Flagge zeigen in Jeju
Auf der südkoreanischen Insel wächst der Widerstand gegen die geplante Militärbasis von Frédéric Ojardias
Seit zweieinhalb Jahren spielt sich im Westen der Meerenge zwischen Korea und Japan an der Südküste der Insel Jeju jeden Tag die gleiche traurige und lächerliche Szene ab: Ein paar Aktivisten sitzen auf Plastikstühlen und blockieren die Zufahrt zur Baustelle des Marinestützpunkts Gangjeong. Ein Polizeibataillon marschiert auf. Die Beamten tragen die Demonstranten in aller Ruhe mitsamt ihren Stühlen zur Seite. Sobald die Straße frei ist, fährt ein Lastwagenkonvoi auf das Baustellengelände. Die Aktivisten nehmen wieder ihren Platz vor dem Tor ein – und warten darauf, bei der Ankunft des nächsten Konvois erneut weggetragen zu werden.
Ein Großteil der hartnäckigen Protestler sind Priester. „Wir haben es satt, ins Gefängnis zu wandern“, klagt Choi Sung-hee, eine der Koordinatorinnen der Bewegung. „Die Regierung hat Hemmungen, gegen Mönche vorzugehen. Sie stellt möglichst viele Aktivisten vor Gericht – auch völlig gewaltlose –, um jegliche Opposition im Keim zu ersticken. Ich selbst habe vier Verfahren am Hals“, sagt die junge Südkoreanerin.
Gangjeong war einst ein friedliches Fischerdorf, idyllisch gelegen in einem von Palmenhainen und Orangenplantagen geprägten Küstenstreifen aus Basaltstein, über den der Wind des Ostchinesischen Meeres hinwegzieht. Im Schatten des gewaltigen Vulkans Hallasan lebte die Insel Jeju von Landwirtschaft, Fischerei und dem zunehmend florierenden Tourismus, insbesondere aus China. Jeju und ihre Lavahöhlen wurden zum Unesco-Welterbe erklärt. In Gangjeong tauchen Frauen, einer jahrhundertealten Tradition folgend, ohne Sauerstoffgerät in den subtropischen Gewässern nach Meeresfrüchten.
Doch das Schicksal des Dorfs wendete sich im Jahr 2007, als die damalige Mitte-links-Regierung unter Präsident Roh Moo-hyun beschloss, auf der Insel eine Marinebasis zu bauen, die Platz für zwanzig U-Boote und weitere Kriegsschiffe bieten soll. Seitdem befindet sich Gangjeong im Ausnahmezustand.
Im „Peace Center“ in der Ortsmitte lebt der Widerstand. Es gibt Solidaritätsbekundungen, handgemalte Plakate und von Sympathisanten überreichte Bücher. Dorfbewohner kommen und stellen Orangenkisten ab. Spruchbänder mit der Parole „US-Militärbasis, nein danke“ wehen im Meereswind. Die drei Meter hohen Mauern, die die Baustelle des Marinestützpunkts vor Blicken schützen, sind übersät mit Schriftzeichen, Bannern und Skulpturen. Aktivistin Choi Sung-hee zeigt auf einen großen Felsen am Fuß der Mauer: „Für die Dorfbewohner ist das ein heiliger Ort. Jedes Frühjahr kommen sie hierher, um schamanische Zeremonien abzuhalten.“ Einige hundert Meter entfernt stehen Einheiten der Bereitschaftspolizei bereit, um für den ungestörten Aufbau der Militärbasis zu sorgen, die 2015 fertiggestellt werden soll.
Das Dorf ist gespalten. Jeder Haushalt zeigt Flagge: Wer auf seinem Haus ein gelbes Banner hisst, ist für die Gegner der Militärbasis. Wo die südkoreanische Nationalfahne weht, wird die Regierung unterstützt. „Geht bloß nicht in diesen Laden! Die Besitzer unterstützen die Militärbasis“, warnt uns eine Aktivistin bei unserer Ankunft. „Die Demonstranten sind gar nicht aus dem Dorf, sie kommen von außerhalb“, behaupten die anderen. Laut Regierung sollen sich die Einheimischen 2007 für den Bau ausgesprochen haben. Dem entgegnen die Oppositionellen, es hätten nur 87 der rund 1 000 Dorfbewohner an der Abstimmung teilgenommen.
Sie beklagen die Zerstörung von Naturschutzgebieten und weisen auf Probleme hin, die ihrer Meinung nach mit der Ankunft der Soldaten auf der Insel zusammenhängen: Alkohol, Gewalt, sexuelle Übergriffe, Zuhälterei.
Seit Ende des Koreakriegs (1950 bis 1953) verbindet Washington und Südkorea eine enge Militärallianz. 28 500 US-Soldaten sind im Land stationiert. In der Nähe der sieben US-Stützpunkte sind zahlreiche illegale Bordelle entstanden, die von den Behörden geduldet werden.1 Die Gegner sind überzeugt: Die künftige Marinebasis von Jeju wird den Interessen der USA und der Neuausrichtung ihres Militärs dienen, die dem „Pivot to Asia“, der strategischen Hinwendung der Vereinigten Staaten zum asiatischen Raum, folgt.2
„Der Bauplan des Marinestützpunkts lässt keinen Zweifel daran: Die Basis wurde so konzipiert, dass auch ein US-Flugzeugträger dort einlaufen kann“, sagt Jang Hana, die in Seoul als Abgeordnete für die größte Oppositionspartei, die New Politics Alliance for Democracy (NPAD)3 , im Parlament sitzt. Die Dorfbewohner von Gangjeong sind wegen der zunehmenden militärischen Spannungen in der Region besorgt – insbesondere wegen des jüngsten Streits zwischen China und Japan um die nordöstlich von Taiwan gelegene Inselgruppe Senkaku/Diaoyu.4 „Die US-Armee wird die künftige Marinebasis Jeju vor allem nutzen, um China die Grenzen aufzuzeigen“, meint Jang Hana. „Wegen unseres Militärabkommens mit Washington können wir uns nicht dagegen wehren. Der Bau des Marinestützpunkts sendet ein schlechtes Signal nach Peking.“
Wettrüsten zur See zwischen Südkorea, China und Japan
Militäranalysten weisen diese Vorwürfe zurück. Sie meinen, Gangjeong werde vor allem den neuen geostrategischen Ambitionen Südkoreas nützen. „Wir brauchen die Marinebasis, um unsere maritimen Hoheitsrechte und unsere nationalen Interessen zu verteidigen“, betont Moon Chung-in, Professor für Politikwissenschaft an der Yonsei-Universität in Seoul und früherer Berater von Expräsident Roh. „Das Ostchinesische Meer ist ein Spannungsgebiet. Wie wichtig der Bau der Marinebasis ist, hat sich bei der jüngsten Eskalation der Streitigkeiten zwischen China und Japan gezeigt. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass sich Südkorea mit seinen Nachbarn noch immer nicht über die Abgrenzung ihrer ausschließlichen Wirtschaftszonen im Chinesischen Meer geeinigt hat.“
Moon erinnert an die Haushaltskürzungen, die das Pentagon kürzlich beschlossen hat: „Der Marinestützpunkt ist eine Vorsichtsmaßnahme, damit wir für einen möglicherweise schwindenden Einfluss der US-Marine in der Region gerüstet sind.“ Und die Basis ist eine Reaktion auf die wachsende militärische Macht Chinas, das sein Verteidigungsbudget innerhalb von zehn Jahren verfünffacht hat und nach der Indienststellung seines ersten Flugzeugträgers im Jahr 2012 bereits einen zweiten baut.
In der Vergangenheit konzentrierte sich die südkoreanische Armee hauptsächlich auf den Norden des Landes, um Nordkorea die Stirn zu bieten. „Um sich weder von China noch von Japan überflügeln zu lassen und seine Streitkräfte angemessen zu verteilen, muss Seoul seine Marinepräsenz im Süden ausbauen. Diese Initiative ist die logische Folge einer Verlagerung wirtschaftlicher und militärischer Interessen auf die Meere, die in allen Ländern der Region zu beobachten ist“, sagt der Politikwissenschaftler Antoine Bondaz, Experte für die Beziehungen zwischen China und den beiden koreanischen Staaten am Asia Centre in Paris. Südkorea befindet sich de facto in einer Insellage und ist im Hinblick auf den Warenexport und die Energiesicherheit vollständig auf seine Seewege angewiesen. Die Marinebasis auf Jeju ermöglicht eine bessere Kontrolle der Seekorridore zum Pazifik und nach Südostasien.
Wie seine Nachbarn Japan und China rüstet auch Südkorea auf. Seit 2007 hat die Regierung in Seoul drei Zerstörer der Sejong-Klasse bauen lassen. Die Schiffe sind mit dem US-Raketenabwehrsystem Aegis ausgerüstet, drei weitere wurden kürzlich in Auftrag gegeben. Das Land plant zudem den Kauf von vierzig F-35-Jagdflugzeugen des US-Rüstungskonzerns Lockheed Martin und entwickelt neue ballistische Raketen, nachdem Washington Seoul die Erhöhung der Reichweite auf 800 Kilometer genehmigt hat.
Jeju liegt nur 500 Kilometer von Schanghai und der chinesischen Küste entfernt und erlaubt es, die Einfahrt zum Gelben Meer und zum Ostchinesischen Meer zu überwachen. Die Marinebasis befindet sich zudem unweit des Riffs von Ieodo/Suyan – ein Zankapfel zwischen Peking und Seoul. Um seine Territorialansprüche zu untermauern, hat Südkorea dort einen Helikopterlandeplatz errichtet. Im November 2013 hat China vor seiner Küste eine neue Luftraumüberwachungszone eingerichtet. Theoretisch müssen sich seitdem alle Flugzeuge vor dem Eindringen in diese Zone, die sowohl Ieodo/Suyan als auch die von Japan verwalteten Senkaku/Diaoyu-Inseln umfasst, zu erkennen geben.
„Jeju liegt so nah an der chinesischen Küste, dass es als permanente Marinebasis für die USA nicht infrage kommt“, sagt der Pariser Politikwissenschaftler Bondaz. „Die aktuelle Strategie des Pentagon besteht eher darin, seine Truppen zurückzuziehen. Denn China baut seine Fähigkeit aus, das Gebiet zu kontrollieren und Zufahrten zu blockieren. US-Verbände, die China zu nahe kämen, wären somit verletzlich.“
Washington baut andere Stellungen im Pazifik aus: etwa durch Investitionen in die US-Basis auf Guam, durch die Stationierung leichter, schwer ortbarer Tarnkappenfregatten in Singapur, durch ein Abkommen mit Australien über die Entsendung von 2 500 Soldaten auf die Militärbasis in Darwin und durch die Einigung mit den Philippinen über die Nutzung der früheren US-Basen Clark und Subic Bay. Das Pentagon interessiert sich außerdem für die im Südosten Vietnams gelegene Bucht von Cam Ranh. „Gangjeong könnte der US-Marine als Anlaufhafen dienen. Die Lage des Stützpunkts eignet sich perfekt für Überwachungsmissionen. US-Schiffe hätten die Möglichkeit, sich Schanghai und der chinesischen Marinebasis Qingdao zu nähern“ erklärt Bondaz. „Dort sind die USA ohnehin geheimdienstlich aktiv.“
Während des Zweiten Weltkriegs nutzte die Kolonialmacht Japan die strategischen Vorteile von Jeju und baute die Insel als befestigten Vorposten aus. Bereits 1993 beschloss die koreanische Regierung, dort eine Marinebasis zu errichten. Erst 2007 wurde das Dorf Gangjeong als Standort ausgewählt.
Die im 10. Jahrhundert gewaltsam vom koreanischen Reich annektierte Insel Jeju hat einen eigenen Dialekt und eine lange Geschichte von Konflikten mit der Zentralregierung. 1948 und 1949 wurde ein Aufstand gegen Seoul mit Zustimmung der USA, die den Süden der koreanischen Halbinsel besetzt hielten, niedergeschlagen. 30 000 der 250 000 Inselbewohner wurden hingerichtet, 70 Prozent der Ortschaften niedergebrannt. Das während der Militärdiktatur verschwiegene Massaker ist nach wie vor Teil des kollektiven Gedächtnisses. Mit dem Startschuss für den Bau des Militärstützpunkts ist das Trauma wieder präsent.
Im Ausland haben die Gegner des Projekts große Unterstützung erhalten. Schauspieler Robert Redford verurteilte „ein Wettrüsten, das ein koreanisches Paradies bedroht“, der Linguist und Philosoph Noam Chomsky warnte vor der „Gefahr eines verheerenden Kriegs in Asien“. Doch in Südkorea kam es nicht zu einer echten Protestbewegung.
Die Konservativen Südkoreas diskreditieren die Oppositionellen regelmäßig als kommunistische Anhänger Pjöngjangs. Die Bemühungen der Regierung, die Aktivisten durch Verhaftungen, Hausdurchsuchungen und wiederholte Prozesse zu demotivieren, haben sich ausgezahlt. Ausländischen Sympathisanten – insbesondere von der japanischen Insel Okinawa – wurde die Einreise nach Südkorea verweigert.
Über den Konflikt um Gangjeong wird in den größeren Zeitungen und im Fernsehen kaum berichtet – nur ein Beispiel für die wachsende Einschränkung der Pressefreiheit im Land. „Die an der Macht befindliche Konservative Partei hat die Gegner mundtot gemacht und damit Menschenrechte und demokratische Normen verletzt“, beklagt Hans Schattle, der an der Seouler Yonsei-Universität forscht.5
Bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember 2012 hatte der progressive Kandidat Moon Jae-in, der für den Fall seiner Wahl die Bauarbeiten stoppen wollte, das Nachsehen. Seitdem wird die Marinebasis nicht mehr als Problem von nationaler Tragweite betrachtet. Die Bewohner von Jeju haben resigniert. „Bei den Kommunal- und Regionalwahlen im Juni dieses Jahres hat keiner der Kandidaten einen möglichen Stopp der Bauarbeiten auch nur erwähnt“, sagt Todd Thacker, der als Journalist auf der Insel arbeitet.
Seoul muss nun seinen mächtigen Nachbarn und wichtigen Handelspartner China – in dieser Hinsicht wichtiger als die USA und Japan – davon überzeugen, dass die künftige Marinebasis keine Bedrohung darstellt. Seit ihrer Amtseinführung im Jahr 2013 verfolgt Präsidentin Park Geun-hye eine Politik der Annäherung. Innerhalb von zwei Jahren fanden bereits zwei Staatsbesuche und fünf Treffen mit Chinas Präsident Xi Jinping statt. Diese Annäherung soll auch Druck auf Nordkorea ausüben und einen Keil zwischen die beiden Alliierten treiben. „Wenn unsere Regierung ihre taktischen und strategischen Absichten klarmacht, wird die chinesische Regierung das verstehen“, ist sich Professor Moon in Seoul sicher. „Wenn wir ‚nein‘ sagen, können die USA den Stützpunkt nicht nutzen. Und die chinesische Marine könnte dort sogar zu Freundschaftsbesuchen einlaufen.“ Bis jetzt haben weder Peking noch Tokio offiziell reagiert.
Es ist ein heikler Drahtseilakt, den Südkorea vollführt. Einerseits soll die Militärallianz mit Washington auf keinen Fall aufs Spiel gesetzt werden, da sie als unverzichtbar gilt, um Nordkorea in Schach zu halten. Andererseits lehnt Seoul es ab, dem Druck aus Washington nachzugeben und sein Raketenabwehrschild in ein gemeinsames Verteidigungskonzept zu integrieren, weil es Peking nicht verärgern will. Je mehr die Spannungen im Pazifik zunehmen, desto schwerer wird es für Südkorea, sich auf diesem Drahtseil zu halten.