Händedruck mit Castro
Die US-Wirtschaftssanktionen gegen Kuba sind überholt von Patrick Howlett-Martin
Seit über fünf Jahrzehnten halten die USA an ihrem unnachgiebigen Sanktionskurs gegenüber Kuba fest. Ebenso lange sind auch die diplomatischen Beziehungen zwischen Washington und Havanna eingefroren. Das ist ein Rekord. 16 Jahre hat es gedauert, bis die USA die Sowjetunion anerkannten, im Fall von Vietnam waren es 20 und bei der Volksrepublik China 30 Jahre. Im Fall des Nachbarstaats Kuba sind seit dem Sturz des Diktators Batista 54 Jahre vergangen, ohne dass die USA diplomatische Beziehungen aufgenommen hätten.
Dieser Zustand wird nicht mehr lange andauern. Davon gehen zumindest die Beobachter aus, die den Händedruck zwischen US-Präsident Obama und seinem kubanischen Kollegen Raúl Castro bei der Beerdigung von Nelson Mandela im Dezember 2013 als eine Geste von historischer Bedeutung sehen. Damals wurde viel darüber spekuliert, ob dieser Händedruck spontan oder geplant war. Genaues weiß man nicht, aber es spricht einiges dafür, dass die Geste bewusst inszeniert war.
Über diese Frage diskutierten am 17. Dezember 2013 im US-Fernsehen außenpolitische Experten, die der gestandene konservative Journalist John McLaughlin eingeladen hatte.1 Alle Diskutanten verurteilten die Sanktionen, sogar Pat Buchanan, der bei den Präsidentschaftswahlen 2000 als Kandidat der ultrakonservativen Reform Party angetreten war. McLaughlin wie Buchanan waren Anhänger Ronald Reagans gewesen, der als Präsident kein Interesse an einer Aussöhnung mit dem Castro-Regime gezeigt hatte.
Die Financial Times hatte schon im Februar 2013 in einem Leitartikel Präsident Obama unverblümt aufgefordert, „das Embargo zu mildern und letztlich aufzuheben“.2 Kurz darauf reiste eine Delegation des US-Kongresses nach Havanna. Leiter der Delegation war Senator Patrick Leahy, ein Demokrat aus Vermont. Ein Jahr später schrieb Leahy einen offenen Brief an Präsident Obama, der auch von Jeff Flake, einem republikanischen Senator aus Arizona, unterzeichnet war. In diesem Text wurde die Aufhebung des Embargos und die Normalisierung der Beziehungen zu Kuba gefordert und zugleich darauf verwiesen, dass einer Umfrage aus dem Jahr 2012 zufolge 56 Prozent der US-Bürger eine solche Politik befürworten.3 Unter Hinweis auf die Handelsbeziehungen Kubas mit der Europäischen Union, Kanada, Mexiko, Brasilien und Kolumbien – und auf die entsprechenden Investitionen – stellten die beiden Senatoren fest: „Statt Kuba zu isolieren, haben wir uns mit unserer überholten Politik selbst isoliert.“4
Am 16. Mai dieses Jahres kam es in Washington zu einem Treffen zwischen Roberta Jacobson, Assistant Secretary of State für die „westliche Hemisphäre“ im US-Außenministerium, und Josefina Vidal, Leiterin der USA-Abteilung im kubanischen Außenministerium. Dabei war zum ersten Mal überhaupt von einem möglichen Gefangenenaustausch die Rede. Kurz darauf wurde ein offener Brief an Obama veröffentlicht, der von 44 Persönlichkeiten unterschrieben war, darunter gestandene Politiker, ehemalige Regierungsbeamte, pensionierte hohe Militärs sowie Leiter von einigen Thinktanks und NGOs.
Das Schreiben mit dem Titel „Support Cuban Society“5 enthielt 16 Vorschläge für den Aufbau von Kontakten mit der kubanischen Zivilgesellschaft und die Förderung wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen. Dabei handelt es sich um Maßnahmen, die nicht der Zustimmung des Kongresses bedürfen, die für eine Aufhebung des Embargos erforderlich wäre.
Zu den Unterzeichnern des Briefs gehörte auch John Negroponte, ehemals UN-Botschafter und Director of US National Intelligence (also Chef aller US-Geheimdienste. Negroponte war von 1981 bis 1985 US-Botschafter in Honduras gewesen, von wo er die sogenannten Contra-Truppen betreut hatte, die damals den schmutzigen Krieg gegen die sandinistische Regierung Nicaraguas führten, der dann 1986 vom Den Haager Internationalen Gerichtshof (IGH) für völkerrechtswidrig erklärt wurde.
Trotz der geschilderten Entspannungsinitiativen sind die gegen Havanna gerichteten US-Gesetze immer noch in Kraft. Kuba steht nach wie vor auf der Liste der Staaten, die angeblich den Terrorismus unterstützen. Und zwei Gesetze, der Cuban Democracy Act von 1992 und der Helms Burton Act von 1996, haben das Wirtschaftsembargo sogar auf ausländische Firmen ausgeweitet. Washington hat also andere Länder gezwungen, einseitige Sanktionen gegen Kuba zu verhängen, was die kubanische Wirtschaft vollends in die Knie gezwungen hat. Zudem gibt es im US-Einwanderungsrecht nach wie vor Klauseln, die kubanische Bürger begünstigen, wenn sie unerlaubt in die USA ausreisen. Und der Kongress bewilligt jedes Jahr erhebliche Geldsummen für US-amerikanische Castro-Gegner, die angeblich „die Demokratie verteidigen“. Während der Amtszeit von Präsident George W. Bush wurde in Washington ein Plan für „Kuba nach Castro“ ausgearbeitet, den Obama bislang nicht eingestampft hat. Ebenfalls unter Bush jr. wurde 2006 ein Programm aufgelegt, dessen erklärtes Ziel es ist, mit Auslandseinsätzen betraute kubanische Ärzte dazu zu bringen, sich in die USA abzusetzen, statt nach Kuba zurückzukehren. Das taten im Haushaltsjahr 2014 (Oktober 2013 bis September 2014) nicht weniger als 1 278 Kubaner – ein Rekord.6
Zusammenarbeit bei Wetterdiensten und Post
Bevor Präsident John F. Kennedy im Januar 1962 das Embargo gegen Kuba verhängte, waren zwei Drittel des kubanischen Handelsvolumens auf Geschäfte mit den USA entfallen. Heute dürfen Schiffe unter US-Flagge kubanische Häfen nicht anlaufen. Ausnahmen gestattet die US-Seite nur bei der Lieferung von Agrarprodukten und Arzneimitteln.
Das Embargo wird durch die Exportkontrollbehörde des US-Finanzministeriums Ofac (Office of Foreign Assets Control) überwacht, die zuweilen extreme Maßstäbe anlegt. Zum Beispiel hat sie den Import von Geräten verboten, in denen Nickel aus Kuba verarbeitet ist, aber auch Schweizer Schokolade aus kubanischem Kakao oder kubanischen Tabak (selbst wenn die Ware aus einem Drittland oder einer zollfreien Zone stammt). 2011 hat das Ofac eine Geldsumme von 4,2 Millionen Dollar beschlagnahmen lassen, die der „Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria“ den Kubanern zugedacht hatte.
Auch große internationale Banken mussten wegen ihrer Geschäfte mit Kuba Strafgebühren an das US-Finanzministerium zahlen, und zwar seit 2009 insgesamt 3,2 Milliarden Dollar. Die größten Einzelstrafen waren die 619 Millionen Dollar, zu der die niederländische ING-Bank im Juni 2012 verurteilt wurde, sowie die 1,9 Milliarden Dollar, die im Dezember 2012 die US-Großbank HSBC zahlen musste, um strafrechtlicher Verfolgung zu entgehen.7 Das Ofac ging sogar so weit, das private Bankkonto des französischen Botschafters in Havanna einzufrieren, weil dieser beim Kauf eines Autos (für seinen privaten Gebrauch) einen Dollarscheck ausgeschrieben hatte.
Der Embargobeschluss der USA enthält auch eine Klausel, die es Firmen aus Drittländern verbietet, Waren oder Dienstleistungen an Kuba zu verkaufen (oder zu verleihen), deren Technologie zu mehr als 10 Prozent US-amerikanischen Komponenten enthält. Das gilt zum Beispiel für die meisten Typen von Ölbohrplattformen und medizinischen Geräten.
Dennoch wurde das Embargo seit dem Jahr 2000 in manchen Fällen gelockert. Im Juni 2004 verabschiedete der US-Kongress das „Nethercutt Amendment“, eine Zusatzklausel, die den Export von US-Agrarprodukten nach Kuba erlaubte. Der Wert dieser Exporte belief sich 2012 bereits auf 457 Millionen Dollar (die Havanna in bar bezahlen musste); damit lag Kuba unter den Agrarexportmärkten der USA auf Platz 43.
In den letzten Jahren gab es auch vermehrt Kontakte. Seit der Gouverneur von Minnesota im September 2002 die erste Agrarmesse für US-Produkte in Havanna eröffnet hat, sind schon etliche Gouverneure anderer, teils extrem konservativer US-Getreideanbaustaaten (wie Montana, North Dakota und Idaho) aus Anlass dieser Messe nach Kuba gereist. Auch mit der Regierung in Washington gibt es gelegentlich sogar bilaterale Kontakte und Beratungen über Fragen der Einwanderung, über die Zusammenarbeit der Wetterdienste, über Postverbindungen (die 1963 aufgekündigt worden waren) und den Kampf gegen den Drogenhandel.
Von einem Reiseembargo kann im Übrigen längst keine Rede mehr sein. 2013 reisten rund 600 000 US-Kubaner nach Havanna, das sind pro Tag im Durchschnitt 18 vollbesetzte Flugzeuge. Die meisten Besucher sind US-Bürger, die in Kuba geboren wurden. Sie können unbeschränkt einreisen. Dagegen benötigen Kubaner, die in den USA geboren sind, für einen Besuch in der Heimat ihrer Vorfahren eine spezielle Genehmigung.
Auch die Zahl der Menschen, die aus Kuba ausreisen, ist erheblich gestiegen, seit Havanna im Dezember 2012 die Reisebeschränkungen aufgehoben hat. Bis September 2013 sind bereits 47 000 Kubaner abgewandert, die meisten von ihnen nach Florida. Sie können völlig legal zurückkehren, wenn ihr Auslandsaufenthalt nicht länger als 24 Monate dauert. Im ersten Halbjahr 2013 hat die US-Vertretung in Havanna 16 700 Visa ausgestellt, fast 80 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2012.
Die engen Kontakte mit der kubanischen Diaspora haben auch eine finanzielle Seite. Rund zwei Drittel der kubanischen Bevölkerung werden von Verwandten in den USA mit Geld unterstützt. Diese Überweisungen summierten sich 2012 nach offiziellen kubanischen Angaben auf 2,6 Milliarden Dollar, das waren – trotz der restriktiven Regelungen – 13 Prozent mehr als im Jahr zuvor.8
Angesichts der stagnierenden kubanischen Wirtschaft (mit Ausnahme der Sektoren Tourismus und Biotechnologie) hat Präsident Raúl Castro eine wirtschaftliche Öffnung seines Landes eingeleitet. Das soll vor allem die Bevölkerung aktivieren, deren Einkommen gerade mal zum Überleben ausreicht. Das Resultat waren unter anderem höhere Geldtransfers aus den USA, die als private Investitionen in kleine Gewerbebetriebe, Immobilien, Restaurants und kleine Hotels fließen.
Die meisten Exilkubaner leben im US-Staat Florida, wo sie 5 bis 8 Prozent der Wählerschaft ausmachen. Diese „Cuban Vote“ verteilt sich je zur Hälfte auf Demokraten und Republikaner. Florida entsendet 25 Abgeordnete in das 435-köpfige US-Repräsentantenhaus, und bei den Präsidentschaftswahlen von 2000 und 2004 spielten die Resultate des Bundesstaats eine entscheidende Rolle. Bis vor Kurzem konnte man davon ausgehen, dass kein Politiker, der ins Weiße Haus gewählt werden will, verbesserte Beziehungen zu Kuba befürworten kann, ohne seine eigenen oder die Erfolgsaussichten seiner Partei in Florida zu gefährden.
Auch das beginnt sich zu ändern. Das prominenteste Beispiel ist Hillary Rodham Clinton, die mutmaßliche Kandidatin der Demokraten für die Präsidentschaftswahlen 2016. Obwohl ihr Ehemann Bill in seiner Amtszeit noch das Kuba-Embargo unterstützt hat, schreibt Hillary Clinton in ihren jüngsten Buch über ihre Zeit als Außenministerin in der Obama-Regierung: „Am Ende meiner Amtszeit habe ich Präsident Obama gebeten, unser Embargo gegenüber Kuba noch einmal zu überdenken. Es hat sein Ziel verfehlt und behindert unsere Pläne in ganz Lateinamerika.“9
Auch die junge Generation der US-Kubaner beginnt sich von den politischen Positionen ihrer Eltern zu lösen. In Florida ging ihre Unterstützung für die Republikaner bei den Präsidentschaftswahlen von 2012 bereits zurück. Nach jüngsten Meinungsumfragen sind inzwischen 52 Prozent der kubanischen Community von Miami gegen das Embargo.10
Dennoch gibt es Kongressmitglieder kubanischer Abstammung, die noch immer jeden Schritt zur Entspannung mit Havanna bekämpfen. Diese Leute finden sich in beiden Parteien: Bei den Demokraten sind es Robert Menendez (Senator für New Jersey), Albio Sires und Joe Garcia (Mitglieder des Repräsentantenhauses aus New Jersey und Florida); bei den Republikaner sind Ted Cruz (Senator für Texas) und Marco Rubio (Abgeordneter aus Florida) zu nennen, die beide als mögliche Präsidentschaftskandidaten gelten, dazu Mario Diaz-Balart und Ileana Ros-Lehtinen (ebenfalls Abgeordnete aus Florida).
All diese Embargo-Anhänger sind eng mit Anti-Castro-Organisationen wie dem Aktionskomitee „U.S. Cuba Democracy“ und der „Cuban American National Foundation“ verbandelt und haben im Kongress wichtige Positionen besetzt: Menendez hat den Vorsitz im Außenpolitischen Ausschuss des Senats, Ros-Lehtinen war bis 2013 Vorsitzende des entsprechenden Ausschusses im Repräsentantenhaus.
Es könnte also noch einige Zeit vergehen, bis sich die Dinge wirklich ändern. Doch Druck kommt auch von anderer Seite: Die lateinamerikanischen Länder haben auf Betreiben kubafreundlicher Regierungen mit dem Aufbau regionaler Strukturen begonnen, von denen die USA ausgeschlossen sind.11 Einige von ihnen drohen sogar, dem für April 2015 geplanten 7. Amerikagipfel in Panama fernzubleiben, falls Kuba (wie bisher) nicht eingeladen wird. In der UN-Vollversammlung schließlich wurden bereits 23 Resolutionen verabschiedet, die eine Aufhebung des Kuba-Embargos fordern. Die letzte vom 29. Oktober 2014 erhielt 188 Stimmen bei nur zwei Gegenstimmen (der USA und Israels).
Das alles wird freilich nichts bewirken, solange in den USA die innenpolitischen Erwägungen dominieren. Aber auch hier tut sich etwas Neues. Im Mai 2014 reiste eine US-Wirtschaftsdelegation nach Kuba, um sich ein Bild von der neuen Politik der ökonomischen Öffnung zu machen. An der Spitze der Delegation stand Thomas Donohue, Präsident der United States Chamber of Commerce, der Handelskammer in den Vereinigten Staaten. Sie ist der weltgrößte Unternehmenszusammenschluss und gilt mit den mehr als 3 Millionen Unternehmen, die sie vertritt, als die mit Abstand stärkste Lobbymacht in Washington.
In Havanna erklärte Donohue, es sei an der Zeit, ein neues Kapitel der Beziehungen zwischen den USA und Kuba aufzuschlagen. Der Mann hat recht: Warum sollten die USA sich von einem Markt ausschließen, auf dem Brasilien und Venezuela schon stark vertreten sind und zu dem bald auch die Europäische Union leichteren Zugang erhalten könnte? Ganz zu schweigen von Russland und von China, das bereits heute der drittgrößte Handelspartner Kubas ist – nach Venezuela und der EU.
Aus dem Englischen von Niels Kadritzke
Patrick Howlett-Martin ist Journalist and Exdiplomat.