13.07.2007

Koloniale Beutekunst

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Koloniale Beutekunst

Wohin gehört Montezumas Federkrone? von Bernard Müller

Bereits im ersten Jahr seines Bestehens war das neue Pariser Museum für „außereuropäische Kunst und Kultur Afrikas, Asiens, Ozeaniens und Amerikas“, das Musée du quai Branly, ein echter Publikumserfolg: 1,7 Millionen Besucher und hunderte von Forscher drängten in die neuen Räume. Die Feierlichkeiten rund um die Eröffnung am 20. Juni 2006 bildeten den krönenden Abschluss eines Prozesses, mit dem sich die meisten Museen für „außereuropäische Kunst und Kultur“ auseinandersetzen müssen.

Es war ein schönes Fest, auf dem viele löbliche Absichten verkündet wurden, und man musste sich schon kneifen, um nicht dem Glauben anheim zu fallen, Frankreich knüpfe an seine Rolle als universeller Friedensbotschafter an und lasse sich tatsächlich an jenen hehren humanistischen Prinzipien messen, mit denen es sich so gern brüstet.

Tatsächlich holt die Vergangenheit die Gegenwart auf überraschende Weise ein: Genau zu dem Zeitpunkt, als zahlreiche Vereinigungen und Aktivistengruppen sich für die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit wieder zu interessieren beginnen, lösen die in jener Zeit gesammelten Kunstobjekte eine noch nie da gewesene Begeisterung aus.

Dem Trend gemäß präsentieren sich die Museen für außereuropäische Kunst und Kultur fast durchweg in neuem Glanz: Während das British Museum seit 2000 seinen ethnografischen Sammlungen zusätzliche Ausstellungsräume widmet und das Ethnologische Museum Dahlem in Berlin daran arbeitet, die in der Zeit des Kalten Krieges verstreuten Sammlungen aufzuspüren, wird in Frankreich das Musée du quai Branly eingeweiht.

Konsequenterweise würde man erwarten, dass sich die frisch herausgeputzten und auf den neuesten Stand gebrachten Museen der außereuropäischen Kunst und Kultur als Diskussionsforum verstehen, als „Ort der Begegnung“1 , an dem man sich aktiv um eine Debatte mit den Herkunftsgesellschaften der Exponate bemüht und wo man sich hoffentlich dem postkolonialen Dilemma ohne Komplexe stellen kann.

Man würde erwarten, dass die Verjüngungskur, der sich die betroffenen Museen derzeit unterziehen, dazu führt, dass in einer vom Phantasma des „Kampfs der Kulturen“2 aufgerüttelten Welt darüber nachgedacht wird, wie man die Verbindungen zwischen den bestehenden Nationen unserer Gegenwart – vor allem zwischen den Nationen des Nordens und denen des Südens – auf neue Weise betrachten könnte, und zwar über den ethno-touristischen Mummenschanz der „kulturellen Vielfalt“ hinaus.

Der Charakter der gesammelten Objekte und vor allem die Umstände, unter denen diese Sammlungen entstanden, bieten eine einzigartige Gelegenheit, derartige Diskussionen zu eröffnen; und die sollten und müssten auch zu konkreten und praktischen Ergebnissen führen. Schließlich wurden, wie allgemein bekannt, die allermeisten Ausstellungsstücke ethnologischer Museen zwischen 1870 und dem Ersten Weltkrieg zusammengetragen, also im Zeitalter der Kolonialpolitik. (Während im Jahr 1880 die europäischen Nationen 35 Prozent der Erdoberfläche beherrschten, waren es 1914 schon 84,4 Prozent.) Und, was noch wichtiger ist: Ein Gutteil der fraglichen Objekte wurde im Rahmen von Militäraktionen konfisziert.

Sie zeugen daher nicht nur von der Kultur der „Anderen“, sondern sind auch Spuren eines hoch komplexen Kapitels der Menschheitsgeschichte. Ein deutliches Signal der Bereitschaft zur Zusammenarbeit könnte ein symbolisches Eingeständnis bedeuten, dass die Präsenz des Beuteguts aus den Kolonialkriegen in den Museen der alten Metropolen inzwischen als problematisch empfunden wird.

Dass die Gesellschaften, in denen diese Objekte einst entstanden sind, endlich Zugang zu ihnen haben wollen, um die eigene Geschichte wiederzuentdecken, versteht sich von selbst. Die Präambel der Resolution 42/7 der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1987 stellt zu Recht fest: „Die Rückgabe von für sie in geistiger und kultureller Hinsicht grundlegend wertvollem Kulturgut an die Ursprungsländer ist von wesentlicher Bedeutung für die betroffenen Völker, als sie repräsentative Sammlungen ihres kulturellen Erbes zusammenstellen können.“

Die Frage der Rückerstattung steht unübersichtlich im Raum

Inzwischen haben sich Initiativen gebildet, die sich der Sprengkraft dieser Problematik bewusst sind. Die Mauer des Schweigens bekommt erste Risse. Zaghaft, aber unübersehbar organisieren dieselben Museen, die die „Erklärung über die Bedeutung und den Wert von universellen Museen“ unterzeichnet haben, Zusammenkünfte, Kolloquien und Ausstellungen, die nach und nach zulassen, die Konturen der Streitpunkte zu umreißen.

Die brenzlige Frage des Eigentums an und der Rückerstattung von Kulturgütern in den Museen des Nordens scheint sich dabei immer dringlicher zu stellen. Dies bestätigt auch der Generalsekretär der Internationalen Organisation der Frankofonie, Abdou Diouf: „Die Frage der Rückerstattung, die häufig in polemischem Ton vorgebracht wird, muss vernünftig angegangen werden, wie es im Übrigen auch die im Dezember 2002 von der UNO verabschiedete Resolution ‚Rückgabe oder Rückerstattung von Kulturgut an die Ursprungsländer‘ fordert.“2

In Afrika entstand gegen Ende der 1980er-Jahre eine Bewegung, die die Wiedergutmachung und die Rückerstattung geraubter Kulturgüter anstrebte. Neuen Aufschwung bekam sie, als die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) Anfang der 1990er-Jahre das Prinzip der „Wiedergutmachung“ in ihren Forderungskatalog übernahm, vor allem in Form von Reparationen für Sklaverei und Kolonisation. Auf ihrem Gipfeltreffen von 1992 gründeten die afrikanischen Staatschefs eine Expertengruppe, die sich mit dieser Frage befassen sollte. Den Vorsitz erhielten damals Moshood Abiola3 und der ehemalige Unesco-Generaldirektor Amadou-Mahtar M’Bow. Das Ergebnis der Initiative war die „Abuja-Proklamation“ vom April 1993.

Diese Erklärung verweist „auf die ‚moralische Schuld‘ und die ‚Pflicht zur Wiedergutmachung‘, welche jene Länder gegenüber Afrika haben, die am Handel mit Schwarzen, an Kolonialismus und Neokolonialismus beteiligt waren“. Sie fordert „die Rückgabe ‚geraubter Güter‘ und traditioneller Schätze (…). In der festen Überzeugung, dass die Schäden, die den afrikanischen Völkern zugefügt wurden, nicht ‚der Vergangenheit angehören‘ (…), und dass die afrikanischen Völker Opfer zahlreicher Plünderungen, Diebstähle und Aneignungen geworden sind, appelliert die Proklamation an jene, in deren Besitz sich diese geraubten Güter befinden, sie ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückzuerstatten. Und sie appelliert an die Staatengemeinschaft, die beispiellose moralische Schuld gegenüber den afrikanischen Völkern anzuerkennen.“4 Derzeit ist die Frage der Rückgabe und Rückerstattung afrikanischer Kulturgüter Bestandteil des strategischen Plans der Kommission der Afrikanischen Union für die Jahre 2004 bis 2007.

Die Rückerstattungsforderungen haben seit den 1980er-Jahren zugenommen, und man kann davon ausgehen, dass sie mit der zunehmenden Sichtbarkeit der Objekte in den Museen noch vernehmlicher werden. Nigeria fordert bereits seit Beginn der 1980er-Jahre von Großbritannien die Rückerstattung von hunderten von Bronzen der Edo-Kultur aus dem Königreich Benin (Nigeria), die 1897 bei einer Strafexpedition beschlagnahmt worden waren. Ebenfalls von Großbritannien verlangt Äthiopien die Rückgabe der Kulturgüter, die 1868 nach der Belagerung von Magdala geraubt wurden. Die Nachkommen von Béhanzin, dem 1892 von Frankreich gestürzten „letzten“ König von Abomey (Republik Benin), fordern – vermittelt durch eine schriftliche Anfrage an die französische Regierung seitens der Abgeordneten Christine Taubira im November 2005 – die Rückerstattung des königlichen Schatzes, der heute im Musée du quai Branly aufbewahrt wird.

Ein internationaler Verein verlangt von Österreich die Rückgabe der Federkrone des Aztekenherrschers Montezuma an Mexiko; sie war 1519 von den Truppen des Hernán Cortés mitgenommen worden und befindet sich heute im Museum für Völkerkunde in Wien. Ägypten fordert von Deutschland die Rückgabe der Nofretete-Büste. China verlangt die Rückgabe der 1860 während des zweiten Opiumkriegs von englischen und französischen Truppen aus dem Sommerpalast geraubten Objekte. Südkorea fordert 297 Manuskriptbände zurück, die 1866 von französischen Truppen in den königlichen Archiven konfisziert wurden und sich heute in der französischen Nationalbibliothek befinden.

Auch Japan muss sich dem Erbe seiner imperialen Vergangenheit stellen und auf zahlreiche Ersuche von Regierungen seiner ehemaligen Kolonien reagieren. So hat Tokio 2005 das „Monument des großen Sieges von Pukgwan“ über Südkorea an Nordkorea zurückgegeben, das Japan bei der Eroberung der koreanischen Halbinsel im Jahr 1905 in seinen Besitz gebracht hatte.

Trotz der schwierigen juristischen Fragen, die mit der Übertragung eines unveräußerlichen Bestandteils des jeweiligen nationalen Kulturbesitzes an einen anderen verbunden sind, ist die Rückführung möglich und schon mehrfach erfolgt. Manch polemisch umstrittenes Kulturgut hat bereits den Rückweg angetreten. So übergab der französische Präsident Jacques Chirac am 2. März 2003 dem algerischen Präsidenten Bouteflika das Siegel des Deys von Algier, das die französische Armee bei ihrer Einnahme der Stadt 1830 beschlagnahmt hatte. Erst 1954 kehrte der Schädel des Sultans Mkwawa nach Tansania zurück, der 1898 als Trophäe in das Deutsche Reich überführt worden war; dabei hatte bereits der Vertrag von Versailles von 1918 die Rückerstattung vorgesehen. Ein Teil des 1893 geraubten Schatzes der von den Fürsten von Bali beherrschten Insel Lombok wurde 1977 von den Niederlanden an Indonesien zurückgegeben.

Die 2002 veröffentlichte und von 19 Direktoren der bedeutendsten Museen der Welt (darunter das British Museum, der Louvre, das New Yorker Metropolitan Museum of Art, der Prado in Madrid, Amsterdams Rijksmuseum und die Eremitage in St. Petersburg) unterzeichnete „Erklärung über die Bedeutung und den Wert von universellen Museen“ macht dies deutlich. Die Unterzeichner des Dokuments gehen so weit, ausschließlich den „wesentlich zerstörerischen Charakter der Rückerstattung von Objekten“ hervorzuheben, um gleich hinzuzufügen, dass „die Museen Träger der kulturellen Entwicklung sind und ihre Aufgabe darin besteht, durch einen permanenten Prozess der Neuinterpretation den Wissenszuwachs zu fördern. Sie arbeiten nicht nur im Dienst der Bürger einer Nation, sondern im Dienst der Völker aller Nationen.“ Mit anderen Worten: Rückerstattungsforderungen sind deshalb unzulässig, weil die Museen sich dem humanistischen Prinzip der Universalität verpflichtet sehen.

Ein wohlwollenderes Echo finden Rückerstattungsforderungen allerdings bei transnationalen Institutionen. Bereits 1907 legt die Haager Landkriegsordnung in ihrem Artikel 28 fest: „Es ist untersagt, Städte oder Ansiedlungen, selbst wenn sie im Sturme genommen sind, der Plünderung preiszugeben.“ Die 1954 nach der massiven Vernichtung von kulturellem Erbe während des Zweiten Weltkriegs ebenfalls in Den Haag ratifizierte Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten war das erste internationale Instrument mit universeller Ausrichtung, das ausschließlich dem Kulturerbe galt.

In jüngerer Zeit hat der Internationale Museumsrat ICOM einstimmig „Ethische Richtlinien für Museen“ verabschiedet, die keine Missverständnisse aufkommen lassen. In Artikel 6.3 heißt es: „Wenn ein Herkunftsland oder -volk die Rückgabe eines Objekts oder Exemplars erbittet und sich belegen lässt, dass der Gegenstand unter Verletzung der Prinzipien dieser Konventionen exportiert oder auf anderem Wege übereignet wurde und eigentlich zum kulturellen oder natürlichen Erbe dieses Landes oder Volkes gehört, sollte das betreffende Museum umgehend geeignete Schritte einleiten und bei der Rückgabe helfen, sofern es rechtlich dazu befugt ist.“5

Die Frage sollte also gestattet sein, ob sich die Völkergemeinschaft eines Tages mit ebensolcher Entschlossenheit des kolonialen Raubguts annehmen wird, wie sie das mit dem geraubten jüdischen Kulturgut getan hat. Dazu bedürfte es der rechtsverbindlichen Erklärung, dass die kolonialen Eroberungen Kriege waren und nicht eine Reihe von Strafexpeditionen mit dem Ziel der „Befriedung“.

Warum also gibt man die fraglichen Objekte nicht denen zurück, die nach ihnen verlangen? Eine solche Geste würde ohne Zweifel enorm zur Entspannung beitragen und als Ausdruck eines tatsächlichen Willens zur Zusammenarbeit verstanden werden, der mit den humanistischen Prinzipien ernst macht. Die Anerkennung des Prinzips der Rückerstattung ist Teil eines Prozesses, der auf die unausweichliche Anerkennung einer moralischen und historischen Verantwortung zielt. Diese Erinnerungsarbeit darf sich nicht auf gut gemeinte Reuebekenntnisse beschränken, sondern muss alle an der kolonialen Ausbeutung Beteiligten einbeziehen. Wenn erst die Tatsache, dass sich der „Kolonialismus auf perverse Weise mit den Insignien der Aufklärung drapierte, um seine Eroberungen zu rechtfertigen“6 , keines weiteren Beweises bedarf, wenn also die moralische Legitimität der Forderungen nach Rückerstattung von Kriegsbeute unbestreitbar ist, stellt sich eine weitere Frage: Werden die Bewegungen, die sich heute zu Wortführern der Rückgabe aufschwingen, dieser Rolle auch gerecht?

Eine wirklich sinnvolle Aufarbeitung der Vergangenheit muss nämlich auch die lokalen Helfershelfer des kolonialen Ausbeutungsapparats einbeziehen. Deren Vertreter beziehungsweise Erben stehen heute häufig an der Spitze von Diktaturen, und es wäre reichlich unangebracht, sich bei Repräsentanten blutrünstiger und rückschrittlicher Staaten zu entschuldigen oder ihnen Beutegut zurückzuerstatten.

Wenn solche Staatsmänner ihr Volk nicht wirklich repräsentieren, schmälert dies dennoch nicht die Legitimität der Rückgabeforderungen. Was also tun? Kann man dieses Problem nur lösen, indem man die Universalität des kulturellen Erbes bekräftigt? Sollte man die umstrittenen Objekte nicht auf die Liste des Weltkulturerbes setzen, sodass sie, juristisch gesehen, niemandem gehören? Eine solche Liste würde von internationalen Kommissionen erstellt, in denen selbstverständlich Vertreter der streitenden Parteien, Konservatoren der Museen in den ehemaligen Kolonien sowie kulturelle Repräsentanten der betroffenen Länder sitzen müssten. Derartige Kommissionen müssten von Fall zu Fall über einzelne Rückerstattungen entscheiden und vor allem Wanderausstellungen organisieren, die dafür sorgen, dass die Beutekunst in Umlauf kommt.

Ein Vorbild hierfür wäre die Ausstellung „Béhanzin, König von Abomey“, die zum 100. Todestag des Herrschers gemeinsam vom Musée du quai Branly und der Fondation Zinsou7 in Cotonou (Republik Benin) organisiert und dort von Dezember 2006 bis März 2007 gezeigt wurde. Auch die Ausstellung „Benin – Könige und Rituale. Höfische Kunst aus Nigeria“, die noch bis zum 3. September 2007 im Wiener Museum für Völkerkunde zu sehen sein sein wird und unter anderem in Zusammenarbeit mit der nigerianischen National Commission for Museums and Monuments entstanden ist, könnte beispielhaft sein.8 Sie versammelt über 300 Kunstgegenstände vom Hofe des Königs von Edo (heutiges Nigeria), die 1897 von den Engländern erbeutet wurden. Es ist zu hoffen, dass sie nach mehreren europäischen und amerikanischen Stationen auch in Afrika gezeigt wird. Zumal sich die Wiener Schau darum bemüht, den kolonialen Herkunftskontext ihrer Exponate nicht auszublenden.

Um das Ziel einer wahrhaften „Rückerstattung“, die in diesen Fällen symbolischer Natur ist und in der Bekanntschaft mit den Ausstellungsstücken besteht, zu erreichen, wird man solche Ausstellungen mit pädagogischen Projekten begleiten müssen – was einschließt, dass man die Wichtigkeit der Museen des Südens anerkennt und sie mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausstattet. Ein Teil dieser Mittel könnte mit einer Steuer auf Gewinne aus dem Handel mit außereuropäischen Kunstwerken aufgebracht werden.

Außerdem müssten alle Informationen, die über die Exponate bekannt sind, öffentlich zugänglich sein, wie Archive, Datenbanken und Publikationen. Entscheidend ist, dass die jungen Generationen im Süden wie im Norden Zugang zu den wissenschaftlichen und konservatorischen Ergebnissen der Museen des Nordens bekommen. Um glaubwürdig zu bleiben, müssen die „universellen Museen“ auch tatsächlich die Mittel bereitstellen, ihre museografischen Projekte auf Reisen zu schicken.

Denn vor allem muss die koloniale Beutekunst aus ihrem musealen Dornröschenschlaf erweckt und von ihren gleichermaßen ethnologischen wie ästhetischen Zuweisungen befreit werden, indem man die verschiedensten und auch gegensätzliche Wiederaneignungen ermöglicht und eine Vielzahl von Perspektiven fördert. Die fraglichen Kulturgegenstände ins Leben zurückzuholen, und zwar mit den Mitteln einer konstruktiven Diskussion, die stärker vom Geist der Versöhnung lebt als vom moralischen Prinzip der Wiedergutmachung, ist dabei das Wichtigste. Nur so wird man vermeiden können, dass das Beutegut aus den Kolonialkriegen und, allgemeiner gesprochen, die „Objekte der Anderen“ zu Mitteln einer Auseinandersetzung werden, die befürchten lässt, dass das „universelle Museum“ zur allgemeinen Kampfzone wird.

Wir müssen, wie der nigerianische Schriftsteller Wole Soyinka schreibt, „Antworten finden, mit denen wir die drei Ziele erreichen können, die für so etwas wie Frieden in diesem multikulturellen 21. Jahrhundert unabdingbar sind: Wahrheit, Wiedergutmachung und Versöhnung.“9

Fußnoten:

1 J. Clifford, „Routes: Travel and Translation in the Late Twentieth Century“, Cambridge (Harvard University Press) 1997. 2 Akten eines vom französischen Senat am 28. März 2003 abgehaltenen Kolloquiums; www.senat.fr/ rap/r02-361/r02-3612.html#toc2. 3 Moshood Abiola war Geschäftsmann und Politiker. 1993 gewann er die ersten demokratischen Wahlen Nigerias, die jedoch von den diktatorischen Machthabern annulliert wurden. 4 www.awrrtc.org/the-accra-declaration.php. 5 Der ICOM-Kodex wurde am 4. November 1986 auf der 15. ICOM-Vollversammlung in Buenos Aires einstimmig angenommen, am 6. Juli 2001 auf der 20. ICOM-Vollversammlung in Barcelona ergänzt und am 8. Oktober 2004 auf der 21. ICOM- Generalversammlung in Seoul überarbeitet; Artikel 6.3 entspricht dem Artikel 4.4 der Fassung von 2001: www.icom-deutschland.de/docs/D-ICOM.pdf. 6 Tzvetan Todorov, „L’esprit des lumières a encore beaucoup à faire dans le monde d’aujourd’hui“, Le Monde, Paris, 4. März 2006. 7 www.fondation-zinsou.lescorsaires.be. 8 www.ethno-museum.ac.at/de/frameset.html. 9 Wole Soyinka, „Die Last des Erinnerns“, Patmos (Düsseldorf) 2001.

Aus dem Französischen von Michael Adrian

Bernard Müller ist freischaffender Kurator und Forscher und koordiniert das Projekt Broken Memory www.brokenmemory.info.

Le Monde diplomatique vom 13.07.2007, von Bernard Müller