Gleich kaputt
Strategien der geplanten Obsoleszenz von Jürgen Reuß
Es wird gern und viel eingekauft in den reichen Industrieländern, doch das Gekaufte landet meist schneller auf dem Müll als gedacht. Die beiden Phänomene hängen, obwohl wir sie gewöhnlich getrennt behandeln, eng miteinander zusammen. Auf der einen Seite stellen wir uns auf bestimmte Zyklen ein, in denen Dinge neu angeschafft oder ausgetauscht werden müssen – alle drei Monate ein neues Hemd, alle zwei Jahre ein neues Handy, spätestens alle fünf ein neuer PC, mit jedem nächsten ‚A‘ ein neuer ‚AAAA+‘-Kühlschrank und mit jedem weiteren Superlativ das neue HD-Ultra-TV-Gerät, um die gesendete Qualität entsprechend hoch aufgelöst ansehen zu können. Modellwechsel mitzumachen ist zum vertrauten Automatismus, der Werbeslogan „Öfter mal was Neues!“ zur selbstverständlichen Alltagspraxis geworden. Deshalb fallen auf der anderen Seite immer mehr ausgemusterte Dinge an, die richtig entsorgt sein wollen.
Bei den etwa 10 000 Gegenständen, die Durchschnittseuropäerinnen derzeit besitzen, ist es kein Wunder, dass das Konsumentendasein in Überforderung ausartet. Wir geben ein Gutteil unseres Verdienstes dafür aus, nehmen Kredite auf und verbringen viel Zeit in der Warenwelt. Warum tun wir das? Wir sind geneigt, individuelle Gründe dafür anzugeben: weil wir das Gekaufte brauchen, weil wir es uns leisten können, weil es Spaß macht, weil wir es uns wert sind, um unsere Lebensqualität zu erhöhen oder Energie zu sparen.
Zu diesen individuellen Motiven kommt allerdings ein komplexes Geflecht manipulativer Eingriffe hinzu, das die Dynamik von Kaufen und Wegwerfen sowohl auf Konsumentinnen- als auch auf Herstellerseite entscheidend beeinflusst: die geplante Obsoleszenz. Das Wort geht auf das lateinische „obsolescere“ zurück, das so viel bedeutet wie „sich abnutzen, alt werden“, aber auch ,Geltung und Ansehen verlieren‘.1
Dass die Dinge sich durch Gebrauch auf Dauer abnutzen, scheint erst einmal banal zu sein. Die Herstellerinnen haben mit Obsoleszenz in der Regel nur insofern zu tun, als dass sie sich vor allem um ihr Gegenteil bemühen, also darum, ihren Produkten Nutzen, Wert und Ansehen zu verleihen, und den Rest dem Lauf der Dinge überlassen. Dann wäre Obsoleszenz ein Synonym für natürliche Alterungsprozesse, wie auch die Industrienorm DIN 62402:2007 nahelegt: „Obsoleszenz ist unausweichlich und kann nicht verhindert werden.“
Von einer Naturgesetzlichkeit auszugehen, führt hier jedoch in die Irre. Hersteller sind weit davon entfernt, das Feld der angeblichen Unausweichlichkeit zufälligen oder gar natürlichen Abläufen zu überlassen – weder beim realen materiellen Verschleiß noch beim gefühlten Wertverlust. Insbesondere die Herstellerinnen von Konsumartikeln haben beeindruckende Strategien entwickelt, um den Zeitpunkt der Obsoleszenz möglichst präzise zu planen und ihre Kundschaft mittels gezielten Verschleißes regelmäßig und in vorab kalkulierten Abständen dazu zu bringen, Altes durch Neues zu ersetzen – egal, ob es sich dabei um eine Zahnbürste, ein Bett oder ein Auto handelt.
Mixer mit Zahnrädern aus Plastik
Sie betreiben das so systematisch, dass Obsoleszenz heute in praktisch jedem Produkt durchgeplant drinsteckt und in erheblichem Maße unseren Alltag und den Umgang mit käuflich erworbenen Gegenständen bestimmt. Die Wirkung der Obsoleszenzstrategien entfaltet sich – durchaus gewollt – meist im Verborgenen beziehungsweise als quasi naturgesetzliche Unausweichlichkeit. Dass bei einem Mixer ein Metallzahnrad in ein Plastikzahnrad greift und das Gerät deshalb schnell kaputtgeht, ist kein gutes Verkaufsargument. Dieser ingenieurtechnisch geplante Verschleiß wird lieber verschwiegen, stattdessen wird auf die Qualitäten und den günstigen Preis des Neugeräts verwiesen.
Wer als mündiger Konsument über solche Strategien informiert ist, wird sein Wissen in die Kaufentscheidung einfließen lassen. Angesichts der vielfältigen Methoden, die dazu führen, dass Produkte oder Waren ausgemustert und ersetzt werden, ist es jedoch nicht leicht, den Überblick zu behalten, zumal es keine Kennzeichnungspflicht für Maßnahmen gibt, die die Nutzungsdauer senken. Von den drei wichtigsten Strategien, mit denen die Hersteller die Obsoleszenz steuern, setzen zwei am Produkt an – Innovation und Sabotage – und eine beim Konsumenten – das Marketing.
Die geplante Obsoleszenz durch Innovation erscheint zunächst wie ein Widerspruch in sich. Nehmen wir das Beispiel Kraftfahrzeugindustrie: Die Erfindung des Autos ließ mit der Zeit Pferd und Kutsche als Transportmittel obsolet werden, und nach der Einführung des elektrischen Anlassers waren Autos, die noch mit Kurbel gestartet werden mussten, schnell veraltet. Auf solchen Erfahrungen fußt die vertrauensvolle Annahme, dass das Neue irgendwie besser sein wird als das Alte.
In der Praxis ist jedoch oft erstaunlich schwer festzustellen, ob tatsächlich eine Verbesserung vorliegt. Rasieren fünf hintereinander gestaffelte Klingen tatsächlich glatter als zwei? Was waren noch mal die herausragenden Innovationen auf dem TV-Geräte-Markt, die sich hinter den Kürzeln PDP, LCD, LED, OLED, SED, HDTV, HDTV ultra und so weiter verbargen und einen fast halbjährlichen Modellwechsel nahelegten, um auf dem Laufenden zu bleiben? Noch komplizierter wird es auf dem Prozessor-Markt, wie etwa in dem Wikipedia-Artikel zur Intel-Core-i-Serie nachzulesen ist: Man könne nicht sagen, „dass Core i7-CPUs generell schneller sind als Core i5 oder dass Core-i5-CPUs generell schneller sind als Core i3“. Zudem würden „alle Prozessoren mit der Zeit aktualisiert, so dass neuere Prozessoren mit kleinerem Modellnummernsuffix sogar erheblich schneller sein können als ältere mit dem höheren Modellnummernsuffix.“
Auch bei den Digitalkameras ist die Sache nicht eindeutig. Die Käufer sollen glauben: je mehr Megapixel, desto besser. Aber je mehr Pixel auf immer kleineren Bildsensoren untergebracht werden, desto geringer die Lichtempfindlichkeit pro Pixel. Die Bildqualität kann also mit steigender Pixelzahl auch abnehmen.
Weltweit wird etwa alle drei Minuten ein neues Produkt eingeführt, drei Viertel davon verschwinden nach kurzer Zeit wieder. Den Herstellern all dieser Produkte geht es nicht primär um die Verbesserung oder Weiterentwicklung des Vorhandenen, sondern darum, möglichst hohe Absätze zu generieren. Innovationen zielen weniger auf die optimale Nützlichkeit eines Produkts als auf die Optimierung des Kaufverhaltens, das eine gigantische Maschinerie zu steuern versucht. Was nach dem Kauf kommt, wird zum Störfaktor, delegiert an Callcenter und der Zurechenbarkeit von Verantwortung entzogen.
Für Herstellerinnen und Anbieter gibt es neuerdings zwei extrem effektive Methoden, das Kaufverhalten in ihrem Sinne zu optimieren: Das Modell „Update des Betriebssystems“ sorgt bei einem zuvor einwandfrei funktionierenden Gerätepark dafür, dass Drucker, Scanner und Rechner wegen Inkompatibilität oder mangelnder Kapazität ausgemustert und ersetzt werden müssen. Und das Modell „geschlossener Konzernkosmos“ schränkt (siehe Kindle E-Book) die vorhandenen technischen Eigenschaften gezielt ein, damit es ausschließlich in der Amazon-Welt funktioniert und konzerninterne Folgeerträge generiert. Eine Optimierung für Leserinnen sähe wahrlich anders aus.
Schon seit den 1930er Jahren haben Marketingleute vor allem solche Formen der Innovation im Kopf. So forderte beispielsweise der US-amerikanische Werbepionier Earnest Elmo Calkins im Jahr 1932: „Wir dürfen nicht eher ruhen, bis wir alles, was wir herstellen können, auch konsumieren können.“2 Es geht nicht länger darum, einen Bedarf zu decken, sondern darum, ihn überhaupt erst zu wecken. Wer Güter herstellt, muss von vornherein darüber nachdenken, wie er die passende Konsumentin gleich mit erschaffen kann – und wie er die bereits angeschafften Gegenstände, die Neukäufe tendenziell blockieren, aus dem Weg räumt. Die wichtigste Innovation für die Massenindustrie ist somit die Optimierung des Konsumverhaltens.
Dabei schränkt die Fixierung auf konsumfördernde Innovationen das innovative Potenzial ein, wie man sich an der Verkehrsindustrie leicht verdeutlichen kann. Produktorientierte Innovationen beschäftigen sich mit Katalysatoren, Airbags und elektronischer Einparkhilfe, um auf bestehenden Märkten für Wachstum zu sorgen, während problemorientierte Innovationen auch Räume für andere Mobilitätskonzepte wie Carsharing und öffentlichen Nahverkehr öffnen würden.
Rabiater und unmittelbarer als die Innovation wirkt die Sabotage: Produkte werden mit einer Sollbruchstelle versehen, die dafür sorgt, dass sie nach einer bestimmten Gebrauchsdauer kaputtgehen oder nicht weiter verwendet werden können. So werden in Fernsehgeräten und Videorekordern die hitzeempfindlichen Kondensatoren gerade an den Stellen eingebaut, die sich stark aufheizen. Die Trommeln von Waschmaschinen drehen sich nicht mehr wie früher üblich in Edelstahl-, sondern in verschleißanfälligen Plastikgehäusen. Der Druckknopf der elektrischen Zahnbürste löst sich durch den Kontakt mit Wasser langsam auf. Die Kurbel der energiesparenden Kurbeltaschenlampe ist nicht verschraubt, sondern so schlecht angeklebt, dass sie nach ein paarmal Kurbeln einfach abbricht.
Auch diese Form der geplanten Obsoleszenz ist nicht neu. Im ersten nationalen Werbefachblatt der USA heißt es 1928: „Ein Artikel, der nicht verschleißt, ist eine Tragödie fürs Geschäft.“3 Die Effizienz eingebauter Sollbruchstellen wird dadurch erhöht, dass Reparaturen schwierig, wenn nicht gar unmöglich sind, etwa durch einen verschweißten Akku. Ist der nach zwei Jahren kaputt, muss der ansonsten funktionsfähige MP3-Player oder die elektrische Zahnbürste weggeworfen werden, obwohl es sich bei dem Akku nur um eine billige, wiederaufladbare Batterie handelt.
Doch auch Ersatzteile werden nicht lange vorgehalten. Für ein vier Jahre altes Rührgerät gibt es keine Ersatzrührstäbe mehr. Der Elektrofachhandel datiert das Ende der Lagerhaltung von Ersatzteilen auf Ende der 1990er Jahre. Ist die Reparatur doch noch möglich, werden die Kosten in die Höhe getrieben: Um den abgebrochenen Verschlusshaken der Waschmaschinentür aus minderwertigem Plastik zu ersetzen, muss die gesamte Tür ausgewechselt werden. Die Reparatur eines Druckers ist teurer als ein neuer Drucker. Weil viele Kunden sich inzwischen daran gewöhnt haben, dass Reparaturen nicht mehr vorgesehen und Ersatzteile nicht erhältlich sind, nehmen sie schon die Fehlermeldung als Signal zum Neukauf wahr.
Konsumrausch für sichere Arbeitsplätze
Eine besonders effiziente Form der Sabotage sind die Obsoleszenzbeschleuniger: Tuben- und Flaschenöffnungen werden vergrößert, um den Verbrauch zu erhöhen. Neue Dienste werden immer nur für die aktuellste Gerätegeneration bereitgestellt wie etwa HBO Go oder Skype für Fernseher, weshalb Experten behaupten, Fernseher hätten zu lange Lebenszyklen, um mit der rasanten technischen Entwicklung Schritt zu halten4 , und die Automatisierungstechnik veralte sowieso zu schnell für die Industrie 4.0.5
Die geplante Obsoleszenz bleibt nicht auf Konsumgüter beschränkt. Ihr Spektrum reicht von den bewusst in Kauf genommenen, gesundheitsgefährdenden Mängeln bei Silikonbrüsten über die halbierte Lebensdauer des Eurofighters bis hin zu teuren Abwassersystemen, für die keine Austauschteile zu bekommen sind.
Aber wie konnte sich diese teure, anstrengende und ressourcenvergeudende Art des Produzierens eigentlich durchsetzen? Die Antwort führt zur sogenannten psychologischen Obsoleszenz. Darunter werden die Maßnahmen zusammengefasst, welche die Bereitschaft wecken, ein Produkt auch dann durch ein neues zu ersetzen, wenn es noch funktioniert. Damit befinden wir uns im Bereich Werbung, Marketing und PR, und das Augenmerk liegt nicht auf der Veränderung des Materials durch Innovation oder Sabotage, sondern auf der Beeinflussung der Psyche.
Auf den gesättigten Märkten von Wohlstandsländern hängt der Erfolg eines Produkts weniger von seiner Beschaffenheit ab als von raffinierten Marketingstrategien. Jahrzehntelang mussten die Spindoktoren der Massenindustrie viel Mühe aufbringen, bis wir endlich eingesehen haben, dass es ziemlich öde ist, immer nur Sachen zu kaufen, die man braucht. Inzwischen haben wir das Lebensgefühl des „Alles immer sofort“ verinnerlicht. Kaufen macht Spaß. Wer kein Geld hat, soll ruhig auf Pump kaufen.
Im Unterschied zur Sabotage spielen sich die auf die Psyche zielenden Veralterungsstrategien nicht im Verborgenen ab. Im Gegenteil, sie manipulieren über die Markenpflege und die öffentliche Wahrnehmung den Wunsch von statusbewussten Kunden, ihren Platz in der sozialen Hierarchie durch ihr Konsumverhalten zu definieren. Für dieses Bedürfnis hat der US-amerikanische Sozialökonom Thorstein Veblen schon im frühen 20. Jahrhundert den Begriff conspicuous consumption geprägt, was man mit „Geltungskonsum“ oder „demonstrativer Verbrauch“ übersetzen kann: Die Menschen kaufen Produkte, nicht weil sie sie benötigen oder ersetzen müssen, sondern der Konsum dient in erster Linie dem Bedürfnis, den eigenen sozialen Status zur Schau zu stellen – man kauft etwas, weil man es sich leisten kann oder weil es standesgemäß ist. Was einst ein Privileg der Adligen war, hat sich in Zeiten von steigendem Wohlstand, Industrialisierung und Massenproduktion auf immer breitere Bevölkerungsschichten übertragen. Kein Wunder, dass die heutige Werbung fast ausschließlich den Distinktionsgewinn betont – du bist, was du kaufst.
Der Aufwand, der betrieben wird, um das Lebens- und Selbstwertgefühl von Menschen an die Konsumsphäre zu koppeln, ist enorm. Aber er ist wohl nötig, damit die Menschen so etwas Widersinniges wie die geplante Obsoleszenz überhaupt akzeptieren. Beispiel Abwrackprämie: Sie bettete im Jahr 2009 die Absatzkrise der deutschen Autoindustrie in eine Erzählung zwischen ökologischem Heilsversprechen und belohnenden Staat ein – und schaffte es, die Verbraucher zu einer irrationalen Obsoleszenzbeschleunigung zu verführen.
Bis vor nicht allzu langer Zeit hätten es die meisten Menschen absurd gefunden, Dinge wegzuwerfen, die sie noch benutzen können. In Deutschland war es bis in die 1970er hinein üblich, das, was man besaß, pfleglich und mit einer gewissen Achtung für das Material zu behandeln. Eine ähnliche Sorgfalt aufseiten der Produzenten wurde mehr oder weniger selbstverständlich vorausgesetzt. Kaputte oder ausrangierte Gegenstände wanderten nicht sofort auf den Müll, sondern galten als weiter- und wiederverwertbares Material.
Dass ein nachhaltiger Umgang mit den Gegenständen auf die Dauer nicht mit Wachstum und Massenproduktion vereinbar ist, war den Vordenkern einer Wachstumsgesellschaft früh klar. Was passiert also, wenn, wie es Ende der 1950er Jahre der US-Ökonom Ernest Dale prognostizierte, „Amerikas Fähigkeit zu produzieren vermutlich seine Fähigkeit zu konsumieren überflügelt“6 hat? Werbefachmann Calkins wusste es schon 20 Jahre früher: Wohlstand komme eben nicht dadurch zustande, „dass man Dinge aufträgt, sondern dass man welche kauft“.7 Um den vernünftigen Widerstand gegen Verschwendung zu brechen, werden die Hebel nun vor allem an einem Punkt angesetzt: der Emotion. Denn wer ungebremst Dinge für die Massen produzieren will, war und ist darauf angewiesen, dass sich die potenziellen Kunden weniger vom Verstand als vom Gefühl leiten lassen.
Interessanterweise setzten die Spindoktoren der Massenproduktion anfangs nicht bei den positiven Gefühlen, sondern bei der Angst an – und zwar der Angst um Arbeitsplätze. In den Köpfen der Menschen sollte sich der Glaube festsetzen, dass Wachstum die einzig wirksame Versicherung gegen Arbeitslosigkeit sei und dass die Wirtschaft nur wachse, wenn alle kräftig kaufen, wegwerfen und neu kaufen. Die gesamte Bandbreite der psychologischen Obsoleszenz – samt Markenimplementierung in den Köpfen von Kleinkindern, Produktsakralisierung nach dem Vorbild von Apple, Überführung langlebiger und nützlicher Produkte in nutzenfreie Manufactum-Sphären und „Ich bin doch nicht blöd“-Holzhämmer – zielt auf das Zauberwort Wirtschaftswachstum und seine angebliche Alternativlosigkeit.
Konsumverzicht, Konsumgleichgültigkeit oder die Frage, was Lebensqualität jenseits von Konsum bedeutet, gelten als abseitig und weltfremd. Die Dauerberieselung mit rund 3 000 Werbebotschaften täglich gibt den angstlustgehetzten Konsumentinnen mal Zuckerbrot – wenn am Samstag der Megarabatt lockt – und mal die Peitsche – wenn Smartphone-Verweigerer als sozial isolierte Sonderlinge dastehen.
Wir haben die Verantwortung dafür, in welcher Welt wir leben wollen, an die Konsumsphäre delegiert. Die konkreten Produkte sind austauschbar und nur Mittel zum Zweck der Profitmaximierung, die Unternehmen sind nur noch „kundenerzeugende und kundenzufriedenstellende“8 Organismen. Der US-Informatiker und Autor Jaron Lanier geht noch weiter: „Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt.“ Für dieses Wahnsystem kommt es nicht darauf an, was wir wollen, sondern was wir wollen sollen. Wir selbst sind Rohstoff und lassen uns von dem Versprechen ködern, dass wir unsere Wünsche per Fingertipp erfüllt bekommen.
Jürgen Reuß ist freier Journalist und Übersetzer. © Le Monde diplomatique, Berlin