Sechs gegen die Weltbank
Die Bank des Südens als Alternative für Lateinamerika von Eric Toussaint und Damien Millet
Vor zwei Jahren nahm der junge ecuadorianische Wirtschaftsminister Rafael Correa die schwere politisch-soziale Krise in seinem Land zum Anlass, die Verwendung der Erdöleinnahmen zu überprüfen. Ab sofort sollte weniger Geld in die Schuldentilgung und mehr in Sozialprogramme fließen.
Die Strafe der Weltbank folgte auf dem Fuße. Umgehend legte sie einen zugesagten 100-Millionen-Dollar-Kredit auf Eis und sorgte bei Präsident Carlos Mesa dafür, dass die Karriere des unbotmäßigen Wirtschaftsministers gestoppt wurde. „Die Herren des Erdöls, die Vereinigten Staaten, der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank, die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB) setzten den Präsidenten unter Druck“, berichtete Correa später. „Ich verlor sein Vertrauen und seine Unterstützung.“1 Und so musste der junge Ökonom sein Amt aufgeben.
Als Rafael Correa ein Jahr später, am 3. Dezember 2006, selbst zum Staatspräsidenten gewählt wurde, hatte er diese Episode und die darin ausgedrückte Missachtung der Souveränität seines Landes nicht vergessen. Vor wenigen Wochen, am 20. April, erklärte er den Repräsentanten der Weltbank in Ecuador, Eduardo Somensatto, zur Persona non grata. Außerdem beschloss Correa angesichts öffentlicher Schulden in Höhe von 10,5 Milliarden Dollar, den Anteil der Schuldenrückzahlung am Staatshaushalt von 38 Prozent im Jahr 2006 bis 2010 auf 11,8 Prozent herunterzufahren. Wenige Tage später verkündete Venezuela seinen Austritt aus IWF und Weltbank, während Bolivien kurz darauf kundtat, dass es künftig die Autorität des Internationalen Zentrums zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) – ein Instrument der Weltbank-Gruppe – nicht mehr anerkennen werde.
Die Interventionen von Weltbank und IWF orientieren sich seit den 1950er-Jahren an den außenpolitischen Prioritäten Washingtons. Fast 30 Jahre lang unterstützten die Bretton-Woods-Institutionen den 1979 gestürzten nicaraguanischen Diktatur Anastasio Somoza.2 1954 boykottierten sie die fortschrittliche guatemaltekische Regierung unter Jacobo Arbenz und sagten der Militärjunta, die Arbenz gestürzt hatte, von Anfang an jede erdenkliche Unterstützung zu. Auch in Südamerika sabotierten sie demokratische Regime, die Reformen zum Abbau sozialer Ungleichheit in Angriff nahmen. Unterstützt wurde hingegen Augusto Pinochet nach dem Putsch gegen Allende im September 1973 in Chile. Auch der argentinischen Militärdiktatur unter General Jorge Videla bot der IWF im März 1976 umgehend Hilfe an.
Die neoliberale Wirtschaftspolitik wurde in Pinochets Chile und Videlas Argentinien wie unter Laborbedingungen getestet, bevor sie in führenden Industrieländern – allen voran Thatchers Großbritannien (ab 1979) und Reagans USA (ab 1981) – Anwendung fand.3 Weltbank und IWF drängten Lateinamerika förmlich zur weiteren Kreditaufnahme, sodass die Auslandsverschuldung der öffentlichen Hand zwischen 1970 und 1982 von 16 auf 178 Milliarden Dollar anstieg.4 Mit dem Ausbruch der Schuldenkrise 1982 nutzten die Bretton-Woods-Institutionen die Überschuldungssituation als Waffe zur Durchsetzung wirtschaftspolitischer Maßnahmen, die später unter dem Begriff „Washingtoner Konsens“ zusammengefasst wurden: Strukturanpassungsprogramme, Privatisierung staatseigener Unternehmen, Marktöffnung, Abschaffung von Devisen- und Kapitalmarktkontrollen, Verringerung von Sozialausgaben, Heraufsetzung der örtlichen Zinssätze und dergleichen mehr. Was in Form von Krediten in die Region geflossen waren, floss nun als Schuldendienst – und als Fluchtkapital – in die Industrieländer zurück.
Auch die demokratisch gewählten Regierungen, die die Militärjunten in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre ablösten, hielten sich beflissen an die neoliberalen Rezepte. Die Folgen waren verheerend. Immer häufiger kam es zu Unruhen, im April 1984 in der Dominikanischen Republik, im Dezember desselben Jahres gegen die argentinische Regierung unter Fernando de la Rúa, am 27. Februar 1989 gegen den venezolanischen Staatspräsidenten Carlos Andrés Pérez. Langfristig mündete die Opposition gegen den Washingtoner Konsens in eine politische Wendung nach links, die 1998 mit der Wahl von Hugo Chávez zum Staatspräsidenten Venezuelas einsetzte.
Nach dem Sturz von Fernando de la Rúa im Dezember 2001 gab die argentinische Regierung dem Druck der Straße nach, ging auf Konfrontationskurs mit IWF und Weltbank und suspendierte den Schuldendienst gegenüber Privatgläubigern und dem Pariser Klub bis März 2005. Zwar vermieden die peronistischen Regierungen unter Rodríguez Saa, Eduardo Duhalde und Nestor Kirchner den offenen Bruch mit den Bretton-Woods-Institutionen und bedienten auch weiterhin deren Forderungen. Aber sie trugen zur Schwächung von IWF und Weltbank bei, indem sie zeigten, dass man die Wirtschaft auch bei Einstellung der Schuldenrückzahlung auf Wachstumskurs bringen kann. Denn am Ende fanden sich 76 Prozent der Gläubiger bereit, ihre Forderungen um mehr als die Hälfte zu kürzen.
Für die meisten Entwicklungsländer brachte die Entwicklung der Weltkonjunktur seit 2005 eine Stärkung ihrer Position gegenüber den Gläubigern in den Industrieländern.
Der Rohstoffboom ermöglicht die Tilgung der IWF-Schulden
Die Weltmarktpreise für Rohstoffe und einige Agrarprodukte sind gestiegen, während die Risikoprämien auf dem Kapitalmarkt einen historischen Tiefstand erreichten. Auf der anderen Seite wuchsen die Exporteinnahmen in harter Währung. Die Devisenreserven des lateinamerikanischen und karibischen Raums stiegen zwischen 2002 und 2007 von 157 auf über 350 Milliarden Dollar. Viele Länder – Argentinien, Brasilien, Mexiko, Uruguay und Venezuela, aber auch Thailand, Indonesien und Südkorea – nutzten die günstige Konjunkturentwicklung, um ihre IWF-Schulden zu begleichen. Etliche Organisationen, die für eine Annullierung der Drittweltschulden eintreten, reagierten darauf mit Kritik: Wer Schulden zurückzahlt, „legitimiere“ sie nachträglich und vergeude Ressourcen, die besser in sozialpolitischen Maßnahmen fließen sollten. Die betreffenden Regierungen erwiderten, sie hätten gerade durch die Schuldenrückzahlung ihre vollständige Handlungsfreiheit gegenüber einer Institution zurückgewonnen, die ihnen unpopuläre Maßnahmen vorschreiben könne.
Wie verwenden die meisten Regierungen derzeit ihre Devisenreserven? Nachdem sie einen Teil zur Begleichung ihrer Außenstände bei den internationalen Finanzinstitutionen aufgewandt haben, fließt der Rest teils in US-Staatspapiere, teils auf Konten bei US-amerikanischen, in wenigen Fälle auch bei europäischen Banken. Mit anderen Worten: Sie leihen den nördlichen Mächten – allen voran dem Land, das sie beherrscht – die öffentlichen Gelder des Südens. Die Anlage der eigenen Devisenreserven in Schatztiteln der USA oder anderer Länder kann unter Umständen neben einer erneuten Kreditaufnahme auf dem nationalen oder internationalen Geldmarkt stattfinden. Die Sollzinsen für neue Kredite liegen aber in jedem Fall höher als die Zinseinkünfte aus ausländischen Schatztiteln oder Bankguthaben. Und die potenziellen Verluste wiegen umso schwerer, als die Zinseinnahmen aus den USA in Dollar anfallen, und der hat in den vergangenen Jahren ständig an Wert verloren. Ein hoher Anteil an Fremdwährung setzt darüber hinaus einen perversen Mechanismus in Gang: Die Zentralbank der betreffenden Länder kauft den Exporteuren ihre eingenommenen Devisen gegen Landeswährung ab. Um einen durch die erhöhte Liquidität ausgelösten Inflationsschub zu verhindern, leiht sich die Zentralbank deshalb Geld von lokalen Privatbanken, womit die öffentliche Hand mit zusätzlichen Zinskosten belastet wird.5
Diese Fehlverwendung der vergleichsweise hohen Devisenreserven war Wasser auf die Mühlen des venezolanischen Staatspräsidenten Chávez, der seit einigen Jahren die Schaffung eines internationalen humanitären Fonds, seit 2006 die Gründung einer „Bank des Südens“ (Banco del Sur) fordert. Argentinien und Venezuela kündigten im Februar dieses Jahres konkrete Schritte in diese Richtung an. Bolivien, Ecuador und Paraguay stiegen kurz darauf in das Projekt ein, während Brasilien drei Monate zögerte und die Quito-Erklärung erst beim Gipfeltreffen der Finanzminister von Argentinien, Bolivien, Brasilien, Ecuador, Paraguay und Venezuela am 3. Mai unterzeichnete. Ein Treffen auf höchster Ebene soll bis Ende Juni stattfinden. Dann wollen die Staatspräsidenten dieser Länder die Bank des Südens offiziell aus der Taufe heben.
Auf dem Verhandlungstisch liegen verschiedene Optionen, doch in mehreren Punkten zeichnet sich offenbar ein Konsens ab. Die neue Finanzinstitution, an der sich mindestens sechs südamerikanische Länder beteiligen werden (den anderen Ländern steht ein Beitritt offen), soll die Entwicklung in der Region finanzieren. Darüber hinaus wird die Schaffung eines monetären Stabilisierungsfonds angestrebt.6 Zu-dem soll der bereits existierende Lateinamerikanische Reservefonds (Flar), an dem die fünf Andenstaaten Bolivien, Peru, Kolumbien, Ecuador und Venezuela und außerdem Costa Rica beteiligt sind, umgewidmet werden. Sollte sich dies als nicht machbar erweisen, will man einen neuen Fonds gründen. Sein Ziel: die teilweise Zusammenlegung der Devisenreserven der Mitgliedstaaten, um spekulativen Angriffen und anderen Schockwellen von außen besser begegnen zu können.
Hauptziel ist also, im Notfall ohne den IWF auskommen. Aber die Gründerstaaten der Bank hegen weitergehende Ambitionen. Geplant ist eine Verrechnungseinheit, aus der eines Tages eine gemeinsame Währung hervorgehen könnte. Als Modell scheint man die europäische Entwicklung vom Ecu zum Euro im Auge zu haben. Derzeit verrechnen die südamerikanischen Ländern ihren Handel noch in US-Dollar. Argentinien und Brasilien unterstrichen aber kürzlich ihre Absicht, den beiderseitigen Handel in Höhe von jährlich 15 Milliarden Dollar künftig in argentinischen Pesos und brasilianischen Real abzuwickeln.
Es gilt der Grundsatz ein Land – eine Stimme
Auf der Konferenz von Quito legte die Delegation Ecuadors ein revolutionäres Konzept für die Bank des Südens (und den geplanten Fonds) vor. Demnach sollen die neuen Institutionen im Gegensatz zu Weltbank, IWF und IDB auf demokratischer Grundlage arbeiten. Insbesondere sollen sie als Instrument zur Umsetzung internationaler Verträge im Bereich der Menschen-, Sozial- und Kulturrechte dienen, denen sich etwa die Weltbank nicht verpflichtet fühlt. Die Bank des Südens soll öffentliche Vorhaben finanzieren, während die bestehenden Institutionen den Privatsektor bevorzugen.
Im Übrigen soll die neue Bank – wenn sich die Staatschefs darauf einigen können – nach dem Grundsatz „ein Land, eine Stimme“ funktionieren. Im Rahmen von Weltbank, IWF und IDB bemisst sich das Stimmgewicht der Mitgliedstaaten wie bei einem Privatunternehmen nach der Höhe der Kapitaleinlage. Deshalb besitzen die USA mit einem Anteil von 15 Prozent faktisch ein Vetorecht. Darüber hinaus sollen die Manager und Angestellten der Bank des Südens juristisch belangbar sein, während ihre Kollegen bei der Weltbank völlige Immunität besitzen, über deren Aufhebung die Bank allein entscheidet. Die Archive der Bank sollen anders als bei IWF und Weltbank öffentlich zugänglich sein. Und schließlich soll sich die neue Finanzinstitution nicht auf den Kapitalmärkten verschulden, sondern ausschließlich mit den Einlagen und Darlehen der Mitgliedstaaten sowie mit potenziellen Einnahmen aus einer Art von Tobinsteuer auskommen.7
Welche Zukunft diesem weitreichenden Vorschlag beschieden sein wird, ist noch nicht abzuschätzen. Die Regierungen Brasiliens und Argentiniens sehen die Bank des Südens eher als Stütze ihrer jeweiligen privaten und gemischtwirtschaftlichen Großunternehmen. Als Vorbild fungiert dabei offensichtlich die Europäische Union mit ihrer kapitalistischen Logik. Doch noch ist die Debatte nicht entschieden. Einstweilen bleibt festzuhalten, dass IWF und Weltbank in Lateinamerika nicht mehr die Regeln diktieren.
Fußnoten:
Eric Toussaint und Damien Millet gehören dem Komitee für die Annullierung der Schulden der Dritten Welt (CADTM) an.