08.06.2007

Die Fortsetzung der Niederlage

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Die Fortsetzung der Niederlage

Wie der Palästinakonflikt Reformversuche in der arabischen Welt verhindert von Bassma Kodmani

Ihre Niederlage im Sechstagekrieg war für die arabischen Gegner Israels nicht nur wegen der gefallenen Soldaten besonders schmerzlich. Ägypten verlor 10 000 Mann, während die Zahl der syrischen und jordanischen Kriegstoten unter 5 000 lag. Eher hätten die arabischen Regime noch mehr Soldaten geopfert als ihre Ehre und ihr Territorium. Der Sieg Israels bedeutete jedoch auch und vor allem das abrupte Ende der hochfliegenden Pläne Nassers und der Baathisten1 zur Bildung eines fortschrittlichen und modernen arabischen Nationalstaats. 1958 hatten sich bereits Syrien und Ägypten zur Vereinigten Arabischen Republik (VAR) zusammengeschlossen, was bis 1961 hielt. Für dieses Projekt bedeutete die Niederlage von 1967 den entscheidenden Rückschlag, auf Arabisch al-naksa.

Fast zwei Jahrzehnte lang hatten die Araber auf die Gelegenheit gewartet, die Scharte von 1948/49 auszuwetzen. Der Verlust Palästinas in diesem ersten israelisch-arabischen Krieg war als die erste Katastrophe (al-nakba) in die Geschichte eingegangen. 1967 zerschlugen sich dann die letzten Hoffnungen auf die Vernichtung des jüdischen Staats. Dass viele Israelis in der Folge glaubten, die eroberten Gebiete auf immer behalten zu können, zeigt vollends die eindeutige Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse.2

Die Niederlage hinterließ in den arabischen Gesellschaften tiefe Spuren. Sie bewirkte einen Wandel der Einstellungen und sogar der allgemeinen Wertsysteme. Ein Menschenleben zählte weniger als zuvor. Natürlich war eine Familie noch immer verzweifelt, wenn sie ein Kind verlor, aber weil sie sich im Kriegszustand glaubte, galt ihr das Leid als Teil eines gerechten Kampfs. In diesen Jahren begann die Verherrlichung des Todes. Den Anfang machten die palästinensischen Fedajin (die sich Opfernden), die bereit waren, für ihr Land und die Erhaltung ihrer nationalen Identität zu sterben. Daran knüpften später die Islamisten an, die das „Opfer“ für die Sache noch religiös überhöhten.

Korangelehrte als Gegenkraft zum Staat

Der Junikrieg bedeutete für die gesamte Region einen politischen Wendepunkt. Erstmals seit 1948 fanden die palästinensischen Forderungen ihren Ausdruck in einer eigenen Bewegung: Die 1964 gegründete Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) wurde von der Arabischen Liga als die alleinige Vertretung des palästinensischen Volkes anerkannt.

1965 begann die PLO ihren bewaffneten Widerstand, wobei sie zunächst vom Territorium der Nachbarländer Israels operieren konnte. Als ihnen dieses Hinterland im Laufe der Zeit entzogen wurde, musste sie andere Formen des Kampfes finden. Nach ihrer Vertreibung aus Jordanien (1971) wurden internationale Terrorakte zum entscheidenden Mittel ihrer Überlebensstrategie, von dem sie sich endgültig erst in den 1980er-Jahren verabschiedete. Es war das erste Mal, dass eine nichtstaatliche bewaffnete Organisation auf Anschläge jenseits der Grenzen setzte. Und die richteten sich nicht nur gegen israelische Ziele, sondern auch gegen die Machthaber der Länder, von denen aus sie operierten.

Auch das Verhältnis von Politik und Religion wandelte sich. Es gelang den populären religiösen Führern, große Teile der Bevölkerung hinter sich zu bringen. Als Gamal Abdel-Nasser nach der Niederlage versuchte, seine Macht mittels Massendemonstrationen zu stabilisieren, warb er auch sogleich um die Unterstützung durch die religiösen Würdenträger.3 Das gelang ihm recht gut. Schon unmittelbar nach der Kapitulation hatte Scheich Mohammed Mitwalli Schaarawi, der einflussreichste Korangelehrte Ägyptens, beim Freitagsgebet erklärt: „Wir danken Gott für diese schmerzliche Niederlage, weil sie die Nation wachgerüttelt und ihr bewusst gemacht hat, dass sie in die Irre geht, wenn die Religion nicht ihren Platz im öffentlichen Leben findet.“ Das ägyptische Regime hoffte, durch die Einbindung der Religion neue Legitimität zu gewinnen, wobei es fest überzeugt war, die Religionsgelehrten in Schach halten zu können. Nasser ernannte Scheich Schaarawi zum Beauftragten für geistliche Unterweisung in der Einheitspartei, aber er erkannte auch sehr rasch, dass er den Einfluss der Korangelehrten nicht unterschätzen durfte und stets unter Kontrolle halten musste.

Diese einvernehmliche Politik führte auch Anwar as-Sadat fort. Der Islam bemühte sich um eine immer stärkere öffentliche Rolle. Dieser Machtzuwachs der Korangelehrten – in Ägypten der Lehrenden an der Al-Azhar-Universität, in Saudi-Arabien der wahhabitischen Vordenker – machte sie zu einem Gegenpol, an dem sich ein alternatives Gesellschaftsmodell mit einer anderen Sinngebung kristallisieren konnte. Außerdem verfügte das religiöse Establishment über erhebliche Geldmittel und konnte den ärmsten Bevölkerungsschichten umfangreiche Sozialleistungen bieten.

Zudem machte das traditionelle religiöse Establishment schon lange vor der Herausbildung radikaler islamistischer Bewegungen die Palästinafrage zum Angelpunkt der Identitätsproblematik, indem sie diese zu einer religiösen Frage verklärte. Auf diese Weise konnte sie den nationalen und territorialen Konflikt als unversöhnlichen Gegensatz zwischen Juden und Muslimen darstellen.

Die Behauptung, der Islamismus sei die religiös fundierte Antwort auf die Entstehung des Staates Israel, ist eine nachträgliche Zuschreibung, die historisch ungenau ist. 1947 wie 1968 wurde Israel als Projekt zur Gründung eines Nationalstaats verstanden – und von den Vertretern des arabischen und palästinensischen Nationalismus als solches bekämpft. Als Nasser und die Baathisten 1967 scheiterten, verloren sie auch die Deutungshoheit über diesen Konflikt. Damit konnte die Geschichte unter dem Einfluss der religiösen Instanzen umgeschrieben werden: Die Generation, die nach dem Sechstagekrieg von 1967 aufwuchs (und heute die Mehrheit der Bevölkerung in den arabischen Ländern stellt) lernte eine Version von Geschichte, die durch und durch religiös geprägt war. Seither muss sich jeder schuldig fühlen, der vom rechten Weg abirrt und seine Glaubenspflichten vernachlässigt.

In den folgenden vierzig Jahren vertiefte sich in den arabischen Staaten die Kluft zwischen den Regimes und der Gesellschaft immer weiter. Für Fragen des Gewissens war nunmehr das religiöse Establishment zuständig, und für alle erdenklichen politischen Enttäuschungen und Hoffnungen die islamistischen Bewegungen, die sich nach und nach in ein „offizielles“ und ein „revolutionäres“ Lager aufteilten.

Vor allem in Ägypten wurden die ideologischen Auseinandersetzungen geführt, dort nahmen richtungsweisende Entwicklungen in der Region ihren Lauf. Nach der Niederlage von 1967 standen israelische Truppen nun am Suezkanal und auf den Golanhöhen, kaum 100 Kilometer von der syrischen Hauptstadt entfernt. Damals sagte sich die Muslimbruderschaft von den Ideen los, die der radikale Islamist Sayyid Qutb4 propagiert hatte. Sie verzichtete auf gewaltsame Aktionen und versuchte, ihre Ideen stärker in die Gesellschaft zu tragen. So riefen sie zwar immer noch zum Dschihad gegen Besatzer auf (gegen Israel oder ausländisches Militär), distanzierten sich aber von radikalen Gruppen, die im Namen Allahs den totalen Krieg gegen die Ungläubigen im eigenen Land und im Rest der Welt forderten.

Als Abspaltung aus der Muslimbruderschaft entstand die Gamaa al-islamiya, eine Gruppierung, die mit ihren teils gewaltsamen Aktionen drei Ziele verfolgte. Um die Jugend zu gewinnen, agitierte sie an den Universitäten und den besonders renommierten höheren Schulen. Es gelang ihr, auch die Kinder der einflussreichen bürgerlichen Familien in Damaskus, Amman, Kairo, Alexandria und Khartum für sich zu gewinnen. Der radikale Islamismus war und ist vor allem eine politische und intellektuelle Bewegung und keineswegs ein Unterschichtenphänomen. Dass seine Führer aus der wohlhabenden und gebildeten Mittelschicht stammen, gilt für die Gamaa nach 1967 genauso wie dreißig Jahre später für al-Qaida.

Das zweite Ziel der Agitation war, die Frauen zum Tragen des Schleiers zu bekehren. In Reaktion auf die „Vergewaltigung“ der muslimischen Welt entwickelten die Islamisten eine geradezu zwanghafte Wertschätzung von Ehre und Tugend. Dabei schreiben sie den Frauen die Pflicht zu, diese Werte zu schützen. Weil die Regierenden diesen Schutz nicht mehr bieten, müssen eben sie und die Gesellschaft diese Rolle übernehmen.

Die Gamaa al-islamiya trat auch für allgemeine körperliche Ertüchtigung ein. Dabei lernten die Aktivisten zunächst das Nötigste über Hygiene und Gesundheitsvorsorge, aber es wurde ihnen auch vermittelt, was nötig war, um sich gegen die Machthaber auflehnen zu können – als Vorbereitung für den bewaffneten Kampf.

Anfangs sahen die ägyptischen Muslimbrüder den Erfolg der Gamaa bei der Jugend nicht negativ. Sie hofften, davon zu profitieren, neue Mitglieder zu gewinnen und die Bewegung nach der Repressionswelle von 1965 und 1966 zu erneuern, denn damals waren – neben Sayyid Qutb – viele Führungsmitglieder hingerichtet oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Aber die empörte Jugend folgte ihnen nicht: Sie wollte den Kampf, und die Bruderschaft hatte sich bereits endgültig für einen friedlichen Weg entschieden.

Die großen Krisen der Bewegung folgten stets dem gleichen Muster: 1982 die blutige Unterdrückung der syrischen Muslimbrüder in der Stadt Hama; von 1988 bis 1992, nach Anschlägen auf Touristen und ägyptische Bürger, die gnadenlose Verfolgung der Gamaa al-islamiya durch das Regime; das dunkle Jahrzehnt der 1990er-Jahre in Algerien; der 11. September 2001. Dabei kam es innerhalb der Bewegung stets zu gegensätzlichen Reaktionen: Eine Mehrheitsfraktion schwor der Gewalt ab und schlug einen legalen und gemäßigten Kurs ein, eine Minderheit radikalisierte sich und wandte sich dem dschihadistischen Kampf zu, was häufig mit dem Gang ins Exil verbunden war.

Auf lange Sicht zahlten sich gemäßigte Positionen und legalistische Strategien politisch aus, denn diese Bewegungen gewannen immer mehr Anhänger. Auch versuchten die Machthaber, die sich eigentlich nur auf ihre Geheimdienste (den berüchtigten muchabarat) verließen, die gemäßigten Islamisten zu benutzen, um die Extremisten, ihre Theorien und ihre Gewalt zu diskreditieren und ihren Einfluss auf die Jugend zu reduzieren. Dies geschah zum Beispiel in Saudi-Arabien, in Ägypten, in Jordanien und in Marokko. In Ägypten oder Algerien schien das Experiment zu gelingen – der Einfluss bewaffneter Gruppen ging zurück. Aber zugleich konnten die gemäßigten Islamisten und ihre religiösen Institutionen ihre Vorstellungen besser durchsetzen. Die Folge waren allenthalben konservative Tendenzen und Einschränkungen der Bürgerrechte.

Auf die Niederlage von 1967 folgte der Sturz der alten Machteliten in Syrien, im Irak, im Sudan und in Libyen.

Aber das waren die letzten Wirren dieser Art. 1973 zeigte die arabische Welt eine Entschlossenheit, die in ihrem kollektiven Gedächtnis bis heute als vorbildlich gilt. Der Krieg gegen Israel, den Kairo und Damaskus im Oktober begannen, schien die Chance zu bieten, die Schmach von 1967 zu tilgen und die Kräfteverhältnisse zu verändern. Vor allem die gemeinsame Strategie, die Art der militärischen Mobilisierung und der Einsatz der Ölreserven ließ hoffen, dass eine arabische Solidarität möglich sei, womit die Ansprüche der Schwachen, vor allem der Palästinenser, mehr Gewicht bekommen könnten. Auch auf der politischen Ebene sprachen die arabischen Staaten mit einer Stimme. Und der unverhoffte Reichtum, der den Förderländern dank der Ölkrise zufiel, weckte die Hoffnung, dass die Regierenden die Gesellschaft an den Gewinnen teilhaben lassen würden.

All das erwies sich als frommer Wunsch. Militärisch endete der Krieg von 1973 unentschieden. Dabei standen die Bedingungen für Verhandlungen und einen Kompromiss schon vor Kriegsbeginn fest. Die ägyptische Armee war erfolgreich über den Suezkanal vorgestoßen, wurde dann aber von der politischen Führung gestoppt: Präsident Sadat wollte nur die Waffenstillstandslinien von 1967 verschieben, um seine Verhandlungsposition zu verbessern. Israel hatte kurz befürchtet, es sollte zu Verhandlungen über die Rückgabe der 1967 besetzten Gebiete gezwungen werden.

Ölreichtum als zweifelhaftes Geschenk

Ägypten und Saudi-Arabien machten sehr rasch deutlich, dass die neue arabische Solidarität ohne Unterstützung der USA wenig tragfähig war. Und auch der neue Reichtum der Ölstaaten erwies sich als zweifelhaftes Geschenk: Er ging mit einem enormen Anstieg der Korruption zulasten der Gesellschaft einher. Der Ölboom stärkte und bereicherte die Machthaber, die von den Abnehmerländern hofiert wurden. So konnten sie die Geheimdienste und die Überwachung der Bevölkerung perfektionieren, ohne dass man sie als Polizeistaat verurteilt hätte. Die Machthaber stärkten ihre Position auch dadurch, dass sie die alten Eliten zur schamlosen Bereicherung aufforderten und die Entstehung einer neuen, vom Staat abhängigen Mittelschicht begünstigten. Das funktionierte so gut, dass die Regimes sich sogar einige Reformen – etwa die Fassade eines Mehrparteiensystem – leisten konnten.

Fünfzehn Jahre danach steht außer Zweifel, dass dieses Jahrzehnt der tafra (des plötzlichen Reichtums) so gut wie nichts zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung beigetragen hat; stattdessen wurden die Öleinkünfte, zum Beispiel in Algerien, in unverantwortlicher Weise verprasst. In den Golfstaaten verloren die arabischen Gastarbeiter im Lauf der Zeit ihre Jobs an billigere Arbeitskräfte aus den asiatischen Ländern. Für hunderttausende junger Araber war damit auch dieser Ausweg aus der Dauerarbeitslosigkeit versperrt.

Welche Bedeutung kommt vor diesem Hintergrund dem palästinensisch- israelischen Konflikt zu? Ist er noch immer die entscheidende Frage, und könnte seine Lösung der Entwicklung in der Region eine Wende geben? In den USA und zunehmend auch in Europa scheint man daran nicht oder nicht mehr zu glauben. 1973 entschied sich Ägyptens Präsident Sadat zu einem radikalen Kurswechsel: Um den Sinai zurückzugewinnen, warf er seine sowjetischen Berater aus dem Land und verbündete sich mit den USA. Als er 1978 in Camp David einen Separatfrieden mit Israel unterzeichnete, sahen die arabischen Staaten darin einen Verrat an den Palästinensern: Sie brachen ihre diplomatischen Beziehungen zu Kairo ab, womit sie allerdings auch die Führungsmacht verloren, die Ägypten über Jahrzehnte gewesen war.

Der Aufstieg der finanzstarken Golfstaaten und Saudi-Arabiens stärkte nicht nur bestimmte religiöse Werte, sondern auch den Trend zur Konsumgesellschaft und für ein einvernehmliches, wenn nicht dankbares Verhältnis zu den USA oder dem Westen. Kritische Stimmen meinen ohnehin, dass diese Monarchen ihren Thron nur dem Westen verdanken, der Jahrzehnte zuvor ihre Staatsgebiete mit simplen Strichen auf der Landkarte geschaffen hatte.

Während sich Ägypten stärker auf seine alte kulturelle Tradition besann, versuchten die Machthaber am arabischen Golf, sich ihre nationale Zukunft aus eigener Kraft zu sichern. Das geht mit einem gewissen Lokalchauvinismus einher, der sich nicht mehr der „arabischen Sache“ verpflichtet fühlt, die sie so lange finanziert hatten.

Für Jordanien hatte die Verteidigung der Landesgrenzen und der nationalen Eigenständigkeit Vorrang. Deshalb schaffte sich König Hussein die palästinensische Widerstandsorganisationen vom Halse. Aus Syrien tönte zwar immer noch die gewohnte arabisch-nationalistische Propaganda, aber auch Damaskus versuchte durchaus, seine Interessen zu wahren. Das zeigten die Versuche, den Einfluss der PLO zu begrenzen, und der 1976 erfolgte Einmarsch in den Libanon.

Mit der islamischen Revolution im Iran (1978–1979) und dem acht Jahre dauernden Krieg, den der Irak unter Saddam Hussein ab 1980 gegen das Nachbarland führte, entstand ein zweiter explosiver Konfliktherd in der Region. Das trug auch dazu bei, diejenigen Kräfte zu diskreditieren, die auf der zentralen Bedeutung des israelisch-arabischen Konflikts bestanden. Der Irak hätte damals die führende Macht in der Region werden können, aber er konzentrierte alle Kräfte auf die Auseinandersetzung mit dem Iran und auf die „schiitische Bedrohung“ im Innern, auf die Iraks Führung geradezu paranoid fixiert war. Als Saddam Hussein 1990 den Einmarsch in Kuwait befahl, beendete er damit alle Hoffnungen der Kräfte, die in der Auseinandersetzung gegen Israel auf ihn gesetzt hatten. Aus der strategischen Gleichung, die das arabisch-israelische Verhältnis bestimmte, war damit nach Ägypten ein weiteres bedeutendes arabisches Land als Faktor gestrichen.

Die Niederlage von 1967 und die folgende Annäherung zwischen Ägypten und Saudi-Arabien beendete den Kalten Krieg in der arabischen Welt, in dem sich „fortschrittliche“ (mit der Sowjetunion verbündete) und „reaktionäre“ (mit dem Westen verbündete) Staaten gegenüberstanden (siehe den Artikel von Henry Laurens, S. 6). Aber er wurde nicht durch ein neues regionales Sicherheitssystem abgelöst, das als Krisenmechanismus tauglich gewesen wäre. Selbst der Begriff der „arabischen Welt“ geriet in Zweifel und wurde durch den Begriff der „arabischen Straße“ abgelöst, also durch den Bezug auf eine durch gemeinsame Gefühle bestimmte Volksmeinung, die aber letztlich ohnmächtig bleibt.

Unter Berufung auf die „zentrale Rolle“ des arabisch-israelischen Konflikts konnten viele der gegenwärtigen Regierungen an die Macht kommen und ihre gewaltigen Rüstungsausgaben wie auch den Ausbau ihrer Geheimdienste mit nationalistischer Rhetorik rechtfertigen. Doch mit der Palästinafrage lässt sich die Gewalt dieser Regime gegen die eigene Bevölkerung und die umfassende Kontrolle des öffentlichen Lebens ganz gewiss nicht legitimieren. Und erst recht nicht die schlechte Staatsführung, die Korruption und der autoritäre und grausame Umgang mit den eigenen Staatsbürgern.

Dass die Machthaber das Motiv des Kampfs gegen Israel so erfolgreich instrumentalisieren konnten, liegt letztendlich jedoch daran, dass dieser Konflikt das kollektive Bewusstsein der arabischen Massen prägt. Entsprechend beurteilt man jedes andere Land und seine politischen Kräfte danach, wie sie zu Israel stehen. Die Menschen in der Region fragen sich ständig, wie man es am besten schaffen kann, die arabische Position im Konflikt mit Israel zu stärken. Militärische Operationen, die nicht der Bekämpfung Israels dienen, gelten als „unpatriotisch“ und als Kraftvergeudung, weil sie von diesem Ziel ablenken. So erklärt sich auch die Anziehungskraft jeder Bewegung, die eine neue Strategie gegen Israel anbietet. Das gilt für die Hamas wie für die Hisbollah – und auch die nihilistische Neigung mancher Kreise, die Terrorakte der al-Qaida gutzuheißen, hat hier ihren Ursprung. Der Konflikt mag für die strategische Situation in der Region nicht länger entscheidend sein – die Haltungen der Menschen bestimmt er nach wie vor. Und den Machthabern gelingt es nicht, diese Gefahr endgültig zu bannen: Jene schlafende Bestie, der Volkszorn, kann jederzeit erwachen.

Die Niederlage von 1967 als Ende der Illusionen

Das Debakel von 1967 hat eine ganze Generation traumatisiert. Die Älteren hatten sich in ihr Schicksal ergeben, ihre Enttäuschung war grenzenlos. Aber die jungen Erwachsenen hatten es noch schwerer: Sie mussten Hoffnung in die Zukunft setzen, obwohl keine Chance auf Veränderung sichtbar war. Zu den Kriegsfolgen gehörte der Verlust arabischer Gebiete. Jetzt mussten die Araber die Existenz Israels zumindest in den international anerkannten Grenzen vom 4. Juni 1967 hinnehmen.

Diese Generation entwickelte ein anderes Zeitgefühl, bekam einen anderen Blick auf die Welt. Die guten alten Zeiten, als eine ganze Gesellschaft gemeinsame Hoffnungen entwickelte, waren für sie vorbei. Für die politische Kultur der arabischen Generation nach dem Junikrieg von 1967 – und das gilt für die antiimperialistischen wie für die nationalistischen oder islamistischen Kräfte – blieb dieser Krieg die Folie aller Projektionen. Das Bewusstsein dieser Generation war durch die Waffenstillstandslinien vom 12. Juni geprägt. Und Israel hat die militärischen und strategischen Frontlinien wie auch die wirtschaftlichen und alltäglichen Realitäten im Verlauf der nachfolgenden langen Besatzungszeit noch einmal verändert.

Während die arabischen Staaten mit der Zeit ihren Widerstand aufgaben, mussten die Palästinenser allen Mut aufbringen: Sie mussten nicht nur kämpfen und ihren Widerstand organisieren, sondern auch die Einsicht entwickeln, dass die militärischen Operationen ein Instrument sind, um irgendwann in Verhandlungen einzutreten, in denen sie Zugeständnisse machen müssten. Jassir Arafat und seine Kampfgefährten wussten das schon seit Anfang der 1970er-Jahre, aber im Unterschied zu den arabischen Führern hatten sie nie versucht, die Palästinenser politisch vor vollendete Tatsachen zu stellen, sondern stets den Dialog mit den anderen palästinensischen Organisationen gesucht. Der Zwang zum Konsens nötigte sie zur Demokratie, andernfalls hätte die Palästinenserführung ihre Autorität eingebüßt. Das setzte sich sogar bis zu den Wahlen vom Januar 2006 fort, die von der Hamas gewonnen wurden, und zeigte sich auch in den Bemühungen um eine Regierung der nationalen Einheit, die Autonomiepräsident Mahmud Abbas dem Versuch einer gewaltsamen Machtübernahme vorzog – allerdings vergeblich, wie die aktuellen Kämpfe in Palästina zeigen.

In der übrigen arabischen Welt kann von Demokratie nicht die Rede sein. In diesen Gesellschaften gibt es deshalb weder Raum für echte Diskussionen noch demokratische Mitwirkungsrechte. Doch über diese Defizite reflektiert nur eine kleine intellektuelle Elite, während die Machthaber versuchen, sich nach ihren Bedürfnissen einen Frieden auszuhandeln. Die Bevölkerung ist derweil im Kampf mit den alltäglichen Schwierigkeiten auf sich allein gestellt, weil sie von den Regierungen schon gar nichts mehr zu erwarten hat. Kann man diesen Zustand der arabischen Gesellschaften als Apathie bezeichnen? Es handelt sich eher um die resignative Einsicht in die eigene Machtlosigkeit, allerdings ohne den Versuch aufzugeben, andere Formen der sozialen Organisation zu entwickeln.

Der arabischen Welt ist es nicht gelungen, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen oder sie gar zu überwinden. In den vierzig Jahren der israelischen Besatzung hat sich der palästinensische Widerstand als unbeugsam erwiesen – obwohl er in diesen Jahrzehnten immer wieder seine Strategie, seine Parolen, seine Führer und seine Orientierungen gewechselt hat. Zbigniew Brzezinskis berühmter Spruch von 1979 – „Bye-bye, PLO!“ – war voreilig. Für die vom Junikrieg 1967 geprägte Generation in den arabischen Staaten bleibt die Palästinafrage untrennbarer Bestandteil und entscheidender Antrieb für die eigenen Zukunftsvorstellungen. Erst wenn sie gelöst ist, wird der Kampf gegen die arabischen Machthaber und für Demokratie und Bürgerrechte möglich, ohne sich des Verrats an der gemeinsamen arabischen Sache schuldig zu machen. Erst dann kann die Rolle der Armee und der Geheimdienste in der Gesellschaft in Frage gestellt und erst dann kann das islamistische Einheitsdenken kritisiert werden. Und erst dann wird es denkbar, unbelastete Beziehungen zum Ausland und vor allem zu den Ländern des Westens zu entwickeln.

Fußnoten:

1 1952 putschte sich Gamal Abdel-Nasser (1918–1970), der Führer der Bewegung Freier Offiziere, in Ägypten an die Macht. Er verstand sich zeitlebens als Propagandist der arabischen Einheit. Die 1947 gegründete Baath-(„Wiedererweckungs“-)Partei trat mit der Parole „Einheit, Befreiung, Sozialismus“ an. Ihre zahlreichen „Sektionen“ fanden Anhänger vor allem im Militär und im Mittelstand der irakischen und syrischen Gesellschaften. 2 Siehe Ian S. Lustick, „Unsettled States, Disputed Lands: Britain and Ireland, France and Algeria and the West Bank-Gaza“, New York (Cornell University Press) 1993. 3 Nach der Niederlage trat Nasser am 9. Juni zurück. Einen Tag später revidierte er diese Entscheidung. 4 Sayyid Qutb trat innerhalb der Muslimbruderschaft für eine Strategie gewaltsamer Aktionen ein, auf die sich später die dschihadistischen Bewegungen beriefen.

Aus dem Französischen von Edgar Peinelt

Bassma Kodmani leitet die Arab Reform Initiative in Paris (www.arab-reform.net). Von ihr erschien „La diaspora palestinienne“, Paris (PUF) 1997; „The Danger of Political Exclusion: Egypt’s Islamist Problem“, Washington (Carnegie Endowment for International Peace) 2006.

Le Monde diplomatique vom 08.06.2007, von Bassma Kodmani