Währung ohne Zukunft
Die westafrikanische Franc-Zone ist eine Fehlkonstruktion von Sanou Mbaye
Am 2. April 2014 kamen mehr als fünfzig afrikanische Staats- und Regierungschefs zum vierten EU-Afrika-Gipfel nach Brüssel. Im August wurden sie mit großem Pomp von Präsident Obama empfangen. Nach Asien ist der schwarze Kontinent der zweitstärkste Motor für die Weltwirtschaft: 2013 übertraf die durchschnittliche Wachstumsrate mit etwa 4 Prozent den globalen Durchschnitt um einen Prozentpunkt. Sie wird für 2014 knapp 5 Prozent erreichen und soll 2015 zwischen 5 und 6 Prozent liegen.1
Im Zeitalter der Globalisierung haben vor allem die sogenannten Schwellenländer China, Indien, Südkorea, Malaysia, Türkei und Brasilien massiv in Afrika investiert. Diese Dynamik wird durch weitere Faktoren verstärkt: die Geldtransfers von Migranten, die nach Schätzungen der Weltbank bereits 2010 bei über 38 Milliarden Dollar lagen (mehr als die staatliche Entwicklungshilfe für Afrika von 26,5 Milliarden Dollar in demselben Jahr). Der zweite Faktor ist die dynamische Mittelschicht,2 die inzwischen die brutalen Schläge der Strukturanpassungsprogramme weggesteckt hat. Schließlich hat sich generell auch die Qualität der „governance“ verbessert, und zwar vor allem, was die Kontrolle der staatlichen Schulden und Defizite betrifft.
Doch haben diese Fortschritte offenbar einen großen Bogen um die Staaten der Franc-Zone in West- und Zentralafrika (siehe Karte) gemacht. Zwar lagen die Wachstumsraten in den Ländern der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion (UEMOA)3 2013 im Durchschnitt bei 5,5 Prozent, aber diese Zahl muss man im Kontext sehen: Da die Bevölkerung im Durchschnitt um 3 Prozent wächst, steigt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf nur um 2,4 Prozent. Innerhalb des zweiten Währungsraums der Franc-Zone, der Zentralafrikanischen Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft (Cemac),4 beträgt das durchschnittliche Wachstum des BIPs 4,6 Prozent und das Bevölkerungswachstum 2,8 Prozent, was eine Steigerung des BIPs pro Einwohner von 1,75 Prozent ergibt. Deshalb beschränken sich die Entwicklungspläne in einigen Staaten der Franc-Zone wie Niger, Mali, Burkina Faso oder Tschad vor allem auf die Armutsbekämpfung, die vom Welternährungsprogramm (WFP) unterstützt wird.
Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) hat von der Afrikanischen Union das Mandat erhalten, die Wirtschaftsintegration ihrer Mitglieder zu lenken. In der Ecowas haben allerdings nicht die frankofonen Mitglieder Elfenbeinküste, Senegal oder Kamerun das Sagen, sondern zwei englischsprachige Staaten. Nigeria erreichte 2013 eine Wachstumsrate von 7,4 Prozent, nach den 6,2 Prozent von 2012. In Ghana ist die Produktion in den letzten sechs Jahren durchschnittlich um 6 Prozent gewachsen und soll laut Prognose des African Economic Outlook-Reports 2015 8 Prozent erreichen.
Die Schwierigkeiten der Franc-Zone rühren von einer fehlerhaften und und dysfunktionalen Wirtschafts- und Finanzpolitik her. Am Anfang stand der Fehler, dass man nach der 1960 erlangten Unabhängigkeit den CFA-Franc einführte, ohne an den föderalen Strukturen von Französisch-Westafrika (AOF) und Französisch-Äquatorialafrika (AEF) festzuhalten. Die jungen Staaten schafften diese Integration ab und errichteten Zollschranken zwischen ihren Staaten. Damit liquidierten sie den entscheidenden Vorteil der Gemeinschaftswährung, die ja gerade den Handel zwischen den Mitgliedern der Währungszone fördern soll. Die Folgen dieses Fehlers zeigt ein Vergleich: Die EU-Staaten wickeln 60 Prozent ihres Handels innerhalb der Union ab, bei den Staaten der Franc-Zone in Afrika sind es nur 12 Prozent.5
Würde irgendjemand auf die Idee kommen, den Maastrichter Vertrag aufzuheben, aber zugleich den Euro beizubehalten? Natürlich nicht. Entsprechend hätte damals die Zerschlagung der föderalen Struktur der beiden französischen Kolonialgebiete mit der Abschaffung des CFA-Franc und der Einführung eigenständiger Landeswährungen einhergehen müssen. Genau dies geschah in den früheren britischen Kolonien mit der Abschaffung des westafrikanischen Pfund Sterling und des West African Currency Board, also der Notenbank (1968), sowie der Auflösung des Ostafrikanischen Currency Board (1977).
Das Festhalten am CFA-Franc hat eine ökonomische Situation geschaffen, die jeder Art von Entwicklungsperspektive abträglich ist. Diese Perspektivlosigkeit auf einem Kontinent, der in vollem Wandel begriffen ist, produziert ständig Instabilität und neue, länderübergreifende Konflikte, wie zuletzt in der Elfenbeinküste, in Guinea-Bissau, Mali und Zentralafrika. Im Übrigen hat Frankreich, mit Unterstützung der USA, diese Krisen instrumentalisiert, um seine Militärpräsenz in der Region zu verstärken.6 Unter diesen Bedingungen waren die Pläne für eine wirtschaftliche Integration von UEMOA und Cemac zum Scheitern verurteilt. Die für die Lebensfähigkeit einer Währungsunion unverzichtbaren Voraussetzungen wurden ignoriert: Solidaritätsmechanismen, ein gemeinsamer Markt, eine politische Union – all das war nicht vorhanden.
Das erklärt eine weitere strukturelle Inkonsequenz, nämlich die Parität der Gemeinschaftswährung zum Euro, die so festgelegt wurde, dass der CFA-Franc völlig überbewertet ist.7 Die Anbindung an den Franc war bereits 1993 erfolgt, offiziell um die Stabilität der Währung, ihre Konvertierbarkeit und den freien Transfer nach Frankreich zu gewährleisten. Praktisch dient diese Fixierung aber vor allem den französischen Unternehmen. Denn damit verfügten Unternehmen wie Bouygues, Areva, Total, Bolloré, Eiffage, Orange (Sonatel), BNP Paribas (BICI), Société Générale oder Air France über ein kommerzielles Quasimonopol in der Franc-Zone.
Ganz ähnlich sieht es im staatlichen Sektor aus. So hat Frankreich dem Senegal im Rahmen des Entwicklungsprogramms „Plan Sénégal émergeant“ (PSE) 58 Milliarden CFA-Francs (rund 88,5 Millionen Euro) für den Bau eines mautpflichtigen Autobahnabschnitts von Diamniadio zum künftigen Flughafen am Rande von Dakar geliehen (siehe Artikel auf Seite 19). Der Auftrag wurde ohne Ausschreibung an das französische Bauunternehmen Eiffage vergeben. Die französische Entwicklungsbank überweist die Kreditsumme, die die senegalesischen Steuerzahler abzahlen werden, direkt an das Unternehmen. Und damit es sich richtig lohnt, bekam Eiffage auch noch für 30 Jahre die Einnahmen aus der Autobahnmaut zugesprochen; die Gewinne dürfte das Unternehmen nach Frankreich transferieren. Eine so konzipierte „Entwicklungshilfe“ dient zugleich den einheimischen Machthabern: Sie lässt die Senegalesen von Fortschritt träumen, ändert aber nichts an ihrer alltäglichen Situation. Im Übrigen müssen die Staaten der Franc-Zone als Gegenleistung für ihre Vorzugsbehandlung ihre Devisenreserven beim französischen Staat hinterlegen. Der kann diese Reserven (mehrere zehn Milliarden Euro) in Schatzanweisungen investieren, die wiederum als Sicherung für Kredite dienen, mit denen er sein eigenes Haushaltsdefizit finanziert.
Eine dritte folgenreiche Ungereimtheit der Franc-Zone ist das hohe Zinsniveau. Die französischen Banken erheben 5 bis 6 Prozent Zinsen für Kredite, die sie den Regierungen der Franc-Zone gewähren, um ihre Importe von Erdöl, Lebensmitteln, Ausrüstungen und anderem zu finanzieren. Bedenkt man, dass in der Franc-Zone bis zu 18 Prozent Kreditzinsen üblich sind – in Äthiopien sind es zum Beispiel nur 5 Prozent –, ist die schwache Rolle der Banken in der Franc-Zone und ihre Deindustrialisierung wenig erstaunlich. Die absurd hohen Zinsen stehen im krassen Widerspruch zur allgemeinen Niedrigzinspolitik, mit der die Weltwirtschaft angekurbelt werden soll, die sich gerade von der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrise seit 1929 erholt.
Ein solches System produziert zwangsläufig strukturelle Haushaltsdefizite, eine übermäßige Abhängigkeit von Importen und massive Kapitalflucht. Der IWF als Hüter der Haushaltsdisziplin und der Währungsorthodoxie nimmt solche Funktionsstörungen nicht nur hin, sondern verstärkt sie noch durch seine Strukturanpassungsprogramme. Schließlich darf man nicht vergessen, dass Frankreich stets darauf bedacht war, für den höchsten IWF-Posten Technokraten zu nominieren,8 die sich zuvor als Hüter der französischen Orthodoxie ausgezeichnet haben – deren Wirkung sich auch bis in die einstigen Kolonien erstreckte.
Dieses Instrumentarium im Dienste der französischen Dominanz erlaubt es zugleich den afrikanischen Eliten, sich an den überteuerten Importen zu bereichern und staatliche Gelder abzusahnen, die sie skrupellos nach Frankreich ausführen, während sie zu Hause ein Luxusleben führen. Die afrikanischen Staatschefs halten, als Komplizen der institutionalisierten Ausbeutung ihrer Länder, umso bereitwilliger an diesen finanziellen Spielregeln fest, als ihre französischen Partner – egal welcher politischen Couleur – ihnen schon immer eine langes politisches Leben garantiert haben.
Staatschefs als Komplizen der Ausbeutung ihrer Länder
Félix Houphouët-Boigny hielt sich als Präsident der Elfenbeinküste von der Unabhängigkeit 1960 bis zu seinem Tod 1993. Weitere Figuren auf der Liste der ewigen Staatschefs sind: Denis Sassou-Nguesso, seit 1979 (mit Ausnahme des Zeitraums von 1992 bis 1997) Präsident der Republik (respektive Volksrepublik) Kongo; Blaise Compaoré, von 1987 bis 2014 Präsident von Burkina Faso; Idriss Déby, seit 1991 Staatsoberhaupt des Tschad. In Kamerun gab es seit der Unabhängigkeit überhaupt erst zwei Präsidenten: Ahmadou Ahidjo und Paul Biya, der seit 1982 an der Macht ist. Angesichts dessen ist es nicht erstaunlich, dass in den französischsprachigen Staaten Afrikas von einem Wind des Wandels nichts zu spüren ist und dass nach wie vor Korruption und Bereicherung an der Tagesordnung sind.
Die Regeln, die in der Franc-Zone herrschen, müssen also von Grund auf reformiert werden. Ein ökonomischer Aufschwung erfordert zuallererst, dass die freie Konvertibilität des CFA-Franc abgeschafft wird. Dieses Prinzip gilt heute zwar für alle Währungen als völlig selbstverständlich, ist aber keineswegs obligatorisch. China zum Beispiel hat die Liberalisierung des Devisenmarkts nicht zugelassen, der chinesische Renminbi ist nicht frei konvertierbar.9
Ebenso wichtig ist das Ende der unsinnigen Politik der festen Wechselkurse. Seit der Abschaffung des Goldstandards und der festen Wechselkurse im Jahr 1972 sind diese Kurse überwiegend fließend. Die meisten Länder verfolgen die Strategie, den Wechselkurs ihrer Währung so niedrig wie möglich zu halten, um ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihre Exportchancen zu erhöhen. Genau darum geht es im sogenannten Währungskrieg zwischen den Industriestaaten und den Schwellenländern. Plausiblerweise sollte sich der CFA-Franc an dieselbe Logik halten. Zumindest dürfte er nicht ausschließlich an den Euro gebunden sein, sondern müsste sich an den drei Währungen der wichtigsten Wirtschaftspartner der Franc-Zone (Euro, Dollar und Yuan) orientieren.
Der beste Rahmen für die notwendigen Reformen in Westafrika wäre die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas). Leider betrachtet sie Frankreich nur als Interessenvertretung der englischsprachigen Länder. Deshalb setzt Paris auf die UEOMA und die Cemac, die beide von den Ländern der Franc-Zone in der unrealistischen Hoffnung gegründet wurden, den britischen, US-amerikanischen und nigerianischen Einfluss in einer als französische Domäne gesehenen Region einzudämmen.
Das ändert nichts daran, dass die Ecowas von der Afrikanischen Union den Auftrag bekommen hat, die wirtschaftliche und finanzielle Konvergenz zu organisieren, die Voraussetzung für die Einführung eines Gemeinsamen Außenzolltarifs (GAZ) ist. Auf diesem Weg soll eine Zollunion geschaffen werden, die einer wirtschaftlichen Integration vorausgehen muss, auf die dann eine politische Union der Länder gründen kann, die schließlich die Schaffung einer gemeinsamen westafrikanischen Währung ermöglicht.
Eine gemeinsame Währung erfordert eine zentral gesteuerte Steuer- und Finanzpolitik, die ihrerseits eine politische Integration nötig macht. Zudem muss eine ständige Diskussion über die Inhalte der Konvergenzpolitik stattfinden, damit es nicht zu sozialen Spannungen kommt.
In Lagos kursiert unter den nigerianischen Intellektuellen das Bonmot, dass es innerhalb der Ecowas zwei Großmächte gibt, nämlich Nigeria und Frankreich. Der nigerianische Präsident Goodluck Jonathan hat das durchaus begriffen. Bei der Konferenz der afrikanischen Finanzminister, die Ende März in Abuja stattfand, war als einziger nichtafrikanischer Gast der damalige französische Finanzminister Moscovici eingeladen.
Aus der Sicht von Paris stellt sich die Frage, welchen Nutzen dieses System eigentlich haben soll. In dieser Kalkulation muss auch ein weiteres Faktum berücksichtigt werden: Obwohl Frankreich sein angestammtes afrikanisches „Revier“ auf vielen Ebenen – Diplomatie, Militär, Ökonomie, Finanzen – fast vollständig kontrolliert, musste die französische Armee in den letzten 55 Jahren vierzigmal auf afrikanischem Boden eingreifen.