Verdächtige Ladung
Wie unser giftiger Elektroschrott verbotenerweise in der Welt verteilt wird von Cosima Dannoritzer
Wer über die Müllkippe von Agbogbloshie geht, hört es bei jedem Schritt unter seinen Füßen knacken. Dieser Teil von Accra, der Hauptstadt Ghanas, ist mit Elektroschrott bedeckt, so weit das Auge reicht: kaputte Tastaturen, die verrostete Unterseite eines Bügeleisens, Bleiglasscherben, zerschlagener Bildröhren. Darunter ist die Erde schwarz verbrannt, beißender Rauch liegt über der geisterhaften Szenerie. Im Fluss, der hier fließt, leben keine Fische mehr; die Möwen, die auf den im Wasser liegenden vergilbten Computergehäusen hocken, halten vergeblich Ausschau nach Nahrung.
Die Industrieländer produzieren pro Jahr zwischen 20 und 50 Millionen Tonnen Elektroschrott. Wenn Wirtschaft und Konsum wachsen, wachsen auch die Müllberge. Wie chronischer Ausschlag breiten sich diese Müllkippen in der ganzen Welt aus – in Afrika, Asien, Osteuropa und zunehmend auch Südamerika.
Das frühere Fischerdorf Agbogbloshie ist heute ein Slum. Kinder werfen Knäuel alter Kabel ins Feuer, um das Plastik vom Kupfer abzuschmelzen, das sich noch verkaufen lässt. Die Flammen werden mit Schaumstoff aus alten Kühlschränken genährt, der Fluorchlorkohlenwasserstoff enthält – dieses klimaschädliche Gas mischt sich so mit anderen Chemikalien zu einem giftigen Cocktail, den die Bewohner des Stadtteils mit jedem Atemzug aufnehmen.
Die Lötverbindungen, das Bildschirmglas und die Platinen der Geräte enthalten Blei, das Nieren und Gehirn schädigt. Das Kadmium aus Schaltern und Laptop-Batterien sammelt sich im Körper an, schädigt die Knochen und verursacht Krebs. Elektronische Geräte enthalten mehrere hundert Chemikalien, denen die Kinder von Agbogbloshie ausgesetzt sind. Viele klagen über Atembeschwerden und Fieber, haben Konzentrationsstörungen und sind auffallend klein für ihr Alter.
Interessanterweise tragen die ausrangierten Geräte oft noch Inventaraufkleber, die ihre früheren Besitzer verraten. Hier liegt Elektroschrott von Schulen, Stadtverwaltungen, Krankenhäusern und Polizeiwachen in aller Welt, vom britischen Verteidigungsministerium und von der US-Armee.
Der Export von Elektroschrott in Entwicklungs- und Schwellenländer ist illegal. Das wurde in der Basler Konvention von 1989 festgeschrieben, die inzwischen von 190 Ländern unterzeichnet wurde. Haiti und die USA, der weltweit größte Produzent von Elektromüll, haben das Abkommen allerdings nie ratifiziert.
Im Januar 2003 hat die Europäische Union, ausgehend von der Basler Konvention, die sogenannte EU-Elektroaltgeräte-Richtlinie (WEEE, Waste Electrical and Electronic Equipment) verabschiedet. Darin steht nicht nur, dass europäischer Schrott in Europa recycelt werden muss und nicht exportiert werden darf, sondern auch, dass die Geräte möglichst umweltfreundlich und leicht zerlegbar hergestellt werden sollten.
Wer sich in Europa ein neues elektronisches Gerät kauft, bezahlt das Recycling gleich mit. Die Verbraucher haben also, wenn sie ihr Gerät entsorgen müssen oder wollen, einen Anspruch darauf, es kostenlos bei einem Wertstoffhof oder Recycler abzugeben. Mit der Recycling-Abgabe, die europaweit jährlich 4 Milliarden Euro einbringt, wird ein System moderner Anlagen unterhalten, in denen diese Altgeräte umweltfreundlich und ohne gesundheitliche Risiken zerlegt und wertvolle Stoffe wie etwa Kupfer wiedergewonnen werden. Doch viele Betreiber klagen, dass sie bei Weitem nicht ausgelastet seien.
Eine Untersuchung der Europäischen Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass in der EU zwei Drittel des Elektroschrotts nicht sachgemäß entsorgt werden. Die Altgeräte nehmen entweder schon in Europa krumme Wege und landen auf wilden Müllkippen, oder sie verschwinden in Frachtcontainern in Richtung Dritte Welt.
Wie diese krummen Wege in Europa aussehen, zeigt eine Studie der spanischen Verbraucherorganisation OCU, deren Mitarbeiter Satelliten-Tracker in alten Elektrogeräten versteckten, die sie bei diversen Sammelstellen abgaben. Mithilfe der Ortungssignale wurde dann eine detaillierte Route für jedes einzelne Gerät erstellt. Fazit: Nur jedes vierte Gerät kam ordnungsgemäß in einer Recyclinganlage an.
Etliche wurden gleich am Abgabetag aus der Sammelstelle gestohlen und ausgeschlachtet. Ein Gerät erreichte eine Recyclingfirma, verließ diese aber bei Schichtwechsel durch die Hintertür, vermutlich im Auto eines Mitarbeiters, und landete nach dem Ausschlachten in einer Mülltonne. Ein Gerät, das bei Ikea abgegeben worden war (in Spanien müssen Händler beim Neukauf den Konsumenten ihr Altgerät abnehmen), verbrachte zwei Wochen in einem Lieferwagen der Möbelkette, der kreuz und quer durch die Stadt fuhr, und landete schließlich bei einem unautorisierten Schrotthändler ohne jegliche Ausstattung für Recycling.
Der Betrug summiert sich: In Madrid und Saragossa wurden 2011 wilde Müllkippen mit insgesamt 500 000 illegal entsorgten Kühlschränken entdeckt, die ein Netzwerk von Sammelstellen, Transporteuren und Recyclingfirmen systematisch abgezweigt hatte; sie alle hatten dabei ihren Teil der Recycling-Abgabe eingefordert, die Geräte dann aber einfach ausgeschlachtet und weggekippt. Der Gewinn des illegalen Geschäfts: 10 Millionen Euro.
Ein aufsehenerregendes Gerichtsverfahren in Frankreich brachte diese dunklen Machenschaften ans Licht. Im März 2011 alarmierte ein anonymer Anrufer die Gendarmerie der Kleinstadt Vitry-le-François. Die Beamten entdeckten eine riesige Lagerhalle, in der sich alte Computer stapelten. Was zunächst wie ein Fall von Schwarzarbeit aussah, entpuppte sich als Elektroschrottschmuggel von internationalen Dimensionen. Die Ermittlungen der französischen Umweltpolizei (OCLAESP) ergaben, dass die Recyclingfirma D3E Recyclage drei Hallen bis zur Decke mit ausrangierten Geräten vollgestopft hatte. Den Lieferanten – Firmen und öffentliche Einrichtungen der Region – hatte sie Bestätigungen ausgestellt, dass alles sachgemäß recycelt worden sei.
Doch in keiner der drei Lagerhallen waren die dafür nötigen Anlagen vorhanden, sie waren nur Zwischenlager für Ware, die zum Export bestimmt war. Die Ermittlungen der OCLAESP führten mit Unterstützung von Interpol zunächst nach Belgien. Dort hatte eine Firma namens Mobo Altmonitore für 50 Cent bis 2 Euro pro Stück aufgekauft, auch von Lieferanten aus Kroatien und Großbritannien. Ein Besuch der Polizei beim Firmensitz von Mobo in Luxemburg führte zu einem völlig leeren, acht Quadratmeter kleinen Büro, in dem mehr als 50 Firmen registriert waren. Die Teilhaber von Mobo wurden bis in den US-Bundesstaat Delaware zurückverfolgt, einem berühmt-berüchtigten Steuerparadies.1 Von Lagerhäusern in Holland aus wurden die Geräte nach Hongkong, Vietnam und in die Vereinigten Arabischen Emirate verschifft.
Die französische Justiz verurteilte die Geschäftsführer von D3E Recyclage und ließ die Firma schließen. Schlagzeilen machte der Fall, weil hier zum ersten Mal ein Richter in Frankreich für ein solches Delikt eine Gefängnisstrafe verhängte, wenn auch auf Bewährung.
Rechner und Handys in Guiyu
Doch die Firma Mobo existiert weiter. Sie ist unter anderem auf Internetplattformen wie alibaba.com vertreten. Hier findet man per Mausklick Elektroschrott aus der ganzen Welt, auch aus Deutschland, Russland und den Vereinigten Staaten. Die Waren, darunter ausrangierte Bildschirme, Platinen und sogar einzelne Computerchips, werden als „untested“ beschrieben. Das bedeutet, dass es sich um Material handelt, das nicht auf seine Funktionstüchtigkeit getestet worden ist – damit ist der Export illegal. Nur getestete und funktionstüchtige Apparate dürfen nach europäischem Gesetz exportiert werden. Doch auf Seiten wie alibaba.com floriert der Handel. Ebenso wie der Verkauf von Freizeitelektronik verzeichnet er ein stabiles Wachstum und ist von den Behörden kaum einzudämmen, da er in den virtuellen und schwer kontrollierbaren Geschäftswelten des Internets stattfindet.
Die Ware selbst ist allerdings alles andere als virtuell, das zeigte eine Hafenkontrolle in Hongkong. Der nach Schanghai und Singapur drittgrößte Hafen der Welt war auch im Fall D3E Recyclage als Umschlagplatz aufgetaucht. 63 000 Container kommen jeden Tag in Hongkong an. Da ist es nicht leicht, die 100 Container zu identifizieren, in denen Elektroschrott aus Europa und den USA transportiert wird, zumal die örtlichen Zollbehörden vorrangig nach Drogen und Waffen suchen. Erschwert wird ihre Aufgabe dadurch, dass Hongkong ein Freihafen ist: Das heißt, dass die Kapitäne der Frachtschiffe, die hier einlaufen, volle zwei Wochen Zeit haben, Waren zu deklarieren, die bis dahin aber meist schon längst umgeschlagen und weitertransportiert worden sind.
Die Beamten wissen, dass illegaler Schrott oft ganz hinten in den Containern versteckt ist, hinter Bergen einer vertrauenerweckenden Schicht von neuer und funktionstüchtig aussehender Ware. Also scannen sie die Container verdächtiger Lieferanten mit Röntgenstrahlen. Dabei werden die Umrisse achtlos aufeinander gestapelter Monitore sichtbar. Auf diese Weise konnte die Zollbehörde von Hongkong vereinzelte erste Erfolge verzeichnen, die in Zusammenarbeit mit den US-Behörden auch zu Verurteilungen geführt haben.
Insgesamt hapert es aber noch bei der internationalen Zusammenarbeit. Zwar stehen Umweltschützer aus China und den USA miteinander im Kontakt und benachrichtigen nach Möglichkeit auch die Behörden in Hongkong, wenn eine verdächtige Ladung einen US-Hafen Richtung Asien verlassen hat. In Hongkong wurden auch schon mehrmals US-Container mit Elektroschrott abgefangen und in die USA zurückgeschickt. Doch ein paar Wochen später kam dieselbe Ware erneut an, weil die US-Behörden sie nicht beschlagnahmt, sondern einfach an den Absender zurückgeschickt hatten – und der hatte sie prompt wieder verladen. Solange die USA das Basler Abkommen nicht ratifizieren und den Export auf Bundesebene nicht gesetzlich verbieten, ist der Strom des Elektroschrotts aus den USA schwer aufzuhalten.
Von der Sonderwirtschaftszone Hongkong wird der Elektroschrott nach Festland-China geschmuggelt, zum Beispiel ins 250 Kilometer entfernte Guiyu, eine der chinesischen Städte, die sich in den letzten Jahren zu Zentren des inoffiziellen Recyclings entwickelt haben. In dieser Branche sind hier 80 Prozent der Bevölkerung beschäftigt, viele von ihnen Wanderarbeiter aus den armen Provinzen. Millionen Tonnen Elektroschrott werden hier jährlich verarbeitet, in Höfen unter freiem Himmel, wo sich der Schrott auftürmt.
Die Methoden der Wiedergewinnung sind brachial. Während in modernen europäischen Recyclinganlagen Spezialwerkzeuge zum Einsatz kommen, um einen Fernseher oder einen Computerbildschirm sachgemäß in seine Bestandteile zu zerlegen, werden die Geräte in Guiyu mit bloßen Händen zerbrochen. In Europa transportieren Fließbänder die Plastikreste. Infrarot-, Laser- oder Röntgenscanner erkennen die Zusammensetzung verschiedener Plastikkarten und sortieren sie automatisch. In Guiyu dagegen halten die Arbeiter die einzelnen Bruchstücke über die Flamme eines Feuerzeugs, klassifizieren sie nach dem Geruch, den das verbrannte Plastik verströmt, und sortieren sie dann in verschiedene Eimer. Diese Arbeit wird oft von Minderjährigen verrichtet, die tagaus, tagein die giftigen Dämpfe einatmen.
Andere Höfe sind auf die Wiedergewinnung der winzigen Mengen an Gold in Handys und Computerplatinen spezialisiert. Sie werden in Säurebäder getaucht, um das Edelmetall herauszulösen. Über all diesen Anlagen hängen übelriechende Schwaden. Diese Art des Recyclings ist trotz des Einkaufspreises, der Frachtkosten und Bestechungsgelder lukrativ, weil hier in kurzer Zeit ausschließlich leicht verkäufliche Materialien wie Gold, Silber, Kupfer und Plastik wiedergewonnen werden. Für die sachgerechte Entsorgung der Reststoffe und den Schutz der Arbeiter wird kein Cent ausgegeben. Die übrig bleibende Säure wird einfach in den Fluss gekippt, Plastikreste und bleihaltiges Glas sammeln sich im Schilf.
Die Umweltschäden dieser Methoden sind enorm. Das Grundwasser ist bereits vergiftet, aber den Menschen bleibt nichts anders übrig, als es zum Trinken, Kochen und Waschen zu nutzen. Im Sommer springen die Kinder in den Fluss, um zu baden. Hautkrankheiten sind ein ebenso großes Problem wie Bleivergiftungen, viele Kinder kommen mit Missbildungen zur Welt. Dabei ist das sachgerechte Recycling der aus Europa stammenden Geräte doch eigentlich schon beim Kauf bezahlt worden.