11.12.2014

Mehr Sicherheit für Lázaro Cárdenas

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Mehr Sicherheit für Lázaro Cárdenas

Der große Hafen an Mexikos Pazifikküste ist nicht länger in den Händen eines Kartells von Ladan Cher

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An den Zufahrtsstraßen zu Lázaro Cárdenas, einer Küstenstadt an der Südspitze des Bundesstaats Michoacán, prangt überall das gleiche Banner: „Willkommen in Lázaro Cárdenas … Ein sicherer Hafen“. Die Botschaft wirkt nicht so sehr wie eine Beschreibung des Istzustands als vielmehr wie ein Ausdruck der Hoffnung, dass es in der Region endlich mehr Sicherheit gebe.

Der Hafen ist umgeben von Eisenerzhalden und hat Verbindung zu den Handelsrouten nach China. Lázaro Cárdenas – benannt nach dem mexikanischen Präsidenten der Jahre 1934 bis 1940, der 1938 das Erdöl verstaatlicht hat – ist der größte Seehafen an Mexikos Pazifikküste. Die Erweiterungspläne könnten ihn zu einem der wichtigsten Häfen des amerikanischen Kontinents machen, die seit 1970 gleichnamige Stadt könnte dann zu einem internationalen Handelszentrum werden und wichtige Einnahmen für den verarmten Bundesstaat Michoacán generieren.

Ähnlich groß wie das Potenzial des Hafens sind seine derzeitigen Probleme. Trotz der Versprechen von Präsident Peña Nieto ist Michoacán nach wie vor ein brutaler Moloch, geprägt von konkurrierenden Kartellen, korrupten Politikern, einer machtlosen Polizei und Bürgerwehren.

Der Hafen war seit Anfang des Jahrtausends die Drehscheibe für die illegalen Eisenerzexporte des „Tempelritter“-Kartells („Los Caballeros Templarios“). Im November 2013 griffen die mexikanische Armee und die Bundespolizei gemeinsam ein, übernahmen die Kontrolle über den Hafen und beendeten sämtliche Bergbauaktivitäten, um so die Macht der Tempelritter über den Hafen zu brechen. Doch obwohl die Regierung behauptet, das Kartell vertrieben zu haben, und den Erzabbau schrittweise wieder aufnehmen will, herrscht in Lázaro Cárdenas immer noch Ungewissheit.

Der Handel mit Stahl passt eigentlich nicht zu den üblichen Geschäftsmodellen des organisierten Verbrechens. Doch der „Krieg gegen die Drogen“ zwang die mexikanischen Kartelle, ihre Einnahmequellen zu diversifizieren. Jahrelang hatten die Tempelritter Lázaro Cárdenas als Importhafen für Chemikalien aus China genutzt, die sie für die Produktion von Crystal Meth (eine ihrer Haupteinnahmequellen) brauchten. Als jedoch der frühere Präsident Felipe Calderón (2006–2012)1 viele ihrer Drogenküchen zerstören ließ, war Eisenerz als Handelsgut eine willkommene Alternative. Carlos Torres, der als Journalist in Lázaro Cárdenas über Verbrechen berichtet, findet es nicht erstaunlich, dass die Tempelritter von Drogen auf Metalle umgestiegen sind. Die Tempelritter „kannten die Gegend einschließlich der Erzgruben, und das Ganze lief ähnlich ab wie der Chemikalienhandel, mit dem sie jahrelange Erfahrung besaßen“. Die Kontrolle über den Hafen war nur ein kleiner Teil des viel größeren Geschäfts mit Bergbauprodukten. Seinen Erfolg verdankte das Kartell einer wohldosierten Mischung aus Rücksichtslosigkeit und Korruption. Man kaufte sich einflussreiche Leute, um das illegale Geschäft überall zu schützen: von den Minen hinter den Bergen von Lázaro Cárdenas über den Transport des Erzes zum Hafen bis hin zur Verschiffung in Richtung Übersee.

Nach Auskunft des neuen Gouverneurs von Michoacán, Salvador Jara Guerrero, war Anfang 2013, in den Hochzeiten des Tempelritter-Stahlimperiums, etwa die Hälfte des Bergbaus von Michoacán illegal. Die Tempelritter erpressten Prospektoren und betrieben in einigen Fällen sogar ganze Minen selbst. In einem Interview mit dem britischen Fernsehsender Channel 4 im Februar dieses Jahres erklärte der flüchtige Boss der Tempelritter, Servando Gómez, dass seine Organisation zahlreiche Abnehmer in China habe, die das mexikanische Erz mit stattlichen Profiten dort weiterverkauften.

Die Angebote der Tempelritter

Daneben infiltrierte das Kartell auch die politischen und gesellschaftlichen Institutionen, sodass ihm jede Behörde, die Lizenzen vergab, zu Diensten war. Zum Netzwerk der Tempelritter gehörten sowohl Zollbeamte als auch der ehemalige Bürgermeister der Stadt, Arquímides Oseguera, der wegen mehrerer Fälle von Entführung und Erpressung im April verhaftet wurde. „Die Angebote der Tempelritter funktionierten immer, weil die Angesprochenen wussten, dass sie nur zwei Möglichkeiten hatten: das Geld nehmen und für die Ritter arbeiten oder umgebracht werden.“ Der Tod war der Preis.

Nach Auskunft von Geheimdienstmitarbeitern wurde ein Vorstandsmitglied von ArcelorMittal, einem der größten Stahlproduzenten der Region, getötet, nachdem es die Behörden über illegale Bergbauaktivitäten informiert hatte.

Das Geschäft der Tempelritter blühte unter den Augen der örtlichen Behörden, die mit ihren Maßnahmen gegen die Machtstrukturen des Kartells keine Chance hatten. Viele Bewohner berichten, dass die Lage in der Stadt vor dem Eingreifen der staatlichen Militärkräfte wegen der Zusammenstöße zwischen Kartell und Polizei noch schlimmer gewesen sei. Carlos Torres erläutert, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen auf den Straßen zwar zu Blutvergießen führten, aber den Tempelrittern nichts anhaben konnten, weil sie Beziehungen nach ganz oben hatten. „Die Polizei schoss mit Pistolen auf die Trucks der Kartelle – aber damit kamen sie nicht an Wurzel des Problems.“

Um die übermächtigen Tempelritter zu bekämpfen, musste zu radikalen Mitteln gegriffen werden. Am 4. November 2013 besetzten Marine, Armee und Bundespolizei auf Befehl der mexikanischen Zentralregierung den Hafen. Innerhalb weniger Tage ersetzten die Bundestruppen alle örtlichen Autoritäten und stoppten sämtliche Bergbauaktivitäten. Der Gouverneur von Michoacán, Jara Guerrero, macht die Korruption an der Spitze des Staats verantwortlich, deshalb seien den örtlichen Behörden die Hände gebunden. „Das Eingreifen des Militärs war die einzige Lösung, weil kriminelle Organisationen fast den ganzen Bundesstaat Michoacán unter ihrer Kontrolle hatten, vom Hafen ganz zu schweigen. Nicht einmal der Polizei konnte man trauen.“

Nach dem Einsatz des Militärs schienen sich die Tempelritter in Luft aufzulösen. Seit einem Jahr ist Lázaro Cárdenas nun ein Militärhafen. Doch die langfristigen Auswirkungen auf Sicherheit und Wirtschaft sind umstritten – und kaum einzuschätzen. Die mexikanische Regierung behauptet, das Sicherheitsproblem sei gelöst. Jorge Luis Cruz Ballado, Exgeneral und heute Kommandant des Hafens, erklärt: „Wir haben jetzt sichergestellt, dass hier legale Geschäfte ohne Bedrohungen durch das organisierte Verbrechen abgewickelt werden können. Die Laster fahren von den Minen zum Hafen, ohne von den Kartellen erpresst oder bedroht zu werden. Das war vor einem Jahr nicht so.“

Die Gewalt scheint seit dem Verschwinden der Tempelritter abgenommen zu haben. Auch Silvester Sandoval, der mehr als zehn Jahre im Hafen gearbeitet hat, ist der Ansicht, dass sich die Lage enorm verbessert hat. „Ob das organisierte Verbrechen da ist oder nicht, kann man nicht sehen, aber man kann es fühlen … Viel mehr Leute spazieren heute nachts auf der Straße oder gehen spätabends noch in eine Bar – das hat vor einem Jahr niemand gemacht.“

Dennoch sind viele Menschen in Lázaro Cárdenas der Meinung, die Regierung stelle ihre Erfolge übertrieben dar; die Tempelritter seien gar nicht verschwunden, sondern würden einfach abwarten, bis der Hafen nicht mehr unter militärischer Kontrolle ist. Anwohner beklagen, dass die Aktivitäten der Regierung auf den Hafen beschränkt bleiben und dass jenseits der Hafenmauern kaum Fortschritte zu verzeichnen sind.

Pedro Tapia, der seit über 50 Jahren ein Fahrradgeschäft in Lázaro Cárdenas betreibt, traut der scheinbaren Sicherheit nicht. „Leider verschwinden Kartelle nicht so einfach. Mit der Kontrolle des Hafens ist die Korruption noch lange nicht besiegt. Außerhalb des Hafens haben alle damit zu kämpfen, meine Nachbarn und ich reden jeden Tag darüber. An unseren Geschäften und unserer Wahrnehmung der Situation hat sich nichts verändert. Wenn die Regierung nicht auch in die Stadt investiert, die den Hafen betreibt, dann werden die Kartelle zurück sein, sobald die Soldaten abziehen.“

Was das Vermächtnis der Tempelritter für die Zukunft des Orts bedeutet, ist schwer einzuschätzen. Der illegale Bergbau war eine lukrative Einnahmequelle für das Kartell. Ende 2013 beschrieb der damalige Gouverneur von Michoacán, Fausto Vallejo, die Operationen der Tempelritter: „Sie haben die Minen hemmungslos ausgebeutet und das Erz weggeschafft. Aber nicht in Schlauch- oder Schnellbooten. Es verließ Mexiko über den Hafen, mit Erlaubnis der Zollbehörden, auf großen Schiffen.“

Die Herrschaft der Tempelritter über den Hafen führte zu einem deutlichen Anstieg der mexikanischen Eisenerzexporte nach China: von 1,5 Millionen Tonnen 2012 auf 4 Millionen 2013 (was Präsident Peña Nieto bei seinem Vorhaben half, das enorme Handelsbilanzdefizit gegenüber China zu verringern). Der Kartellbergbau förderte die ökonomischen Aktivitäten in einer verarmten Region, aber der Preis für den Wohlstand war die Zerstörung.

Carlos Vilalta, Kriminologe am Centro de Investigación y Docencia Económicas (Cide), hält es für eine Illusion, dass die Tempelritter einen Beitrag zur mexikanischen Wirtschaft leisten. „Sie haben viel Geld gemacht, haben auch ein paar Jobs im Bergbau geschaffen und damit sogar eine gewisse ökonomische Entwicklung nach Michoacán gebracht. Aber ihr Wettbewerbsvorteil beruht allein darauf, dass sie sich nicht an Regeln halten.“ Das organisierte Verbrechen sei nicht imstande, dauerhaftes Wirtschaftswachstum zu schaffen. „Um voranzukommen, muss das Kartell Regeln brechen und die politische Ordnung korrumpieren und kontrollieren. Aber das ist auf die Dauer destruktiv. Ein Kartell ist Raubtier und Parasit zugleich und zerstört am Ende den Staat.“

Die Motive der Tempelritter sind kompliziert. Sie selbst behaupten von sich, für das Volk da zu sein. Ihr Anführer Gómez (bekannt als „La Tuta“, „Der Lehrer“; tatsächlich war Gómez früher Lehrer) gibt sich als Robin Hood von Michoacán. Wie ein Politiker und nicht wie ein Krimineller auf der Flucht trat Gómez in mehreren Städten auf, um Bürgern die Hände zu schütteln und Geld zu verteilen. Außerdem präsentiert er sich und seine Organisation mit einer Art Kampagne auf YouTube und in anderen Medien als „notwendiges Übel“ mit altruistischen Motiven.

Das Stahlprojekt mag dieses Image der Tempelritter gestärkt haben. Sie schienen sich „legalisiert“ und die Wirtschaft in Gang gebracht zu haben, was die mexikanischen Regierung mit legalen Geschäften nicht hinbekam. In seinem Interview mit Channel 4 prahlte Gómez mit seiner Kundschaft und seiner Flotte und präsentierte die Tempelritter als gute Geschäftsleute, die gewinnbringend in eine fast legale Branche gewechselt seien.2

Obwohl der Eisenerzhandel vergleichsweise harmlos wirkt, wurden die Geschäfte nicht von einem an Gesetze und Regeln gebundenen Unternehmen abgewickelt. Alejandro Hope, der früher am Mexikanischen Wettbewerbsinstitut (Imco) arbeitete, ermittelt heute gegen das organisierte Verbrechen. Er weiß, dass das Kartell nach wie vor mit Bestechung, Mord und Entführung operierte: „Jeder Vergleich mit der legalen Ökonomie ist irreführend. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die Tempelritter nicht auf das Rechtssystem zurückgreifen konnten. Das heißt, dass sie jedes Problem, das auftauchte, mit illegalen und oft gewalttätigen Mitteln lösen mussten.“ Die Geschäftsstrategie der Tempelritter hält Hope vor allem für eine Fassade, um ihr Image aufzupolieren. Sie wollen die Situation in Michoacán nicht wirklich verbessern.

Michoacán ist eigentlich ein sehr reicher Bundesstaat, in dem neben dem Bergbau auch andere Wirtschaftszweige wie Landwirtschaft und Fischerei für Wirtschaftswachstum sorgen könnten. Die mexikanische Regierung müsste enger mit der Regierung des Bundesstaats zusammenarbeiten und die Gemeinden beim Aufbau von Sicherheitsstrukturen unterstützen. Doch der politische Wille dazu ist offenbar nicht vorhanden, die Drogenpolitik kennt als einzige Maßnahme nur die Gewalt.

In seinem Fernsehinterview rechtfertigt „Der Lehrer“ die Aktivitäten seines Kartells: „Irgendeiner muss sich ja schließlich darum kümmern, dass der Drogenhandel geregelt wird.“

Fußnoten: 1 Siehe Jean-François Boyer, „Hoffnung auf Ruhe durch Korruption. In Mexiko hat die Regierung Calderón den Drogenkrieg verloren – und die Wahlen“, Le Monde diplomatique, Juli 2014. 2 Guillermo Galdos, „Knights Templar link to Mexican iron ore arrests“, Channel 4, London, 7. März 2014.

Aus dem Englischen von Raul Zelik

Ladan Cher ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 11.12.2014, von Ladan Cher