlass, Elk zu feuern.2
Die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus war bei der HuffPo nie sehr klar; so veröffentlichte zum Beispiel der Dokumentarfilmer Michael Moore dort regelmäßig Blogbeiträge. Und Elk gehörte bis zu seiner „Kündigung“ zum Heer der unbezahlten Blogger. Huffington ist schon seit langem der Auffassung, dass die Blogger durch die Sichtbarkeit, die sie erlangen und die durch die Fusion mit AOL noch einmal exponentiell gesteigert wird, hinreichend für ihre Arbeit entschädigt werden. Das Publikum wird voraussichtlich in den USA auf 117 Millionen, weltweit auf 250 Millionen Besucher im Monat anwachsen. Huffington: „Wir steigen aus dem Zug in ein Überschallflugzeug um.“
Ausbeutung oder Chance für die Blogger
Der Latino-Aktivist Roberto Lovato war zunächst „enttäuscht“, als er von dem Zusammenschluss mit der notorisch konservativen AOL hörte. Für seine eigenen politischen Projekte war die Huffington Post unbestreitbar von großem Nutzen: Sie bot ihm ein prominentes Forum für seine „Basta Dobbs“-Kampagne, mit der er bei CNN die Absetzung des immigrantenfeindlichen Politshow-Moderators Lou Dobbs erreichte.3 Für die meisten Blogger, zumal für arrivierte Autoren wie Lovato, die für ihren Lebensunterhalt nicht auf die HuffPo angewiesen sind, ist und bleibt die Zahl der erreichbaren Menschen der ausschlaggebende Gesichtspunkt. Huffington benutzt die Blogger, aber sie wird auch von den Bloggern benutzt.
Bei der Gestaltung der Inhalte weitgehend auf unbezahlte Blogger zu setzen, mag noch vertretbar gewesen sein, solange die Huffington Post noch eine aufmüpfige Neugründung war. Damals erregte die Bloggerin Mayhill Fowler auf der Website große Aufmerksamkeit, die als „Bürgerjournalistin“ die Bemerkung des damaligen Präsidentschaftskandidaten Obama zitierte, die Arbeiterklasse „klammere sich an Schusswaffen und Religion“. Etwa hundert Blogs später – HuffPo hatte Fowlers Texte zweimal für den Pulitzer-Preis nominiert, während Fowler erfolglos versuchte, für ihre Beiträge Honorar zu bekommen – kündigte Fowler ihre Mitarbeit auf, wozu Chefredakteur Mario Ruiz lediglich bissig bemerkte: „Wie kann man einen Job kündigen, den man nie hatte?“
Die Grenze zwischen den Arbeitsbereichen der bezahlten Journalisten und unbezahlten Bloggern ist oft fließend. Mike Elk schrieb so viele Blogs (insgesamt 105), dass viele Leser der Huffington Post wie selbstverständlich davon ausgingen, er werde dafür bezahlt; in Wirklichkeit bekam er Hilfestellung lediglich in Form von Rücksprachen mit den Nachrichtenredakteuren, wenn er Material für seine unbezahlten Blogs zusammentrug.
Gegen das Argument von HuffPo, die Blogger hätten ja „die Wahl“, meint der Fellow des Nation Institute (und frühere Auslandskorrespondent der New York Times) Chris Hedges, dies sei genau dasselbe Argument, das „die Manager der Ausbeuterbetriebe in der Dominikanischen Republik oder in Mexiko, der Kohlengruben in West Virginia oder Kentucky und der riesigen Geflügelfarmen in Maine […] vorbringen. Es ist das Argument, mit dem reiche Eliten, die ihren festen Platz in einem oligarchischen System haben, in dem es in Wirklichkeit überhaupt keine Wahl gibt, die Unterdrückung rechtfertigen.“4
Denn das eigentliche Problem besteht darin, dass das „neue“ Journalismusmodell der Huffington Post zwar Raum für politisch progressive oder linke Standpunkte schafft, aber strukturell nur eines unter vielen Beispielen für die allgemeine Refeudalisierung der US-amerikanischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ist. Laut dem jüngsten, von der angesehenen Pew Foundation im Internet publizierten „Bericht über den Zustand der Medien“ haben mehr als ein Drittel aller professionellen Journalisten während der letzten zehn Jahre ihre Arbeit verloren, 10.000 davon allein in den letzten drei Jahren.
Anthony DeRosa, Produktmanager bei Reuters, hat das von der Huffington Post dominierte – und von sozialen und nichtprofessionellen medialen Verwandten wie Facebook, Twitter und der Blog-Website Tumbler flankierte – Informationsökosystem, das sich mit rasender Schnelligkeit im Internet entwickelt, als eine Form des „digitalen Feudalismus“ bezeichnet: „Diese Sites haben eine sehr verführerische Technologie und verlocken zu unentgeltlichen Beiträgen. Sie machen uns zu Lakaien, die das Monster füttern; wir produzieren die Inhalte, die schließlich der Wertschöpfung für andere dienen.“5 Je mehr Zeit und Aufmerksamkeit diese Websites auf sich ziehen, desto mehr Anzeigenkunden bekommen sie. Solange die Finanzierung durch Werbung das vorherrschende Modell bleibt, führt dies zu dem nicht sonderlich überraschenden Ergebnis einer rasanten Entwertung der Inhalte zugunsten der möglichst schnellen und billigen Produktion von Nachrichten, die für die neuesten Suchmaschinen optimiert sind.
AOL gehört bei diesen Technologien zu den Spitzenreitern. Tim Armstrong, Chef von AOL, meinte dazu nur: „Das ist schon immer das tägliche Geschäftsmodell einer jeden Internetfirma gewesen.“ Auf der gemeinsamen Pressekonferenz zur Fusion sagte Armstrong: „Arianna verfolgt dieselben Interessen wie wir: Wir bedienen die Wünsche der Konsumenten und gehen über die im engeren Sinn politischen Bedürfnisse der Menschen hinaus.“6 Huffington räumte ein, dass sich heute nur noch 15 Prozent der Besucher ih-rer Website für politische Nachrichten interessieren – in den Anfangstagen waren es noch rund die Hälfte gewesen. Diese Verlagerung hin zu unpolitischen Inhalten wurde bereits 2008 eingeleitet, um die Werbeeinnahmen zu steigern.
Nach der Fusion stellten AOL und HuffPo einige professionelle Journalisten ein, die in der Mehrzahl von führenden Medien, unter anderem der New York Times, abgeworben wurden. Diese Maßnahme ist gewiss eine positive Entwicklung, verstärkt aber zugleich die ideologische Verschiebung in Richtung Mitte-rechts. Progressive Blogger werden sich irgendwann fragen müssen, ob sie dort schreiben, um ihren Ansichten Gehör zu verschaffen – oder ob sie nur die Illusion ideologischer Vielfalt auf einer Website aufrechterhalten sollen, die sich immer weniger von anderen großen kommerziellen Projekten unterscheidet.
Das Hauptproblem der US-amerikanischen Medien ist und bleibt ihre übermäßige Kommerzialisierung, die weit über alles hinausgeht, was in anderen Ländern üblich ist: ihre fast ausschließliche Finanzierung durch Werbung, die Börsennotierung, die die Profitmaximierung zur höchsten Priorität erhebt, sowie gesetzliche Rahmenbedingungen,7 die Anreize zu Fusionen und Übernahmen schaffen, weshalb viele führende Medienkonzerne auf milliardenschweren Schuldenbergen sitzen.