Lady Ada und die Hacker
Wie weiblich ist die Informatik von Isabelle Collet
Die Informatik Männersache? Wer das behauptet, wird in Malaysia nur belächelt. An der Universität der Hauptstadt Kuala Lumpur sind alle Verantwortlichen an der Fakultät für Informatik und Informationstechnologie Frauen, einschließlich der Dekanin. Auf Penang stellen Studentinnen mit 65 Prozent die Mehrheit der im Fach Informatik Immatrikulierten, und sieben von zehn Lehrstühlen sind mit Professorinnen besetzt, auch hier unter Vorsitz einer Dekanin. Mazliza Othman, die Fachbereichsleiterin, behauptet, für sie sei Informatik nie männlich konnotiert gewesen: „Das wirkt einfach nicht so. Wissen Sie, Ingenieurswissenschaften oder Geologie, die gelten als männlich, aber doch nicht die Informatik!“ Als Gründe nennt sie, dass es sich dabei um saubere, körperlich nicht anstrengende Tätigkeiten im Dienstleistungssektor handle, die überdies auch zu Hause erledigt werden könnten.1
Außerhalb von Malaysia jedoch scheint dieser Zweig der Wissenschaft fest in Männerhand zu sein. In Frankreich ist Informatik sogar das einzige naturwissenschaftliche Fach, in dem der Anteil an Studentinnen stark zurückgegangen ist. Ein Vergleich der Fachbereiche an den Technischen Hochschulen zeigt, dass Frauen überall im Kommen sind – mit Ausnahme der Informatik, wo nach einer deutlichen Zunahme der weiblichen Studierenden Anfang der 1980er-Jahre inzwischen wieder die ursprüngliche Geschlechterverteilung besteht. Mit dieser Situation steht Frankreich nicht allein da. Deutschland, England und die USA weisen ähnliche Zahlen auf.2
Dabei hat sich die Gesamtzahl der jungen Frauen, die sich für ein Informatikstudium entscheiden, in all den Jahren nicht wesentlich verändert. Aber je mehr neue Ausbildungsgänge angeboten wurden, umso mehr stürzten sich vor allem junge Männer auf diesen Bereich. Im Grunde stellt sich weniger die Frage, warum Mädchen sich nicht für Informatik interessieren, sondern eher die, warum die Welle der großen Computerleidenschaft zu Beginn der 1980er-Jahre vor allem Jungen erfasst hat.
In den 1970er-Jahren galt der Computer noch als ein Datenverwaltungsgerät, das dem traditionell eher weiblichen Dienstleistungssektor zugeordnet wurde. Für angehende Studentinnen gehörte die Informatik zu den gesellschaftlich akzeptablen Frauenberufen. Als Anfang der 1980er-Jahre der PC in Mode kam, waren die Jungen wie bei allen neuen technischen Spielereien die Ersten, die sich solche Geräte zulegten. Sie waren in der Folgezeit auch die vorrangigen, wenn nicht ausschließlichen Benutzer des Familiencomputers.
Im Umfeld der neuen Technologie schlossen sich die Halbwüchsigen, versessen aufs Programmieren und fasziniert von Videospielen, zu technophilen Vereinen, Informatikklubs und Freundesgruppen zusammen – in einem Alter, in dem beide Geschlechter lieber unter sich bleiben und die Jungen versuchen, sich gegen Mädchengruppen abzugrenzen. Ein paar Jahre später begannen sie ihr Hochschulstudium. Damals waren die Medien hell begeistert von der Informatik, und viele Eltern pflichteten dem bei: „Mein Vater hatte immer große Angst, wir könnten eines Tages als Arbeitslose enden“, sagt eine Informatikerin. „Wir sollten studieren, um fürs Leben gerüstet zu sein, um einen guten, sicheren Job zu bekommen, und für ihn war Informatik Spitze.“
Trotz der enormen technischen Fortschritte, trotz aller Veränderungen, die die Informatik seither in unseren Alltag gebracht hat, stehen der PC und das mythische Bild des Programmierers immer noch für diesen Beruf.3 80 Prozent der Studierenden stellen sich unter Informatikern immer noch unsportliche Männer vor, die ihr Äußeres vernachlässigen und sich im Umgang mit Maschinen wohler fühlen als in menschlicher Gesellschaft. Stubenhocker, die den ganzen Tag am Computer sitzen und monotone Dinge tun, hauptsächlich eben Programmieren.
Dabei betrachten doch fast alle Jugendlichen ständig synthetische Bilder, hören elektronische Musik, telefonieren per Handy und nutzen täglich das Internet, um Mails zu verschicken, Bestellungen aufzugeben oder sich Musik und Videos herunterzuladen. Wie kommt es, dass diese massenhaft verbreiteten neuen Gewohnheiten praktisch keinen Einfluss auf die Berufsbilder haben? Als wäre keiner der Informatikberufe für diese Gewohnheiten zuständig, als bliebe die Arbeit selbst von den technischen Entwicklungen unberührt. Weniger als 30 Prozent der Berufe im Informatikbereich schließen das Programmieren mit ein, doch in den Köpfen ist der wahre Informatiker immer noch der Programmierer.
Gewiss, diese Informatiker gibt es: die „Hacker“ im ursprünglichen Sinn des Wortes4 , Spezialisten für Rechnersysteme und Netzwerke, die über ein besonderes Fachwissen verfügen. Aber sie bilden eine Minderheit, respektiert und bewundert für ihre Fähigkeiten, oft auch gefürchtet, weil sie imstande sind, die Sicherheitsvorkehrungen der Computerprogramme zu durchbrechen.
Paradoxerweise ist der Hacker zwar der Archetypus des Informatikers, aber kaum ein Unternehmen würde Mitarbeiter mit einem solchen Profil suchen. Der Hacker gilt dort meistens als jemand, der technisch brillant, jedoch unkontrollierbar ist, unfähig zu Teamwork und ohne Sinn für die Erfordernisse des produktiven Arbeitens.
Diese Minderheit mit ihrem zwischen Terrorist und Robin Hood schillernden Image hat sich zur repräsentativen Kategorie des Informatikerberufs entwickelt. Und trotz einschlägigen Studiums bezeichnen viele sich selbst nur dann als Informatiker, wenn sie auch tatsächlich Programmierer sind. Da Frauen ein solches Berufsbild wenig Identifikationsmöglichkeiten bietet, sagen sie auch eher „ich mache Informatik“ statt „ich bin Informatikerin“. Dabei ist die erste Programmiererin der Welt eine Frau gewesen.
Von der Rechenmaschine zum Maschinencode
Im Jahr 1842 erschien eine mathematische Arbeit über die von Charles Babbage erfundene analytical engine, eine mechanische Rechenmaschine und die erste Vorläuferin des Computers. Diese Arbeit enthielt einen Algorithmus, der es erlaubte, Bernoulli-Reihen mechanisch zu berechnen. Es war das erste Programm dieser Art und arbeitete mit einer Schleife: eine Reihe von Anweisungen wird so lange wiederholt, bis eine Abbruchsbedingung erfüllt ist. Der Entwurf war nur mit den Initialen A. A. L. gezeichnet, wie damals für Frauen üblich. Die Autorin hieß Augusta Adelaide (Ada) Lovelace und war die Tochter des englischen Dichters Lord Byron. Später taufte das US-amerikanische Militär eine Programmiersprache auf den Vornamen von Lady Ada.
1944 kam die elektrisch betriebene Rechenmaschine in Gebrauch. An der Spitze eines Teams von drei Ingenieuren entwickelte Howard Aiken für IBM den ersten digitalen Großrechner der Welt, Mark I. Eine Mitarbeiterin des Teams, Grace Hopper, hat das „Kompilieren“ erfunden, das Übersetzen des Quelltextes in Maschinencode. Hopper war sich bewusst, dass eine Umschreibung der Programmiersprache in eine auch für Nichtmathematiker verständliche Sprache die einzige Möglichkeit bot, die Computertechnik in nichtwissenschaftliche Bereiche wie etwa den Handelssektor einzuführen. Mit ihrer Überzeugung, die Programme könnten auf Englisch geschrieben werden, handelte sie sich den Spott ihrer Kollegen ein. IBM teilte damals deren Auffassung, nur Wissenschaftler könnten in der Lage sein, Computer zu benutzen. Indem Grace Hopper 1952 den ersten Kompilator schrieb, ebnete sie den Weg für die massenhaften Verbreitung der neuen Technologie und die Entwicklung verständlicher Computersprachen, die die Tür zum Programmieren für alle öffnen sollte. Bis dahin war dies einer Handvoll Spitzenmathematikern vorbehalten gewesen.
Damals galt Software fast nichts, den ganze Ruhm ernteten die Erbauer der Maschine. Ob Mathematikerinnen deshalb ausgerechnet bei den Software-Erfindungen an entscheidenden Weichenstellungen zu finden sind? Mehr als alle anderen wissenschaftlichen Bereiche leidet das weite Feld der Informatik an der fehlenden Präsenz von Frauen, die Mädchen ein positives Identifikationsmodell bieten könnten. Gemäß der nach Geschlechtern getrennten sozialen Aufteilung des Wissens werden Technik und Naturwissenschaften schon von Kindheit an den Männern zugeschrieben, angefangen bei Schulbüchern bis hin zu Filmen und Comics.
In der Phase der beruflichen Orientierung entwirft man ein mögliches und erstrebenswertes zukünftiges Selbstbild. Und in einen Beruf, für den man keinerlei Neigung zu haben glaubt und den nur Leute ausüben, die einem nicht ähnlich sind, projiziert man sich eben nicht. Auch wenn Mädchen den Computer genauso viel benutzen wie Jungen, scheinen sie kaum von dem Willen beseelt, ihn technisch zu beherrschen. Bei der oben zitierten Umfrage an Technischen Hochschulen gaben zwei Drittel der Mädchen (gegenüber 40 Prozent der Jungen) an, nicht zu wissen, ob ein Beruf im Bereich der Informations- oder Kommunikationstechnologie sie interessieren könnte.5 Oft hatten sie keine Ahnung, was man als Informatiker oder Informatikerin eigentlich den ganzen Tag so macht.
Um den Beruf zu beschreiben, blieb vielen Mädchen – aber auch Jungen – nichts anderes übrig, als sich auf Stereotype zu beziehen. Eine der Befragten sagte: „Ich sehe mich nicht unbedingt den ganzen Tag von Leiterplatten, RAMs oder Vernetzung reden.“ Und eine andere: „Ich will nicht meine Zeit damit verbringen, mich um Maschinen zu kümmern, ich kümmere mich lieber um Kinder oder rede mit Leuten.“ Noch andere meinten nüchtern, „das interessiert mich nicht“, ohne genauer zu erklären warum, einfach nur wegen „der Vorstellung, die man sich davon macht“.
Dagegen berichten Frauen, die ein Informatikstudium abgeschlossen haben, sie hätten diesen Berufs gewählt, um mit den Realitäten der Arbeitswelt Schritt halten zu können: Sie sprechen von den vielfältigen Möglichkeiten ihres Berufs, von seiner Verquickung mit anderen Bereichen, von der Chance, immer etwas Neues zu lernen, von intellektuellen Herausforderungen und der Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen bei der Teamarbeit. Natürlich sind diese Informatikerinnen auch auf Hindernisse in ihrer Laufbahn gestoßen: den Verdacht weiblicher Inkompetenz, ausbleibende Gehaltserhöhungen (die die gleich qualifizierten männlichen Kollegen bekamen), Stillstand der Karriere im Alter um die dreißig Jahre, wenn die Arbeitgeber fürchten, sie könnten schwanger werden. Und doch sind viele Informatikerinnen beruflich und persönlich sehr erfolgreich in diesem Sektor mit nach wie vor niedriger Arbeitslosigkeit und gleichen Anfangsgehältern.
Wenn man die positiven Argumente der ausgebildeten Informatikerinnen mit den „negativen Gründen“ derer vergleicht, die ihr Desinteresse an derartigen Berufen erklären, scheint es ganz einfach, die Tendenzen umzukehren. Vielleicht reicht es schon, besser über die berufliche Wirklichkeit zu informieren und das Stereotyp des Hacker-Informatikers abzubauen, statt es ständig zu verstärken. So könnte man mehr junge Mädchen für die Vorstellung gewinnen, dass die Informatik als ein weltoffenes, in ständigem Wandel begriffenes Berufsfeld voller intellektueller und menschlicher Herausforderungen durchaus für sie in Frage kommt.7 Dann heißt es eines Tages vielleicht nicht mehr nur in Malaysia: Informatik, was soll denn daran männlich sein?
Fußnoten:
Aus dem Französischen von Grete Osterwald
Isabelle Collet ist Informatikerin und Forschungsbeauftragte für Erziehungswissenschaften an der Universität Paris-X (Nanterre), Institut national des télécommunications (INT), Evry. Verfasserin von: „L’informatique a-t-elle un sexe? Hackers, mythes et réalités“, Paris (L’Harmattan) 2006.