08.07.2011

Schiefergas

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Schiefergas

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Mit der Zustimmung des Senats ist am 30. Juni ist in Frankreich ein Gesetz in Kraft getreten, das ebenso erstaunlich ist wie der Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie. Als erstes Land verbietet Frankreich damit die einzige derzeit bekannte Technik zur Förderung von Schiefergas und Schieferöl.

„Wir verstehen nicht, was da passiert ist“, hört man übereinstimmend von Vertretern der Industrie wie von Parlamentariern und militanten Schiefergas-Gegnern. Wie kam es nur, dass Frankreichs gesamte politische Klasse sich auf einmal gegen den Abbau dieser Rohstoffe erklärt? Und was erklärt den Meinungswandel der Regierung, die etwas verbietet, was sie ein Jahr zuvor klammheimlich erlaubt hatte?

In den USA galt Schiefergas lange Zeit als „Manna vom Himmel“. Und der Widerstand regte sich spät: Am 18. April gab es in Fort Worth, Texas, eine erste Demonstration; einzelne Gemeinden und der Staat New York haben Moratorien beschlossen. Doch ein gesetzliches Verbot ist nach wie vor undenkbar.

In den USA wurde schon 1821 zum ersten Mal nach Schiefergas gebohrt. Intensiver ausgebeutet werden die Vorkommen aber erst seit 20 Jahren, und vor allem seit Präsident George W. Bush 2005 die Energieunabhängigkeit zur nationalen Sicherheitsfrage erklärte. Heute stammt in Nordamerika bereits die Hälfte der produzierten Energie aus unkonventionellen Lagerstätten, zu denen neben Schiefergas auch Ölsand und -schiefer gehören. Dabei soll sich der Anteil von Schiefergas von heute 20 Prozent binnen zehn Jahren auf 40 bis 50 Prozent erhöhen.

Der Energy Policy Act aus dem Jahr 2005 befreit die Öl- und Gasunternehmen von bestimmten Vorschriften zur Reinhaltung von Luft und Wasser. Der nützt vor allem dem Konzern Halliburton,1 der über eine erfolgversprechende Technik verfügt. Nur mit dem Hydraulic Fracturing (Fracking) lässt sich Schiefergas oder Ölschiefer abbauen. Das Fracking verbraucht sehr viel Wasser und produziert gewaltige Umweltprobleme (siehe den Text „Bohrungen in Deutschland“ auf Seite 11). In den USA hat man an den 500 000 bestehenden Bohrlöchern bislang mindestens 80 schwere Unfälle registriert. Dazu gehörten etwa Fälle von unkontrolliertem Gasaustritt, durch Frac-Abwässer verseuchtes Grundwasser, durch Explosionen zerstörte Gebäude und vergiftete Tiere.2

Trotz der umstrittenen Technik hat das Schiefergas die Energieprognosen auf den Kopf gestellt: Die Vorkommen sind fünfmal größer als die konventionellen Gaslagerstätten. Die Internationale Energieagentur (IEA) prophezeit bereits, das 21. Jahrhundert werde das „goldene Gaszeitalter“, was den Übergang zu erneuerbaren Energien zum Ärger der Umweltschützer weiter verzögern würde.

In Deutschland, Schweden und Polen wird bereits nach Schiefergas gebohrt. Ein Viertel der europäischen Reserven liegt jedoch in Frankreich. Hier wurden Prospektionslizenzen bereits für fast 10 Prozent des nationalen Territoriums bewilligt. Im März 2010 gab der damalige Umwelt- und Energieminister Jean-Louis Borloo ein Gebiet von 9 672 Quadratkilometern (von Montélimar bis Montpellier) zur Prospektion frei. Die geschätzten 60 Milliarden Barrel Öl im Pariser Becken und die 5 000 Milliarden Kubikmeter Gas im Süden würden 5 Prozent des Rohöljahresverbrauchs decken und die Gasversorgung für 90 Jahre sichern. Aber statt laut zu feiern, übte sich die Regierung in Diskretion.

Ganz anders in den USA: Hier macht der Staat eine regelrechte PR-Kampagne für die neue Energiequelle, weil man die privaten Grundeigentümer – als rechtliche Besitzer der Vorkommen – dafür gewinnen muss, Bohrungen zuzulassen. In Frankreich unterliegen zwar alle unterirdisch abbaubaren Rohstoffe der Kontrolle des Staats, doch die Spitzenbeamten der Bergbauakademie und der zuständigen Ministerien unterhalten beste Beziehungen zu den Energiekonzernen Total, Gaz de France Suez, aber auch zu deren nordamerikanischen Konkurrenten.

In den Medien wurde das Vorhaben – jenseits der Wirtschaftspresse – kaum beachtet. Der einzige Artikel über Fracking erschien am 21. März 2010 in Le Monde. Dann aber brachte im Oktober 2010 die Wochenzeitschrift Charlie Hebdo einen alarmierenden Bericht. Vollends aufgeschreckt wurden die Franzosen schließlich durch den 2010 von Josh Fox in den USA gedrehten Dokumentarfilm „Gasland“.

Der Film wurde bei öffentlichen Versammlungen in der Ardèche, dem Aveyron, der Drôme und dem Gard vorgeführt. Die Zuschauer sahen zu ihrem Schrecken, wie Leitungswasser mit einem Streichholz entzündet wird, sie sahen vergiftetes Brunnenwasser, ausgetretenes Benzol und Menschen, die krank wurden, weil sie in der Nähe von Fracking-Bohrlöchern leben.

„Die Leute waren außer sich, sie wollten unbedingt etwas dagegen machen“, berichtet der Umweltjournalist Fabrice Nicolino. Nach jeder Filmvorführung entstanden neue Aktionsgruppen, die Maillisten von Informations- und Selbstorganisationsgruppen hatten rasanten Zulauf.

Das wurde zunächst aber nur von der Lokalpresse registriert. „Dieses lokale, komplexe und sehr technische Thema passt nicht in die Schubladen der traditionellen Presse“, meint Sylvain Lapoix, der im Dezember 2010 als erster Journalist eine Hintergrundrecherche auf der Website owni.fr veröffentlicht hat. „Ich habe das Problem auf wirtschaftspolitischer, außenpolitischer und technischer Ebene behandelt und mittels Animationen, die den Fracking-Prozess und die mit ihm verbundenen Gefahren darstellen.“

Am 26. Februar 2011 kam es in Villeneuve-de-Berg (Ardèche) zu einer Kundgebung von 18 000 Fracking-Gegnern. Daraufhin ersuchte die Regierung in Paris die Unternehmen, das umstrittene Verfahren auszusetzen, bis Mitte Juni der Inspektionsbericht der Bergbauingenieure aus den Umwelt- und Energieministerien vorliegen sollte. Doch schon Mitte Mai verabschiedete die Nationalversammlung ein Gesetz, das Fracking als Fördertechnik verbietet. Durch die Zustimmung des Senats am 30. Juni ist dieses Verbot in Kraft getreten.

Allerdings geht das Gesetz den Gegnern der Bohrungen nicht weit genug, weil es im Gegensatz zu früheren Entwürfen nicht jede Art der Gewinnung von Schiefergas und Schieferöl untersagt. Deshalb stimmten die Sozialisten im Senat gegen das Gesetz. Nach dessen Inkrafttreten müssen die Unternehmen binnen zwei Monaten Auskunft geben, welche Techniken sie anwenden. Wenn sie nicht antworten oder mit Fracking arbeiten, wird ihnen die Lizenz entzogen. Emmanuel Raoul

Fußnoten: 1 Der Konzern wurde von 1995 bis 2000 von Dick Cheney geführt, der dann unter Bush zum Vizepräsidenten der USA aufstieg. 2 „Toxic contamination from natural gas wells“, The New York Times, 26. Februar 2011. Eine umfassende Bilanz der Schadensfälle enthält der Bericht der Organisation Food & Water Watch: documents.foodandwaterwatch.org/frackingReport.pdf.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

Le Monde diplomatique vom 08.07.2011, von Emmanuel Raoul